
DieMILAN (franz.Missile d′Infanterielégerantichar,deutschleichte Infanterie-Panzerabwehrrakete; gleichzeitig bedeutet diesesApronym den habichtartigen GreifvogelMilan) ist eine leichte Boden-Boden-Panzerabwehrlenkwaffe, die in den 1970er-Jahren in deutsch-französischer Kooperation entwickelt wurde. Sie wurde 1977 bei derBundeswehr in Dienst gestellt und ist bis heute im Einsatz.
Am 12. April 1963 wurde ein erstes deutsch-französisches Regierungsabkommen über die Entwicklung von Panzerabwehrlenkraketen MILAN abgeschlossen. Am 20. Februar 1970 wurde eine Regierungsvereinbarung über die Einrichtung des deutsch-französischen Programmbüros inRueil-Malmaison mit der Zuständigkeit für die gemeinsamen Programme MILAN,HOT undROLAND I unterzeichnet.
Das MILAN-System wurde dann in den 1970er-Jahren in deutsch-französischer Kooperation durchMesserschmitt-Bölkow-Blohm entwickelt.Nachdem in den USA bereits dieTOW-Panzerabwehrlenkflugkörper entwickelt worden waren, setzte die europäische WaffenschmiedeEuromissile auf ein eigenes System, das auf das europäische Gelände und die zu erwartenden Sichtstrecken ausgelegt sein sollte.
Seit 2006 ist die neueste Version MILAN ADT verfügbar. In diesem System wurde MILAN 3 um ein leistungsfähigesWärmebildgerät erweitert. Der reichweitengesteigerte Flugkörper MILAN ER kann Ziele in bis zu 3 km Entfernung bekämpfen. Anschließend wurde von dem paneuropäischen UnternehmenMBDA eine kampfwertgesteigerte Variante der MILAN (MILAN ER) erarbeitet, die über einen verbessertenGefechtskopf verfügt.



Die Waffenanlage besteht aus Startschiene, Lenkelektronik, Halter für die Wärmebildkamera, Tragegriff, kurzem Dreibein und der Optik. Das Startrohr besteht aus Rohr, Verriegelungskasten und Gleitschuh und beinhaltet den Lenkflugkörper (LFK). Vor jedem Start wird ein Startrohr mit dem Flugkörper auf das Startgestell aufgesetzt (in die Startschiene) und mechanisch verriegelt. Beim Abschuss wird das Startrohr nach hinten vom Startgestell gestoßen.[1]
Das gesamte Waffensystem kann zusätzlich mit dem kleinen Dreibein auf einem langen Dreibein montiert werden. Die Gesamthöhe beträgt dann 1,20 m und ermöglicht den Einsatz auch aus höheren Deckungen. Das System hat eine Feuerleistung von bis zu drei Starts pro Minute. Die Kampfentfernung des Flugkörpers MILAN 2 beginnt, bedingt durch eine Sicherheitseinrichtung, ab 75 m und endet bei 1975 m.
Mit dem 1980 eingeführten aufsetzbaren Wärmebildgerät (WBG) MIRA (MilanInfra-RotAdapter) wurde die MILAN erstmals voll nacht- und allwetterkampffähig. Während die Bundeswehr die Sensorik des MIRA mit einem elektrisch betriebenen Kompressor kühlt, werden von den britischen und französischen sowie Streitkräften anderer Staaten mit Stickstoff gefüllte Einweg-Kühlpatronen verwendet. Im Gegensatz zum Kompressor sinkt der Geräuschpegel enorm und erschwert somit die Aufklärung des MILAN-Trupps.
Das Waffensystem MILAN ADT-ER ist eine Weiterentwicklung des MILAN-Konzeptes. MILAN ADT-ER besteht aus dem reichweiten- sowie leistungsgesteigerten Flugkörper MILAN ER (Extended Response) und der verbesserten und voll digitalisierten Waffenanlage MILAN ADT (Advanced Technology).
Der MILAN-ER-Lenkflugkörper erzielt eine Reichweite von 3000 m und kann mit seinem leistungsfähigeren Gefechtskopf über 1000 mm Panzerstahl nach einerReaktivpanzerung der neuesten Generation und 2000 mm Stahlbeton durchdringen. Das Ortungsverfahren zur Vermessung der Flugkörperposition wurde von MILAN 3 übernommen und ist resistent gegen natürliche und künstliche Störmaßnahmen.
Zum Start des Flugkörpers MILAN ER wurde die tragbare Waffenanlage MILAN ADT entwickelt. MILAN ADT verfügt über ein leistungsfähiges integriertes Wärmebildgerät und ist auf eine Bekämpfungsreichweite von bis zu 3000 m hin ausgelegt. Anstelle der optischen Tagsicht (Fernrohr) kann in die Waffenanlage MILAN ADT auch eine TV-Kamera integriert werden. Hierdurch besteht die Möglichkeit der Fernsteuerbarkeit des Waffensystems sowie der Verwendung von Simulationstechniken für die Ausbildung. Mit der Waffenanlage MILAN ADT können auch die bei der Bundeswehr zuvor bereits vorhandenen MILAN-Flugkörper eingesetzt werden. Nicht zuletzt deswegen bietet MILAN deutliche Kostenvorteile.
Die Fähigkeit, weite Gebiete mit Hilfe der optischen Sensorik zu überwachen sowie ein sehr breites Zielspektrum zu bekämpfen, zeichnet MILAN ADT-ER aus. In Duellsituationen ist das Waffensystem in der Lage, sofort nach der Zielidentifizierung ohne Zeitverlust zu feuern, da die Kühlung eines Suchkopfes im Vergleich zu anderen Systemen nicht erforderlich ist (Waffensysteme, die den Flugkörper vorkühlen müssen, können den Flugkörper nach nichterfolgtem Start nicht mehr im Nachtsichtmodus (IR-Modus) abfeuern. Der Flugkörper muss daraufhin ausgetauscht und instand gesetzt werden). DasSACLOS-System der MILAN ADT-ER erlaubt dem Schützen den sofortigen Übergang von der Überwachungs-, Aufklärungs- und Identifizierungphase zur Bekämpfung von aufgeklärten Zielen. Durch die technische Auslegung wird das Risiko eines Zielverlustes zwischen dem Vorgang der Aufklärung und Identifikation eines Zieles und dem Abfeuern praktisch ausgeschlossen und erhöht den Schutz des Soldaten. Dies ist insbesondere in Szenarien wechselnder Intensität von einsatzkritischer Bedeutung, da eine kontinuierliche Feuerbereitschaft gewährleistet werden muss. Das Waffensystem ist für den Einsatz gegen Panzerfahrzeuge sowie zur Bekämpfung von Zielen mit geringerIR-Signatur wie zum Beispiel Bunker, Feldbefestigungen und Brücken geeignet.
Dank seines vergleichsweise geringen Gewichtes kann der Flugkörper vom Boden mit dem Dreibein oder von einem Fahrzeug wieFuchs oderMarder aus starten. Der Lenkflugkörper verbleibt bis zum Start im weitgehend wartungsfreien und geschützten Startrohr, er hat damit Munitionscharakter. Eine Integration in denSchützenpanzer Puma gilt als realisierbar.



Als Lenkflugkörper (LFK) der zweiten Generation sollte MILAN beim Start mit leichter Steigung starten, dann aber direkt und für den Richtschützen verfolgbar das Ziel im Bereich der Visierlinie anfliegen. So konnte dieser erstmals das Ziel dynamisch verfolgen und auch ein fahrendes Ziel treffen, wenn das Fadenkreuz auf dem Ziel gehalten wurde.
Die Steuerung erfolgt über einen Lenkdraht aus Kupfer, der sich im Flugkörper abspult und mit dem Starter verbunden ist. Über den Draht werden die Impulse an die Strahlruder gesendet, welche die Lenkbewegungen ausführen.
Die Übertragung der Steuerbefehle des Flugkörpers MILAN ER erfolgt über die gesamte Flugstrecke durch einen dünneren, jedoch nunmehrkevlarverstärkten Lenkdraht. Zur Zielbekämpfung muss der Schütze das Ziel im Fadenkreuz halten und dieSACLOS-Lenkung (Semi automatic command line of sight) steuert den Flugkörper auf der Visierlinie ins Ziel.
Die Drahtlenkung bei infanteristischen Waffensystemen hat sich in vielen Einsätzen bewährt und gilt bis heute als sehr zuverlässig. Dies steht im Gegensatz zuFire-and-Forget-Systemen, die ihr Ziel selbstständig suchen, verfolgen und autonom bekämpfen, ohne dass ein Zielwechsel oder auch Abbruch möglich wäre. Ein weiterer Nachteil vonFire and Forget bzw.Fire and Observe in diesem Zusammenhang ist, dass immer eine Aufschaltung auf ein Ziel mit erkennbarerInfrarotsignatur nötig ist. Diese kann durch Tarnung (Infrarot-Nebel oder ungünstige Gefechtsfeldeinflüsse wie Rauch- oder Staubentwicklung) oder ungünstige Witterungsbedingungen verschleiert werden, wodurch eine effektive Bekämpfung des Ziels nicht mehr möglich ist.Nachteilig ist bei einer Drahtlenkung die Tatsache, dass der Schütze das Ziel während der Anflugphase des Flugkörpers permanent im Blick haben muss, was ihn wiederum für gegnerischen Beschuss verwundbar macht.[2]

Die sehr gute Trefferquote der MILAN und die leichte Schulung der Richtschützen machte sie zu einem der weitestverbreiteten Lenkflugkörper weltweit. Ursprünglich nur als Boden-Boden-Panzerabwehrwaffe konzipiert, ist die MILAN begrenzt auch gegen in Bodennähe langsam fliegende Luftfahrzeuge wie Helikopter einsetzbar, etwa beim Beobachten, Zielen oder Absetzen von Truppen im Schwebeflug. Die Waffenanlage wird mit dem Wärmebildgerät auch zur Aufklärung bzw. Gefechtsfeldüberwachung eingesetzt.
Richtschützen derBundeswehr müssen eine MILAN-ATN haben. DieJägertruppe hat in ihrenBataillonen eigene MILAN-Züge. In denFallschirmjägereinheiten verfügen dieKampfkompanien über einen schweren Zug mit einer MILAN-Gruppe. Bei denPanzergrenadieren wird die MILAN abgesessen vom MILAN-Trupp mitgeführt oder aufgesessen vomSchützenpanzer (SPz)Marder abgefeuert. Dazu wird die Starteinheit desLenkflugkörpers (LFK) vom Kommandanten auf der rechten Turmseite montiert, was nur mit Hilfe des aufgesessenen Trupps möglich ist, da sich die Starteinheit hinter dem Turm auf der rechten Kampfraumseite befindet und an den Kommandanten gereicht werden muss. Dieser Vorgang dauert etwa 30 Sekunden. Beim Start der MILAN und bei der Zielzuführung muss der Panzer in seiner Stellung verharren, um die Kontrolle des LFK während der Flugphase zu ermöglichen. Der SPz Marder 1A3 führt vier MILAN-LFK und die Starteinheit mit sich.
Die MILAN-Rakete wird neben Deutschland und Frankreich auch in Großbritannien, Spanien sowie Indien in Lizenz gefertigt. In Europa löste der Flugkörper frühere Systeme wie etwaAérospatialeSS.11 undMBB COBRA ab. In Osteuropa fand eine vergleichbare Entwicklung zu Panzerabwehrflugkörpern der zweiten Generation statt.
MILAN ist in mehr als 40 Staaten im Einsatz.
Eine Tochtergesellschaft derEADS hat einen Vertrag mitLibyen über die Lieferung von MILAN-Raketen im Wert von 168 Millionen Euro geschlossen,Frankreich und dessen Präsident wurden daraufhin kritisiert.[3] Während desGrenzkrieges zwischen Libyen und dem Tschad waren 1987 MILAN-Raketen gegen Libyen eingesetzt worden und zerstörten Kampfpanzer vom TypT-55.[4][5] Ab 1987 lieferte dieCIA die MILAN im Rahmen derOperation Cyclone an dieMudschaheddin inAfghanistan im Kampf gegen dieSowjetunion.[6] ImZweiten Golfkrieg setzte Frankreich die MILAN gegen die irakischen Streitkräfte ein. Dabei wurden mindestens sieben irakische Kampfpanzer vom Typ T-55 zerstört.[7] Gemäß einer israelischen Quelle wird die MILAN auch von der libanesischenHisbollah im Kampf gegen Israel während desLibanonkriegs 2006 eingesetzt. Am 14. August 2010 bekämpfte eineBundeswehreinheit in Afghanistan mit einer MILAN-Rakete eineTalibanstellung während eines längeren Feuergefechts.[8] Im April 2011 bestätigteKatar, dass es MILAN-Raketen aus französischer Produktion an dieAufständischen im Osten Libyens liefert.[9] Im seit 2011 währendensyrischen Bürgerkrieg hat die Golfstaaten-Koalition aus Saudi-Arabien und Katar im Juni 2013 bestätigt, Raketen vom Typ MILAN an die Aufständischen geliefert zu haben. Die Lieferung von weiteren Panzerabwehr- und Luftabwehrraketen ist vorgesehen, es steht jedoch noch nicht exakt fest, welcher Typ jeweils geliefert wird.[10]
Am 31. August 2014 wurde von der deutschen Bundesregierung bekanntgegeben, dass die Waffenlieferungen an die kurdischenPeschmergatruppen im Irak und Syrien auch 30 MILAN-Panzerabwehrwaffen sowie 500 Lenkflugkörper umfassen sollen.[11] Diese Raketen dienten der Peschmerga maßgeblich bei der Verteidigung gegenAutobomben des sogenanntenIslamischen Staates.[12]
Das Panzerabwehrraketensystem MILAN wird bei der Bundeswehr durch dasPARS 3 LR abgelöst.
Der Infrarotstrahler von MILAN-Raketen enthält etwa 2 g radioaktivesThorium mit einer Aktivität von 10 kBq,[13] welches während des Fluges und bei der Detonation freigesetzt wird. Seit 2001 werden deshalb vom Führungsstab des Heeres Schutzmaßnahmen beim Aufsammeln der Glühstrahler befohlen sowie die landwirtschaftliche Nutzung der Zielgebiete untersagt.[14]
Eine Studie über die Umwelteinflüsse auf dem StützpunktCFB Shilo der kanadischen Streitkräfte inManitoba, wo mit MILAN-Systemen geübt wurde, konnte einen erhöhten, jedoch unter dem Grenzwert liegenden Gehalt von Thorium-232 im Grundwasser nachweisen und empfahl, auf dem Gelände keine MILAN-Raketen mehr abzufeuern.[15]
Die Vereinigung der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) sieht beim Einsatz von MILAN-Raketen gefährliche Langzeitfolgen z. B. durch Lungenkrebs oder Schädigung des Erbguts.[16]
| Kenngröße | Daten |
|---|---|
| Allgemeine Angaben | |
| Hersteller | MBDA (Deutschland/Frankreich) |
| Startplattform | Dreibein, Trägerfahrzeug, Schiffe, Boote (Integration inSPz Puma möglich) |
| Zielszenarien | stehende u. bewegte Ziele, gestreckte Flugbahn, Reaktivpanzerung, Verbundpanzerung, Bunker, Feldbefestigungen, Gebäude usw. |
| Einsatzerprobt | ja |
| Ersttrefferwahrscheinlichkeit | > 93 % bei über 100.000 Starts |
| Startgerät | |
| Entdecken/Erkennen/Identifizieren | 12.000 / 5000 / 3000 m (mit Wärmebildgerät) |
| Systemstartzeit | < 1 sec |
| Digitalisierung | Lenkelektronik und Ortungsanlage |
| Videoschnittstelle | In & Out |
| Remote Observation | über externes Display |
| Remote Control | die Funktionalität der Fernsteuerung ist durch die Digitalisierung der Waffenanlage prinzipiell gegeben und technisch realisierbar |
| GPS-Daten | Positions- und Richtungsangaben im Display |
| NetOpFü | Anbindung möglich |
| Fehlerkennung | Built-In-Test-Equipment |
| Höhenrichtbereich | −10° bis +10° |
| Seitenrichtbereich | 360° |
| Rückstrahlzone | 5–8 m |
| Feuerhöhe (auf langem Dreibein) | 75–95 cm |
| Feuerhöhe (Bodeneinsatz) | 30–55 cm |
| Lenkflugkörper | |
| Durchschlag (MILAN ER) | > 1000 mm nach modernster Reaktivpanzerung / 2000 mm Stahlbeton |
| Gefechtskopf | Tandemhohlladung mit nichtdetonativer Vorhohlladung |
| Zünder | Aufschlagzünder |
| Reichweite (MILAN ER) | 3000 m |
| Marschgeschwindigkeit | ca. 150 m/s |
| Flugdauer | 500 m = 4 s; 1000 m = 7 s; 1500 m = 10 s; 1975 m = 13 s |
| Steuerung | halbautomatisch über Infrarotsender am Heck des LFK, drahtgelenkt (SACLOS-System), Modi: Aufklären-Zielen-Feuern-Halten (Fire and Control), Man-in-the-Loop-Prinzip,Lock-On After Launch (LOAL) |
| Flugkörper | rollt um die Längsachse, Kreisel, Decoder, Doppelruder, Blitzlampe (Störhärtung), keine Abkühlung LFK (Vorteil in Duellsituationen), benötigt keine IR-Signatur |
| Antrieb | zweistufiger Hauptmotor, raucharm |
| Länge | 120 cm |
| Gewichte | ADT-ER Systemgewicht ca. 45 kg, Gewicht LFK ca. 13,5 kg |
| Kompatibilität | mit der gesamten MILAN-LFK-Familie (MILAN 1 bis ER) |
| Logistik | |
| Life Cycle Cost | wartungsfreie Munition, nur Sichtprüfung |
| Lebensdauer | spezifiziert 20 Jahre |
| Versorgungssicherheit | Versorgbarkeit für zehn Jahre vertraglich garantiert (100 % europäisch) |
| Wertschöpfung in Deutschland | Waffenanlage ADT zu 100 %, LFK ER zu 10 % |
Im französischen Heer wird die MILAN seit 2017 durch dieMissile Moyenne Portée (MMP) ersetzt.