Lippenpflock
EinLippenpflock ist eine besondere Art des Körperschmucks, der seitprähistorischer Zeit bekannt und bei mehrerenNaturvölkern verbreitet ist. Es handelt sich um einenLabret-Stecker aus unterschiedlichen Materialien wie Holz, Knochen, Gestein,Elfenbein oder Gold, der durch ein zuvor gestochenesLoch in der Unterlippe geführt wird.

Lippenpflöcke werden als Schönheitsideal, als Zeichen für einen bestimmten gesellschaftlichen Status innerhalb der Gruppe oder zur Abgrenzung des eigenen Volkes nach außen getragen. Im Unterschied zumLippenteller steht nicht die Ausweitung der Unterlippe im Vordergrund, sondern der gut sichtbare, am Kinn herabhängende Stift. Weitere traditionelle Formen von deformierendem Gesichtsschmuck sind Pflöcke durch dieNasenscheidewand oder durch Ohrläppchen.
Zum Verbreitungsgebiet von Lippenpflöcken gehören der Nahe Osten, Teile von Zentralafrika sowie Nord- und Südamerika.[1] Archäologisch tauchen Lippenpflöcke als Grabbeigaben zusammen mit Ohrringen und anderem Schmuck auf. So gehören zu den steinzeitlichen Funden aus dem 5. und 4. Jahrtausend v. Chr. im Bereich derNordwestküstenkultur in Nordamerikaspindelförmige Lippenpflöcke ausSpeckstein undKnochen.[2]Azteken trugen Schmuckstücke aus Gold, dazu zählten Lippenpflöcke in Adler- und Schlangenform.
Bei denEskimo gab es bis Anfang des 20. Jahrhunderts als Körperschmuck Lippenpflöcke,Tätowierungen und Körperbemalungen.

DieZo’é, auchLippenpflock-Indianer, ein kleines Volk amAmazonas, tragen als unverzichtbares Zeichen ihrer kulturellen Identität einen dicken hölzernen Lippenpflock(poturu), der bei Männern und Frauen permanent vor dem Mund hängt und häufig zu Kieferdeformationen führt. Durch den Holzpflock behindert, müssen die Zo’é die Nahrung seitlich mit den Backenzähnen abbeissen.[3]
Bei denTlingit, einemIndianervolk an der WestküsteKanadas, kennzeichneten früher Lippenpflöcke den gesellschaftlichen Status der Frauen. Nach Berichten vom Anfang des 19. Jahrhunderts, als der Brauch noch verbreitet war, wurde den Mädchen in derPubertät die Unterlippe zunächst für einen Kupferdraht oder eine Holznadel durchstochen. Mit den ersten Anzeichen der Pubertät galten die Mädchen als unrein und wurden für mehrere Monate von der übrigen Gesellschaft weggesperrt. Diese Zeit derInitiation mussten sie, bis zum großen Fest der Freilassung, in einer fensterlosen Hütte verbringen. Nach der Heirat erhielten die Frauen einen hölzernen Lippenpflock, der mit zunehmendem Alter durch immer größere ersetzt wurde. Weiblichen Sklaven der Tlingit war das Tragen von Lippenpflöcken nicht erlaubt. Das weibliche Geschlecht der hölzernen Ritualmasken in Menschen- und sogar in Tiergestalt war am Lippenpflock erkennbar, während die männlichen Masken mit Barthaaren an Oberlippe und Kinn dargestellt wurden.[4]
Weblinks
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Grant Keddie:Symbolism and Context: World History of the Labret and Cultural Diffusion on the Pacific Rim. Circum-Pacific Prehistory Conference, Seattle, 1. bis 6. August 1989 (PDF; 1,7 MB)
Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑Grant Keddie, S. 3
- ↑Elisabeth Noll:Ethnoarchäologische Studien an Muschelhaufen. Tübinger Schriften zur ur- und frühgeschichtlichen Archäologie, Bd. 7, Münster u. a. 2002, S. 190,ISBN 9783830912101,online
- ↑Michael Gleau:Sehnsucht nach fernen Ländern. Roland Garve behandelt als Zahnarzt die letzten Naturvölker der Erde. Bayerisches Zahnärzteblatt, Mai 2007, S. 24f (PDF; 85 kB)
- ↑George Thornton Emmons (Autor), Frederica de Laguna (Hrsg.):The Tlingit Indians. Anthropological Papers of the American Museum of Natural History, 70. University of Washington Press, Seattle 1991, S. 205, 266,ISBN 978-0295970080