
Karl August Ferdinand Lingner (*21. Dezember1861 inMagdeburg; †5. Juni1916 inBerlin) war ein deutscherUnternehmer undPhilanthrop. Er wurde vor allem bekannt durch die Produktion des MundwassersOdol.
Lingner wurde als dritter Sohn eines Kaufmanns in Magdeburg geboren. Hier besuchte er die städtische Höhere Gewerbeschule. Im Alter von 15 Jahren ging Lingner in das märkischeGardelegen und arbeitete als Handlungsgehilfe in einem Warenladen. 1883 zog es Lingner nachParis. Sein Vorhaben, Musik amPariser Konservatorium zu studieren, scheiterte ebenso wie seine Tätigkeit als Handelsvertreter für deutsche Firmen. Mittellos kehrte er 1885 nach Deutschland zurück. InDresden fand er eine Anstellung alsKorrespondent in der NähmaschinenfabrikSeidel & Naumann.
Mit dem Techniker Georg Wilhelm Kraft (1855–1916)[1] gründete Lingner 1888 die Firma Lingner & Kraft. Die Produktion in einer Gartenlaube auf derWölfnitzstraße umfasste unter anderem Rückenkratzer, Stahllineale und Federreiniger. Im Jahr 1892 verließ Kraft das Unternehmen. Lingners Freund, der ChemikerRichard Seifert (1861–1919), bot nach mehrjähriger Forschungsarbeit 1891/92 Lingner die Rezeptur einesAntiseptikums zur Vermarktung an und eröffnete ihm damit den Zugang zu den maßgebenden Arbeiten der modernenBakteriologie. Da die Mundhöhle als die Haupteintrittspforte krankheitserregenderBakterien galt, entschloss sich Lingner zur Herstellung eines antiseptischenMundwassers. Mit der Herstellung des „Odol“ (vongriech.ὀδούς (odous) ‚Zahn‘ undlat.oleum ‚Öl‘) kam Lingner dem Bedürfnis breiter Bevölkerungsschichten nach Schutz vor den unsichtbaren Bakterien nach, sein Produkt fand daher reißenden Absatz.
Am 3. Oktober 1892 gründete Lingner das Dresdner Chemische Laboratorium Lingner. Ab 1912 firmierte das Unternehmen als „Lingner-Werke“. Die Produktion wuchs ständig, letztendlich wurde das Stammhaus der Lingner-Werke auf der Nossener Straße 2/4 etabliert und ein weltweites Fabrikations- und Betriebssystem aufgebaut. Lingner entwickelte gemeinsam mit Richard Seifert „Odol“ zu einer unverwechselbaren Marke und fand als Mitbegründer derMarkenartikelindustrie und modernen Werbung Eingang in die allgemeine Industriegeschichte.
Innerhalb weniger Jahre erwirtschaftete Lingner aus dem Nichts ein zweistelliges Millionenvermögen, das ihm einen fürstlichen Lebensstil ermöglichte. Fortan begleiteten Neid und Missgunst den Erfolgreichen, der unter anderem dieVilla Stockhausen in Dresden und dasSchloss Tarasp in der Schweiz zu seinem Immobilienbesitz zählte. Schloss Tarasp kaufte er 1900 als baufällige Burg für 20 000 Franken und ließ es aufwendig restaurieren. Er starb vor seinem Einzug und konnte seine großzügig konzipierte Salonorgel der OrgelbauwerkstattJehmlich nicht mehr erleben.[2]
Er war Mitglied im elitärenKaiserlichen Motorjachtklub und sorgte für Aufsehen mit seiner Motorjacht auf derKieler Woche. Standesgemäß fuhr Lingner als Vorsitzender desSächsischen Automobilklubs einenMercedes. Rauschende Feste, sein Orgelspiel, zwei uneheliche Kinder und augenscheinliche Männerfreundschaften bewirkten Aufsehen, Bewunderung und Ablehnung. Im wilhelminischen Ehrsystem stieg er bis zum Rang einerExcellenz auf, einem Ministerrang ehrenhalber vergleichbar, während ihm der erhoffte Adelstitel versagt blieb.
Durch die Beschäftigung mit demDesinfektionswesen seiner Zeit kam Lingner zum Studium der sozialhygienischen Literatur. Er erkannte die bestehende Unkenntnis der Bevölkerung bezüglich der Entstehung und Verbreitung von Erkrankungen und setzte in der Folge einen großen Teil seines Millionenvermögens für diehygienische Volksbelehrung und zur Unterstützung gemeinnütziger Einrichtungen ein. Hier seien insbesondere seine Mitgliedschaft im 1899 gegründetenDeutschen Verein für Volkshygiene, der von Lingner als der „kraftvollste Bahnbrecher der Sozialhygiene“ bezeichnet wurde, die AusstellungVolkskrankheiten und ihre Bekämpfung 1903 und die ersteInternationale Hygiene-Ausstellung Dresden 1911 hervorgehoben. Letztere erreichte mit über 5 Millionen Besuchern die Dimension und Anerkennung einerWeltausstellung für Gesundheit. Die von Lingner entwickelteAusstellungsmethodik macht ihn zum Vorreiter der modernen hygienischen Volksbelehrung.[3]
Lingner verstand es, kompetente Mitarbeiter für seine gemeinnützigen Pläne zu begeistern bzw. moderne Projekte zu unterstützen. Genannt seien dieKinderpoliklinik mit Säuglingsheim in derJohannstadt 1897, die erste Säuglingsklinik der Welt 1898, dieZentralstelle für Zahnhygiene 1900, dieÖffentliche Zentralstelle fürDesinfektion 1901, dieDesinfektorenschule 1902, dieDresdner Lesehalle 1902 und dasDeutsche Hygiene-Museum 1912.
Aus der Beziehung mit der SchauspielerinJulia Serda hatte Lingner eine uneheliche Tochter, die spätere Schauspielerin und FotografinCharlotte Serda (1910–1981).
Im Jahr 1910/11 begründete Lingner mit demSächsischen Serumwerk Dresden ein weiteres erfolgreiches Unternehmen in Dresden, er selbst belieferte die kämpfenden Truppen imErsten Weltkrieg mitHeilsera.
Mit der Gründung desPolitisch-wissenschaftlichen Archivs 1915 inBerlin versuchte Lingner, die durch den Weltkrieg geschwächte internationale Position Deutschlands zu stärken. Die Visionen zur Gründung einer europäischen Staatengemeinschaft konnte Lingner, der vonGustav Stresemann als zukünftiger deutscherBotschafter gesehen wurde, nicht mehr verfolgen. Er starb am 5. Juni 1916 in Berlin nach einerZungenkrebsoperation.
Die testamentarisch begründete Lingner-Stiftung sicherte den Fortbestand seiner gemeinnützigen Einrichtungen. Seinen letzten Wohnsitz, die vonAdolf Lohse erbaute Villa Stockhausen, genannt Lingnerschloss,vermachte er der Stadt Dresden „zum Besten der Bevölkerung von Dresden und Umgebung“.
| Personendaten | |
|---|---|
| NAME | Lingner, Karl August |
| ALTERNATIVNAMEN | Lingner, Karl August Ferdinand |
| KURZBESCHREIBUNG | deutscher Unternehmer und Philanthrop |
| GEBURTSDATUM | 21. Dezember 1861 |
| GEBURTSORT | Magdeburg |
| STERBEDATUM | 5. Juni 1916 |
| STERBEORT | Berlin |