Kurt Gossweiler (*5. November1917 inStuttgart; †15. Mai2017 inBerlin) war einmarxistisch-leninistischer deutscherHistoriker. In derDDR veröffentlichte er vor allem zumFaschismus, den er im Sinne derMonopolgruppentheorie analysierte. Nach derdeutschen Wiedervereinigung machte Gossweiler durch seine Verteidigung desStalinismus auf sich aufmerksam.
In einem kommunistischen Elternhaus aufgewachsen, besuchte Gossweiler von 1931 bis 1933 dieKarl-Marx-Schule (Berlin-Neukölln). Gemeinsam mit seinem FreundWerner Steinbrinck schloss er sich demSozialistischen Schülerbund an. Nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ war Gossweiler ab 1934 in einer illegalen Zelle desKommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) aktiv und beteiligte sich unter anderem am Schmuggel illegaler Materialien vonParis nachBerlin.
Nach demAbitur 1937 begann Gossweiler ein Studium derVolkswirtschaftslehre in Berlin. Im März 1939 war er beimReichsarbeitsdienst. Ab 1939 nahm er als Soldat derWehrmacht amZweiten Weltkrieg teil. 1943lief er zurRoten Armee über. Während der Kriegsgefangenschaft besuchte er dieAntifa-Schule in Talizy, wo er von 1944 bis 1947 auch als Assistent wirkte. Außerdem arbeitete er imNationalkomitee Freies Deutschland mit.
Gossweiler kehrte 1947 aus der Kriegsgefangenschaft zurück und trat in dieSED ein. In Berlin war er zunächst als Lehrer an der Landesparteischule tätig, dann von Oktober 1948 bis August 1955 als Mitarbeiter derBezirksleitung der SED.
Von 1955 bis 1958 hatte Gossweiler eine planmäßige wissenschaftliche Aspirantur am Institut für Geschichte derHumboldt-Universität. Zwischen 1958 und 1970 arbeitete er dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter. 1963promovierte er beiErich Paterna,Dietrich Eichholtz undJoachim Streisand überDie Rolle des Monopolkapitals bei der Herbeiführung derRöhm-Affäre. Von 1970 bis zur Emeritierung 1983 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Geschichte derAkademie der Wissenschaften der DDR tätig. Im Mai 1972 legte er alsPromotion B die StudieGroßbanken, Industriemonopole und Staat. Ökonomie und Politik des staatsmonopolistischen Kapitalismus in Deutschland 1914–1932 vor.
Gossweiler erhielt 1973 den Vaterländischen Verdienstorden in Bronze und 1988 dieEhrendoktorwürde der Humboldt-Universität. AlsInoffizieller Mitarbeiter IM „Arno“ arbeitete er für dasMinisterium für Staatssicherheit der DDR, da der Geheimdienst Interesse an seinen „Westkontakten“ hatte.[1] Nach der Wende blieb er bis 2001 Mitglied derPDS, die er daraufhin aufgrund des angekündigten „völligen Bruches mit der SED-Vergangenheit“ verließ.[2]
Gossweiler gehörte zu den führenden Historikern der DDR.[3] Seine Dissertation zum sogenannten „Röhm-Putsch“ von 1963 löste durch ihre zugespitzten Thesen und hypothetischen Schlussfolgerungen bereits in der DDR eine kritische Diskussion aus.[4] Gemeinsam mitDietrich Eichholtz setzte er sich 1968 in der ZeitschriftDas Argument mit der Kritik des britischen HistorikersTimothy Mason an derDimitroff-These des Faschismus als Diktatur des Finanzkapitals auseinander.[5] Während Mason insistierte, dass die nationalsozialistische Staatsführung sich zunehmend von den Interessen und der Führung des Großkapitals unabhängig gemacht habe, und den Primat der Politik vor der Wirtschaft betonte, verwiesen Gossweiler und Eichholtz auf den hohen wissenschaftlichen Abstraktionsgrad der Dimitroffschen Faschismusdefinition, die für die Geschichtswissenschaft der DDR eine verbindliche Leitlinie war. Sie warfen Mason mangelnde Kenntnis derImperialismustheorieLenins vor, durch die er denstaatsmonopolistischen Inhalt des Faschismus verkenne.[6] Für sie wurde der NS-Staat von Richtungskämpfen innerhalb des Monopolkapitals bestimmt.[3] Eine Wirklichkeit, die Masons Thesen entspräche, liefe „allen vom Marxismus entdeckten ‚Naturgesetzen‘ der Gesellschaft zuwider und würde allein durch ihre Existenz eine komplette Widerlegung der marxistischen Gesellschaftsanalyse darstellen“.[7]
Die Kontroverse mit Mason regte weitere Forschungen und Dokumentationen aus DDR-Archiven an, mit denen die „Struktur und Organisation des staatsmonopolistischen Kapitalismus“ belegt werden sollte.[8] Zugleich warnten Eichholtz und Gossweiler in dogmatischer Weise, dassNeomarxisten „sehr viel gefährlicher“ seien als „bürgerliche Historiker“, weil sie „die Industriellen in der Rolle betrogener Betrüger“ darstellten.[9]
Gegenüber der vonJürgen Kuczynski vertretenen Monopolgruppenforschung betonte Gossweiler die zentrale Rolle der Großbanken im deutschen Finanzkapital.[10] Er vertrat die These, dass im Monopolkapital zwischen Lagern innerhalb der Industrie und des Finanzkapitals unterschieden werden müsse. Ein eher antisowjetisch und proamerikanisch ausgerichtetes Lager habe einem ebenso antisowjetischen wie antiamerikanisch ausgerichteten Lager gegenüber gestanden.[11] Auseinandersetzungen innerhalb der NS-Bewegung, wie das AusscheidenGregor Strassers aus allen Parteiämtern 1932, interpretierte Gossweiler dementsprechend als Ausdruck von Richtungskämpfen zwischen rivalisierenden kapitalistischen Lagern.[12] Seine These, Strasser sei ein bezahlter Agent derI.G. Farben gewesen, wurde in der Forschung zurückgewiesen.[13]Andreas Dorpalen weist darauf hin, dass Gossweilers Thesen auf unbelegten Annahmen und Schlussfolgerungen beruhten.[14]
In einem Referat auf dem Internationalen Seminar Kommunistischer und Arbeiterparteien inBrüssel 1994 erklärte Gossweiler den „Antistalinismus“ zum „Haupthindernis für die Einheit aller antiimperialistischen Kräfte und der kommunistischen Bewegung“. Dabei verteidigte er denStalinismus und führte aus, dass dieStalinschen Säuberungen der 1930er-Jahre die Sowjetunion vor einer „Fünften Kolonne“ bewahrt und damit den Sieg imZweiten Weltkrieg gesichert habe.[15] Der Beitrag wurde in denWeißenseer Blättern veröffentlicht, die seit Ende 1990 „prostalinistische Historienversionen“ verbreiteten und stieß selbst in deren Leserkreis auf Kritik.[16]Gossweiler nannte Chruschtschow einen „konterrevolutionären Agenten undTito-Freund“.[17]Gossweiler wurde wegen seiner Ausführungen nachgesagt, „Stalin-Anhänger“ zu sein und die Gefahr des Dogmatismus zu bestreiten.[18]
Schon direkt nach dem Ende der DDR benannte Gossweiler drei „falsche Weichstellungen in Grundfragen des Aufbaus des Sozialismus“ nach dem TodeStalins:
Gorbatschow sei laut ihm zudem der Vollstrecker des vonChruschtschow begonnenen Werkes der Zerstörung der sozialistischen Staaten gewesen, wobei er sich metaphorisch unter verschiedenen „Zwiebelschalen“ als Kommunist getarnt hätte.[20]
In einem Referat auf dem Internationalen Seminar Kommunistischer und Arbeiterparteien inBrüssel 1994 erklärte Gossweiler den „Antistalinismus“ zum „Haupthindernis für die Einheit aller antiimperialistischen Kräfte und der kommunistischen Bewegung“. Dabei verteidigte er denStalin, dessen Politik und führte dazu unter anderem aus, dass dieStalinschen Säuberungen der 1930er-Jahre die Sowjetunion vor einer „Fünften Kolonne“ bewahrt und damit den Sieg imZweiten Weltkrieg gesichert habe.[21]
Seit 1990 wurden verschiedene Beiträge Gossweilers in denWeißenseer Blättern veröffentlicht, wo diese jedoch auch auf Kritik stießen und eine Auseinandersetzung um die „Weichenstellungs“-Theorie auslösten.[22]
| Personendaten | |
|---|---|
| NAME | Gossweiler, Kurt |
| KURZBESCHREIBUNG | deutscher Historiker |
| GEBURTSDATUM | 5. November 1917 |
| GEBURTSORT | Stuttgart |
| STERBEDATUM | 15. Mai 2017 |
| STERBEORT | Berlin |