Alsirische Renaissance (englischIrish Renaissance, auchIrish Revival oder fälschlichCeltic Revival,Celtic Dawn,irischAthbheochan Cheilteach) wird eine Vielzahl von Bestrebungen, Bewegungen und einzelnen Personen zusammengefasst, die Ende des19. Jahrhunderts und Anfang des20. Jahrhunderts im weitesten Sinne eine Wiedererweckung deririschenIdentität undKultur zum Ziel hatten.
Nachdem 1607 (Flight of the Earls) die Reste des irischenAdels größtenteils außer Landes geflohen waren, besaß die traditionelle irisch-gälische Kultur und Kunst keine gesellschaftliche und politische Basis mehr. Dieirischsprachige Literatur verflachte mit wenigen Ausnahmen rapide, Dichter und Sänger waren über Generationen arbeitslos und gehörten nun oft demfahrenden Volk an. Nur in wenigen Familien wurde der traditionellen Aufgabe nachgegangen, alte kulturelle Traditionen zu pflegen, Manuskripte zu kopieren oder Kunstgegenstände zu sammeln.
Im späten 18. Jahrhundert begannen sich Teile des entstehendenBildungsbürgertums in großen TeilenEuropas für Geschichte, Kunst und Archäologie zu interessieren. Einigen von ihnen standen zudem die finanziellen Möglichkeiten zum Sammeln vonArtefakten, alten Büchern und Handschriften sowie Kunstgegenständen zur Verfügung. Zu dieser Zeit erwachte auch das Interesse für die irische Kultur erneut. Die politischen und kulturellen Beziehungen zwischenIrland undGroßbritannien waren eng und gipfelten 1800 imAct of Union, der formellen Vereinigung der beiden zuvor inPersonalunion regierten Königreiche. Daher ist es kaum verwunderlich, dass viele dieser Interessierten und Enthusiasten aus England stammten.
Im Jahre 1785 wurde dieRoyal Irish Academy mit dem Ziel gegründet, das Studium der Natur- und Geisteswissenschaften sowie der Gesellschaftswissenschaften zu befördern. Einige gelehrte Gesellschaften, etwa für Geographie und Archäologie, wurden etwa in jener Zeit ebenfalls gegründet. Zaghaft wurde begonnen, die reichenBodendenkmäler des Landes zu erforschen, Manuskripte gezielt und systematisch zu sammeln sowie teilweise auszuwerten, Wortlisten undWörterbücher für dieirische Sprache zu erstellen und ähnliche Felder zu bearbeiten. Die Ausrichtung dieser Aktivitäten war im Großen und Ganzen jedoch ganz unpolitisch und losgelöst von etwaigen Freiheitsbestrebungen der Iren. Zudem waren aus gesellschaftlichen und finanziellen Gründen die meisten Beteiligten an einer Union mit Großbritannien interessierteProtestanten, nichtKatholiken.
Katholiken waren durch die 1695 erlassenen Strafgesetze (Penal Laws) weitgehend aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen worden. Erst mit derkatholischen Emanzipation in den 1820er Jahren und der unterDaniel O’Connell herbeigeführten Politisierung breiter Volksmassen in den 1830er und 1840er Jahren konnte ein kulturelles Bewusstsein eine Massenbasis erreichen, die sich dann jedoch sehr schnell politisch äußerte. Irland galt zu dieser Zeit als politischste Nation der Welt. In den folgenden Jahrzehnten wurden diverse politische Organisationen gegründet, so 1858 die militanteIrish Republican Brotherhood (IRB), 1870 die orientierteHome Government Association (1873 inHome Rule League, 1882 inIrish Parliamentary Party umbenannt) u. v. a. gegründet.
Diese politischen Bewegungen wurden ab den 1860er Jahren ergänzt (und verstärkt) durch die Rückbesinnung auf die eigene Kultur und einen wachsenden Stolz auf irische Traditionen.[1] Daraus entstanden – nach dem Vorreiter, der bereits 1806 gegründetenGaelic Society, – u. a. dieIrish Archeological Society und dieCeltic Society,[2] schließlich die beidenCeltic Literary Societies inDublin und inYork.[3] Fortan erschienen mehr und mehr Bücher zu irischen Themen, u. a. Sammlungen irischer Sagen.[4]
Eine der einflussreichsten kulturellen Organisationen, die in den letzten Jahrzehnten vor der Jahrhundertwende gegründet wurden, war dieGaelic Athletic Association (1884). Sie verschrieb sich der Förderung irischer Sportarten wieHurling,Camogie undGaelic Football, wodurch sie über eine hohe Identifikationskraft verfügte. Weitaus wichtiger war die 1893 gegründeteGaelic League (irisch:Conradh na Gaeilge). Diese hatte sich die Förderung und Verbreitung der irischen Sprache zum Ziel gesetzt. Die zahlreichen Irischkurse derLeague waren bald gut besucht und die Organisation selbst zu einer festen Größe im kulturellen Leben des Landes geworden. Anfangs eine fast unpolitische Organisation, wurde sie bald zum Auffangbecken für Nationalisten jeglicherCouleur. Durch die Situation in Irland zu dieser Zeit waren Kultur und Politik nie wirklich zu trennen.
Die dritte einflussreiche Institution war das 1899 unter dem NamenIrish Literary Theatre gegründeteAbbey Theatre in Dublin. Dieses wurde vonWilliam Butler Yeats undLady Augusta Gregory gegründet und war als Förderanstalt für das moderne irische Drama und die(anglo-)irische Literatur gedacht. Viele neu entstandene Stücke, vor allem auch der Gründer selbst, erlebten hier ihre Uraufführung.
Unter dem Begriffirische Renaissance wird im engeren Sinne der literarische Aspekt dieser Entwicklungen verstanden. Als relativ einheitliche Literaturperiode wird dieIrish Renaissance zumeist auf den Zeitraum von etwa 1890 bis 1920 begrenzt. Der Sturz vonCharles Stewart Parnell (1890) sowie das Scheitern der Bemühungen umHome Rule und die Einigung Irlands bewirkten auf politischer Ebene eher einen Desillusionierungsprozess und führten zu einer Verstärkung des Engagements für eine kulturelle Einheit Irlands.[5] Im Zentrum dieser Bewegung stand vor allem die literarische und Theater-Szene im Dublin der Jahrhundertwende. Ende des 19. und vor allem Anfang des 20. Jahrhunderts erschien eine große Menge an lyrischen, dramatischen und Prosawerken, die Irland auf nicht gekannte Weise darstellten.
Autoren wieWilliam Butler Yeats,Lady Augusta Gregory,Douglas Hyde undGeorge William Russell standen vor der schwierigen Aufgabe, einem Land, das ihrer Ansicht nach nicht nur seine Unabhängigkeit, sondern auch seine Identität verloren hatte, ein neues Selbstgefühl und Selbstbewusstsein und insbesondere eine Idee von sich selbst zu geben. Ihre Methoden bestanden daher vor allem darin, ein ideell und politisch unabhängiges Irland zu kreieren, indem eine fiktive Vergangenheit mit einerromantisierten ländlichen Welt im Westen Irlands verbunden wurde.
Viele der Texte waren in einerpseudomythologischen Vergangenheit angesiedelt, die mit den alt- und mittelirischen Sagen wenig zu tun hatten, da die Autoren meist nur auf mehr oder weniger verwässerte folkloristische Versionen zurückgreifen konnten. Auch in den in die Gegenwart eingebetteten Texten wurde die Idee oft über die Realität gestellt. Der recht harsche und armselige Alltag der Landbevölkerung wurde meist samt allen vorhandenenKlassendifferenzen ausgeblendet. Anstelle dessen fokussierte man sich auf die innere Harmonie und die geistige Reinheit der irischen Bauern und Fischer. Jedoch vor allem im Werk von William Butler Yeats gibt es auch deutliche politische Zeitbezüge, etwa in dem GedichtEaster 1916.
Als vergleichsweise geschlossene literarische Bewegung und einheitliche Literaturperiode im engeren Sinne endete dieIrish Renaissance mit dem Abschluss desAnglo-Irischen Vertrags und der Entstehung desirischen Freistaats (1921–1922), da sich nach dem Ende des Unabhängigkeitskampfes die kulturelle Situation des Landes grundlegend geändert hatte. Literaturgeschichtlich wird dieser Zeitpunkt zumeist als Beginn der neueren anglo-irischen Literatur verstanden.[6]
Dennoch blieb dieIrish Renaissance als weltanschauliche oder kulturelle Strömung in Irland vor allem über Persönlichkeiten wieDouglas Hydes undÉamon de Valeras bis in die 1950er Jahre wirksam. Trotz der Abkehr von dieser Art innerer Emigration seit den 1960er Jahren ist davon bis heute viel zu spüren.
Doch nicht alle irischen Schriftsteller und Dichter der Zeit folgten dieser Rückbesinnung auf vorgeblich traditionelle Werte.John Millington Synge,Seán O’Casey undGeorge Bernard Shaw beispielsweise zeigten vor allem die unromantischen, realistischen Seiten Irlands (Synge) oder orientierten sich stark an der internationalen Literatur (Shaw, O’Casey).Oscar Wilde versuchte, das vor allem aus unzähligen Bühnenstücken sattsam bekannte Bild des halb lächerlichen „Theater-Iren“ (stage Irishman) zu unterminieren, indem er häufig den Blickwinkel der Engländer einzunehmen und das Bild auf diese Weise zu korrigieren suchte.
Zwei Dichter der nächsten Generation gingen ganz neue Wege,James Joyce undSamuel Beckett. Beide emigrierten als junge Männer auf den europäischen Kontinent und ließen sich frühzeitig von der dortigen literarischenAvantgarde beeinflussen. Während Beckett jedoch Irland aus seinen Texten weitgehend ausklammerte, thematisierte Joyce zeitlebens seine Heimat. Jedes seiner Bücher bietet sehr spezifische Einblicke in die irische Gesellschaft in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Im Nachhinein betrachtet hinterließen beide Autoren ein viel nachhaltigeres und unumstritteneres literarisches Erbe als Yeats oder Lady Gregory. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts galten sie in Irland jedoch den meisten Lesern undKritikern als irrelevante oder abzulehnende Schriftsteller.
Fast alle Dichter, die der irischen Renaissance zugerechnet werden, schrieben ausschließlich aufEnglisch. Dies steht in krassem Gegensatz zu den Bemühungen etwa der Gaelic League, dieirische Sprache als nationale und Alltagssprache wiederherzustellen. Die Herkunft der meisten Beteiligten war jedoch städtisch und häufig protestantisch. Wenige hatten enge Kontakte mit dem ebenfalls meist englischsprechenden, einfachen Volk auf dem Lande. Die irische Sprache war ihnen ein ebenso fremdes Medium wie den meisten Engländern. Sich irisch zu fühlen, irisch zu denken und irisch zu schreiben, wie sie es beabsichtigten, hatte Ende des 19. Jahrhunderts mit der irischen Sprache nur noch wenig zu tun. Die literarische Szene trennte sich zunehmend von der sehr aktiven Sprachbewegung.
Dennoch entstanden kurz nach der Jahrhundertwende die ersten Werke moderner irischsprachiger Literatur. Diese Literatur war eine bewusste Neuschöpfung der irischen Sprachbewegung und wird seit der Gründung des irischen Freistaats 1922 bis heute aktiv finanziell und gesellschaftlich gefördert. Bereits 1904 erschien mitSéadna, einer ArtFaustversion von PaterPeadar Ua Laoghaire, der erste literarisch und sprachlich einflussreiche Roman der modernen irischsprachigen Literatur.Pádraic Ó Conaire veröffentlichte 1910 den RomanDeoraidheacht („Exil“), der das Leben im Exil in England beschreibt und dabei einen konsequent modernen Stil einhält. Doch brauchte die Moderne einige Jahrzehnte, bis sie in der irischsprachigen Literatur wirklich Einzug halten konnte. Erst mitMáirtín Ó Cadhain (1906–1970) und verschiedenen Autoren ab den 1960er und 1970er Jahren wurde die irische Literatur zu einer zwar kleinen, aber „normalen“ internationalen Literatur.
Die irische Renaissance war ohnehin vielgestaltig, auch in der Sprachfrage war sie geteilt. Zwischen Autoren der beiden Sprachen gab es offenbar nur wenige persönliche Kontakte, doch wurden zumindest die englischsprachigen Werke von irischsprachigen Autoren rezipiert. Beide Bereiche erwiesen sich jedoch als äußerst fruchtbar für die nachfolgende irische Literatur.
Ein Großteil der frühen Beteiligten dieser „Bewegung“ konzentrierte sich auf die Aufgabe, Irland mit einem Selbstbild und mit Selbstvertrauen zu versehen. Dazu sollte der Nation erklärt werden, was und wer sie war, woher sie stammte. Oft diente zur Erklärung eher ein Traumbild als ein Spiegel, doch dieser Blick nach innen dominierte das kulturelle Selbstverständnis bis weit über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus.
Für Autoren wie Joyce, Beckett, O’Casey, Ó Conaire und Ó Cadhain, die sich auf diese Begrenzungen nicht einließen, war es häufig sehr schwer oder gar unmöglich, sich mit weltoffeneren und moderneren Ansätzen und Ideen in Irland durchzusetzen. Die auf Englisch schreibenden unter ihnen erfuhren im Ausland oft mehr Ruhm und Anerkennung als in Irland.
Bei dieser Bewertung sollte jedoch nicht vergessen werden, dass Yeats, Lady Gregory, Hyde und andere im späten 19. Jahrhundert vor der selbstgewählten Aufgabe standen, etwas ganz neues zu schaffen. Auch wenn aus heutiger Sicht vieles (pseudo-)romantisch und irrational wirkt, haben diese Autoren die Grundlage für die moderne irische Literatur gelegt. Möglicherweise haben erst ihre Bücher die Voraussetzung geschaffen, dass Joyce, Beckett und späterAustin Clarke oderDenis Devlin sich so bewusst von dieser Art derSpätromantik absetzen und international orientierte Wege beschreiten konnten.
Nachdem die irische Bewegung, insbesondere dieGaelic League im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts enorme Mitgliederzahlen vorweisen bzw. auf breite Unterstützung bauen konnte, flaute dies nach dem Erreichen der Unabhängigkeit 1922 recht bald ab. Die irische Sprache wurde zwar als offiziell erste Sprache des neuen Staates installiert, die Anzahl derMuttersprachler konnte jedoch nie mehr erhöht werden. Durch die Einführung des Pflichtfaches an staatlichen Schulen wurde jedoch das Irische alsZweitsprache so stark wie nie zuvor.
Die Quantität und Qualität der irischen Literatur auf Englisch wie auf Irisch ist jedoch nicht abgeflaut. Der enorme Impetus durch die „Renaissancebewegung“ hinterlässt bis heute ihre Spuren in Irland. Das Land ist für seine zahlreichenLiteraturnobelpreisträger ebenso bekannt wie für die breite Anerkennung, die die meisten Schriftsteller und Dichter imöffentlichen Leben genießen. Die irischsprachige Literatur weist seit den 1970er Jahren so hohe Publikationszahlen wie nie zuvor auf.