36.85277777777810.323333333333Koordinaten:36° 51′ 10″ N,10° 19′ 24″ O
Animation der Stadt Karthago
Karthago (lateinischmeistKarthago, seltenerCarthago) war eine Metropole inNordafrika nahe dem heutigenTunis inTunesien. In der Antike war Karthago über mehrere Jahrhunderte Hauptstadt desKarthagischen Reiches, einer bedeutenden See- und Handelsmacht.
Die Stadt entstand als Gründung derPhönizier, von derenVolksbezeichnung sich auch die römische Bezeichnungpoeni für die Einwohner Karthagos und seines Einflussgebietes ableitet. Auf dieselateinische Form wiederum geht die deutsche Bezeichnung „Punier“ zurück. Im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr. kam es zu drei großen „Punischen Kriegen“ zwischen Karthago und derRömischen Republik, die letztlich alle für Rom siegreich verliefen. Nach demDritten Karthagisch-römischen Krieg wurde Karthago von den Römern dem Erdboden gleichgemacht und das Karthagische Reich 146 v. Chr. aufgelöst. Es ging imRömischen Reich als ProvinzAfrica proconsularis auf. Ein römisches Karthago wurde unterGaius Iulius Caesar im 1. Jahrhundert v. Chr. neu gegründet und stieg bald erneut zu einer bedeutenden Großstadt auf. Erst mit demEnde der Antike verlor auch dieser Ort seine Bedeutung.
Heute istKarthago (arabisch قرطاج Qartādsch,DMGQarṭāǧ) ein Vorort von Tunis. Dasarchäologische Ausgrabungsgelände von Karthago wurde 1979 in die Liste desUNESCO-Welterbes aufgenommen und ist eine touristische Attraktion.
Der OrtsnameKarthago geht auf diephönizisch-punische Form𐤒𐤓𐤕𐤇𐤃𐤔𐤕[1] (qart hadašt) zurück und bedeutet „neue Stadt“. Dies könnte sich entweder darauf beziehen, dass Karthago eine Tochterstadt des phönizischen OrtesTyros war, oder als Abgrenzung vom nahegelegenenItyke verstanden werden, dessen Name „alte (Stadt)“ bedeutet. Der Namensteil qart (im Karthagischen wie in allenwestsemitischen Sprachen ohne Vokale geschrieben, also „qrt“) mit der Bedeutung „Stadt“ findet sich beispielsweise auch im OrtsnamenCarteia oder verbunden mit dem Namen des GottesMelkart (vonmlk für „Herrscher“, zum BeispielMelcarteia zusammen also „Stadtherrscher“).
Der NamePhönizien hingegen ist eine Ableitung vom griechischen Wortphoinike (Φοίνικε), dasPurpurland bedeutet. Davon leitet sich das lateinischepoeni her, aus dem die deutsche BenennungPunier entstand. Die Römer verwendetenpoeni ausschließlich für die Karthager, und dieser Begriff stand eher in einem abwertenden Kontext. Nicht zuletzt wegen dieser Wortgeschichte, aber auch zur besseren Unterscheidung der Phönizier der Levante von ihren nordafrikanischen Nachfahren wählen manche Wissenschaftler bewusst die BezeichnungKarthager statt des feindlich geprägtenPunier. Mit Karthager sind dann nicht nur die Einwohner der Stadt Karthago gemeint, sondern auch die von dessen Tochtergründungen.[2]
Lage von Karthago auf einer geographischen Karte in heutiger Zeit
Karthago liegt an der Meerenge namensStraße von Sizilien an der afrikanischenMittelmeerküste im Norden des Staates Tunesien. Die Stadt liegt geschützt auf jener Halbinsel, die sich rund zehn Kilometer östlich des modernen Tunis erstreckt. Das Stadtgebiet wird im Norden von der LaguneSebkha Ariana, im Osten vomGolf von Tunis und im Süden vomSee von Tunis begrenzt. Nur im Westen liegt eine enge Landzunge, die die Stadt mit dem Hinterland verbindet. Die Lage war strategisch günstig, weil sich die Stadt so zur Landseite hin leicht verteidigen ließ.
Karthago befand sich einerseits im Zentrum wichtiger Handelsrouten in West-Ost-Richtung zwischenGibraltar undLevante, andererseits zwischen den Verbindungen in Nord-Süd-Richtung, demGolfe du Lion und demTyrrhenischen Meer, sowie derGroßen Syrte. Durch seine Lage konnte es somit den Seehandel im Zentralen Mittelmeer kontrollieren. Dies war ein Hauptgrund für die wirtschaftliche und militärische Dominanz der Stadt.
DerByrsa-Hügel war das Zentrum sowohl des vorrömischen als auch des römischen Karthago. Nördlich des eigentlichen Stadtgebiets, aber noch innerhalb der Stadtmauern, befand sich in der Antike das landwirtschaftlich genutzte Gebiet von Megara.
Verschiedene nicht-karthagische Schriftsteller überliefern Mythen von der Gründung der Stadt; zu den ausführlichsten gehört der HistorikerMarcus Iunianus Iustinus. Zentrale Figur dieser Mythen istDido, als deren karthagischer Name Elissa angegeben wird. Elissa soll die Tochter desMutto, König vonTyros undSidon von 829 v. Chr. bis 821 v. Chr., und Schwester desPumjaton (Pygmalion), König von 820 v. Chr. bis 774 v. Chr., gewesen sein. Mutto setzte aber Dido und ihren GattenSychaeus, der auch Hohepriester war, als Erben ein. Ihr Bruder Pumjaton erschlug Sychaeus[4] aus Habgier, weswegen sie um ihr Leben fürchten musste. Auf der Flucht gelangte sie überZypern an denGolf von Tunis. Der ortsansässige König derGaetuler namensIarbas versprach ihr so viel Land, wie sie mit einerOchsenhaut umspannen könne. Elissa schnitt daraufhin die Tierhaut in dünne Streifen, legte sie aneinander um den HügelByrsa herum und konnte somit ein großes Stück Land markieren, die Keimzelle Karthagos. Nach der Gründung habe sich Elissa selbst auf einem Scheiterhaufen geopfert, um der Stadt Wohlstand zu garantieren.[5]
Alspunische Form des Namens, den die griechisch-römischen Quellen Elissa nennen, rekonstruiert die Forschung „'Išt“. Dieser Name „'Išt“ ist in der karthagischenNamenforschung mehrfach bezeugt, wobei seine Bedeutung „die Aktive“ nicht sicher geklärt ist. Einen historischen Kern der Legende festzustellen, ist schwierig. Dass eine Frau eine so weitreichendeExpedition leitete, entspricht nicht den damaligen Üblichkeiten und ist daher wenig glaubhaft. Ebenfalls umstritten ist das teilweise behauptete Bestehen eines „Elissa-Kultes“ im späteren Karthago. Die vorherige Flucht hat außerdemlegendenhafte Züge. Weitere Einzelheiten der Geschichte sind offensichtlich aufgrund der griechischenVolksetymologie entstanden und dürften daher keinen geschichtlichen Hintergrund haben.
Eine Begebenheit, die sich nach der Gründung Karthagos abgespielt haben soll, schildert der RömerVergil in seinem EposAeneis. Demzufolge besuchteAeneas, der sagenhafte Stammvater der Römer, nach seiner Flucht ausTroja Dido in Karthago, worauf diese sich in ihn verliebt. Als Aeneas auf Geheiß desJupiter nach Italien abreiste, wo sein Sohn Iulus der Sage zufolge[6] später Roms MutterstadtAlba Longa gründete, tötete Dido sich selbst auf dem Scheiterhaufen. Doch zuvor habe sie Rache geschworen und so die Grundlage für den späteren Konflikt zwischen Karthago und Rom geschaffen.
Historisch verlässliche Schilderungen zur Gründung Karthagos liegen nicht vor. Eine zumindest nicht direkt unplausible Angabe zum Gründungsdatum überlieferte der antike HistorikerTimaios von Tauromenion, dem zufolge die Stadtgründung im 38. Jahr vor der erstenOlympiade, also je nach Zählweise im Jahr 814/813 v. Chr. oder 813/812 v. Chr. erfolgte.[7] Sollte die Verbindung der mythologischen Stadtgründerin Dido zu KönigMutto vonTyros undSidon einen historisch wahren Kern haben, könnte die Stadtgründung in dessen Regierungszeit 829–821 Chr. fallen. Die ältesten archäologischen Zeugnisse der Stadt Karthago lassen sich allerdings erst auf die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts v. Chr. datieren.
Die Gründer der Stadt Karthago warenphoinikische Siedler ausTyros und vielleicht auch aus Sidon. Die Beteiligung von Siedlern aus Sidon würde erklären, warum ein Tempel fürEschmun auf der Oberstadt namensByrsa errichtet wurde, während der eigentliche StadtgottBaal-Hammon war und eine wichtige GottheitTanit hieß. Offenbar war den Karthagern ein besondererSynkretismus wichtig.
Historische Entwicklung bis zum Ende des 7. Jahrhunderts v. Chr.
Seegebiet, das Karthago um 509 v. Chr. kontrollierteSeegebiet zwischen Karthago und demLigurischen Meer (Ligurian Sea)
In der Frühphase befand sich die Stadt Karthago noch in Abhängigkeit von ihrer Mutterstadt Tyros, zahlte alsoTribute und war auch politisch gebunden. Da sich Karthago im Zentrum wichtiger Handelsrouten sowohl in West-Ost-Richtung (zwischenGibraltar und derLevante) als auch in Nord-Süd-Richtung (zwischen denEtruskern und dergroßen Syrte) befand (siehe KapitelGeographie), konnte es den Seehandel durch das zentrale Mittelmeer und den nördlichen Endpunkt der Sahararouten kontrollieren. Man darf annehmen, dass die Stadt genau deswegen dort gegründet wurde.
Auch politisch hatte die Gründung Karthagos eine Bedeutung aufgrund der zentralen Lage zwischen dem Mutterland und dem Atlantik. Die vielen phoinikischen Gründungen im westlichen Mittelmeer, ob von Tyros gegründet oder von anderen Städten (Sidon), die es vor der Gründung Karthagos schon gab, hätten am ehesten von karthagischen Kriegsschiffen geschützt werden können. Diese phoinikischen Gründungen lagen teils sogar außerhalb des Mittelmeeres an der Atlantikküste Iberiens und Marokkos.
Das Karthagische Reich hatte im 6. Jahrhundert v. Chr. bereits ein umfassendes politisches System mit verfassungsähnlichen Grundsätzen installiert (siehe karthagisch-römische Verträge) und war auch in der Lage, seinen Einfluss zu verwalten. Sicherlich waren phoinikische Städte bereit, sich am Schutz finanziell zu beteiligen, und das Karthagische Reich dürfte diese Aufgabe gerne übernommen haben. Deswegen konnte das Karthagische Reich seinen Einfluss als See- und Handelsmacht weiter ausbauen. Es übernahm also die phoinikischen Kolonien als Schutzmacht, vielleicht auch politisch, die Verantwortung, und gründete eigene Siedlungen: aufSardinien (Šrdn),Korsika (anfangs mit Billigung der Etrusker), denBalearen, an der nordafrikanischen Küste und an der südlichen MittelmeerküsteSpaniens, und überzeugte sogar die Siedlungen an der AtlantikküsteIberiens (Gadir,Onuba) und Marokkos (Tingis,Lixos), sich dem Karthagischen Reich anzuschließen. Dies war nur durch eine zahlenmäßig starke Flotte, durch überlegenen Schiffbau und durch gut ausgebildete Seeleute möglich. Der Kriegshafen (Kothon) der Stadt besaß Anlegeplätze für 200 bis 300Trieren. Der Hafen war sowohl für den Neubau von Schiffen als auch für Reparaturen ausgestattet. Ähnlich ausgebaute Häfen gab es zum Beispiel auch inPanormos,Ibes,Gadir,Rusadir undIcosim.
Das Karthagische Reich als unabhängige Großmacht (6. bis 2. Jahrhundert v. Chr.)
Spätestens als das phoinikische Mutterland 539 v. Chr. vom persischenAchämenidenreich erobert und tributpflichtig wurde, löste sich das Karthagische Reich ganz vom tyrischen Einfluss. Im Jahr 508/507 v. Chr. zeigte das Karthagische Reich auch politisch seine Unabhängigkeit, als es mit dem Römischen Reich einen Freundschaftsvertrag schloss, der die Einflussgebiete beider Partner regelte, denErsten karthagisch-römischen Vertrag.
Geographische Lage der Stadt Karthago und das Karthagische Reich ohne deren Einflussgebiete in Sizilien im 3. Jahrhundert v. Chr.
Auch die Konflikte mit den Hellenen, die während derPerserkriege des 5. Jahrhunderts v. Chr. begannen und die Karthago vor allem mitSyracosai und seit seiner Gründung 565 v. Chr. auch mitMassilia auszutragen hatte, taten seinem Aufstieg keinen Abbruch. Während dieser Zeit unterlag das Karthagische Reich zwar dem kulturellen Einfluss der Hellenen, war aber militärisch und ökonomisch zuerst mit denEtruskern,Elymern, den Iberischen Völkern und später vielleicht auch mit den Persern verbündet. Gesichert ist nur, dass die Heimatstadt Tyros unter persischem Einfluss stand.
Die Stadt prosperierte durch den Aufschwung des Seehandels. Im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr. war Karthago zur reichsten Stadt desMittelmeerraums geworden.
Die dreiPunischen Kriege gegen das aufstrebendeRom führten letztlich zum Untergang Karthagos. Der zweite dieser Kriege hat aber durch den karthagischen FeldherrnHannibal zu einer ernsten Bedrohung für Rom selbst geführt.
Nach dreijähriger Belagerung eroberten die Römer unterPublius Cornelius Scipio Aemilianus Africanus Karthago 146 v. Chr. zum Ende desDritten Punischen Krieges. Die Verteidiger unterHasdrubal leisteten erbitterten Widerstand. Während der sechstägigen Eroberung plünderten und zerstörten dierömischen Truppen bereits durch Brandlegung einen Großteil der Stadt. 50.000 der überlebenden Einwohner ergaben sich daraufhin den Römern und wurden in dieSklaverei verkauft. Gemäß der berühmten Forderungdes älteren Cato – meist wiedergegeben alsCeterum censeo Carthaginem esse delendam („Im Übrigen meine ich, dass Karthago zerstört werden muss“) – wurde daraufhin auch noch der Rest der Stadt inklusive der Burg (Byrsa) systematisch bis auf die Grundmauern geschleift. Die Legende, dass auf Karthagos BodenSalz gestreut wurde, um die Gegend unfruchtbar zu machen, stammt dagegen aus dem 19. Jahrhundert und wird durch antike Quellen nicht belegt. Die Stadtfläche lag jedoch ein Jahrhundert lang brach. Auch die kulturellen Leistungen wurden bei der Zerstörung beseitigt. Nicht zerstörte Dokumente wurden verbündeten numidischen Fürsten übergeben. Einzig das Werk über die Landwirtschaft desMago wurde auf Befehl desrömischen Senats ins Lateinische übersetzt und dürfte teilweise bei späteren römischen Landwirtschafts-Beschreibungen verarbeitet worden sein.
Im Jahr 122 v. Chr. versuchte der ReformerGaius Sempronius Gracchus im Rahmen seiner Sozialpolitik, Karthago alsColonia Iunonia Carthago wiederzugründen. Damit stieß er jedoch auf den Widerstand des Senats. Nach Gracchus' gewaltsamem Tod wurde das Vorhaben wieder aufgegeben. Schließlich war esGaius Iulius Caesar, dem Karthago seine Wiederauferstehung verdankte. Nach seinem Sieg überPompeius im Jahr 46 v. Chr. entschloss sich Caesar, Karthago wieder aufbauen zu lassen. Verwirklicht wurde dieses Vorhaben erst unterAugustus, der 29 v. Chr. 3000 Siedler in Karthago ansiedelte. Die Stadt trug nun den NamenColonia Iulia Concordia Carthago. Dabei wurden insbesondere durch den Abtrag des Byrsa-Hügels große Teile der bis dahin noch vor Ort im Boden verbliebenen Bauwerkreste unwiederbringlich zerstört.
In Karthago residierte der römische Statthalter, dersenatorischeproconsul der ProvinzAfrica; dieser Posten war auch in derKaiserzeit einer der prestigeträchtigsten im ganzen Reich. Es erfolgte – insbesondere aufgrund des Handels mit Getreide und Töpferware – ein rascher Aufschwung. Im 2. Jahrhundert n. Chr. war Karthago mit über 300.000 Einwohnern nachRom,Alexandria undAntiochia am Orontes die viertgrößte Stadt desRömischen Reiches. 238 wurde hier derproconsul von Rebellen alsGordian I. zum Gegenkaiser ausgerufen – die Revolte wurde zwar niedergeschlagen, markierte aber für KaiserMaximinus Thrax den Anfang vom Ende.
Karthago war das Zentrum des frühenChristentums in Nordafrika. Bereits im 2. Jahrhundert bestand in Karthago eine große christliche Gemeinde; die Stadt war aufgrund ihrer Größe neben Rom der wichtigste Bischofssitz in der westlichen Reichshälfte. Die Akten derScilitanischen Märtyrer, die 180 in Karthago hingerichtet wurden, stellen das älteste christliche Dokument in lateinischer Sprache dar. Im Jahr 203 ließen die heiligenFelicitas undPerpetua in der Arena Karthagos ihr Leben. Wichtige Kirchenväter wieTertullian undCyprian wirkten in Karthago und prägten die christliche Literatur inlateinischer Sprache. Cyprian konnte in seiner Zeit als Bischof (248–258) die Christengemeinde von Karthago durch zahlreiche Synoden afrikanischer Bischöfe als führende Gemeinde der ProvinzAfrica etablieren, deren Autorität auch nach Spanien, Gallien und Italien ausstrahlte. Er rivalisierte sogar mit dem Bischof von Rom, konnte sich gegen diesen aber letztlich nicht durchsetzen. Zugleich nahmen dieChristenverfolgungen zu: Cyprian, der 250 noch vor Verfolgern geflüchtet war, starb 258 demonstrativ denMärtyrertod.
Im 4. Jahrhundert verlor Karthago zwar etwas an Bedeutung, blieb aber eine blühende Metropole, daAfrica weiterhin der wichtigste Getreidelieferant der Stadt Rom war. Gegen Ende des 4. Jahrhunderts studierte der KirchenvaterAugustinus von Hippo in Karthago. Der Kommandeur der dortigen römischen Truppen, dercomes Africae, hatte eine wichtige Machtposition inne, da er durch die Kontrolle der Kornzufuhr Italien unter Druck setzen konnte. Nacheinander erhoben sich in den Jahren um 400 diecomitesGildo,Heraclianus undBonifatius in Karthago gegen die weströmische Regierung. Es war diese strategische wie ökonomische Bedeutung der Stadt, die auch bei germanischen Heerführern Begehrlichkeiten weckte. Während die beiden westgotischen AnführerAlarich I. undAthaulf noch mit ihren Versuchen scheiterten, nachAfrica überzusetzen, hatteGeiserich schließlich Erfolg.
439 wurde Karthago vom Kriegerverband derVandalen eingenommen, der unter seinemrex Geiserich im Zuge der sogenanntenVölkerwanderung bereits 429 von Spanien nach Nordafrika übergesetzt war und schließlich ganzAfrica erobert hatte. Größere Zerstörungen im Zusammenhang mit der Eroberung durch die Vandalen sind in Karthago nicht nachweisbar; auch die Hohe Schule blieb bestehen. Geiserich nutzte das reiche Gebiet als Versorgungsbasis für seine Männer, bedrohte von hier aus viele GebieteWestroms und versuchte wiederholt, die kaiserliche Regierung in Italien zu erpressen. Ein großangelegter Versuch west- und oströmischer Truppen, das Gebiet zurückzuerobern, scheiterte 468. 474 erkannte KaiserZenon Geiserichs Herrschaft überAfrica an, auch wenn das Gebiet formal Teil desImperium Romanum blieb. Karthago war die Hauptstadt des Vandalenreiches, bis es 533/534 vonoströmischen Truppen unter dem FeldherrnBelisar erobert wurde.
In der Folgezeit war Karthago Sitz einesoströmischen Statthalters, eines eigenenPrätorianerpräfekten sowie einesHeermeisters und Sitz der Verwaltung für dasbyzantinische Nordafrika, das dann unter KaiserMaurikios um 590 alsExarchat reorganisiert wurde. Die nordafrikanische Kirche erreichte zudem bereits um 535 die Erneuerung ihrer alten Privilegien, und KaiserJustinian I. richtete 534 neun Professuren ein: fünf für Medizin und jeweils zwei für lateinische Rhetorik und Grammatik. Karthagos große Zeit war dennoch vorbei, allerdings lässt sich um 600 eine gewisse Nachblüte beobachten: Viele Gebäude im Zentrum wurden noch einmal erneuert und renoviert, während allerdings zugleich das besiedelte Stadtgebiet schrumpfte. KaiserHerakleios (610–641) war durch einen Putschseines Vaters, des Exarchen von Karthago, gegenPhokas an die Macht gekommen und zog kurzzeitig in Betracht, die Hauptstadt des Reiches aufgrund der BedrohungKonstantinopels durch die persischenSassaniden und dieAwaren nach Karthago zu verlegen.
Ab dem Jahr 647 stießen dieAraber im Zuge derislamischen Expansion auch nach Nordafrika vor. Der abtrünnige kaiserliche ExarchGregor, vom Nachschub aus dem Mutterland abgeschnitten, erlag nach kurzem Widerstand der Übermacht der Araber, die bald die ProvinzIfrīqiya mit der HauptstadtKairouan gründeten. Das stark befestigte Karthago fiel aber erst 698 nach der byzantinischen Niederlage in derSchlacht von Karthago endgültig an die Angreifer und wurde von den Arabern zerstört. Damit endete für Afrika dieSpätantike. Fortan übernahm die nahe gelegene StadtTunis die Rolle eines Verwaltungszentrums. Die Ruinen Karthagos dienten jahrhundertelang als Steinbruch für die Bauten in Tunis, Kairouan,Sousse und in anderen arabischen Städten.
Das Wissen über die Verfassung Karthagos beruht neben den Funden karthagischerInschriften vor allem auf den antiken AutorenAristoteles,Polybios,Diodor,Titus Livius undMarcus Iunianus Iustinus. Aristoteles untersucht in seinemstaatsphilosophischen WerkPolitik verschiedene bestehende Staatsformen, darunter auch die karthagische. Aristoteles vergleicht die Verfassung Karthagos mit der vonSparta und äußert sowohl Lob als auch Kritik an der karthagischen Staatsstruktur. Ein Problem bei der Rekonstruktion der karthagischen Staatsverfassung ist, dass in den lateinischen und griechischen Quellen die karthagischen Staatsämter oft ungenau bezeichnet werden.
Von Anfang an war das karthagische Reich eineOligarchie mitdemokratischen Elementen, ähnlich derRömischen Republik. An der Spitze des karthagischen Gemeinwesens standen zweiSufeten, von römischen und griechischen Autoren ungenau als „Könige“ bezeichnet, die jährlich neu gewählt wurden. Ihre Rolle entsprach etwa der der späteren Konsuln Roms. Die Sufeten leiteten denMagistrat, zu dem weitere Ämter gehörten, etwa das Amt des „Großen“ (punischrab, möglicherweise verantwortlich für die Staatsfinanzen) und ein eigenes Feldherrenamt. Das wichtigste politische Organ war derSenat, der über politische Fragen zu entscheiden hatte. Er wurde von einem Ausschuss von 30 Senatoren geleitet. Ein zusätzlich gewähltes Richtertribunal setzte sich aus 100 Senatoren zusammen und fungierte als oberster Gerichtshof. Daneben gab es eineVolksversammlung, in der alle Bürger stimmberechtigt waren.
Der Stadtstaat Karthago beherrschte ein großes Reich im westlichen Mittelmeerraum. Dabei gewährten die Bewohner Karthagos den eroberten Gebieten relativ viel Autonomie und beschränkten sich auf die Verwaltung, das Eintreiben von Steuern und die Rekrutierung von Streitkräften. Die karthagisch kontrollierten Gebiete wurden in Verwaltungsbezirke aufgeteilt, die von Beamten kontrolliert wurden. Alte phönizische Gründungen wieUtica sowie griechische Kolonien auf Sizilien durften ihre lokalen Verwaltungen beibehalten.
Das karthagischeHeer bestand ursprünglich aus den Bürgern der Stadt selbst. Mit der Ausdehnung des karthagischen Staates kamen dann immer größere Anteile der Truppen von den unterworfenen Völkern oder Verbündeten und schließlich auchSöldner hinzu. Hauptsächlich wurden Kämpfer von denNumidern,Iberern,Libyern,Elymern undSikelern rekrutiert, daneben auchSarden,Italiker undKelten sowieGriechen.
Die verschiedenen Völker wurden dabei von den Karthagern jeweils nach der für sie typischen Kampfweise eingesetzt. Gute Beispiele sind hier die Numider, die als leichteKavallerie dienten, und die Einwohner der Balearen, die hervorragende Schleuderer stellten. Die jeweiligen Kontingente wurden von karthagischen Offizieren befehligt, blieben aber manchmal auch unter dem Kommando ihrer eigenen Anführer.
Die Karthager selbst dienten zum größeren Teil bei derFlotte, es gab aber durchgehend bis zum Schluss auch Landtruppen, die sich aus Karthagern selbst zusammensetzten. Die Kerneinheit dieser Verbände war die sogenannte „Heilige Schar“, eineElitetruppe von 2500 Mann, die vermutlich auch als eine ArtOffizierschule diente, aus der sich dann die militärischen Führer der nicht-karthagischen Einheiten rekrutierten. Über diese Einheit hinaus gab es aber auch andere karthagische Landtruppen in nicht unbeträchtlicher Anzahl. Erst im Zweiten Punischen Krieg in der ArmeeHannibals überwogen dann die Einheiten der Verbündeten undSöldner.
Im karthagischen Heer existierte eine Art Heeresversammlung, ähnlich, aber doch verschieden von der Heeresversammlung derMakedonen. Beim Tode ihres Feldherrn wählte eine solche Heeresversammlung aus denOffizieren den Nachfolger. Die Wahl wurde aber nur rechtskräftig, wenn die Volksversammlung in Karthago sie bestätigte.
Die karthagischen Feldherrn und höheren Offiziere stammten aus den führenden Familien der Stadt und bildeten immer wieder regelrechte Militärdynastien, in denen die Söhne ebenfallsFeldherren wurden. Im Normalfall wurden Befehlshaber von der Volksversammlung gewählt. Die Haltung des karthagischen Staates zu seinen Feldherrn war ambivalent. Nach Niederlagen oder Versagen kam es vor, dass der Feldherrhingerichtet wurde. Auch gab es eine deutlich stärkere Kontrolle des Staates über das Militär als in anderen vergleichbaren Staaten der damaligen Zeit. Nach dem Ende eines Feldzuges hatten die hohen Offiziere dem Rat der Einhundertvier strenge Rechenschaft abzulegen. Während der Zeit des Feldzuges selbst aber war der Feldherr jedem normalen Recht entzogen und durfte frei agieren.
Die Unterführer und niedrigeren Offiziere konnte der jeweiligeOberkommandierende nach Gutdünken ernennen. Bei fremdländischen Einheiten, insbesondere bei denen Verbündeter, waren die gewöhnlichen Offiziere fast immer aus den Führungsschichten dieser Völker selbst.
Lange Zeit charakterisierte das Heer Karthagos eine gewisse Rückständigkeit. So wurden noch in den Kriegen aufSizilien lange ZeitStreitwagen verwendet, als diese überall sonst längst außer Gebrauch gekommen waren. Auch die Bewaffnung und Organisation scheint immer wieder rückständig. Auffallend ist hier die hohe Anzahl von Seuchen, von denen karthagische Heere lange Zeit getroffen wurden, was die Frage nach der Lagerorganisation und der Hygiene stellt. Erst in den Kämpfen gegenPyrrhos I. modernisierte sich das Landheer. Die berühmten karthagischenKriegselefanten wurden auch erst um diese Zeit eingeführt.
Der Kern der karthagischen Armee war durchgehend diePhalanx nach griechischem Vorbild. Die Phalanx wurde zur Zeit desErsten Punischen Krieges vongriechischen Militärberatern modernisiert, die als Söldner die Streitkräfte nach den Vorbildern derDiadochenreiche umorganisierten. Im Krieg gegen die Römer wurde die Phalanx jedoch immer mehr mit leichten Truppen ergänzt, bis sie imZweiten Punischen Krieg dann vielleicht sogar aufgegeben wurde.
Die karthagischeKavallerie wurde ebenfalls erst in der Folge des Ersten Punischen Krieges bedeutsam, vorher spielte sie in den Heeren Karthagos nur eine geringe Rolle. Von denBarkiden wurden immer größere Verbände numidischer und iberischer Kavallerie eingesetzt. Erst im Zweiten Punischen Krieg war dann die karthagische Kavallerie eine bedeutende militärische Größe.
Die Marine Karthagos bestand aus einer beträchtlichen Zahl von Kriegsgaleeren. Die Schiffe selbst waren durchgehend auf dem Stand ihrer Zeit und die Karthager entwickelten auch eigene neue Schiffstypen. Am Anfang war dieTrireme mit drei Ruderebenen und je einem Mann an einem Ruder das Standardkriegsschiff, dann entwickelten die Karthager dieQuadrireme als neuen Schiffstyp. Hierbei wurde die Zahl der Ruderebenen wieder auf zwei reduziert und an jedem Ruder zwei Mann eingesetzt. Ebenso wurde die von den Griechen entwickelteQuinquereme in Karthago sehr schnell übernommen und verbessert.
Ein typisches karthagisches Kriegsschiff war zwischen 35 m und 45 m lang und 5 m bis 6 m breit. Die Mannschaft einer karthagischen Quinquereme betrug um die 300 Mann. Die Karthager setzten im Kampf zur See stark auf das Rammen der feindlichen Schiffe und setzten daher wenigerSeesoldaten an Deck ein, was wegen der geringeren Last die Schiffe schneller machte, aber auch anfälliger für dasEntern.
Die Karthager verwendeten Trockendocks und zogen in dem bekannten kreisrundenKriegshafen in Karthago selbst die Schiffe in spezielle Schiffsschuppen. Von der Anzahl der dort vorhandenen Liegeplätze kann man auf eine Flotte von rund 350 Kriegsschiffen für die Hochzeit Karthagos schließen, die folglich eine Besatzung von ungefähr 100.000 Mann benötigt hätten. Mit der Ausdehnung des karthagischen Staates entlang der Küsten musste die Flotte im Laufe der Zeit immer größer werden, was immer mehr Bürger für die Bedienung der Schiffe dem Heer entzog.
Eine Besonderheit des karthagischen Schiffbaus war die Massenfertigung von Schiffen innerhalb kurzer Zeit, was durch die Verwendung von Fertigteilen und eine Standardisierung dieser Teile möglich war. Die Römer übernahmen dieses Konstruktionsmerkmal von den Karthagern und konnten so ebenfalls in kurzer Zeit große Flotten aufstellen.
DiePunier waren ausgezeichnete Seefahrer, weshalb der Seehandel für die Wirtschaft Karthagos eine zentrale Rolle spielte. Am Kreuzungspunkt der Handelsrouten zwischen dem östlichen und westlichen sowie dem nördlichen und südlichenMittelmeer gelegen, war Karthago zudem einer der Hauptumschlagplätze für ausländische Güter.
Das wichtigste kommerzielle Interesse der Karthager war der Erwerb von Metall. Silber importierten sie vor allem aus Südspanien, wo sich in der Nähe der StadtCarthago Nova (heuteCartagena) ertragreiche Bergwerke befanden, daneben auch ausSardinien undEtrurien. Gold kam wahrscheinlich durch direkten oder indirekten Handel ausWestafrika. Der Bedarf an weniger wertvollen Metallen wie Kupfer und Eisen konnte wohl durch heimische Vorkommen in Nordafrika gedeckt werden. Das zurBronzeherstellung notwendige Zinn importierte man über die Atlantikküste ausGalicien oder aus Südspanien. Unter dem SeefahrerHimilkon unternahmen die Karthager um 500 v. Chr. eine Expedition nachBritannien, um die dortigen Zinnvorkommen zu erschließen.
Nordafrika war in der Antike einlandwirtschaftlich sehr produktives Gebiet, und in der neueren Forschung wird betont, dass Agrarwirtschaft neben Handel bereits früh eine große Rolle spielte. Möglicherweise konkurrierten in der Oberschicht jene, die eher zu einer Händleraristokratie gehörten, mit den Großgrundbesitzern. In römischer Zeit galt die ProvinzAfrica dann bis in dieSpätantike neben Ägypten als eine „Kornkammer Roms“; das Gebiet war zu jener Zeit teils noch bewaldet und hielt daher dieBodenkrume. Die Punier hatten früh fortschrittliche landwirtschaftliche Techniken entwickelt. Der karthagische SchriftstellerMago verfasste im frühen 2. Jahrhundert v. Chr. eine Agrar-Enzyklopädie, die nicht erhalten ist, aber oft von römischen Autoren zitiert wurde. InByzacena, einem Gebiet, das in etwa dem heutigen tunesischenSahel entspricht, und imMedjerda-Tal erzielten die Punier hervorragende Ernten. NebenWeizen wurden intensivOlivenbäume,Weinreben,Feigenbäume undDattelpalmen angebaut.
Auch dieFischerei war ein lukrativer Wirtschaftszweig. Vor der Küste Karthagos wurdenThunfische gefangen. Vor allem aber betrieb man Fischfang vor der Atlantikküste Spaniens und des heutigenMarokkos, von wo aus der eingesalzene Fisch nach Karthago und in Form vonGarum in andere Orte des Mittelmeers exportiert wurde.
Die Produktherstellung in der Stadt Karthago bestand vor allem ausWebereien undFärbereien, daneben auch Betriebe zurKeramikproduktion. Abgesehen vonTextilien wurden die Produkte aber nicht exportiert, sondern waren vorrangig auf den heimischen Markt ausgerichtet. Ein weiterer wichtiger Wirtschaftszweig war derSchiffbau. Das dafür benötigte Holz konnte in den damals noch in der Umgebung Karthagos vorhandenenEichen- undKiefernwäldern gewonnen werden. Unter Verwendung desZuschlagstoffesKalk wurde in einem mehrstufigen Verfahren hochwertigesEisen erzeugt. Überhaupt war dieMetallurgie so weit fortgeschritten, dass erst weitere eingehende Studien Einblicke in die Kausalzusammenhänge der Macht des karthagischen Reiches ermöglichen werden. Aus Zinn und Kupfer wurdeBronze hergestellt und zu Gefäßen und anderen Gegenständen verarbeitet. Vor allem in Kriegszeiten florierte die Waffenproduktion.
Bronzemünze Karthago, Kopf der Tanit, spätes 4. Jahrhundert v. Chr. und Rückseite der Münze, Pferd vor Palme
Die ersten karthagischen Prägungen begannen erst nach der karthagischen Invasion auf Sizilien (um 410 v. Chr.), wo die Karthager das bereits hoch entwickelte griechischeMünzwesen zu schätzen lernten. Die ersten karthagischen Münzen wurden deshalb auf Sizilien hergestellt. Diese sizilisch-karthagischen Prägungen orientierten sich deshalb stark an griechischen Vorbildern. Ab Mitte des 4. Jh. v. Chr. dominieren bestimmte Motive, wie der Kopf der Tanit auf der Vorderseite Avers der Münzen und auf der Rückseite Revers etwa ein stehendes Pferd, gelegentlich mit einer Palme im Hintergrund. VonHamilkar Barkas und seinen Nachfahren wurden für die iberischen Besitzungen ab ca. 237/234 v. Chr. eigene Münzen geprägt.[8]
Anfangs wurden in Karthago, wie imphönizischen Mutterland üblich,Astarte undMelkart als Hauptgötter verehrt. Ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. entwickelten sichTanit undBaal-Hammon zu den Hauptgöttern Karthagos. Tanit wurde als Schutzpatronin der Stadt verehrt, ihr Gemahl Baal Hammon galt als Fruchtbarkeitsgott. Eine weitere bedeutende Gottheit imPantheon der Karthager warEschmun. Auch fremde Kulte wie der derägyptischen GöttinIsis wurden in Karthago praktiziert.
Es gilt als Möglichkeit, dass die KarthagerMenschenopfer praktizierten. Antike Autoren wieDiodor undPlutarch berichten, dass Kinder, vornehmlich Erstgeborene aus wohlhabenden Familien, einerMolochstatue in die Arme gelegt und durch einen Mechanismus in ein Feuer fallengelassen wurden. Die schriftliche Überlieferung wird durch Funde von Knochen kleiner Kinder auf demTofet von Karthago gestützt. Die Interpretation als Menschenopfer ist vor allem durch Gustave Flauberts RomanSalammbô von 1862 bekannt geworden, welcher jedoch nicht als wissenschaftlich belegt angesehen werden kann. Wahrscheinlicher ist, dass man tot geborene und sehr früh verstorbene Kinder verbrannte, was auch von modernen Forschungen untermauert wird.[9]
Die punische Kunst lehnte sich anfangs noch an ihre phönizischen Vorläufer an. Über diegriechischen Kolonien aufSizilien wurden die Karthager schon früh griechischem Einfluss ausgesetzt. Ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. war der Einfluss desHellenismus besonders stark.
Die zahlenmäßig am meisten vertretenen Beispiele punischer Kunst sind die Votivmonumente aus den Grabbezirken (Tofets). Ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. treten hohe, mitReliefs verzierte Kalksteinstelen auf. Das häufigste Motiv ist dasTanit-Zeichen und die Halbmondscheibe. Seltener kommen auch Darstellungen von Menschen oder Tieren vor.
Anhänger in Form eines bärtigen Kopfes, 4./3. Jahrhundert v. Chr.
Überliefert ist die Sprache der Punier mehrheitlich nur durch Inschriften, von denen fast alle einen religiösen Inhalt haben. Meistens handelt es sich um Widmungen auf Gedenk- oder Grabsteinen auf den Kultstätten oder Nekropolen. Die Inschriften sind meist kurz und formelhaft. Zu den wenigen Texten mit nicht sakralem Charakter gehört eine Inschrift aus Karthago, die die Einweihung einer Straße oder eines Tores (die Übersetzung des punischen Begriffs ist nicht gesichert) behandelt. Kürzere Inschriften finden sich auf Keramikfragmenten oder Schmuckstücken.
Die Literatur der Punier, deren Existenz von antiken Autoren bestätigt wird, ist nicht erhalten. DieBibliothek von Karthago wurde während der Zerstörung der Stadt 146 v. Chr. vernichtet. DerPeriplus vonHanno, der Bericht über eine Seereise entlang derafrikanischen Westküste, ist in einergriechischen Übersetzung überliefert. Der SchriftstellerMago verfasste im 2. Jahrhundert v. Chr. ein bedeutendes Werk über dieLandwirtschaft, das nicht erhalten ist, aber von römischen Autoren zitiert wird. Einzig inPlautus’ KomödiePoenulus kommen kurze punischsprachige Passagen vor.
Karte während der Belagerung im 2. Jahrhundert (Darstellung um 1890)Blick von SO in Richtung auf die Oberstadt der Byrsa; die Ansicht zeigt den maximalen Ausbau der Stadt um 323 v. Chr. nach der Fertigstellung desKothons, eines befestigten Hafens
Erste Expeditionen, bei denen noch heute geltende wichtige Grundlagen zum Verständnis des antiken Karthagos geschaffen werden konnten, wurden bereits 1817, 1822 und 1824 durch den niederländischen IngenieurJean Emile Humbert durchgeführt. Von 1856 bis 1859 führteNathan Davis erstmals über einen längeren Zeitraum Ausgrabungen in Karthago durch. Davis, beauftragt durch das britische Außenministerium, sollte die gewonnenen Fundstücke demBritish Museum in London überstellen. Der französische ArchäologeCharles Beulé war ebenfalls 1859 in Karthago tätig. Wohingegen Davis hauptsächlich an einzelnen Artefakten interessiert war, lag es Beulé daran, die Architektur der antiken Stadt freizulegen. Trotz dieser unterschiedlichen Ansätze zählen beide aufgrund der vielbeachteten Ergebnisse ihrer Ausgrabungen zu den wichtigsten Pionieren in der archäologischen Aufarbeitung Karthagos.[10]
Im Jahr 1972 initiierte dieUNESCO eine internationale Kampagne mit dem Titel „Pour sauver Carthage“. Ziel war es, die noch nicht überbaute Siedlungsfläche des antiken Karthago vor der zunehmenden Ausbreitung der Hauptstadt Tunis zu retten. Hierfür beauftragte die UNESCO Forschergruppen aus verschiedenen Ländern. So beteiligten sich zwischen 1972 und 1979 unter der Leitung des Institut National d’Archeologie et d’Art of Tunis (heutigesl’Institut national du patrimoine) Archäologen aus Bulgarien, Kanada, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Italien, Polen, Schweden, Tunesien, den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten an diesem Projekt.[11] Die Ausgrabungsstätte wurde 1979 zumUNESCO-Weltkulturerbe erklärt.[12]
Verantwortlich für die deutschen Ausgrabungen war dieRömische Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts. Leiter der deutschen Forschergruppe warFriedrich Rakob. Das Grabungsgebiet belief sich auf circa 8000 m² und befand sich im Ortsteil Carthage-Hanibal.[13] Gegenstand der deutschen Ausgrabungen war unter anderem eine punische Küstenbebauung mit Stadtmauer. Interessanterweise konnte ein Bauboom in der punischen Stadt in den Dekaden vor ihrer Zerstörung festgestellt werden.[14]
Der erste Band der insgesamt vierteiligen Grabungspublikation ist der österreichischen Archäologin Ellen Küster gewidmet, die im März 1978 in Karthago tödlich verunglückte.[15]
Heute noch (Stand Mai 2022) werden Ausgrabungen durch die Römische Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts in und um Karthago unternommen.[16] So beispielsweise auch die von der UNESCO initiierte Mission, an der das Institut seit 1974 mit Unterbrechungen teilnimmt und bis 2023 angesetzt ist.[17]
Geleitet wurde die britische Grabungsmission durchHenry Hurst von derUniversity of Cambridge und demMuseum of Classical Archeology. Die britische Delegation führte mit Unterbrechungen im Zeitraum von 1974 bis 1983 Grabungen vor allem im Bereich des Militärhafens[18][19] (s. unten), aber auch in einem kleinen Gebiet entlang der Avenue Habib Bourguiba[20][21] durch. Gefördert wurde die Unternehmung durch die damalige Overseas Development Administration (heutigesForeign, Commonwealth and Development Office).[22]
Ausgeführt wurde die amerikanische Grabungsmission hauptsächlich durch Mitglieder derUniversity of Michigan. Leiter dieser Delegation war der ArchäologeJohn Humphrey. Gefördert wurde das Projekt hauptsächlich durch Fördermittel derSmithsonian Institution.[23] Ein Zuständigkeitsbereich der amerikanischen Grabungen war der rechteckige Handelshafen (s. unten) Karthagos.
Die Kenntnisse vom Karthago der punischen Epoche sind recht beschränkt, da durch die Zerstörung der Stadt imDritten Punischen Krieg nur wenige Überreste aus dieser Zeit erhalten geblieben sind. Man geht davon aus, dass die Stadt, den Vorort Megara eingeschlossen, eine Siedlungsfläche von 200 bis 300 Hektar hatte. Kurz vor der Zerstörung der Stadt im 2. Jh. v. Chr. betrug die Zahl der in der Stadt lebenden Menschen circa 200.000.[24] Das Straßennetz von Karthago war rechtwinklig angelegt. Die Stadt war sowohl zum Land als zur See hin von Befestigungsanlagen geschützt. Die 13 m hohe und 40 km lange Mauer umschloss ein größeres Areal, zu dem auch die landwirtschaftliche Nutzfläche von Megara gehörte.
Das Zentrum des punischen Karthago war derByrsa-Hügel, dieAkropolis von Karthago. Man geht davon aus, dass sich hier eineZitadelle und ein großerTempel desEschmun befand. Da der Hügel aber durch die römische Bautätigkeit eingeebnet wurde, lassen sich diese nicht nachweisen. An der Südostflanke des Hügels wurde ein punisches Wohnviertel ausgegraben. Die aus Lehmziegeln auf Steinfundamenten errichteten Häuser waren mehrstöckig (der HistorikerAppian berichtet von sechsstöckigen Häusern[25]) und waren um einen Innenhof angelegt. Sie verfügten überMosaikfußböden, Badebecken und unterirdische Zisternen zum Auffangen von Regenwasser. Ein weiteres erhaltenes punisches Wohnviertel ist das aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. stammende sogenannte Magonidenviertel (Quartier Magon) nahe dem Ufer.
Ruinen karthagischer Wohnhäuser auf der westlichen Byrsa
An der Küste befand sich die Hafenanlage.[26] Der Handelshafen war ein 456 m × 356 m großes rechteckiges Becken (Kothon), das durch einen Kanal mit dem offenen Meer verbunden war. Ein zweiter Kanal verband den Handelshafen mit dem Kriegshafen, einem runden Becken mit einem Durchmesser von 325 m. Er bot Platz für 220 Kriegsschiffe. In der Mitte des Kriegshafens befand sich eine künstliche Insel mit dem Gebäude der Admiralität. Die Hafenbecken sind bis heute erhalten.
Antike Autoren wieAppian erwähnen einen unweit des Hafens gelegenen zentralen Platz (Agora) und öffentliche Gebäude, die jedoch nicht archäologisch nachgewiesen sind.
Der heiligste Ort des punischen Karthago war der Tophet, eine Begräbnis- und Kultstätte und die Stelle, wo der Sage nach Elissa gelandet sein soll. Bei Ausgrabungen legte man zwölf Gräberschichten frei, die aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. bis in die frühchristliche Zeit reichen, und fand über 1500 beschriftete und mit religiösen Symbolen verzierteStelen. Auf dem Tophet wurde zunächst Baal-Hammon, später die StadtgöttinTanit verehrt.
Die Topographie des rund ein Jahrhundert nach der Zerstörung der punischen Metropole wieder aufgebauten römischen Karthagos ähnelt der aus der punischen Zeit.Forum undKapitol lagen auf demByrsa-Hügel. Die Stadt wurde um Villenviertel und einen neuen Hafen erweitert.
Eines der prächtigsten römischen Bauwerke in Karthago waren die im Jahr 162 fertiggestelltenAntoninus-Pius-Thermen. Das Badehaus lag direkt am Meer und war mit einer Ausdehnung von ca. 200 m die größte Thermenanlage außerhalb Roms. Das Gebäude überstand diearabische Eroberung und wurde erst im 11. Jahrhundert beim Einfall des Nomadenstammes derBanū Hilāl zerstört. Heute gehören die Ruinen zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten Karthagos.
Plan des modernen Karthago mit dem antiken Grundriss
Mosaik in einem römischen Ausgrabungsgelände in Karthago (Roman Villas)
Die meisten Schriftquellen, die zum antiken Karthago erhalten sind, stammen von Griechen und Römern. Diese rückten den Namen „Punier“ vielfach in ein schlechtes Licht, beispielsweise indem sie die Bezeichnung „punische Treue“ als Symbol für Verlogenheit und Wortbruch prägten, weshalb manche Forscher die Verwendung dieses feindlich geprägten Begriffs ablehnen.[27]
Auf dem Byrsa-Hügel thront dieKathedrale des Heiligen Ludwig. Die Kathedrale wurde 1890 von denfranzösischenKolonialherren an der Stelle errichtet, die als Ort des Grabes vonLudwig IX. angenommen wurde. Dieser starb 1270 in Karthago im Laufe dessiebten Kreuzzuges. Bis 1965 war die größte Kirche Nordafrikas Sitz desErzbischofs von Karthago, heute dient sie als Kulturzentrum. In dem ehemaligenKloster neben der Kathedrale befindet sich heute das archäologische Nationalmuseum.
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Metropolen der Antike: Karthago. Dokumentation. ZDFinfo, abgerufen am 13. Dezember 2024 (SynchronfassungZDF 2024. Ein Film von Fabrice Buysschaert. Unter Mitwirkung von Nejib ben Lazreg,Michael Sommer, Samir Aounallah, Mounir Fantar und Hamden Ben Romdhane; 44 Minuten).
↑Siehe beispielsweise Werner Huß:Die Karthager. 4., durchgesehene Auflage. 2008,ISBN 978-3-406-39825-4, Kap. I Ursprünge und Anfänge, S. 11. Huß verwendet konsequent den BegriffPhoiniker stattPhönizier undKarthager stattPunier.
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↑Werner Huß:Geschichte der Karthager (=Handbuch der Altertumswissenschaft. Abteilung 3, Teil 8). C. H. Beck, München 1985,ISBN 3-406-30654-3, S. 41–42.
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↑Eva u. Wolfgang Szaivert, David R. Sear:Griechischer Münzkatalog. Band 2:Asien und Afrika. München 1983, S. 324 bis 336.
↑Angelika Franz: Opfer des römischen Rufmords. Abgerufen am 24. Februar 2012.; Jeffrey H. Schwartz, Frank Houghton, Roberto Macchiarelli, Luca Bondioli:Skeletal Remains from Punic Carthage Do Not Support Systematic Sacrifice of Infants. In:PLOS ONE. 5, Nr. 2, 2010,doi:10.1371/journal.pone.0009177, S. e9177.
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↑M.G. Fulford / D.P.S. Peacock (Hrsg.):Excavations at Carthage: The British Mission Volume 2, 2 – The Circular Harbour, North Side: the Pottery. Oxford University Press, Oxford 1994,ISBN 0-19-727004-2.
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↑H.R. Hurst / S.P. Roskams (Hrsg.):Excavations at Carthage: The British Mission Volume 1, 1 – The Avenue du President Habib Bourguiba, Salammbo: The Site and Finds Other than Pottery. Oxford University Press, Oxford 1984,ISBN 0-906090-16-4,S.xiii.
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↑Werner Huß: „Die Karthager“, Kap. 5: „Der Volkscharakter und das Volkstum“, Seite 24, 3. überarb. Auflage, 2004, C. H. Beck,ISBN 3-406-37912-5.