Joachim Hoffmann (*1. Dezember1930 inKönigsberg/Preußen; †8. Februar2002 inFreiburg im Breisgau) war ein deutscherHistoriker, der sich vor allem mit der Militärgeschichte desZweiten Weltkrieges befasste. Er gilt als Hauptvertreter derPräventivkriegsthese, die von der Geschichtswissenschaft widerlegt worden ist.
Joachim Hoffmann wurde als Sohn des Juristen und RegierungspräsidentenPaul Hoffmann und seiner Frau Liselotte, geb. Stutz, inKönigsberg in Ostpreußen geboren. Hoffmann besuchte dort von 1937 an die Volksschule und anschließend von 1941 bis 1945 die Oberschule auf der Königsberger Burg. Seine Eltern stammten beide ausBerlin, lebten aber bis Kriegsende durch den Beruf des Vaters als Königsberger Regierungspräsident in der ostpreußischen Provinzhauptstadt. Nach der Flucht aus Ostpreußen im Vorfeld derSchlacht um Königsberg ließ sich die Familie in Berlin nieder, wo Hoffmann 1950 an der Schillerschule inCharlottenburg das Abitur ablegte. Anschließend war er 10 Monate bei derBerliner Bank A.-G. tätig und nahm im Sommersemester 1951 zunächst ein naturwissenschaftliches Studium an derUniversität Hamburg auf, wechselte aber bald ins Fach Geschichte über. Nach dem 4. Semester ging Hoffmann an dieFreie Universität Berlin, wo erNeuere undOsteuropäische Geschichte sowieVölkerkunde studierte und im Mai 1959 beiRichard Dietrich mit einer Studie überDie Berliner Mission desGrafen Prokesch-Osten 1849–1852 promoviert wurde.
Von 1960 bis 1995 war er amMilitärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) derBundeswehr tätig, zuletzt alsWissenschaftlicher Direktor. Sein Forschungsgebiet dort war dieRote Armee. Er veröffentlichte viele Bücher und Aufsätze zur politischen, diplomatischen und militärischenGeschichte des 19. Jahrhunderts und zur Geschichte desDeutsch-Sowjetischen Krieges.
Hoffmann erforschte am MGFA die Rolle derOstlegionen im Zweiten Weltkrieg. Er zeigte in mehreren Büchern dazu die historische Dimension vonNationalitätenkonflikten auf, die zum Zusammenbruch der Sowjetunion mit beitrugen.
Hoffmanns „Geschichte derWlassow-Armee“ betrachtet diese nicht nur als Maßnahme zur Abwendung der demDeutschen Reich drohenden Kriegsniederlage, sondern als Befreiungsarmee aus der russischen Geschichte heraus. Im Rahmen eines neuen Interesses an diesem Thema bezogen sich einige Autoren in Russland auf das Buch, das 1990 in russischer Übersetzung erschien: etwa Imanuil Levin in „Moskowski Komsomolez“ (1991) undBoris Sokolow in „Nesawissimaja gaseta“ (1992).Solschenizyn empfahl das Buch. Hoffmann erhielt 1992 dafür den Kulturpreis „GeneralAndrei Andrejewitsch Wlassow“ einer „Deutsch-Russländischen Gesellschaft“, die von ehemaligen deutschen und sowjetischen Soldaten 1957 gegründet worden war, zurPaneuropa-Union gehörte, auch mit Rechtsextremisten Kontakte pflegte und bis 1996 bestand.[1]
Hoffmann näherte sich 1983 der Präventivkriegsthese an: Er vertrat in zwei Aufsätzen der damals vomMilitärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) herausgegebenen Reihe „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“ die Auffassung,Josef Stalin habe seinerseits im Vorfeld des 22. Juni 1941 eine offensive Militärpolitik der Roten Armee gen Westen geplant[2] und nach dem deutschen Einmarsch selbst einenVernichtungskrieg gegen die Wehrmacht geführt.[3]
Diese These brachte ihn in Konflikte mit Kollegen am MGFA.[4] Hoffmann schrieb am 7. September 1983 an den wissenschaftlichen Direktor des MGFAWilhelm Deist: Deist habe ihn aus ideologischen Gründen zur Unterdrückung der historischen Wahrheit zu veranlassen versucht. Deist klagte daraufhin gegen Hoffmann auf Widerruf und Unterlassung dieser Behauptung, die er als ehrverletzend wertete. 1984 urteilte das Landgericht Freiburg: Zu Deists Aufgaben als Teamleiter habe es gehört, Änderungswünsche zu äußern und Kürzungen anzuregen, was unstreitig erfolgt sei. Hoffmanns Vorwurf, Deist betreibe damitGeschichtsfälschung, sei einem Wahrheitsbeweis nicht zugänglich. Die Feststellung dessen, was historisch wahr sei, sei Aufgabe der Geschichtswissenschaft und nicht der Tatsachenfeststellung durch ein Gerichtsurteil. Die Frage könne aber letztlich dahinstehen, weil Hoffmann bei seiner Eingabe an seinen Dienstvorgesetzten in Wahrnehmung seiner berechtigten Interessen gehandelt habe.[5] Hoffmann zitierte das Urteil in der Neuauflage des vierten Bandes vonDas Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg als Bestätigung seiner Position.
Ab 1986 beteiligte er sich an der Präventivkriegsdebatte, die der sowjetische ÜberläuferViktor Suworow 1985 mit zwei Aufsätzen in der britischen MilitärfachzeitschriftRUSI Journal ausgelöst hatte. Hoffmann unterstützte dessen These,Adolf Hitler sei einem Angriff der Roten Armee auf Deutschland nur knapp zuvorgekommen, in Leserbriefen an das RUSI-Journal und an dieFrankfurter Allgemeine Zeitung („Stalin wollte den Krieg“). Er behauptete, die Aufstellung der Roten Armee im Sommer 1941 lasse nicht auf Verteidigungsmaßnahmen, sondern auf eine Bedrohung schließen. Das vertrat Hoffmann 1991 während der russischen Debatte über Suworows BuchDer Eisbrecher auch in einem Aufsatz in der russischen Fachzeitschrift „Otechestvennaia istoriia“ (4/1993, S. 19). Darauf berief sich der russische HistorikerJuri Afanasjew.[6]
Nach seiner Pensionierung beim MGFA versuchte Hoffmann, die Präventivkriegsthese in seinem 1995 erschienenen Buch „Stalins Vernichtungskrieg“ zu untermauern. Stalins damaliger Angriffsplan auf das Deutsche Reich sei weder Grund noch Anlass für Hitlers Entschluss zum Überfall auf die Sowjetunion gewesen. Beide Diktatoren hätten unabhängig voneinander einen Krieg vorbereitet; Hitler sei Stalin nur zuvorgekommen. DieStalinrede vom 5. Mai 1941 im Kreml vor den Absolventen der sowjetischen Militärakademien (deren Echtheit wegen uneinheitlicher Quellen umstritten ist) belege, dass Stalin einen Vernichtungskrieg gegen Deutschland geplant habe.[7]
Schon 1987 wiesen Fachhistoriker die Präventivkriegsthese zurück und ordneten die Debatte in den damaligen westdeutschenHistorikerstreit ein.[8] Der RezensentGünther Gillessen, der Suworow 1986 zugestimmt hatte, urteilte 1995, Hoffmann habe „in seinem Buch nicht stetig den kühlen Ton des Wissenschaftlers“ durchgehalten.[9] Spiegel-HerausgeberRudolf Augstein bezeichnete Hoffmann 1996 als „Kommunistenfresser“, „der hierzulande vehementer als jeder andere die These der Stalinschen Präventivabsicht hervorhebt“.[10] Deutsche, russische, angelsächsische und israelische Fachhistoriker überprüften die Präventivkriegsthese nochmals und verwarfen sie 1997 bei einem internationalen Moskauer Historikertag im Ergebnis einhellig als unzutreffend.[11] RechtsextremeGeschichtsrevisionisten dagegen begrüßten Hoffmanns Buch, etwa in derneurechten ZeitschriftJunge Freiheit, und nutzten sein Ansehen als ehemaliger Militärhistoriker zum Aufrechterhalten der Präventivkriegsthese.[12] Hoffmann ist von Forschern zur NS-Zeit und zumRechtsextremismus oft zusammen mit anderen rechtsextremen oder rechtskonservativen Vertretern der Präventivkriegsthese wie Fritz Becker, Max Klüver,Werner Maser,Heinz Magenheimer, Walter Post,Franz W. Seidler,Wolfgang Strauß,Adolf von Thadden undErnst Topitsch erwähnt und kritisiert worden.[13]
Zu denOpferzahlen der Konzentrationslager Auschwitz schrieb Hoffmann in seinem BuchStalins Vernichtungskrieg zunächst historisch zutreffend: Bislang bestätigten die freigegebenen Sterbebücher sowjetischer Archive nur 74.000 Opfer unter den „arbeitsfähigen Deportierten“ (also denen, die die Selektion auf der Rampe von Auschwitz zunächst überlebten). Die früher angegebene Gesamtopferzahl von vier Millionen sei als falsch erwiesen. Auch die neuere Gesamtopferzahl habe 1990 durchJean-Claude Pressac „… allerdings eine starke Herabminderung erfahren, sie beträgt nach letzten Meldungen – und nicht weniger furchtbar – heute zwischen 631.000 und 711.000.“[14] Einige Historiker stufen Hoffmann deswegen als dem rechtsextremen Geschichtsrevisionismus nahestehend ein.[15] Neuere Forschungen ergaben eine wahrscheinliche Zahl von mindestens 1,1 Millionen Opfern in Auschwitz.[16]
1991 verlieh dieZeitgeschichtliche Forschungsstelle Ingolstadt, die Holocaustleugnung und Holocaustrelativierung vertritt, Hoffmann mit der „Dr. Walter-Eckhardt-Ehrengabe für Zeitgeschichtsforschung“.
1995 veröffentlichte der rechtsextreme VerlegerWigbert Grabert den SammelbandGrundlagen der Zeitgeschichte vonGermar Rudolf, einem wegenVolksverhetzung verurteilten Holocaustleugner, unter dessen Pseudonym „Ernst Gauss“. Grabert wurde deswegen angeklagt. Hoffmann erstellte für dessen Prozess ein Gutachten, gab darin an, „Gauss“ nicht zu kennen, billigte dem Sammelband wissenschaftliche Qualität zu und kritisierte, der Autor habe die Massenvernichtung der Juden in Auschwitz nicht deutlich genug hervorgehoben. DasAmtsgericht Tübingen ließ den Sammelband wegen Holocaustleugnung einziehen und verurteilte Grabert zu einer Geldstrafe.[17] Rudolf veröffentlichte Hoffmanns Gutachten 1997 in der holocaustleugnenden ZeitschriftVierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung (VffG). Der Verfassungsschutzbericht Baden-Württembergs von 1998 erwähnte Hoffmann mit diesem Vorgang.[18]
1996 stellten Abgeordnete der ParteiBündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag zwei Anfragen zu einem Vorwort, das der Direktor des Militärarchivs Freiburg Manfred Kehrig zu Hoffmanns BuchStalins Vernichtungskrieg verfasst hatte.[19]
| Personendaten | |
|---|---|
| NAME | Hoffmann, Joachim |
| KURZBESCHREIBUNG | deutscher Historiker und Publizist |
| GEBURTSDATUM | 1. Dezember 1930 |
| GEBURTSORT | Königsberg in Preußen |
| STERBEDATUM | 8. Februar 2002 |
| STERBEORT | Freiburg im Breisgau |