Lex Ripuaria

Legende:



DieLex Ripuaria (auchLex Ribuaria) ist eine Sammlung von inLatein verfassten Gesetzestexten, die Anfang des 7. Jahrhunderts während der Herrschaft desaustrasischen KönigsDagobert I. für das Gebiet desHerzogtum Ripuarien erschienen ist. Die Gesetzessammlung orientierte sich am Gesetz der Salischen Franken (Lex Salica) aus den Jahren 507 bis 511, betonte aber traditionelles Fränkisches Recht. Demgegenüber enthielt die Lex Salica auch noch umfassende gesetzliche Regelungen für die römische bzw. galloromanische Bevölkerung.[3]
Entstehung
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Die Lex Ripuaria geht zurück auf die RegierungszeitDagoberts I., der 623 von seinem VaterChlothar als Unterherrscher im (zunächst territorial verkleinerten) TeilreichAustrien eingesetzt wurde, zu dem auchRipuarien als zentrale Landschaft gehörte. Die Gesetzessammlung geht, im Unterschied zurlex Salica, die derMerowingerChlodwig I. zwischen 507 und 511 als fränkisches Gesetzbuch herausgegeben hatte, auf Besonderheiten dieses Teilgebiets ein.[4] Im Jahre 629 wurde Dagobert König des Gesamtreiches und wurde einer der Mächtigsten in der Reihe derMerowingischen Herrscher.[5][6]
Rechtsinhalt
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Dielex Ripuaria fasste mündlich überliefertes Recht zusammen. Die 89 Kapitel, insbesondere die des zweiten Teiles (von drei Teilen), waren stark beeinflusst von derlex Salica.[4] Dielex Salica umfasste neben dem Recht der Franken auch Regelungen zur Stellung der Kirche, der römischen (galloromanischen) Bevölkerung und des Zusammenlebens zwischen Franken und anderen Volksgruppen.[7]
Das Ripuarische Recht betonte eher die traditionellen Fränkischen Rechtsauffassungen, denn viele Rheinfranken waren noch in vorchristlichen Glaubensvorstellungen verhaftet. Regelungen des Bestattungswesens, derGrabbeigaben und der Ausrüstung von Kriegern (Brünne = bruina; Helm = helmo; Beinschiene = bagnbergae) sind durch dielex Ripuaria überliefert.[8] Auch Fragen des Alltags und der Natur wurden in derlex Ripuaria geregelt. So war z. B. derHaselzauber verboten. Die Früchte derHasel galten als Liebeselixier und dienten der Förderung der Fruchtbarkeit. Dem Haselstrauch wurden Kräfte gegen Blitzschlag und Erdstrahlen zugeschrieben, Haselruten wurden alsWünschelruten verwendet und Haselzweige solltenHexen und bösenZauber abwehren. Trotz des Verbotes hielten sich die Haselbräuche noch bis ins hohe Mittelalter.[9] Eine Besonderheit derlex Ripuaria war die Anerkennung und Regelung des sogenanntenGerichtskampfes (duellum) zwischen Kontrahenten, in der Regel vor Publikum. In derlex Salica kamen diese Duelle nicht vor.
Sowohl dielex Ripuaria als auch dielex Salica kannten dasWergeld (Manngeld), ein Sühnegeld, das geschaffen worden war, um dieBlutrache und daraus resultierende Dauerfehden zwischen den Sippen einzudämmen. Dabei galten für Angehörige des Fränkischen Volkes andere Sätze als für „Nichtfranken“ (Römer und Galloromanen). Für die Tötung eines Franken war das Doppelte des Wergeldes fällig wie für einen in vergleichbarer Stellung lebenden Römer.[4]
Das Wergeld betrug z. B.:[10]
- 100 solidi für einen Freien Römer (romanus possessor)
- 100 solidi für einen Halbfreien Franken (lidi)
- 200 solidi für einen Freien Franken (franci)
- 300 solidi für Gefolgsleute aus der gallorömischen Bevölkerung (convivae)
- 600 solidi für die berittenen fränkischen Gefolgsleute des Königs (Antrustionen)
- 600 solidi für einen Priester
- 900 solidi für einen Bischof
Im Wergeld für einen (getöteten) Franken fiel neben dem Anteil, der an die Familie des Betreffenden zu zahlen war, ein Abgabenanteil von einem Drittel für den Fiskus an. Zwei Drittel gingen an die Sippe, davon die Hälfte an die direkten Angehörigen, die andere Hälfte alsMagsühne an die Verwandten. Da die römische Bevölkerung den Begriff derSippe so nicht kannte, entfiel für diese Gruppe dieser Anteil, was das Wergeldverhältnis etwas relativiert.[11]
An der Spitze des Volkes stand
- Der König (Rex Francorum)
- seine Herrschaftssymbole waren der Speer, Stirnreif und Siegelring
- durch den sogenannten „Untertaneneid“ huldigte das Volk seinem König
- Der Adel bestand aus den Herzögen (dux) und Grafen (comes)
- Das militärische Dienstgefolge bestand aus denleudes.
Erbberechtigt war nur der Mannesstamm, nach den Söhnen die Brüder, mit Vorrang falls die Söhne als „nicht regierungsfähig“ galten.
Die Bevölkerung war in Stände eingeteilt[4] u. a.:
- Freie (ingenui,Franci) (der einzelne fränkische Mann, Wehrpflichtiger)
- Halbfreie (liti,lidi)
- Freigelassene (liberti)
- Knechte, Unfreie (servi)
- Römer (Freier Römer =Romanus possessor, Angehöriger des Mittelstandes)
- Römische Knechte (colone)
Aus dem Begriff „Franci“ für den (einzelnen) Freien (Franken), entstand im Laufe der Jahre im romanischsprachigen Raum das adjektiv „franc“ für „frei“ – aus dem etwa im 15. Jahrhundert die deutsche Entsprechung entlehnt wurde.
Anders als z. B. im Verhältnis der (arianischen)Goten zu ihren römischen (katholischen) Mitbewohnern gab es bei den Franken kein gesetzlich vorgeschriebenes Heiratsverbot zwischen Franken und anderen Ethnien.[11]
Gliederung
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Rudolph Sohm hat dielex Ripuaria in seiner Veröffentlichung „Über die Entstehung der Lex Ribuaria“ eingehend untersucht und auch mit derlex Salica verglichen.[4]
Die ältesten Hinweise auf einelex Ripuaria fand Sohm im Prolog zurlex Baiuvariorum. Darin wird berichtet über das Recht der austrasischenFranken wie das derAlemannen undBajuwaren. Die ersten Niederschriften derlex Ripuaria datieren aus der Zeit vonTheuderich I., Ergänzungen erfolgten unterChildebert I. undChlothar I. sowie eine Revision unterDagobert I., der als Herausgeber der Gesamtfassung gilt.
Dielex Ripuaria gliederte sich in drei Teile (mit einem Anhang als Teil vier):
- Teil 1 (Kapitel 1 bis 31; mit wenigen Bezügen auf dielex Salica):
- Abfassung unterTheuderich I. – 511 bis 533 König imOsten des Frankenreiches.
- In diesem Teil werden u. a. Wergeldsätze und die Bußen für Körperverletzung und Tötung von Freien und Unfreien festgelegt. Auch die Bestrafung des „schweren Diebstahles“ mit dem Tode findet sich im ersten Teil.
- Teil 2 (Kapitel 32 bis 56; enthält nahezu ungeänderte Teile derlex Salica):
- Die Entstehung liegt in der Zeit vonChildebert I. (etwa 558),Chlothar I. (558–561) undChildebert II. (575–596).
- In diesem Teil werden u. a. Verfahrens- und Prozessregularien behandelt, von Klagtatsachen über Beweisurteile bis zur Exekution. Auch Regeln darüber, was geschehen soll falls ein Beklagter nicht vor dem Gericht erscheint oder sich durch Flucht dem Gericht entzieht. Wer sein Wergeld nicht zahlt, verfällt dem Tode. Auch solche Eigentümlichkeiten sind geregelt, wann beispielsweise der Herr für die Taten seines Sklaven aufzukommen hat. Obwohl nahezu vollständige Teile derlex Salica übernommen wurden, sind einige Passagen ganz ausgelassen (die in Teil 1 bereits behandelt waren).
- Teil 3 (Kapitel 57 bis 89; weitgehende, nicht vollständige Verwendung derlex Salica):
- Zur Zeit desDagobert I. entstanden (623 König in Austrien, 629–638 Gesamtkönig).
- Dieser Teil enthält wichtige Bestimmungen über das öffentliche Recht, die positiven wie negativen Pflichten der Untertanen. So wird dasBannrecht des Königs behandelt (Königsbann, Heerbann, Ruf zu den Waffen), dem die Freien und die Freigelassenen unterliegen – sowie die Strafen bei Nichtbefolgung. Mit Todesstrafe geahndet werden Beleidigungen und Angriffe gegen denKönig und seine Familie, Anstiftung zum Landesaufruhr und Abfall vomFränkischen Reich.
Der Vierte Teil (Anhang derlex Ripuaria) enthält eine Auflistung zusätzlicher Bußen und neuerer Bezeichnungen für Straftaten und Täter (zum Beispiel taucht der Begriff desGeächteten auf). Dieser Teil wird als Produkt derKarolingerzeit angesehen, möglicherweise herausgegeben durchKarl Martell. Noch zur ZeitKarls des Großen kam es zu weiterenKarolingischen Rezensionen.
Insgesamt kann dielex Ripuaria als eine Fortschreibung der Lex Salica betrachtet werden, mit Anpassungen an das Recht der Ripuarier, wo es als erforderlich angesehen wurde.
Ihr Vorbild, dielex Salica, erlangte Bedeutung über die Periode der Merowinger hinaus bis in die Zeit Karls des Großen. Eine Reihe von Gesetzen, wie die Regelung derThronfolge (auf die männlichen Nachfolger), hatten für die europäischen Herrscherhäuser bis ins hoheMittelalter Bestand und galten für einige Monarchien noch bis in dieNeuzeit.[12]
Literatur
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Ruth Schmidt-Wiegand: Lex Ribuaria. In:Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 18, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2001,ISBN 3-11-016950-9, S. 320–322.
- Rudolf Sohm:Über die Entstehung der Lex Ribuaria. Verlag Hermann Böhlau, Weimar 1866 (Digitalisat).
- Erich Zöllner:Geschichte der Franken bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. C. H. Beck, München 1970.
- Werner Böcking:Die Römer am Niederrhein. Klartext, Essen 2005,ISBN 3-89861-427-1.
- Bruno Bleckmann:Die Germanen. C. H. Beck, München 2009,ISBN 978-3-406-58476-3.
- Renate Pirling:Die Römisch-Fränkischen Gräberfelder von Krefeld-Gellep. Museum Burg Linn, Krefeld 2011.
- Tilmann Bechert, Willem J. H. Willems:Die römische Reichsgrenze von der Mosel bis zur Nordseeküste. Stuttgart 1995,ISBN 3-8062-1189-2.
Weblinks
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- MGH LL nat. Germ. 3,2 (Lex Ribvaria) in denMonumenta Germaniae Historica.
- Lex Ribuaria im Repertorium „Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters“.
- Dielex Ribuaria in derBibliotheca legum regni Francorum manuscripta, Handschriftendatenbank zum weltlichen Recht im Frankenreich (Karl Ubl,Universität zu Köln).
- Lex Ribuaria im LegIT-Projekt (Digitale Erfassung und Erschließung des volkssprachigen Wortschatzes der kontinentalwestgermanischen Leges barbarorum in einer Datenbank).
Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑Karte in Anlehnung an: P.A. Kerkhof: Language, law and loanwords in early medieval Gaul: language contact and studies in Gallo-Romance phonology, Leiden, 2018, S. 24 und H. Ryckeboer: Het Nederlands in Noord-Frankrijk. Sociolinguïstische, dialectologische en contactlinguïstische aspecten, Gent, 1997, S. 183–184.
- ↑Cowan, H.K.J: Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde. Jahrgang 71. E.J. Brill, Leiden, 1953, S. 166–186.Note: Die Linie ist nicht gleich an der späteren Benratherlinie, weil diese erst im Hochmittelalter ihre aktuelle Position erreicht hat.
- ↑F. Beyerle:Völksrechtliche Studien I-III, Zeitschrift der Savigny-Stiftung, germ. Abt. LXII 264vv, LXIII ivv; Ewig 450vv;487vv
- ↑abcdeRudolf Sohm:Über die Entstehung der Lex Ribuaria. Verlag Hermann Böhlau, Weimar 1866. S. 1 bis 82.
- ↑Margarete Weidemann:Zur Chronologie der Merowinger im 7. und 8. Jahrhundert. In:Francia 25/1, 1999, S. 179ff.
- ↑Erich Zöllner:Geschichte der Franken bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts, Verlag C.H. Beck, München, S. 105, 123
- ↑F. Beyerle:Völksrechtliche Studien I-III, Zeitschrift der Savigny-Stiftung, germ. Abt. LXII 264vv, LXIII ivv; Ewig 450vv;487vv.
- ↑Erich Zöllner:Geschichte der Franken bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts, Verlag C.H. Beck, München. S. 161 ff.
- ↑Johannes Hoops:Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Band 14, S. 35 ff.
- ↑Erich Zöllner:Geschichte der Franken bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. C. H. Beck, München 1970, S. 115–119.
- ↑abErich Zöllner:Geschichte der Franken bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. C.H. Beck, München 1970. S. 117, 162, 146–207.
- ↑Karl August Eckhardt:Die Gesetze des Karolingerreiches 714–911 / I. Salische und ribuarische Franken. Verlag Böhlau, Weimar 1934, (Germanenrechte. Texte und Übersetzungen, Bearbeitung 1953, 2, 1)