DasKönigreich Ungarn (ungarischMagyar Királyság) war in den Jahren 1920 bis 1946 eineMonarchie in Mitteleuropa, deren Thron jedoch durchgehendvakant blieb und daher einenReichsverweser als Staatsoberhaupt hatte.
Die Monarchie wurde nominell im Februar 1920 wiederhergestellt, nachdem das alteKönigreich Ungarn (Teil vonÖsterreich-Ungarn) in Folge derAsternrevolution im Oktober 1918 aufgelöst worden war. Da aber die Rückkehr KönigKarls IV. auf den Thron von derEntente abgelehnt wurde, wählte das ParlamentMiklós Horthy provisorisch und auf unbestimmte Zeit zum Reichsverweser. Nachdem Karl IV. 1921 mehrereRestaurationsversuche auf den ungarischen Thronunternahm, und Horthy diese verhinderte, wurden dieHabsburger per Gesetz endgültig abgesetzt. Dadurch wurde Ungarn zu einer Monarchie ohne Königshaus.
Während der Regentschaft Horthys hatte Ungarn einekonservative,nationalistische undantikommunistische politische Ausrichtung. Die Außenpolitik warrevisionistisch orientiert und hatte die vollständige oder zumindest teilweise Rückgewinnung der imVertrag von Trianon verlorenen Gebiete Ungarns als Ziel. Infolge dieses Vertrages verlor Ungarn nach demErsten Weltkrieg über zwei Drittel seines historischen Staatsgebiets, und über drei Millionen Ungarn kamen unter fremde Oberhoheit.
Nach Ausbruch desZweiten Weltkriegs hielt sich Ungarn bis 1941 aus den Kampfhandlungen heraus und konnte durch dieWiener Schiedssprüche einen Teil der im Vertrag von Trianon verlorene Gebiete mit ungarischer Bevölkerungsmehrheit friedlich wiedererlangen. Nach Kriegseintritt im Juli 1941 kämpfte Ungarn an der Seite derAchsenmächte. Infolge schwerer militärischer Rückstöße durch die Alliierten verhandelte Horthys Regierung 1944 im Geheimen mit den Alliierten und bot den Kriegsaustritt Ungarns an. Um dies zu verhindern, wurde das Land imUnternehmen Margarethe vonDeutschland besetzt und Horthyabgesetzt. Mit den faschistischenPfeilkreuzlern wurde unter deren ParteiführerFerenc Szálasi eine neue, von den deutschenNationalsozialisten gestützte,Marionettenregierung gebildet und Ungarn wurde zum Satellitenstaat Deutschlands.
Als sich gegen Ende desErsten Weltkriegs im Oktober 1918 derZerfall der Habsburgermonarchie abzeichnete, bildete sich am 23. Oktober in Budapest derUngarische Nationalrat unter der Leitung vonMihály Károlyi, um die dadurch entstandene politische Leere zu füllen. Kurz darauf verkündete der Nationalrat am 25. Oktober ein 12-Punkte-Programm, in dem u. a. der Rücktritt der Regierung, das sofortige Ende des Krieges und die vollständige Unabhängigkeit sowieTerritoriale Integrität Ungarns gefordert wurden. Schnell solidarisierte sich ein Großteil der Bevölkerung und in Budapest stationierte Soldaten mit dem Nationalrat. Sie steckten sich als Ausdruck der Solidarität die in dieser Jahreszeit blühendenAstern (auchHerbstrosen genannt) an ihre Kleidung. Zusammen marschierten sie zumBurgpalast und forderten die Ernennung Károlyis zum Ministerpräsidenten. Kurz darauf wurde 1918 die kurzlebigeErste Ungarische Republik proklamiert.[2] Die darauffolgendeUngarische Räterepublik unterBéla Kun begann mit dem sogenanntenRoten Terror, dem zahlreiche politische Gegner zum Opfer fielen. InWien formte sich unterdessen einAntibolschewistisches Komitee unter der Führung vonIstván Bethlen bestehend aus Anhängern der Monarchie, die zunächst inArad und später inSzeged eine Gegenregierung bildeten. Unter dem Oberbefehl vonMiklós Horthy, dem letzten kommandierendenAdmiral derk.u.k. Kriegsmarine, stellten sie eine Armee bestehend aus Soldaten, die im Ersten Weltkrieg kämpften, auf. Im Jahr 1919 geriet das Land schließlich in einen Bürgerkrieg. Im sogenanntenWeißen Terror säubertenAntikommunisten undMonarchisten gewaltsam die Nation vonKommunisten, linken Intellektuellen und vor allem Juden, von denen sie sich bedroht fühlten. Nach dem Sturz des Kun-Regimes und der Räterepublik wurde zunächst am 24. November 1919 eine provisorische Regierung unterKároly Huszár gebildet, die zusammen mit der Entente 1920Parlamentswahlen veranlasste. In diesen Wahlen gewann in einem Erdrutschsieg die monarchistische Partei der Christlich-Nationalen Vereinigung (KNEP).[3]
Am 29. Februar 1920 trat das Parlament in Budapest erstmals zusammen und stellte diekonstitutionelle Monarchie wieder her. Es war jedoch offensichtlich, dass die Alliierten einer Rückkehr des früheren KönigsKarl IV. nicht zustimmen würden. Daher wurde beschlossen, provisorisch einenReichsverweser als Staatsoberhaupt zu wählen. Für diese Position wurde am 1. MärzMiklós Horthy vom Parlament gewählt.Sándor Simonyi-Semadam wurde der erste Ministerpräsident in Horthys Regentschaft.
Ankunft der ungarischen Delegation am 4. Juni 1920 am SchlossGrand Trianon im Schlosspark vonVersailles, dem Ort der Unterzeichnung
Bereits gegen Ende des Ersten Weltkriegs wurde deutlich, dass dieEntente das Fortbestehen Österreich-Ungarns nicht beibehalten, sondern die Region in souveräne Teile unterteilen möchte. Zu der am 18. Januar 1919 beginnendenPariser Friedenskonferenz durfte die ungarische Delegation unterAlbert Apponyi erst am 6. Januar 1920 anreisen und ihren Standpunkt darlegen. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch schon eine Entscheidung getroffen worden, und die Delegation konnte keine Erfolge mehr für Ungarn erzielen.[4]
Die Folgen des Vertrags verursachten in der ungarischen Bevölkerung einen tiefen Schock. Hauptziel der Außenpolitik in den nachfolgenden Jahren wurde die Revision des Vertrags und die damit verbundene Rückgewinnung der verlorenen Gebiete.[6]
Karl IV. schreitet am 21. Oktober 1921 eine Ehrenkompanie königstreuer Truppen am Bahnhof in Sopron ab.
Am 26. März 1921 kehrte der ehemalige KönigKarl IV. nach Ungarn zurück und versuchte seinen Thron in Ungarn wiederzuerlangen. Er war der Auffassung, das ungarische Volk würde seinen Anspruch befürworten, sobald er wieder im Land sei, und der provisorisch zum Reichsverweser ernannte Horthy würde ihm freiwillig die Macht überlassen. Bei einem Treffen mit Horthy am 27. März in Budapest lehnte der Reichsverweser Karls Wunsch jedoch mit der Begründung ab, dass seine Ernennung zum König einen Konflikt mit der Entente und den Nachbarstaaten nach sich ziehen könne. Da Karl weder vom Volk noch vom Militär unterstützt wurde, reiste er zurück nach Westungarn, von wo er am 5. April von der Entente wieder zurück in sein Exil in der Schweiz gebracht wurde. Am 20. Oktober 1921 unternahm Karl IV. einen zweiten Versuch, den ungarischen Thron wiederzuerlangen. Während er mit einem Flugzeug aus der Schweiz nachSopron reiste, stellten seine Unterstützer aus kleinen Truppenkontingenten ein Heer unter dem Kommando vonJulius von Ostenburg-Morawek zusammen. Mit dem Zug versuchte man nach Budapest zu reisen, dieser wurde jedoch am 23. Oktober inBudaörs von Truppen Horthys angehalten.[7] Nach einem Gefecht, das über zwei Dutzend Tote forderte, wurde Karl gefangen genommen und imKloster Tihany amBalaton interniert. Wenig später wurde er auf britischen Kriegsschiffen nach Madeira gebracht, wo er wenige Monate später starb.[8]
Am 6. November 1921 verabschiedete das ungarische Parlament ein Gesetz zur Aufhebung derPragmatischen Sanktion von 1713 (Erbfolgeregelung der Habsburgermonarchie). Es entthronte Karl IV. und nahm denHabsburgern jeglichen Anspruch auf den Ungarischen Thron. Ungarn war nun ein Königreich ohne Königshaus. Da die Unruhen zu groß waren, um einen neuen König zu wählen, wurde stattdessen beschlossen, Miklós Horthy weiterhin in der Position des Reichsverwesers zu belassen. Er verblieb in dieser mächtigen Position bis zu seiner Absetzung 1944.
In den ersten zehn Jahren seiner Regentschaft unterdrückte Horthy die Minderheiten in Ungarn zunehmend. Im Jahr 1920 begrenzte dasNumerus-Clausus-Gesetz die Zahl der Studenten aus Minderheiten an Universitäten und legalisierte diekörperliche Züchtigung bei Erwachsenen inStrafverfahren.[9] Die Beschränkungen wurden 1928 gelockert und die Rassenkriterien bei der Aufnahme neuer Studenten durch soziale Kriterien ersetzt. Dazu wurden fünfSoziale Klassen gebildet: Beamte und Kriegsveteranen; Armeeoffiziere, Kleingrundbesitzer und Handwerker; Industrielle sowie die Klasse der Kaufleute.[10]
UnterIstván Bethlen als Ministerpräsident wurde ab 1922 das Wahlsystem reformiert. Nach der Reform wurde etwa einer dreiviertel Million Bürgern das Wahlrecht entzogen. Die Mehrheit (ca. 550.000) davon waren Frauen, die nun nur noch wählen durften, wenn sie mindestens die 6. Klasse besucht hatten und bereits 30 Jahre alt waren. Männer durften wählen, wenn sie die ersten vier Schulklassen besucht haben und mindestens 24 Jahre alt waren. Des Weiteren musste man, um wählen zu dürfen, bereits zehn Jahreungarischer Staatsbürger sein.[11] Infolgedessen gewann Bethlens Partei, die Partei der Einheit, wiederholt die Wahlen. Bethlen drängte auf die Revision desVertrags von Trianon, jedoch zwangen ihn nach dem Zusammenbruch der ungarischen Wirtschaft in den Jahren 1929 bis 1931 nationale Unruhen zum Rücktritt als Ministerpräsident. Seine Wahlreform wurde 1938 rückgängig gemacht.[11]
Die sozialen Verhältnisse im Königreich verbesserten sich im Laufe der Zeit kaum, da ein kleiner Teil der Bevölkerung einen Großteil des Vermögens besaß.Juden wurden ständig unter Druck gesetzt, sich in die ungarische Alltagskultur zu integrieren. Die verzweifelte soziale und wirtschaftliche Lage zwang Horthy, den nationalistischen PolitikerGyula Gömbös zum Ministerpräsidenten zu ernennen. Er versprach, das politische System beizubehalten, und stimmte zu, von seinem extremen Antisemitismus abzukehren und einige Juden in seine Regierung aufzunehmen. Als Ministerpräsident veränderte Gömbös die politischen Verhältnisse in Ungarn in Richtung einer Einparteienregierung, ähnlich wie imfaschistischen Italien oderNazi-Deutschland. Unter dem Druck NS-Deutschlands verfolgte Ungarn einenantisemitischen Kurs und verabschiedete seineJudengesetze. Zunächst wurden mit den Gesetzen der Anteil der Juden in einer Reihe von Berufen auf 20 % beschränkt. Später wurden sie zumSündenbock der schlechten Wirtschaftslage gemacht.
Nach demMünchner Abkommen, bei dem das Deutsche Reich mehrheitlich von Deutschen bewohnte Gebiete in der Tschechoslowakei wiedererlangte, versuchten dies MinisterpräsidentKálmán Darányi und sein NachfolgerBéla Imrédy mit der Hilfe Adolf Hitlers mit Gebieten, die mehrheitlich von Ungarn bewohnt waren. Am 2. September 1938 unterzeichneten die Außenminister von Deutschland, Italien, Ungarn und der Tschechoslowakei denErsten Wiener Schiedsspruch imSchloss Belvedere in Wien. Ungarn erhielt daraufhin 11.927 km2 Land im Süden der Tschechoslowakei einschließlich der Städte Kassa (Košice), Ungvár (Užhorod) und Munkács (Mukačevo) inTranskarpatien zurück. Auf diesem Landstrich machten damalsUngarn 86,5 % der Bevölkerung aus, während dort nur 9,8 %Slowaken wohnten.[12] Nach derZerschlagung der Tschechoslowakei erhielt Ungarn im März 1939 von Hitler die Erlaubnis, das restliche Transkarpatien zu besetzen. Das besetzte Gebiet war 12.171 km2 groß, hier wohnten aber lediglich 12 % Ungarn.[12]
Nach dem deutschenÜberfall auf Polen am 1. September 1939 lehnte Ungarns MinisterpräsidentPál Teleki am 9. September ab, dass deutsche Truppen über ungarisches Territorium inTranskarpatien marschieren und Polen angreifen können. Teleki erlaubte stattdessen etwa 130.000 polnischen Zivilisten und Soldaten, nach Ungarn zu fliehen. Viele Soldaten reisten über Jugoslawien und Frankreich nach Großbritannien, wo sie denPolnischen Streitkräften im Westen beitraten. Die meisten polnischen Zivilisten blieben bis Kriegsende in Ungarn.[13]
Ungarische Truppen werden bei ihrem Einzug in Nordsiebenbürgen von der Bevölkerung mit Blumen begrüßt (Kézdivásárhely/Târgu Secuiesc, 13. September 1940)
Nachdem die Sowjetunion im Juni 1940 im Einklang mit demGeheimen Zusatzprotokoll desDeutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts das seit dem Ersten Weltkrieg zu Rumänien gehörendeBessarabien besetzte, bot sich auch für Ungarn die Chance, Gebietsansprüche gegen das politisch nun komplett isolierte Rumänien zu richten. Denn man plante, die imVertrag von Trianon 20 Jahre zuvor an Rumänien verlorenen Gebiete, wie dasPartium,Siebenbürgen und Teile desBanats, in denen noch immer eine große ZahlUngarn wohnten, wiederzugewinnen. Nachdem Ungarn und Rumänien ihre Truppen in großer Zahl mobilisiert und an die Grenze geschickt hatten, trafen sich Delegationen beider Staaten am 16. August zu Verhandlungen inTurnu Severin. Ungarn forderte von Rumänien ein Gebiet, das etwa 69.000 km2 groß war und vom FlussMarosch (ung.Maros, rum.Mureș) begrenzt wurde. Die rumänische Seite lehnte dies aber vehement ab und brach am 24. August die Verhandlungen ab. Es sah so aus, als könnte jederzeit Krieg ausbrechen. DieUngarische Armee bereitete sich bereits auf den Angriff vor, als Hitler dazwischen schritt und die Außenminister beider Länder zu Gesprächen nach Wien einlud. Am 30. August 1940 wurde schließlich derZweite Wiener Schiedsspruch unterzeichnet.[7] Ungarn erhielt daraufhinNordsiebenbürgen mit demSzeklerland von Rumänien zurück. Das 43.432 km2 große Gebiet hatte damals 2,4 Millionen Einwohner, wovon 54,6 % Ungarn waren. Im Süden Siebenbürgens verblieben jedoch etwa eine halbe Million Ungarn unter rumänischer Oberhoheit.[14]
Auf der Suche nach Absicherung der gewonnenen Gebiete schloss Ungarn mitJugoslawien am 12. Dezember 1940 einenVertrag über ewige Freundschaft. Jedoch wurde am 26. März 1941 diese pro-deutsche Regierung in einemStaatsstreich gestürzt und eine pro-westliche eingesetzt. Hitler entschied sich daher für eineInvasion Jugoslawiens und bat Ungarn um militärische Hilfe und die Erlaubnis, dass deutsche Truppen über das Territorium Ungarns marschieren dürfen. Ungarn aber weigerte sich, militärische Hilfe zu leisten, da es zuvor einen Freundschaftsvertrag mit Jugoslawien geschlossen hatte und Großbritannien bereits mit Krieg drohte. Der Wehrmacht wurde aber erlaubt, durch ungarisches Staatsgebiet zu marschieren.[7] Nachdem MinisterpräsidentPál Teleki erfuhr, dass bereits deutsche Panzer durch Ungarn rollten, beging er imPalais Sándor Suizid. Ungarns neu ernannter MinisterpräsidentLászló Bárdossy wartete mit einer Invasion ungarischer Truppen, bis derUnabhängige Staat Kroatien am 10. April 1941 ausgerufen wurde, da seiner Meinung nach Jugoslawien in diesem Moment aufhörte zu existieren und der Freundschaftsvertrag dadurch nicht verletzt wurde.[13] Am selben Tag schloss sich Ungarn den Militäroperationen der Wehrmacht an und annektierte ehemals zu Ungarn gehörende Gebiete in derBatschka (Bácska) und Regionen imMur- undÜbermurgebiet, in denen aber großeslowenische undkroatische Minderheiten lebten. Laut einer ungarischen Volkszählung von 1941 lebten hier 37 %Ungarn, 40 %Serben,Kroaten undSlowenen und etwa 9 %Deutsche.[13]
Am 27. Juni 1941 erklärte MinisterpräsidentLászló Bárdossy derSowjetunion den Krieg. AlsCasus Belli galt derBombenangriff auf Kassa am Vortag. Die Regierung Ungarns entsandte daraufhin Truppen, die den deutschenAngriff auf die Sowjetunion unterstützen sollten. Dabei ging die gesamte ungarische2. Armee während der sowjetischenOperation Ostrogoschsk-Rossosch vom 13. Januar 1943 bis zum 27. Januar 1943 verloren. Seit derSchlacht bei Mohács (1526) hatte Ungarn nicht mehr derartige militärische Verluste hinnehmen müssen. Als Reaktion auf das Vorrücken derRoten Armee im Jahr 1943 setzte Horthy den pro-deutschen MinisterpräsidentenDöme Sztójay am 29. August 1944 ab und ernannte mitGéza Lakatos einen gemäßigteren, um mit den Alliierten zu verhandeln und eine sowjetische Besatzung Ungarns zu verhindern. Zeitgleich versuchte man die horrenden Verluste durch die Mobilisierung weiterer Männer in das ungarische Heer zu kompensieren. Horthy begann im Geheimen über den Kriegsaustritt Ungarns und einen Waffenstillstand zu verhandeln.
Selektion ungarischer Juden am 27. Mai 1944 im KZ Auschwitz. Bild aus demAuschwitz-Album.
Während der Reichsverweser von Hitler unter einem Vorwand insSchloss Klessheim bei Salzburg eingeladen wurde, begannen deutsche Truppen am 19. März 1944 im Eiltempo mit derInvasion Ungarns, um die Loyalität des Landes zu sichern.[15] Die Besetzung wurde vomOberkommando der Wehrmacht entworfen und vom Oberbefehlshaber SüdostMaximilian von Weichs geleitet, der bereits im September 1943 von Hitler die Anweisung zur Vorbereitung des Unternehmens erhalten hatte.[16] Horthy wurde unter Hausarrest gestellt, und MinisterpräsidentMiklós Kállay erneut durch Döme Sztójay ersetzt. Die ungarische Regierung Sztójay wurde fortan durch den SS-BrigadeführerEdmund Veesenmayer überwacht, um erneute Verhandlungsversuche mit den Alliierten zu verhindern. Nun wurde auch das Tragen des gelbenJudensterns angeordnet, und ab April 1944 wurden Ghettos für Juden eingerichtet. Ab 15. Mai 1944 begann (mit Ausnahme der Budapester Juden) die gezielte Deportation von über 450.000 ungarischen Juden aus der Provinz, deren Großteil (ca. 430.000) in dasKZ Auschwitz gebracht wurde, wo die meisten ermordet wurden. Dennoch gelang es einigen Diplomaten, wieRaoul Wallenberg von der Schwedischen Botschaft in Budapest, demApostolischen Nuntius und Diplomaten aus derSchweiz,Portugal undSpanien zehntausende jüdische Leben zu retten. Auch vielen Menschen aus der Zivilbevölkerung gelang es, indem sie ihr Leben riskierten, bis Kriegsende Juden bei sich zu verstecken.[7] Später wurden 876 von ihnen hierfür alsGerechte unter den Völkern geehrt.[17] Erst nachdem sich zahlreiche Persönlichkeiten und Staatsoberhäupter gegen die Deportationen einsetzten, wurden diese durch Horthy am 9. Juli gestoppt.[18]
Durch das weitere Vordringen derRoten Armee im Osten, die bereits dasKarpatenbecken erreichte, und durch denSeitenwechsel Rumäniens am 23. August, gelangte die Front nun an die Grenze Ungarns. Im August setzte der Reichsverweser die deutschfreundliche Regierung von Sztójay erneut ab und begann im September 1944 Waffenstillstandsverhandlungen mit derSowjetunion, da ihm die Aussichtslosigkeit einer Weiterführung des Krieges bewusst war.[19] Am 11. Oktober unterzeichnete eine ungarische Delegation in Moskau einen Waffenstillstand, in dem sich das Land verpflichtete, die Kampfhandlungen mit der Roten Armee einzustellen, dem Deutschen Reich den Krieg zu erklären und alle ab 1938 wiedergewonnenen Gebiete zu räumen. Über diesen „Sprung aus dem Krieg“ wurde die ungarische Zivilbevölkerung in einer Rede Miklós Horthys,[20] die am 15. Oktober 1944 im Rundfunk verlesen wurde, informiert.[21]
Diese Entwicklungen blieben der deutschen Führung nicht verborgen. Am selben Tag wurde Horthy von deutschen Truppen imUnternehmen Panzerfaust abgesetzt, nach Deutschland gebracht und durch den Parteiführer der faschistischen und antisemitischenPfeilkreuzlerFerenc Szálasi ersetzt.[21] Dieser stellte am 16. Oktober 1944 eine neue deutschfreundlicheRegierung der nationalen Einheit auf und setzte den Krieg auf Seiten derAchsenmächte fort. Szálasi ersetzte Horthy nicht als Regent, sondern wurde zumFührer der Nation (Nemzetvezető) und Ministerpräsident des neuen ungarischen faschistischen Regimes ernannt. Dennoch wurde die Monarchie in Ungarn durch die Pfeilkreuzler nicht abgeschafft, und in den ungarischen Zeitungen wurde immer noch vom Königreich Ungarn gesprochen.[22][23] Unter Szálasi und den Pfeilkreuzlern wurde das Land zu einer totalitären Diktatur und die Deportierung der Juden wurde fortgesetzt. Bis zum Ende des Krieges starben noch zehntausende Juden durch die Pfeilkreuzler. Den Holocaust überlebten lediglich 250.000 der 800.000 zuvor im Land lebenden Juden.[7]
Am 21. Dezember 1944 wurde in Debrecen einer von der Sowjetunion gestütztenInterimsregierung unter der Führung vonBéla Miklós, dem ehemaligen Kommandeur der 1. ungarischen Armee, nominell die Kontrolle im Land überlassen. Im Januar 1945 wurde einHoher Nationalrat ernannt, der die Regierungsgeschäfte übernahm. Teil dieser Regierung waren auch Mitglieder der Kommunistischen Partei Ungarns, wieErnő Gerő, und später auchMátyás Rákosi undLászló Rajk.[24] Ende März 1945 wurde das Regime von Szálasi aus Ungarn vertrieben.
Unter sowjetischer Besatzung war das Schicksal des Königreichs Ungarn bereits vorbestimmt. EinHoher Nationalrat (ungarischNemzeti Főtanács) übte die Funktion des Staatsoberhauptes aus, bis die Monarchie am 1. Februar 1946 formell abgeschafft wurde und dieZweite Ungarische Republik ausgerufen wurde. Drei Jahre später wurde dieVolksrepublik Ungarn gegründet.
Zum Staatsoberhaupt des Königreichs wurde am 1. März 1920Miklós Horthy auf unbegrenzte Dauer gewählt. Das Amt desReichsverwesers(Kormányzó) sollte er so lange ausüben, bis KönigKarl IV. seine Amtsgeschäfte wieder übernahm. Einerseits aber stimmten die Alliierten einer Rückkehr Karls nicht zu, andererseits verhinderte Horthy 1921 zwei Versuche Karls, den Thron in Ungarn erneut zu besteigen. Das Amt des Reichsverwesers konnte nicht vererbt werden, jedoch durfte Horthy laut Gesetz einen Nachfolger vorschlagen.[26] Diese Regelung kam im November 1941 zum Einsatz, als Horthy 71-jährig erkrankte und man sich Sorgen um seine Nachfolge machte. Er schlug seinen SohnIstván als Nachfolger vor. Dieser wurde dann am 19. Februar 1942 von beiden Kammern des Parlaments zum stellvertretenden Reichsverweser(Kormányzóhelyettes) gewählt.[27] István Horthy starb jedoch im August desselben Jahres bei einem Flugzeugabsturz und ein neuer stellvertretender Reichsverweser wurde nicht noch einmal ernannt. Die Erbfolge nach Horthys Tod oder Abdankung wurde nie offiziell festgelegt. Vermutlich hätte das Parlament einen neuen Reichsverweser gewählt oder die Dynastie der Habsburger unterOtto von Habsburgrestauriert.
Die Befugnisse des Reichsverwesers waren aus denen derKönige von Ungarn aus dem früherenKaisertum Österreich entlehnt. Jedoch übte Horthy keine gesetzgeberische Funktion aus. Er durfte Verträge nur nach Zustimmung des Parlaments unterzeichnen, und die Nationalversammlung(nemzetgyűlés) erst nach dauernder erwiesener Arbeitsunfähigkeit auflösen, woraufhin nach drei Monaten Neuwahlen folgen mussten. Das Parlament konnte den Reichsverweser jederzeit zur Verantwortung ziehen und für Verfassungs- und Gesetzbrüche anklagen.[25]
Im Laufe der Jahre erhielt Horthy immer mehr Befugnisse, wie etwa bereits 1920 das Recht, den Ministerpräsidenten zu ernennen. Im Jahr 1933 wurde dem Reichsverweser ermöglicht, das Parlament auf unbestimmte Zeit von seiner Funktion zu suspendieren oder sogar aufzulösen. Während seiner 24-jährigen Regentschaft nahm der Reichsverweser dieses Recht aber nur sehr selten in Anspruch.[3] Horthys Regentschaft als Reichsverweser besaß nach und nach aber immer mehr Elemente, die sich auch inDiktaturen finden, sie war aber dennoch weder faschistisch noch nationalsozialistisch.[28]
Bis 1927 besaß Ungarn dasEinkammersystem mit der Nationalversammlung(nemzetgyűlés) als gesetzgebende Staatsgewalt. Im folgenden Jahr wurden die zwei Kammern, dasOberhaus(felsőház) als Nachfolger desMagnatenhauses(főrendiház), und das Repräsentantenhaus(képviselőház) desReichstags aus der Zeit derÖsterreichisch-Ungarischen Monarchie wiederhergestellt. Im Gegensatz zu den Mitglieder des Repräsentantenhauses, die vom Volk gewählt wurden, bestand das Oberhaus aus Mitgliedern der anerkannten Religionen in Ungarn (auch Juden),Aristokraten, männlichen Mitgliedern des HausesHabsburg-Lothringen, dem Vorsitzenden derNationalbank, dem Oberbefehlshaber derArmee und gewählten Mitgliedern aus derAkademie der Wissenschaften. Zusätzlich ernannte Horthy auf Empfehlung der Regierung einzelne Personen ins Oberhaus.[3]
Hauptziel der Außenpolitik Ungarns unter Horthy war die Revision der imVertrag von Trianon (1920) festgeschriebenen Grenzen, infolge dessen Ungarn rund zwei Drittel seines Territoriums verlor. Auch im Ausland wurden die Bestimmungen des Vertrags als zu hart angesehen. Mitglieder derTriple Entente, wie dasVereinigte Königreich, konnten wegen der fragilen Nachkriegsordnung aber keine friedliche und moderate Anpassung der Bestimmungen unterstützen.[28] Ungarn richtete sich in der Folge zunehmend nach den beiden faschistischen Staaten Europas,Deutschland undItalien, aus, welche in derZwischenkriegszeit ebenfalls versuchten, ihr Staatsgebiet zu vergrößern.
Italien unter seinem DiktatorBenito Mussolini begann mit einem Freundschaftsvertrag, der am 5. April 1927 unterzeichnet wurde, engere Beziehungen mit Ungarn aufzubauen.[29] Ungarns MinisterpräsidentGyula Gömbös war ein offener Befürworter der faschistischen Diktatoren und versuchte, ein trilaterales Bündnis mit Italien und Deutschland aufzubauen. Gömbös überredete Mussolini schließlich auch, 1938 denAnschluss Österreichs an das Deutsche Reich zu akzeptieren.[29]
Ungarn profitierte kurz vor dem Zweiten Weltkrieg von seinen engen Beziehungen zu Deutschland und Italien, als es im Anschluss an dasMünchner Abkommen imErsten Wiener Schiedsspruch Gebiete mit ungarischer Bevölkerungsmehrheit in derTschechoslowakei zugesprochen bekam. Kurz nach derZerschlagung der Tschechoslowakei 1939 annektierte UngarnTranskarpatien und trat als Ausdruck der an Deutschland orientierten Außenpolitik im selben Jahr aus demVölkerbund aus und unterzeichnete denAntikominternpakt.[30] Nach dieser erfolgreichen Revisionspolitik suchte Ungarn nach einem Weg, weitere Gebiete zurückzugewinnen, und verlangte vonRumänien die RückgabeSiebenbürgens. Daraufhin wurde Ungarn erneut für seine Deutschland-freundliche Haltung von Hitler belohnt: infolge desZweiter Wiener Schiedsspruchs erhielt esNordsiebenbürgen zurück. Kurz darauf trat Ungarn am 20. November 1940 demDreimächtepakt bei und wurde damit endgültig Teil derAchsenmächte.[30]
Von den ursprünglich63 Komitaten (Verwaltungseinheiten) desKönigreichs Ungarn vor 1918 blieben nach dem Vertrag von Trianon lediglich 33 auf dem Staatsgebiet Ungarns. Nur zehn dieser Komitate bestanden in ihrer ursprünglichen Form, die anderen wurden durch neue Grenzziehungen auf Nachbarländer aufgeteilt. Als Extrembeispiel gilt dasKomitat Ugocsa, das nach dem Trianoner Vertrag in Ungarn nur noch 100 m² Fläche umfasste. Der Rest fiel an die Tschechoslowakei. Im Jahr 1923 wurden die zersplitterten Komitate zusammengelegt und erhielten den Namenszusatzközigazgatásilag egyelőre egyesített (kurzk.e.e, deutschvorläufig administrativ vereint). Jedes Komitat war in Kreise(járások) unterteilt.[31] Zudem existierten Munizipalstädte(törvényhatósági jogú városok, kurztjv), wieSzeged, die jeweils durch einen eigenen vom Monarchen ernanntenGespan(Ispán) geleitet wurden, und direkt der Krone unterstellt waren. Oberster Beamter und Vertreter im Stadtrat dieser Städte war jedoch ein gewählter Bürgermeister. In der Hauptstadt Budapest war dies der Oberbürgermeister.[32]
Bis 1938 existierten die folgenden 25 Komitate: (Name,Komitatssitz)
Nach dem Ersten Wiener Schiedsspruch erlangte Ungarn 1938 Gebiete im ehemaligenOberungarn zurück. Auch hier war es notwendig zersplitterte Komitate zusammenzufügen, da nicht alle vollständig zurückgewonnen wurden, wie beispielsweiseBars és Hont k.e.e. Andere wiederum, wieBorsod, Gömör és Kishont k.e.e. wurden mit den wiedergewonnenen Gebieten zu den ursprünglichen Komitaten, wie in diesem Fall zumKomitat Gömör és Kishont und zumKomitat Borsod vereinigt, da diese Territorien nun wieder vollständig zu Ungarn gehörten. Die Vereinigung zersplitterter Komitate zuk.e.e. wurde nach dem Zweiten Wiener Schiedsspruch 1940 zur administrativen Gliederung der Gebiete nicht mehr angewandt. In dem vonRussinen bewohntenTranskarpatien wurde stattdessen das Gouvernement Transkarpatien(Kárpátalyai Kormányzóság) mit den Verwaltungseinheiten Ung, Bereg und Máramaros gebildet. Die von Ungarn und Rumänen bewohnten Gebiete wurden wiederum in die bestehenden Komitate eingegliedert.[31] Nach der Besetzung ehemals ungarischer Gebiete in der Batschka (Bácska) und Regionen im Mur- und Übermurgebiet im Jahr 1941, wurden auch diese Territorien in Komitate eingegliedert.
Ab 1941 existierten die folgenden 41 Komitate: (Name,Komitatssitz)
Ungarn war nach dem Vertrag von Trianon der einzigeNationalstaat in der Region. Infolge des Vertrags verlor das Land aber 30 % seinermagyarischen Bevölkerung an die Nachbarstaaten. Bald stieg die Einwohnerzahl auf 10 Millionen an. Durch die in denWiener Schiedssprüchen wiedergewonnenen Gebiete stieg die Zahl auf etwa 15 Millionen.[33]
Bei der Gründung des Königreichs kurz nach dem Ersten Weltkrieg litt das Land unter wirtschaftlichem Niedergang, Haushaltsdefiziten und hoher Inflation als Folge des Verlustes wirtschaftlich wichtiger Gebiete imVertrags von Trianon 1920. Dazu zählten Territorien, die nun zu derTschechoslowakei,Rumänien oderJugoslawien gehörten.[29] Ungarn war nun darauf angewiesen, seine Exportgüter in den übriggebliebenen Gebieten herzustellen, um seine Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Die Regierung von MinisterpräsidentIstván Bethlen bewältigte die Wirtschaftskrise mit ausländischen Krediten, die dem Land Anfang der 1920er Jahre wirtschaftliche Stabilität sicherten. Die bisherige Währung Ungarns, dieUngarische Krone, wurde 1927 durch eine neue Währung namensPengő ersetzt.[29] Die industrielle und landwirtschaftliche Produktion stieg schnell an, und das Land profitierte während des größten Teils der 1920er Jahre vom florierenden Außenhandel.[29]
Mit Beginn derWeltwirtschaftskrise 1929 brach der Wohlstand im Land rasch ein, insbesondere durch die wirtschaftlichen Auswirkungen des Zusammenbruchs derÖsterreichischen Creditanstalt inWien.[29] Ab Mitte der 1930er bis in die 1940er Jahre, nachdem sich die Beziehungen zu Deutschland verbessert hatten, profitierte Ungarn vom Handel mit demDeutschen Reich. Die ungarische Wirtschaft wurde jedoch zunehmend von der deutschen abhängig.
↑Csilla Fedinec:A Kárpátaljai Kormányzóság időszaka. (PDF) Abgerufen am 15. September 2021. In: A kárpátaljai magyarság történeti kronológiája. Fórum Intézet - Lilium Aurum Könyvkiadó, 2002.
↑abcdeCarlile Aylmer Macartney, George Barany, Steven Béla Várdy, Ivan T. Berend, Nicholas A. Vardy: Hungary - War and renewed defeat. In: Encyclopedia Britannica. Abgerufen am 15. September 2021 (englisch).
↑Mária Kovács:The Hungarian numerus clausus: ideology, apology and history, 1919-1945. In: Victor Karady, Peter Nagy (Hrsg.):The numerus clausus in Hungary: Studies on the First Anti-Jewish Law and Academic Anti-Semitism in Modern Central Europe. Centre for Historical Research, History Department, Budapest 2012.
↑Vollständiger Text der Rede Miklós Horthys vom 15. Oktober 1943 (auf Deutsch)
↑abStiftung Deutsches Historisches Museum: Ungarns "Sprung aus dem Krieg" ("kiugrás") 1944. In: Lebendiges Museum Online (LeMO). Stiftung Deutsches Historisches Museum, abgerufen am 23. November 2021.
↑Stanley G. Payne:A History of Fascism, 1914-1945. Routledge, 1996.
↑abMargit Szöllösi-Janze: "I. Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in Horthy-Ungarn".Die Pfeilkreuzlerbewegung in Ungarn: Historischer Kontext, Entwicklung und Herrschaft. Oldenbourg, München, 2009, S. 27–100.doi:10.1524/9783486595567.27
↑Kormányzó. In: arcanum.hu. Abgerufen am 20. November 2021.