
Alskünstlerische Fotografie,Fotokunst oderKunstfotografie werden Anwendungenfotografischer Mittel bezeichnet, durch die ein inhaltliches oder formales Anliegen ausgedrückt werden soll. Ihr formaler Gegensatz ist die angewandte Fotografie, die Abgrenzung ist jedoch unscharf.
In der künstlerischen Fotografie wird das Medium Fotografie als künstlerisches Ausdrucksmittel, darunter auch zum Erzielen aufklärerischer, sozialkritischer oder anderer ideologischer bzw. politischer Wirkungen verwendet. Im Allgemeinen kann bei der künstlerischenFotografie das Foto auch alsWerk bezeichnet werden und ist als bildendeKunst zu verstehen. Nach dieser Definition geben Fotografien nicht die Wirklichkeit wieder, sondern sind die Interpretation eines Moments. Solche künstlerischen Fotografien sind zumeist Teile aus sogenannten Serien. Die Betrachtung der gesamten Serie, anstatt eines einzelnen Werkes, kann das Erfassen der beabsichtigten Aussage erleichtern. In der Kunstfotografie kann es auch zu Korrekturen am Bild im Labor oder am Computer kommen, dabei sind der Kreativität des Künstlers keine Grenzen gesetzt.
Ein wesentliches Thema zeitgenössischer Fotografie ist die Selbstreflexion des Mediums, seiner Geschichte und seiner Wahrnehmung. Der anfängliche Glaube an die Objektivität der Fotografie wurde bereits frühzeitig in Frage gestellt und war lange umstritten. Da unsere Sehgewohnheiten oft formale Gesichtspunkte zur Klassifikation als z. B. typisch für ein Modebild, ein Nachrichtenbild, ein Porträt oder ein Werbebild, heranziehen, fällt der künstlerischen Fotografie eine Erweiterung der Möglichkeiten zu: Das Spiel mit Grenzüberschreitungen oder der Bruch mit Sehgewohnheiten wird so zu einem wesentlichen Stilmittel zeitgenössischer Fotografie.[1]
Die Kunstfotografie des 19. Jahrhunderts bemühte sich noch, fotografisch die Malerei zu imitieren. Ihre Anfänge liegen stilistisch in der Kunst des spätenBiedermeier, dessen Ziel eine realistische Abbildung der Wirklichkeit war. Im Lauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verwendeten die nachfolgendenPiktorialisten auch Unschärfen und Lichteffekte umromantische,impressionistische undsymbolistische Sujets nachzuahmen und den Charakter der Fotografie hin zum Gemälde zu verfremden.
Ziel des Piktorialismus war es, nicht lediglich ein bloßes, einen Augenblick in der Realität festhaltendes Abbild des Motivs herzustellen, sondern eine symbolische Darstellung von Gemütszuständen oder grundlegenden Werten zu erzielen.[2] Seine Blütezeit fand der Piktorialismus zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts bis zumErsten Weltkrieg, in Teilen Asiens, stark durch chinesische Fotografen beeinflusst, war er noch bis 1970 einflussreich.[3][4]
Umgekehrt wirkte die Fotografie befruchtend auf die Malerei desImpressionismus zurück.[5] Zufällig wirkende Kompositionen mit angeschnittenen Menschen, Wagen und Tieren hielten ihren Einzug.Robert Demachy hatte die Ballettszenen vonEdgar Degas nachempfunden. Edgar Degas seinerseits setzte dieSchnappschuss-Wirkung, die absichtsvolle Zufälligkeit von Bildausschnitt und Komposition, als Stilmittel in seinen Gemälden ein.Gustave Caillebotte, der 1876 zum ersten Mal seine Gemälde bei einer Impressionisten-Ausstellung zeigte, warfen seine Kritiker vor, die Wirklichkeit „fotografisch“, also zu realistisch, wiederzugeben. Er nahm Techniken und Themen vorweg, die sich erst in den 1920er-Jahren als „Neues Sehen“ in der Fotografie etablierten.[6] Fotografen wieAndré Kertész,Wols undLászló Moholy-Nagy weisen eine besondere Nähe zu Caillebottes Werk auf. Ihre Bilder greifen zum Teil dieselben Motive auf oder zeigen einen Ausschnitt aus der gleichen Perspektive. So gibt es zum Beispiel Aufnahmen von Straßen und Plätzen in einer steilen Draufsicht, wie sie schon auf den Gemälden Caillebottes zu finden sind.[6]
August Sanders berühmtes Projekt „Menschen des 20. Jahrhunderts“ ist in seiner enzyklopädischen Anlage gleichzeitig ein Vorläufer der konzeptuellen Fotografie.[1]
Die künstlerische Fotografie gliederte sich in zahlreiche Stilrichtungen und Genres auf, Susan Sontag spricht von Bewegungen, so wieAlfred Stieglitz und diePhoto-Secession,Edward Weston undF/64,Albert Renger-Patzsch und dieNeue Sachlichkeit,Walker Evans und das Farm Security Administration-Projekt oderHenri Cartier-Bresson undMagnum Photos.[7]
Das Sammeln von Kunstfotografie setzte ein, nachdem das Medium als Werkzeug der Avantgardisten eine wichtigere Stellung eingenommen hatte. Fotografie, die heute überall auf der Welt als künstlerisches Medium anerkannt ist, wurde ein Feld für den Kunstmarkt und zur Anlage von Sammlungen.[8]
Der Kunstcharakter der Fotografie war lange Zeit umstritten:Charles Baudelaire führte dies bereits in seinem WerkDie Fotografie und das moderne Publikum im Jahre 1859 aus. Baudelaire beschäftigte sich mit dem Einfluss der Fotografie auf die Kunst und ebenso mit den tiefgreifenden Veränderungen der Kunstwahrnehmung: Ästhetische Erziehung und Geschmacksbildung wurde nun neben den klassischen Künsten auch durch die Fotografie bestimmt. Baudelaire sah hier die Geschlossenheit der Künste durch ein neues Medium erweitert. Baudelaire erkannte auch die Konkurrenz innerhalb der Kunst: Der Porträtmaler stand nun dem Porträtfotografen gegenüber. Baudelaire kritisierte die Bestrebungen, die Natur zu kopieren, ohne ihr Wesen zu kennen, als eine gegenüber der wahren Kunst feindlich eingestellte Lehre. Diese Kritik manifestiert sich bis heute: Die realistische oder auch idealisierte Abbildung wird oft kritisiert. Künstlerische Fotografie bedeutet bis heute Wahrnehmung, Dialog und Schöpfung. Zugespitzt formuliert der KunsttheoretikerKarl Pawek in seinem BuchDas optische Zeitalter (1963): „Der Künstler erschafft die Wirklichkeit, der Fotograf sieht sie.“[9]
Diese Auffassung, u. a. vonWalter Benjamin vertreten, betrachtet die Fotografie nur als ein technisches, standardisiertes, mechanisch reproduzierendes Verfahren, mit dem eine Wirklichkeit auf eine objektive, quasi „natürliche“ Weise abgebildet wird, ohne dass dabei gestalterische und damit künstlerische Aspekte zum Tragen kommen: „die Erfindung eines Apparates zum Zwecke der Produktion … (perspektivischer) Bilder hat ironischerweise die Überzeugung … verstärkt, dass es sich hierbei um die natürliche Repräsentationsform handele. Offenbar ist etwas natürlich, wenn wir eine Maschine bauen können, die es für uns erledigt.“[10] Fotografien dienten gleichwohl aber schon bald alsUnterrichtsmittel bzw. Vorlage in der Ausbildung bildender Künstler (Études d’après nature).
Schon in Texten des 19. Jahrhunderts wurde aber auch bereits auf den Kunstcharakter der Fotografie hingewiesen, der mit einem ähnlichen Einsatz der Technik wie bei anderen anerkannten zeitgenössischen grafischen Verfahren (Aquatinta,Radierung,Lithografie, …) begründet wird. Damit wird auch die Fotografie zu einem künstlerischen Verfahren, mit dem ein Fotograf eigene Bildwirklichkeiten erschafft.[11]William Henry Fox Talbot war bereits vor 160 Jahren der Ansicht, die Fotografie sei „eindeutig ein Werkzeug (…), das in die Hände des findigen Geistes und der Kunst“ gehöre.[1]
Auch zahlreiche Maler des 19. Jahrhunderts, wie etwaEugène Delacroix, erkannten dies und nutzten Fotografien als Mittel zur Bildfindung und Gestaltung, als künstlerisches Entwurfsinstrument für malerische Werke – allerdings weiterhin, ohne ihr einen eigenständigen künstlerischen Wert zuzusprechen. Allerdings gab es auch zuvor schon dieCamera obscura, die wohl schonFilippo Brunelleschi (1377–1446) bei seiner Anwendung derZentralperspektive als Hilfsmittel einsetzte. Die Methode von Malern, die Fotografie als Skizzenelement einzusetzen, wurde auch im 20. und 21. Jahrhundert angewandt. So nutzteDavid Hockney fotografische Vorlagen (alsPolaroid oder auf Film) für Porträts und Landschaftsmalereien, setzte sie aber auch für Fotocollagen im Sinne derPanografie ein.
Auch Fotografen kritisierten teilweise den Mangel an künstlerischem Anspruch. Der FotografHenri Cartier-Bresson, selbst alsMaler ausgebildet, wollte die Fotografie ebenfalls nicht als Kunstform, sondern alsHandwerk betrachtet wissen: „Die Fotografie ist ein Handwerk. Viele wollen daraus eine Kunst machen, aber wir sind einfach Handwerker, die ihre Arbeit gut machen müssen.“ Gleichzeitig nahm er aber für sich auch das Bildfindungskonzept des „entscheidenden Augenblickes“ in Anspruch, das ursprünglich vonGotthold Ephraim Lessing dramenpoetologisch ausgearbeitet wurde. Damit bezieht er sich unmittelbar auf ein künstlerisches Verfahren zur Produktion von Kunstwerken. Cartier-Bressons Argumentation diente also einerseits der poetologischen Nobilitierung, andererseits der handwerklichen Immunisierung gegenüber einer Kritik, die die künstlerische Qualität seiner Werke anzweifeln könnte. So wurden gerade Cartier-Bressons Fotografien sehr früh in Museen und Kunstausstellungen gezeigt, etwa in derMoMA-Retrospektive (1947) und derLouvre-Ausstellung (1955). Cartier-Bresson kritisierte sogar Kollegen: „Die Welt ist dabei, in Stücke zu fallen und Leute wieAdams undWeston fotografieren Felsen!“
Fotografie wurde bereits früh als Kunst betrieben (Julia Margaret Cameron,Lewis Carroll undOscar Gustave Rejlander in den 1860er Jahren). Der entscheidende Schritt zur Anerkennung der Fotografie als Kunstform ist den Bemühungen vonAlfred Stieglitz (1864–1946) zu verdanken, der mit seinem MagazinCamera Work den Durchbruch vorbereitete. Auch der Objektkünstler und FotografMan Ray versuchte mit fotografischen Methoden Kunst zu schaffen, allerdings auch mit Methoden derAbstraktion, derBildsprache oder derSymbolik, mit denen er sich von einer realistischen Abbildung abzuheben trachtete.
Erstmals trat die Fotografie in Deutschland in derWerkbund-Ausstellung 1929 in Stuttgart in beachtenswertem Umfang mit internationalen Künstlern wieEdward Weston,Imogen Cunningham und Man Ray an die Öffentlichkeit. Spätestens seit denMoMA-Ausstellungen vonEdward Steichen (The Family of Man, 1955) undJohn Szarkowski (1960er) ist Fotografie als Kunst von einem breiten Publikum anerkannt, wobei gleichzeitig der Trend zur Gebrauchskunst begann. Ein wichtiger Meilenstein war 1947 die Gründung der BildagenturMagnum Photos, einer unabhängigenFotoagentur undFotografenagentur. Die zahlreichen bekannten Fotografen von Magnum brachten Bilder von hoher Qualität und Aussage in die Massenmedien, und veränderten damit auch die Wahrnehmung der Fotografie durch die Öffentlichkeit. Oft wurde das Zeitgeschehen mit künstlerischen Aussagen der Magnum-Fotografen kommentiert – es entstandenikonografische Bilder.
Ein anderer Aspekt ist die Nutzung der Fotografie in Mode oder Architektur. Diese „Kunstwerke“ wurden spätestens ab den 1920er Jahren zu Objekten einer künstlerischen Fotografie. Modefotografie und Architekturfotografie schufen nun auch ikonografische Bilder.
Die akademische Unsicherheit im Umgang mit der Fotografie verhinderte lange ihren Einzug in die großen Museen. Selbst in den USA, wo die Fotografie ein wesentlicher Faktor der Emanzipation von der europäischen Kunsttradition war, wurden erst in den 1950er Jahren vermehrt fotografische Abteilungen gegründet.[1] Das Museum of Modern Art in New York verfügt seit seiner Eröffnung im Jahr 1929 über eine eigene Abteilung für Fotografie. Die meisten europäischen Museen begannen erst in den 1960er und 1970er Jahren mit dem Aufbau fotografischer Sammlungen.[1]
Als ein mögliches Kriterium für Fotografien als Kunstform siehtSusan Sontag im Kriterium des Neuen. Neu bedeutet hier das Aufzeigen neuer formaler Möglichkeiten oder Abweichungen der tradierten visuellen Sprache[12], heute würde man also vonBildsprache oderfotografischem Sehen sprechen. Wie für jede Kunstform giltdas Neue als ein essentieller Anspruch an die künstlerische Fotografie. Den vonWalter Benjamin aufgezeigten Makel der Fotografie, dem eines mechanisch reproduzierten Objektes, dem die Handwerklichkeit der Malerei und ihre Fähigkeit, ein Original zu schaffen, abgeht, setzt Sontag entgegen, dass Fotografien durchaus eine gewisseAuthentizität aufweisen können.[12] Fotografien, die eine eigene Bildsprache hervorbringen können, und in einen Dialog mit dem Betrachter eintreten, können sehr wohl Kunst sein. Nicht zuletzt gilt auch die Rezeption in Museen und Ausstellungen seit Mitte des 20. Jahrhunderts als ein möglicher Indikator für die zunehmende Herausbildung eines ästhetischen Urteils über Fotografien als Kunst.[12]
1977 stellte diedocumenta 6 inKassel erstmals als international bedeutende Ausstellung in der berühmten Sektion Fotografie die Arbeiten historischer und zeitgenössischer Fotografen aus der gesamten Geschichte der Fotografie in den vergleichenden Kontext der zeitgenössischen Kunst – im Zusammenhang mit der Ausstellung „150 Jahre Fotografie“.
Heute ist Fotografie als vollwertige Kunstform akzeptiert. Indikatoren dafür sind die wachsende Anzahl von Museen, Sammlungen und Forschungseinrichtungen für Fotografie, Ausstellungen, die Zunahme der Professuren für Fotografie sowie nicht zuletzt der gestiegene Wert von Fotografien in Kunstauktionen und Sammlerkreisen. Zahlreiche oftmals nicht trennscharfe Genres haben sich entwickelt, darunter dieLandschafts-,Akt-,Industrie-,Architekturfotografie und viele mehr, die innerhalb der Fotografie eigene Wirkungsfelder entfaltet haben. Außerdem entwickelt sich die künstlerische Fotomontage zu einem der malenden Kunst gleichwertigen Kunstobjekt.
Neuere Diskussionen innerhalb der Foto- und Kunstwissenschaften verweisen indes auf eine zunehmende Beliebigkeit bei der Kategorisierung von Fotografie. Zunehmend werde demnach von der Kunst und ihren Institutionen absorbiert, was einst ausschließlich in die angewandten Bereiche der Fotografie gehört habe.
Die Digitalfotografie und die massenhafte Verbreitung von Kameras führte zu neuen Diskussionen über den Kunstgehalt der Fotografie. So ist heute die gewohnte und immer wieder gesteigerte Ästhetik oft ein Kritikpunkt – sowie die geschickte Vermarktung von bekannten Fotografen, welche sich in immer neuen Rekorden bei Auktionen widerspiegelt.
DiePanografie, dieFotocollage und dieFotomontage sind Möglichkeiten, aus mehreren Fotos oder auch Bildelementen eine geschlossene Fotografie zu erstellen.
Bedeutende Vertreter: