Kleinasien (lateinischAsia minor,altgriechischΜικρὰ ἈσίαMikrá Asía) oderAnatolien (von altgriechischἀνατολήanatolḗ, deutsch‚Osten‘ (eigentlich wörtlich 'Sonnenaufgang');türkischAnadolu;osmanischاناطولیİAAnaṭolı) ist jener Teil der heutigenTürkei, der zuVorderasien und damit zum KontinentAsien gehört.
Ursprünglich bezog sich der NameAnatolien nur auf den zentralen Teil der Halbinsel. Er leitet sich vombyzantinischen Militärbezirk (Thema)Anatolikon ab, der im7. Jahrhundert entstand. Zuvor war für die Halbinsel zwischenÄgäis undEuphrat stattdessen der lateinische AusdruckAsia Minor („Kleinasien“) gebräuchlich. Seit Gründung der Türkei 1923 umfasst der BegriffAnatolien die ganze Türkei ohneThrakien. Die Landesfläche beträgt 757.000 km²; sie macht 97 % des türkischen Staatsgebietes und etwas unter 2 % des ErdteilsAsien aus. Das Gebiet wird im Süden vomMittelmeer, im Norden vomSchwarzen Meer, im Westen von der Ägäis und im Nordwesten vomBosporus, demMarmarameer und denDardanellen begrenzt.
Die östliche Grenze Anatoliens ist ungenau definiert. Der Einfachheit halber wird sie oft mit der östlichen Landesgrenze der Türkei gleichgesetzt. Die Ostgrenze Kleinasiens dagegen wird historisch wie kulturell durch denEuphrat markiert; östlich des Flusses liegtMesopotamien.
Hinsichtlich derReligion dominiert mit 98 % der Islam (davon 70–80 %Sunniten und 20–30 %Aleviten). DieChristen stellen noch 0,2 %, gegenüber einem Fünftel der Bewohner um 1910. Heute leben vornehmlich im Westen Griechen und im NordenPontosgriechen. Von anderen kleinen Religionsgemeinschaften (genaue Zahlen werden nicht erhoben) sind rund 14.500Juden (Stand 2022) und 423Jesiden (Volkszählung 2000) zu erwähnen. Die Jesiden lebten überwiegend in Südostanatolien. In den letzten 30 Jahren haben sie in großen Auswanderungswellen die Türkei verlassen. Heute befindet sich die große Mehrheit von 30.000 türkischen Jesiden in Europa.
Als Grenze zwischenEuropa und Asien gilt seit der Antike derBosporus. Die Einwohnerzahl der GroßstadtIstanbul auf beiden Ufern hat sich seit 1970 von zwei auf vierzehn Millionen erhöht. Sie war bis 1453 byzantinische und bis 1923 osmanische Hauptstadt. 1923 wurde die Hauptstadt in das kleinere, aber für Kleinasien zentraleAnkara verlegt. Die Stadt am Bosporus ist durch die interkontinentale Meeresenge in einen europäischen und einen asiatischen Teil geteilt. Die Stadtteile werden durch dichten Schiffsverkehr, drei Brücken, einen unter dem Meer verlaufendenEisenbahntunnel und einenStraßentunnel miteinander verbunden. Die dritteBrücke an der Schwarzmeerküste wurde 2016 fertiggestellt.
Die zweite Meeresenge zu Kleinasien sind dieDardanellen (der antike Hellespont) zwischen der europäischen HalbinselGallipoli (türk.Gelibolu) und der Region vonTroja undÇanakkale.
Das Klima istkontinental geprägt mit sehr warmen bis heißen trockenen Sommern und kalten und sehr schneereichen Wintern. Im östlichen Teil sinken die Temperaturen im Winter oft bis auf minus 30 Grad Celsius und darunter. An derSchwarzmeerküste ist es das ganze Jahr über sehr niederschlagsreich. An der sogenanntentürkischen Riviera und derÄgäis bleibt die Temperatur im Winter stets oberhalb von 5 Grad Celsius. Dabei gibt es im Winter eine Besonderheit, vor allem in derBosporus-Region (einschließlich Istanbul) und der westlichen Schwarzmeerregion (z. B. umZonguldak): Durch starke Kaltlufteinbrüche von Norden her aus Osteuropa kommt es zu langanhaltenden ergiebigen Schneefällen, dem sogenanntenLake effect snow. Dabei ist es nicht ungewöhnlich, dass auch in der Metropolregion Istanbul große Mengen an Schnee fallen. In der Vergangenheit gab es durch starke Winde zudem meterhoheSchneewehen, so zum Beispiel während der Schneekatastrophe im März 1987. Damals schneite es in Istanbul tagelang und der Schnee lag meterhoch.[1][2]
Der Name „Kleinasien“ leitet sich historisch von der römischen ProvinzAsia ab, die aber nur den westlichsten Teil der heutigen Türkei umfasste.
Um 2000 v. Chr. gründetenAssyrer beiKültepe eine Handelskolonie. Zentralanatolien war damals in mehrere Stadtstaaten geteilt und die Bevölkerung war ethnisch gemischt. In Zentralanatolien lebten dieHattier, in Paphlagonien diePaläer, am Oberlauf des Halys dieHethiter und in Südanatolien dieLuwier. In Ostanatolien breiteten sich nach und nach dieHurriter aus. Um 1600 v. Chr. entstand das Großkönigreich der Hethiter, das bis etwa 1180 v. Chr. bestand. Der hethitische GroßkönigḪattušili I. gründete die hethitische HauptstadtḪattuša und betrieb den Ausbau des Reiches durch Eroberungen in Anatolien und im NordenSyriens. Die Hethiter unterwarfen im Lauf der Zeit die LänderKizzuwatna undArzawa sowie kleinere Stadtstaaten, so dass sie schließlich über fast ganz Anatolien und einen großen Teil Syriens herrschten. Das Neuhethitische Reich (14.–12. Jh. v. Chr.) war nebenÄgypten undAssyrien mitBabylonien die dritte Großmacht der damaligen Zeit.
Das hethitische Großreich umfasste auch eine ganze Reihe von kleinen Vasallen- und Nachbarstaaten, wieMira oderUgarit. Von besonderem Interesse in der Forschung der letzten Jahre sind die mögliche Beziehung und der Einfluss der hethitischen Militärmacht und Kultur auf dieTroas, die heute als wahrscheinlich gilt (sieheTroja), sowie die Kontakte mit denmykenischen Stadtstaaten insbesondere an der kleinasiatischen Westküste, die dort sicher seit Mitte des zweiten Jahrtausends v. Chr. bestanden.
Als eines der bedeutendsten Ereignisse der hethitischen Geschichte gilt dieSchlacht bei Kadeš (1274 v. Chr.), in der die Armeen des hethitischen GroßkönigsMuwatalli II. und des ägyptischenPharaosRamses II. aufeinandertrafen sowie der nachfolgendeVertrag zwischen Ramses undḪattušili III. (1259 v. Chr.) Hierbei handelt es sich um den ältesten schriftlich überlieferten Friedensvertrag der Welt, von dem unter anderem eine Kopie – als ein Symbol für den Frieden – imUNO-Gebäude inNew York zu sehen ist.
Im neunten Jahrhundert v. Chr. etablierte sich das ReichUrartu im späterenArmenien am ostanatolischenEuphrat. KönigSarduri I. (um 830 v. Chr.) errichtete die HauptstadtTuschpa amVan-See. HochwertigeBewässerung und Zucht, Metalle und eigeneHieroglyphen wurden entwickelt. Um 620 v. Chr. wurde das Reich von denSkythen erobert und vernichtet.
Kleinasien (mit römischen Provinzen) undMesopotamien in der AntikeLandkarte von Kleinasien von 332 v. Chr. bis 395 n. Chr. (lateinische Beschriftung)
Seit der Mitte des zweiten Jahrtausends v. Chr. lebten mykenische Griechen in den Städten Kleinasiens (nachweisbar beispielsweise inMilet). Im elften und zehnten Jahrhundert verstärkte sich dann dieKolonisierung der kleinasiatischen Westküste durch griechischeIonier undDorer; mit der GründungSinopes um 630 v. Chr. beginnt zudem die griechische Besiedlung der nördlichen Küsten amSchwarzen Meer. Im Anschluss dieser Siedlungsbewegung wurden folgende Landschaften unterschieden:
546 v. Chr. eroberte Persiens GroßkönigKyros II. Lydien und danach Lykien und die griechischen Städte an der Küste. Um 500 v. Chr. wurde ganz Kleinasien demPerserreich angegliedert. Infolge derPerserkriege fiel die Westküste wieder an dieGriechen, wurde aber nach demPeloponnesischen Krieg abermals persisch.
Alexander der Große setzte mit seinem Heer 334 v. Chr. über dasMarmarameer und schlug die Perser vernichtend. Die Eroberung Kleinasiens brachte jedoch noch keine Entscheidung.Erfolge waren neben dem reibungslosen Übergang über denHellespont und derSchlacht am Granikos um den Auftakt der Invasion vor allem die meist kampflose Besetzung der Regionen der heutigenTürkei. Die griechischstämmige Stadtbevölkerung vonIonien war dem makedonischen König durchwegs freundlich gesinnt. Er setzte erste frühdemokratische Verfassungen (Demos) wieder in Kraft. Intern setzte er sich gegen den Berater seines VatersPhilipp II., den alten General und ReiterführerParmenion durch. Alexander bevorzugte den Kriegsrat seiner Gefährten.Nach der Eroberung vonMilet schickte Alexander Flottenkontingente der griechischen Städte nach Hause. 20 Trieren aus Athen behielt er zurück. Er transportierte noch die Belagerungsmaschinen vorHalikarnassos. Hier hatteMemnon aus Rhodos vonDareios III. den Oberbefehl über die Flotte in der Ägäis zum Befehl über die Söldnertruppen hinzu erhalten.
Finanziell waren die griechischen Städte und hier vor allemEphesos gute Zahler. Diepersischen Tribute hatte der König demTempel der Artemis zugeordnet. Damit wurden die Gärten befestigt und der Raum für Asylsuchende erweitert. Nach griechischem Brauchtum wurden Flüchtige bei Kriegshandlungen im Tempel verschont. Dort drängten sich bei Truppenankünften und Plünderungen Frauen und Kinder. In Ephesos konnten auch Belagerungsmaschinen gebaut werden. Diese neue Technik griechischer Ingenieure bewirkte die Erfolge vor Milet und vor allem Halikarnassos.Mit Wintereinbruch waren auch die Hafenstädte der Südküste Kleinasiens für die Makedonen gewonnen und die persische Armada war bereits auf die Inseln verdrängt.Die Tore Syriens (Kilikische Pforte) waren Gegenstand der Planung des folgenden Frühjahres. Dareios III. war unterdessen auf den Unruheherd im Westen aufmerksam geworden und ernannte Memnon, den Kommandeur der Söldner in persischen Diensten, auch zum Oberbefehlshaber der Flotte.Im Frühjahr 333 v. Chr. gefährdete Memnon die Nachschublinien der Makedonen und beunruhigte mit der Flotte selbst Griechenland. Seine Frau Barsine mit Familie hatte er an den persischen Hof als Unterpfand für seine Zuverlässigkeit geschickt. Im harten Winter Kleinasiens kamen die Kampfhandlungen zu Lande und zur See fast zum Erliegen. Der Legende nach löste Alexander denGordischen Knoten mit einem Hieb seines Schwerts. Dies symbolisierte eine rasche Eroberung der asiatischen Welt. Kleinasien blieb auch in der Folgezeit der Feldzüge Alexanders Drehscheibe des makedonischen Nachschubs.
Nach Alexanders Tod teilten dieDiadochen das Reich auf, Kleinasien ging größtenteils anLysimachos undSeleukos I.Philetairos spaltete 282 v. Chr. davon die StadtPergamon ab, die unter seinen Nachfolgern, denAttaliden, zum einflussreichstenhellenistischen Staat in Kleinasien wurde. 133 v. Chr. wurde das Pergamenische Reich an Rom vererbt und in die ProvinzAsia umgewandelt. Um 275 siedelten sich nach Plünderungen in ZentralanatolienKelten ausThrakien an und gründeten das ReichGalatien.
Provinzgliederung Kleinasiens als Teil des römischen Reichs
Bis 60 v. Chr. kamen die Küstenregionen durchPompeius zumRömischen Reich. Ein starker Gegner war zuletzt KönigMithridates VI. Eupator von Pontus (121–63 v. Chr.) gewesen, der versucht hatte, Kleinasien zum Aufstand gegen die vordringenden Römer zu bewegen. In der frühen Kaiserzeit (Prinzipat) wurde auch das Landesinnere schrittweise von Romannektiert und um das Jahr 65 dieProvinzen neu gegliedert:Bithynia et Pontus im Norden,Asia im Westen,Lycia et Pamphylia im Südwesten undCilicia (Kilikien) im Südosten. Die Könige von Galatien, Kappadokien und Paphlagonien behielten alsVasallen Roms und als „Puffer“ gegen Nachbarvölker etwas länger ihren Thron, bis schließlich auch ihre Gebiete als Provinzen in dasImperium Romanum integriert wurden.
Mit derPax Romana desAugustus begann um die Zeitenwende eine Blütezeit, die bis zum späten 2. Jahrhundert n. Chr. andauerte; die Kaiser Trajan undHadrian bereisten Kleinasien. Um das Jahr 50 begann dasChristentum Fuß zu fassen, zuerst inPerge, wenig später in der Provinzhauptstadt vonAsia,Ephesos, und inGriechenland – siehe diePaulusbriefe an verschiedene Gemeinden. Auch einige frühe Bischofssitze entstanden, unter anderem inMyra (inLykien), in dem um 350 der heiligeNikolaus wirkte. Die ersten christlichenKonzile fanden in Kleinasien statt.
Die byzantinischen Themen um 950 n. Chr.
Imvierten Jahrhundert wurdeKonstantinopel zur Residenz des östlichen Teils des Römischen Reiches; damit rückte Kleinasien näher an die kaiserliche Zentrale. Wenig später, im frühenfünften Jahrhundert, findet sich die erste überlieferte Erwähnung des BegriffsAsia Minor (Orosius, Hist. adv. Pag. 1,26); zuvor war stets nur vonAsia die Rede gewesen.
Nach der Eroberung Ägyptens, Palästinas und Syriens durch die Araber imsiebten Jahrhundert (Islamische Expansion), die dasEnde der Antike markierte, bildete Kleinasien das Kerngebiet desOströmischen bzw. Byzantinischen Reiches. Damals entstand auch dasThema (Heeresbezirk)Anatolikon. Es verdankte seinen Namen dem Umstand, dass sich hierhin die geschlagene Armee desmagister militum per Orientem (lat.Oriens = griechischAnatolḗ) zurückgezogen hatte. Der Verwaltungssitz dieses Themas warAmorion 200 km südwestlich von Ankara. Seit dem Mittelalter übertrug sich diese Bezeichnung auf ganz Kleinasien, das heute oft „Anatolien“ genannt wird.
Im 11. Jahrhundert drangen aus dem Osten die turkmenischenSeldschuken nach Kleinasien. Nach derSchlacht von Manzikert (1071) wurden weite Teile Inneranatoliens von den seldschukischenTürken erobert. Das Zentrum ihres Reiches warIkonion (die heutige GroßstadtKonya), 200 km südlich vonAnkara (Ankyra, ab 1023 Angora). Jedoch konnte Ostrom bzw. Byzanz mit dem Beginn derKreuzzüge wieder in die Offensive gehen und im Laufe des 12. Jahrhunderts einige Gebiete zurückgewinnen, bis nach dem4. Kreuzzug (1204) Byzanz die Verteidigung in Kleinasien nicht mehr aufrechterhalten konnte. Mitte des 14. Jahrhunderts fielen die meisten byzantinischen Städte in türkische Hand.Philadelphia konnte sich jedoch bis 1390 halten, ebenso blieb das byzantinischeKaiserreich von Trapezunt im Pontos bis 1461 von der türkischen Besetzung frei.
Mit dem weiteren Vordringen derMongolen nach Westen um die Mitte des 13. Jahrhunderts zerfiel dasSeldschukenreich in viele Turkfürstentümer (Beylik). Eine ihrer Dynastien, nach ihrem FührerOsman I. (1281–1326) die Osmanen benannt, setzte sich gegen die anderen Beyliks durch und eroberte 1326 auch den byzantinischen Norden beiBursa. Das oströmische bzw. byzantinische Reich endete erst 1453 mit dem Fall vonKonstantinopel an dieOsmanen. ImOsmanischen Reich verloren alle antikenProvinzen endgültig ihre Autonomie und meist auch ihren Namen.
Nachdem das im 17. Jahrhundert noch bis an die Tore Wiens reichendeOsmanische Reich im Gefolge desErsten Weltkriegs weiter verfallen war und die Griechen nach 1918 von Smyrna (heuteİzmir) aus in RichtungAnkara vorgedrungen waren, wurde sein kleinasiatischer Teil imGriechisch-Türkischen Krieg 1919–1922 unterAtatürk wieder zurückerobert. Dem Ende der Kämpfe folgte die Vertreibung mehrerer Millionen Menschen, die fürs Erste durch den imVertrag von Lausanne vereinbarten „Bevölkerungsaustausch“ von 1923 abgeschlossen wurde.
Heute gliedert sich dieTürkei in 81Provinzen, davon 76 in Kleinasien sowie 5 im europäischen Teil westlichIstanbuls.
Media-Cultura (Hrsg.), in Zusammenarbeit mit dem Badischen Landesmuseum Karlsruhe:Die ältesten Monumente der Menschheit. Vor 12.000 Jahren in Anatolien. Konrad Theiss, Stuttgart 2007, DVD-ROM.
John Boardman:The Greeks in Asia. Thames & Hudson, London 2015.
Ursula Quatember:Die Architektur des römischen Kleinasien (= Veröffentlichungen des Instituts für Archäologie der Karl-Franzens-Universität Graz, 19). Phoibos Verlag, Wien 2024,ISBN 9783851613124. – Rezension von Christof Berns,Bryn Mawr Classical Review2025.10.12
Horst Schäfer-Schuchardt:Antike Metropolen – Götter, Mythen und Legenden. Die türkische Mittelmeerküste von Troja bis Ionien. Belser, Stuttgart 2001,ISBN 3-7630-2385-2.
Elmar Schwertheim:Kleinasien in der Antike. Von den Hethitern bis Konstantin (=Beck’sche Reihe 2348C. H. Beck-Wissen). C. H. Beck, München 2005,ISBN 3-406-50848-0.
Michael Zick:Türkei. Wiege der Zivilisation, Konrad Theiss, Stuttgart 2008,ISBN 978-3-8062-2110-7.