Marguerite Donnadieu, Tochter eines Lehrerehepaars, nahm den Künstlernamen Marguerite Duras nach dem Familiensitz ihres Vaters imDépartement Lot-et-Garonne an. Sie wuchs in Vietnam in ärmlichen Verhältnissen auf. Die Mutter zog sie und die zwei Geschwister alleine auf und kämpfte mit den Folgen einer Fehlinvestition in Reisfelder im heutigen Kambodscha.[1] Duras verarbeitete diese Erfahrung in dem erstmals 1950 auf Französisch veröffentlichten RomanUn barrage contre le Pacifique (1988, dt.Heiße Küste).
Duras ging1931, während derWeltwirtschaftskrise, nach Frankreich und studierte in Paris zunächst Mathematik und dannJura undPolitikwissenschaft. Sie engagierte sich mit Philippe Roques für ein Wiedererstarken desfranzösischen Kolonialreichs. DasNS-Regime führte im Frühjahr 1940 denWestfeldzug.Wehrmacht-Truppen besetzten dieBenelux-Staaten und zwangen die Führung Frankreichs, am 22. Juni 1940 den kapitulationsgleichenWaffenstillstand von Compiègne zu unterzeichnen. Duras schloss sich einerRésistancegruppe von Buchhändlern an. Dort hatte sie Zugang zurationiertem Papier und lernte den späteren französischen PräsidentenFrançois Mitterrand kennen. Ihr EhemannRobert Antelme (1917–1990), ebenfalls in der Résistance aktiv, wurde im Juni 1944 von derGestapo verhaftet und insKZ Dachau verschleppt. Duras publizierte 1985 seine in Dachau geschriebenen Tagebucheinträge unter dem TitelLa Douleur. Duras trat 1944 derKommunistischen Partei Frankreichs (PCF) bei. Sie protestierte später gegen die Behandlung von Schriftstellern in derstalinistischenSowjetunion und wurde 1950 aus der PCF ausgeschlossen, blieb aber zeitlebens Kommunistin.[2] Während der Zeit ihrer Partizipation in der Résistance lernte DurasDionys Mascolo kennen, der 1947 ihr zweiter Ehemann und Vater ihres Sohnes Jean (Outa, geb. 1947) wurde.
Duras, die unterAlkoholismus litt, hatte bei der Erziehung ihres Sohns Jean größte Schwierigkeiten. Ihre Umgebung drängte sie dazu, Jean auf ein Internat zu schicken.
Die letzten sechzehn Jahre ihres Lebens verbrachte Duras mit dem knapp 40 Jahre jüngeren SchriftstellerYann Andréa (eigentlich Yann Lemée).[3] Siewidmete ihm das BuchYann Andréa Steiner (1992). Andréa selbst widmete seinem Leben mit Duras mehrere autobiographische Werke, darunterM. D. (1983) undCet amour-là von 1999 (2000, dt.Diese Liebe), das im Jahr 2001 vonJosée Dayan mitJeanne Moreau verfilmt wurde.[4]
Ihr ErstlingsromanLes impudents (1943) wurde von der Öffentlichkeit mehr oder weniger übersehen. Bereits ihr zweites Werk jedoch,Un barrage contre le Pacifique (1950), war ein Erfolg und brachte ihr beinahe denPrix Goncourt ein. Internationale Bekanntheit erlangte sie schließlich 1959 mit dem Drehbuch zu dem FilmHiroshima, mon amour, das zum ersten Mal die noch bis in die 1990er Jahre als Tabu behandelte Demütigung und Ächtung französischer Frauen thematisierte, denen sogenannte „horizontale Kollaboration“ vorgeworfen wurde, in erster Linie Liebesbeziehungen mit deutschen Besatzungssoldaten.
Ihre Romane waren fast alleautobiographisch geprägt, so beispielsweiseL’amant (1984, dt.Der Liebhaber), für den sie 1984 denPrix Goncourt[5] erhielt, oderL’amant de la Chine du Nord (1991, dt.Der Liebhaber aus Nordchina). In beiden Werken beschrieb sie ihre turbulente Kindheit und ihre frühen Liebeserfahrungen imIndochina der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Die Autorin war auch für das Theater tätig und verfasste 1965 z. B. das DramaLa musica. In den 1970er und frühen 1980er Jahren trat sie auch alsFilmregisseurin in Erscheinung, wobei sie nicht nur bereits erschienene eigene Texte(India Song, 1975;Les enfants, 1984) auf die Leinwand brachte, sondern auch eigenständige Arbeiten für das Kino produzierte(Le Camion, 1977). Während dieser Zeit erschienene literarische Publikationen von Duras standen immer im Zusammenhang mit ihrem filmischen Schaffen –L’amant ist die erste wieder „rein“ literarische Publikation nach dieser Phase.
Charakteristisch für ihre Sprache ist eine große Schlichtheit inVokabular undSatzbau, die sich zudem auszeichnet durch zahlreicheEllipsen,Anspielungen, Unausgesprochenes, das jedoch im Hintergrund steht, sowie fragmentarisch zusammengefügte Sätze. Ihr Gesamtwerk ist keiner der großen literarischen Strömungen des 20. Jahrhunderts zuzuordnen.
Gegenüber der Tendenz, Duras wegen der häufigen Wiederholung von Motiven undTopoi in ihren zahlreichen Büchern für eine oberflächliche Schriftstellerin zu halten, äußert sich Duras in einem kurzen Interview mitLeslie Kaplan von 1988 zu ihrer eigenen Schriftstellerei, gibt aber auch ihre Meinung über das entfremdete Leben in der Neuzeit wieder:
„Der Wahnsinn selbst ist auf ewig offen für den Verlauf des Wahnsinns. … Das Nichts ist sich selbst gegenüber offen. … Ich glaube, das Offene schafft sich selbst gegenüber einen religiösen Raum. Ich habe an dem Horror teil, aus dem das Ganze besteht, aber ich spüre es nicht. Das könnte eine Definition derArbeiterklasse sein. Die Fabrik ist eine Art Luftschiff, wo innerhalb und außerhalb das gleiche Luftmaterial ist, mit einem winzigen Unterschied jedoch. Dieser Unterschied ist die Unendlichkeit des Menschen, der neun Stunden am Tag Kabel herstellt, ohne es zu spüren. … Wie das Gedicht kommt dieser Gedanke aus dem Grund der Zeiten, aus einer Art fundamentaler Wiederholung, derjenigen des Lebens, aus einer Art ozeanischer Ewigkeit, die jene des Todes wäre, verneint und erfaßt durch die Zeit.“
Diese Unendlichkeit des Menschen war letztendlich ihr Thema.
1984:Théâtre III: La Bête dans la jungle (nachHenry James, adaptiert vonJames Lord und Marguerite Duras).Les Papiers d’Aspern (nach Henry James, adaptiert von Marguerite Duras undRobert Antelme).La Danse de mort (nach August Strindberg, adaptiert von Marguerite Duras).
1985:La musica deuxième
La musica zwei, dt. von Simon Werle; Suhrkamp, Frankfurt am Main 1989,ISBN 3-518-11408-5.
1991:Le Théâtre de l’amante anglaise
1999:Théâtre IV: Vera Baxter. L’Éden Cinéma. Le Théâtre de l’amante anglaise. Home. La Mouette.
2010:Der Schmerz – dt. Bühnenadaption – UA: 11. April 2010, Kammertheater Stuttgart, inszeniert und gespielt vonCorinna Harfouch
1987:La Vie matérielle – Marguerite Duras parle à Jérôme Beaujour
Das tägliche Leben, dt. von Ilma Rakusa; Suhrkamp, Frankfurt am Main 1988,ISBN 3-518-11508-1.
1987:Les Yeux verts
Die grünen Augen: Texte zum Kino, dt. von Sigrid Vogt; Hanser, München/Wien 1987,ISBN 3-446-14965-1.
1993:Le Monde extérieur – Outside 2
1995:C’est tout
Das ist alles, dt. von Andrea Spingler; Suhrkamp, Frankfurt am Main 1996,ISBN 3-518-40792-9.
1996:La Mer écrite, textes d’après des photographies d’Hélène Bamberger
1999:La Cuisine de Marguerite
2006:Cahiers de la guerre et autres textes
Hefte aus Kriegszeiten: Autobiografische Aufzeichnungen und frühe Erzählungen, dt. von Anne Weber; Suhrkamp, Frankfurt am Main 2007,ISBN 3-518-41924-2.
2010:La Beauté des nuits du monde, textes choisis et présentés parLaure Adler
Christine Bange:Die zurückgewiesene Faszination. Zeit, Tod und Gedächtnis als Erfahrungskategorien beiBaudelaire,Walter Benjamin und Marguerite Duras. Beltz, Weinheim 1987,ISBN 3-407-58301-X
Christiane Blot-Labarrère:Album Maguerite Duras. Gallimard, Paris 2014,ISBN 978-2-07-013485-4
Laetitia Cénac:Marguerite Duras : l’écriture de la passion. Édition de La Martinière, Paris 2013,ISBN 978-2-7324-5739-0
Benjamin Cieslak, Yve Beigel (Hrsg.):Marguerite Duras. L’existence passionnée. Actes du Colloque de Potsdam 18 – 24 avril 2005. Universitätsverlag Potsdam, 2005,ISBN 3-937786-82-1 (Volltext)
Marguerite Duras:Die grünen Augen, darin:Das Schreiben ist stärker als alle Gewalt. Marguerite Duras im Gespräch mitKarsten Witte. (Texte zum Kino) Hanser, München 1987
Rike Felka:Indiasongkomplex. Brinkmann & Bose, Berlin 1996,ISBN 3-922660-66-5
La Douleur – Zeugnis oder Literatur. In dies.,Vorläufig Beiseitegelegtes. Brinkmann & Bose, Berlin 2000,ISBN 3-922660-76-2
Im Haus. In dies.,Das räumliche Gedächtnis. Brinkmann & Bose, Berlin 2009,ISBN 978-3-940048-04-2
Peter von Matt:Wenn Glück und Unglück zusammenschießen: Marguerite Duras. In ders.,Sieben Küsse. Glück und Unglück in der Literatur. Hanser, München 2017,ISBN 978-3-446-25462-6, S. 205–239
Les lieux de Marguerite Duras. Dokumentarfilm, Frankreich, Buch und Regie Michelle Porte
Das Jahrhundert der Marguerite Duras. (OT:Le siècle de Duras.) Dokumentarfilm, Frankreich, 2014, 52:40 Min., Buch und Regie:Pierre Assouline, Produktion:arte France, Cinétévé, Les Films du Carré,RTBF,INA, Erstsendung: 6. April 2014 bei arte,Inhaltsangabe von arte.
Diese Liebe (OT:Cet amour-là). Film-Biographie, Frankreich, 2001, 95 Min., Buch: Yann Andréa, Regie:Josée Dayan, Produktion: Le Studio Canal +, Les Films Alain Sarde, Studio Images 7,arte,Inhaltsangabe von arte, u. a. mitJeanne Moreau als Marguerite Duras,Besprechung inartechock.
Marguerite Duras – Schreiben. (OT:Marguerite Duras – Ecrire.) Gespräch, Frankreich, 1993, 43:50 Min., Buch und Regie:Benoît Jacquot, Produktion:INA,Inhaltsangabe mit Audiopassagen von arte.
Pornotropic – “Heiße Küste” von Marguerite Duras. Dokumentarfilm. Regie: Nathalie Masduraud, Valérie Urrea, Arte, Frankreich 2019