Liliana Segre

Liliana Segre (*10. September1930 inMailand) ist eineitalienische Überlebende desHolocaust, Unternehmerin und italienischeSenatorin auf Lebenszeit.
Biografie
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Segre stammt aus einerjüdischen Familie und lebte gemeinsam mit ihrem Vater und den Großeltern väterlicherseits; ihre Mutter ist kurz nach ihrer Geburt verstorben. Ihr Vater Alberto Segre führte mit seinem Bruder Amedeo das gut gehende Mailänder Textilunternehmen „Segre & Schieppati“, das 1897 von Sergio Segre, dem Großvater von Liliana, gegründet worden war.[1] Das beschauliche und wohlbehütete Leben der von ihrem Vater verwöhnten Liliana erfuhr mit der Verlautbarung deritalienischen Rassengesetze (leggi razziali) im September 1938 und dem damit verbundenen Verbot, die Schule besuchen zu dürfen, einen ersten tiefgreifenden Einschnitt.[2]
Verfolgung und Deportation
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Nachdem dieVerfolgung deritalienischen Juden immer größere Ausmaße angenommen hatte, versteckte sie ihr Vater zunächst mit falschen Dokumenten bei Freunden. Am 7. Dezember 1943 versuchte sie schließlich gemeinsam mit ihrem Vater und zwei Cousins die Flucht in dieSchweiz. Die Schweizerischen Behörden verweigerten ihnen jedoch die Aufnahme und Segre wurde tags darauf in Selvetta di Viggiù in derProvinz Varese von Italienern[3] verhaftet. Zu diesem Zeitpunkt war sie 13 Jahre alt. Nach sechs Tagen Aufenthalt imGefängnis wurde sie nach Como und schließlich nach Mailand in das als Sammellager dienendeSan-Vittore-Gefängnis überstellt, wo sie 40 Tage lang inhaftiert war.
Am 30. Januar 1944 wurde sie vomBahnhof Milano Centrale zusammen mit weiteren 704 jüdischen Gefangenen insKZ Auschwitz-Birkenau deportiert, das sie sieben Tage später, am 6. Februar 1944, erreichte. Bei derSelektion wurde Segre für die Arbeit in einem Rüstungsbetrieb ausgewählt, die sie etwa ein Jahr lang verrichtete. 477 mit ihr aus Mailand angekommene Gefangene wurden bei der Selektion dagegen direkt in dieGaskammern geschickt.[4]
Im Mai 1944 wurden auch ihre Großeltern deportiert und getötet. Die auf Segres Unterarm tätowierteHäftlingsnummer lautet 75190. Während ihrer einjährigen Gefangenschaft überstand sie drei weitere Selektionen. Ende Januar 1945 musste sie im Zuge derEvakuierung des Konzentrationslagers denTodesmarsch in RichtungDeutschland aufnehmen, ehe sie im KZMalchow, einem Außenlager desKZ Ravensbrück, am 30. April 1945 befreit wurde. Erst im August kam sie wieder nach Mailand zurück. Liliana Segre war eine von 25 überlebenden italienischen Kindern unter 14 Jahren von den 776, die deportiert worden waren.[5]
Nachkriegszeit und Gegenwart
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Nach ihrer Rückkehr wurde die Waise von ihrem kinderlos gebliebenen Onkel Amedeo Segre, den Liliana Segre als einen „Faschisten erster Stunde“ bezeichnete und der 1938 aus derFaschistischen Partei ausgeschlossen worden war,[6] und seiner Frau Enrica Fumagalli adoptiert.[7] Später heiratete sie und 1953 wurde ihr erster Sohn Alberto geboren.[5] In den 1980er Jahren übernahm sie die Leitung des Familienunternehmens „Segre & Schieppati“, das sie etwa 20 Jahre lang führte, bevor sie die Leitung an ihre Tochter Federica übergab.[1]
Heute ist Segre, besonders anSchulen undUniversitäten, eine sehr aktiveZeitzeugin.[8] Im Herbst 2019 wurde sie laut Medienangaben angesichts zahlreicherantisemitischer Hass-Nachrichten unter Polizeischutz gestellt und erhielt Solidaritätsbekundungen durch mehrere Politiker Italiens.[9]
Am 13. Oktober 2022 eröffnete Liliana Segre als älteste anwesende Senatorin gemäß der Geschäftsordnung die XIX. Legislaturperiode des italienischenSenats. In ihrer Eröffnungsrede nahm sie unter anderem Bezug auf denMarsch auf Rom und die Machtübernahme derFaschisten vor fast exakt 100 Jahren. Anschließend leitete sie die Wahl des neuen Senatspräsidenten, bei derIgnazio La Russa vonFratelli d’Italia und ehemaliger Militant imneofaschistischenMSI zum neuen Präsidenten des Senats gewählt wurde.[10]

Ehrungen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- DieUniversität Triest verlieh ihr am 27. November 2008 denEhrendoktortitel derRechtswissenschaft.[11]
- Am 19. Januar 2018 wurde sie vom italienischen StaatspräsidentenSergio Mattarella zurSenatorin auf Lebenszeit ernannt.[12]
- DieUniversität Bergamo verlieh ihr am 29. November 2019 denEhrendoktortitel derRechtswissenschaft.[13]
- Am 20. April 2020 wurde ihr vomdeutschen BundespräsidentenFrank-Walter Steinmeier dasGroße Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland für ihren außergewöhnlichen Einsatz als aktive Zeitzeugin des Holocaust verliehen. Die Auszeichnung konnte ihr infolge derCOVID-19-Pandemie vom deutschen Botschafter in RomViktor Elbling erst am 24. September 2021 feierlich übergeben werden.[14]
- Am 2. Oktober 2020 wurde sie vomfranzösischen StaatspräsidentenEmmanuel Macron für ihren außergewöhnlichen Einsatz um dieMenschenrechte mit dem Ritterorden derEhrenlegion ausgezeichnet.[15]
- Am 17. November 2020 wurde einAsteroid nach ihr benannt:(75190) Segreliliana. Die Asteroidennummer 75190 ist dieselbe, die sie als Häftlingsnummer hatte.[16]
- Am 11. Mai 2021 erhielt sie den Hauptpreis des erstmals vergebenenSimon-Wiesenthal-Preises desösterreichischen Parlaments. Sie bekam den Hauptpreis, zusammen mit drei weiteren Zeitzeugen, stellvertretend für alle Zeitzeugen, weil sie ihr Leben in den Dienst der Erinnerung an die Schoah gestellt haben. Verliehen wurde der Preis durchNationalratspräsidentWolfgang Sobotka (ÖVP) im Parlament in derHofburg.[17][18] Überreicht wurde ihr der Preis durch Sobotka am 3. November 2022 im österreichischen Generalkonsulat in Mailand.[19]
- 2023 erhielt sie denMichel-Vanderborght-Award derFIR.[20]
Veröffentlichungen (Auswahl)
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- mit Daniela Palumbo:Fino a quando la mia stella brillerà. Piemme, Mailand 2015,ISBN 978-88-566-3949-0.
- mitEnrico Mentana:La memoria rende liberi: La vita interrotta di una bambina nella Shoah. Rizzoli, Mailand 2015,ISBN 978-88-17-07568-8.
- mitEnrico Mentana:Erinnern macht frei. Das unterbrochene Leben eines Mädchens in der Shoa. Aus dem Italienischen von Ulrike Schimming, Neofelis, Berlin, 2024,ISBN 978-3-95808-451-3
- Scolpitelo nel vostro cuore. Dal Binario 21 ad Auschwitz e ritorno: un viaggio nella memoria. Piemme, Mailand 2018,ISBN 978-88-566-6754-7.
- mit Gherardo Colombo:La sola colpa di essere nati. Garzanti, Mailand 2021,ISBN 978-88-11-81699-7.
Literatur
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Emanuela Zuccalà:Sopravvissuta ad Auschwitz. Liliana Segre fra le ultime testimoni della Shoah, Mailand: Paoline Editoriale Libri 2005,ISBN 978-88-315-2769-9 (in italienischer Sprache)
- Daniela Padoan:Come una rana d'inverno : conversazioni con tre donne sopravvissute ad Auschwitz. Mailand : Tascabili Bompiani, 2004 (Interviews mit Liliana Segre, Goti Bauer undGiuliana Tedeschi)
- Silvana Greco:La spirale del misconosciment, o e la lotta per il riconoscimento di Liliana Segre, testimone della Shoah. In: Giulio Busi, Ermanno Finzi (a cura di):Lombardia judaica. I secoli aurei di Mantova e un caso emblematico della Shoah milanese. Giuntina, Mailand, 2017, S. 107–136
- Senatorin Liliana Segre: Polizeischutz für eine Holocaust-Überlebende. Seit Jahrzehnten klärt die italienische Politikerin über die Verbrechen des Nationalsozialismus auf. Nun muss sie dabei erstmals geschützt werden. Von Regina Krieger,Handelsblatt, 7. November 2019 (mit Foto)
- Marc Zollinger:Ohne Leibwächter geht sie nicht aus dem Haus. Die Holocaustüberlebende Liliana Segre kämpft gegen das Vergessen. Hrsg.: Neue Zürcher Zeitung. NZZ, 5. September 2020 (Vollauszug [abgerufen am 15. September 2021]).
Weblinks
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Segre, Liliana. In:Enciclopedia on line. Istituto della Enciclopedia Italiana, Rom.
- Daniela Padoan:Liliana Segre auf enciclopediadelledonne.it (italienisch)
- Centro di Documentazione Ebraica Contemporanea (Hrsg.):Segre, Liliana auf digital-library.cdec.it (italienisch)
- Liliana Segre XIX Legislatura auf senato.it (italienisch)
- Liliana S.: Italienische Jüdin, mit 13 Jahren nach Auschwitz deportiert auf zwangsarbeit-archiv.de
- A tredici anni nel campo di sterminio (Memento vom 16. September 2018 imInternet Archive) auf presentepassato.it (italienisch)
- Liliana Segre: Una testimonianza auf isole.ecn.org (italienisch)
- Liliana Segre. Un testimone passato a tutti noi auf ildeutschitalia.com (italienisch)
Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑abStoria. In: attilioimperiali.it. Abgerufen am 18. Oktober 2022 (italienisch).
- ↑Daniela Padoan: Liliana Segre. In: enciclopediadelledonne.it. Abgerufen am 18. Oktober 2022 (italienisch).
- ↑Liliana Picciotto:Il libro della memoria. Gli Ebrei deportati dall'Italia (1943-1945), Mailand 2002, S. 574.
- ↑Memoriale della Shoa di Milano. (PDF) In: wheremilan.com. Abgerufen am 5. Februar 2020 (italienisch).
- ↑abValter Vecellio: I novant’anni di Liliana Segre, testimone di un orrore che non si deve dimenticare. In: lavocedinewyork.com. 10. September 2020, abgerufen am 18. Oktober 2022 (italienisch).
- ↑Anna Ditta: Liliana Segre: “Mio zio era molto fascista, si sposò in camicia nera, ma nel ’38 gli ritirarono la tessera”. In: tpi.it. 11. Februar 2020, abgerufen am 18. Oktober 2022 (italienisch).
- ↑Segre, Amedeo. In: digital-library.cdec.it. Centro di Documentazione Ebraica Contemporanea, abgerufen am 18. Oktober 2022 (italienisch).
- ↑Valerie Zaslawski:Eine der letzten Zeitzeugen erinnert sich. nzz.ch, 10. Januar 2014, abgerufen am 10. Januar 2014
- ↑Miriam Khan: Auschwitz-Überlebende in Italien erhält 200 Hass-Botschaften pro Tag – und braucht nun Polizeischutz. In: www.stern.de. 8. November 2019, abgerufen am 9. November 2019.
- ↑Al Senato la prima seduta, Liliana Segre cita la Shoah, Aula in piedi. In: ansa.it. 13. Oktober 2022, abgerufen am 15. Oktober 2022 (italienisch).
- ↑Archivierte Kopie (Memento vom 25. Dezember 2008 imInternet Archive)
- ↑Chi è Liliana Segre nominata da Mattarella senatrice da vita. In: Repubblica. 19. Januar 2018, abgerufen am 19. Januar 2018 (italienisch).
- ↑Liliana Segre all’Università di Bergamo «Ho scelto di essere una donna di pace». In: ecodibergamo.it. 29. November 2019, abgerufen am 5. Februar 2020 (italienisch).
- ↑Ambasciatore Germania consegna onorificenza a senatrice Segre. In: RaiNews.it. 24. September 2021, abgerufen am 25. September 2021 (italienisch).
- ↑A Liliana Segre la Legion d’Honneur: il riconoscimento di Macron alla senatrice a vita. In: ilmessaggero.it. 2. Oktober 2020, abgerufen am 3. Oktober 2020 (italienisch).
- ↑M.P.C. 127257 vom 17. November 2020 (englisch)
- ↑Simon-Wiesenthal-Preis ging an vier Zeitzeugen. In: ORF.at. 11. Mai 2022, abgerufen am 13. Oktober 2022.
- ↑Simon-Wiesenthal-Preis geht an Zeitzeug:innen Lily Ebert, Zwi Nigal, Karl Pfeifer und Liliana Segre. PK-Nr. 491/2022. Parlament Österreich, abgerufen am 13. Oktober 2022.
- ↑Francesca Del Vecchio: Liliana Segre riceve il premio Wiesenthal al Consolato austriaco di Milano. In: LaStampa.it. 3. November 2022, abgerufen am 5. November 2022 (italienisch).
- ↑FIR Kongress in Barcelona mit konkreten Ergebnissen. 2. November 2023; abgerufen am 17. November 2023.
Personendaten | |
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NAME | Segre, Liliana |
KURZBESCHREIBUNG | italienische Überlebende des Holocaust |
GEBURTSDATUM | 10. September 1930 |
GEBURTSORT | Mailand |
- Opfer des Faschismus (Italien)
- Überlebender des Holocaust
- Zeitzeuge des Holocaust
- Häftling im KZ Auschwitz
- Häftling im KZ Ravensbrück
- Ehrendoktor der Universität Triest
- Senator (Italien)
- Autor
- Unternehmer (Mailand)
- Ehrenbürger in Italien
- Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes mit Stern
- Träger des Verdienstordens der Italienischen Republik (Komtur)
- Person als Namensgeber für einen Asteroiden
- Mitglied der Ehrenlegion (Ritter)
- Italiener
- Geboren 1930
- Frau