Logo der 69. Internationalen Filmfestspiele von VenedigDas Hotel Excelsior, Treffpunkt für den erstmals veranstalteten Filmmarkt von Venedig
Die69. Internationalen Filmfestspiele von Venedig (italienisch69. Mostra Internazionale d’Arte Cinematografica) fanden vom29. August bis zum8. September2012 statt. Sie zählen neben derBerlinale und denInternationalen Filmfestspielen von Cannes zu den drei bedeutendstenA-Festivals der Welt. 2012 wurden 3231 Lang- und Kurzfilme für das Festival eingereicht, von denen mehr als 50 aus über 40 Ländern[1] in drei Sektionen (Venezia 69,Außer Konkurrenz,Orizzonti) sowie zwei Retrospektiven (80!,Venezia Classici) vorgestellt wurden. Bei allen aufgeführten Filmen handelte es sich um Weltpremieren.[2] Am häufigsten waren Produktionen und Koproduktionen aus Frankreich vertreten (anteilig 25 Filme), gefolgt von Italien (20) und den Vereinigten Staaten (15).[1] Den Hauptpreis gewann der südkoreanische BeitragPieta vonKim Ki-duk. Der Film stellt einen jungen und brutalen Geldeintreiber ausSeoul (dargestellt vonLee Jung-jin) in den Mittelpunkt, der auf eine ältere Frau (Cho Min-soo) trifft, die behauptet, seine Mutter zu sein.[3]
Hauptspielstätte amLido war derPalazzo del Cinema mit demSala Grande (1032 Sitzplätze). Weitere Spielstätten 2012 waren derSala Darsena (1300 Plätze),PalaBiennale (1700), derSala Perla in Venedigs Casino (400) und der temporär in der Hauptspielstätte eingerichteteSala Volpi (150).[4]
Neuer Direktor des Filmfestivals, das zurBiennale di Venezia gehört, wurde 2012 der ItalienerAlberto Barbera. Der frühere Leiter desTorino Film Festivals und desNationalen Filmmuseums Turin hatte bereits von Dezember 1998 bis April 2002 dieses Amt bekleidet und löste Marco Müller ab, der das Filmfestival seit 2004 geleitet hatte[7] (im März 2012 war bekannt geworden, dass Müller die Leitung des konkurrierenden Filmfestivals vonRom übernehmen würde[8]). Ein neu eingeführtes Reglement schrieb die Anzahl der Filme im internationalen Wettbewerb die um denGoldenen Löwen konkurrieren auf maximal 20 vor, nachdem bei den vorangegangenen Auflagen stets mehr Filme um den Hauptpreis des Festivals gewetteifert hatten. Gleichzeitig sollten in Zukunft nicht mehr als elf Filmproduktionen außerhalb des Wettbewerbs gezeigt werden und die Anzahl an offiziellen Nebensektionen wurde neben den Retrospektiven auf eine (Orizzonti) verringert.[9] Weitere signifikante Neuerungen waren die Eröffnung eines offiziellen Filmmarkts wie in Cannes und Berlin unter Leitung des Franzosen Pascal Diot („Venice Film Markt“, 30. August bis 3. September imHotel Excelsior), auf dem Filmrechte gekauft und veräußert werden konnten sowie die Einrichtung des „Biennale College“, eines speziellenWorkshops für die Produktion vonLow-Budget-Filmen junger internationaler Regisseure.[10] Erstmals in der Geschichte des Filmfestivals wurden außerdem im Rahmen der SektionOrizzonti gegen eine Gebühr Online-Streams von Lang- und Kurzfilmen angeboten.[11]
Bereits vor Festivalbeginn als Laureat fest standFrancesco Rosi. Der italienische Filmregisseur und Drehbuchautor, der 1963 für seinen sozialkritischen SpielfilmHände über der Stadt den Hauptpreis des Filmfestivals gewann, wurde mit demGoldenen Löwen für das Lebenswerk eines Filmschaffenden geehrt. Einher ging diese Ehrung mit der Uraufführung einer restaurierten Fassung seines FilmsDer Fall Mattei, für den er 1972 denHauptpreis der Filmfestspiele von Cannes gewonnen hatte.[12]
Die in Italien tätige polnische SchauspielerinKasia Smutniak wurde als Moderatorin für die Eröffnungs- und Abschlusszeremonie ausgewählt.[13]
Als Nachfolger des letztjährigen JurypräsidentenDarren Aronofsky wurde Anfang Juni 2012Michael Mann präsentiert.[14] Er war damit der dritte US-amerikanische Jurypräsident in Folge seitQuentin Tarantino (2010). Der Filmregisseur, Drehbuchautor und Produzent Mann, der wiederholt betonte keinGenreregisseur sein zu wollen,[15] war in der Vergangenheit zu den wenigenAutorenfilmern desHollywood-Kinos gezählt worden.[16] Er hatte 2004 in Venedig seinen ThrillerCollateral vorgestellt, während er 2011 als Produzent an dem WettbewerbsbeitragTexas Killing Fields – Schreiendes Land mitgewirkt hatte, der Regiearbeit seiner TochterAmi Canaan Mann. LautFrankfurter Allgemeine Zeitung würden in Manns Arbeit„Bild, Ton, Musik und Produktionsdesign, Schauspieler und Schauplätze von Anfang an eine Symbiose“ eingehen,„die den besonderen Sog der Filme“ ausmache.[17]
Wie in den Vorjahren standen dem Jurypräsidenten bei seiner Entscheidung Jurymitglieder zur Seite, wobei die Zahl im Vergleich zu den Vorjahren um zwei erhöht wurde. Es handelte sich überwiegend um Filmschaffende:[18]
Das Wettbewerbsprogramm war am 26. Juli 2012 auf einer offiziellen Pressekonferenz in Rom bekanntgegeben worden. Bis zum 21. Juni, dem Ende der Einreichungsfrist,[9] waren 1459 Spielfilme[2] vorgeschlagen worden. Am 7. August wurde mitPaul Thomas Andersons SpielfilmThe Master ein weiterer Wettbewerbsfilm nachgereicht.[19] 18 Produktionen aus 13 Ländern konkurrierten um den Goldenen Löwen, den Hauptpreis des Festivals. Wie bei den letzten Auflagen kamen die Mehrheit der gezeigten Filme aus Europa (11), gefolgt von den Vereinigten Staaten (4) und Asien (3). Bis auf den mitOutrage Beyond zum siebten Mal eingeladenen japanischen RegisseurTakeshi Kitano (1997 fürHana-Bi mit dem Goldenen Löwen geehrt) hatte keiner der eingeladenen Filmemacher den Hauptpreis des Festivals gewinnen können.
Mit vier Beiträgen waren US-amerikanische Filmemacher wie schon in den Vorjahren am häufigsten vertreten, gefolgt von ihren Kollegen aus Italien (drei) und Frankreich (zwei). Die Regisseure von zehn der 18 bekanntgegebenen Produktionen (Olivier Assayas,Ramin Bahrani, die Co-RegisseurePeter Brosens undJessica Woodworth,Rama Burshtein,Daniele Ciprì,Xavier Giannoli,Harmony Korine,Terrence Malick,Valeria Sarmiento undKirill Serebrennikow) debütieren im Wettbewerb von Venedig. Deutsche und Schweizer Filmemacher waren wie bei der letztjährigen Auflage nicht vertreten. Dagegen erhielt der ÖsterreicherUlrich Seidl seine zweite Einladung nach Venedig. NachHundstage (Spezialpreis der Jury 2001) konkurriert Seidl 2012 mit der KoproduktionParadies: Glaube. Der zweite Teil seinerParadies-Trilogie (der erste TeilParadies: Liebe wurde in den Wettbewerb derFilmfestspiele von Cannes 2012 eingeladen) stellt eine alleinstehende Frau um die 50 (gespielt vonMaria Hofstätter) in den Mittelpunkt. Sie verbringt ihren Urlaub damit, mit einer „Wandermuttergottes-Statue“ von Haus zu Haus zu gehen, um Österreich katholischer zu machen. Es entwickelt sich ein Kleinkrieg um Ehe und Religion, als ihr auf einen Rollstuhl angewiesener Ehemann, ein ägyptischer Moslem (Nabil Saleh), nach Jahren der Abwesenheit wieder zu ihr zurückkehrt.[20]
Die Sektion Orizzonti (dt.:Horizonte) widmet sich neuen Trends im internationalen Film und stellt vor allem unkonventionelle Filme vor, darunter Spiel-, Dokumentar- und Experimentalfilme. Es wurden sowohl Kurz- als auch Langfilme akzeptiert. Erstmals in der Geschichte des Filmfestivals wurden im Rahmen von Orizzonti Online-Streams von 10 aufgeführten Lang- und 13 Kurzfilmen angeboten. Ab 20. August wurden 500 weltweit gültige „virtuelle Kinotickets“ zu einem Preis von 4,20 Euro pro Person angeboten. Die Filme, in der Originalsprache mit englischen Untertiteln versehen, waren ab Aufführungstag 24 Stunden lang für den Nutzer einsehbar.[11]
Der Vorsitz der internationalen Jury oblag dem italienischen SchauspielerPierfrancesco Favino. Ihm zur Seite standen folgende Jurymitglieder:[21]
Die Retrospektive80! widmete sich in Anlehnung an die erste Auflage der Filmfestspiele von Venedig vor 80 Jahren sieben seltenen Lang- und drei Mittellang- und Kurzfilmen, die im Rahmen des Festivals aufgeführt worden waren. Die Kopien stammten aus Beständen derHistoric Archives of the Contemporary Arts of the Biennale (ASAC). Die Filme wurden in Vorbereitung amL’Immagine Ritrovata inBologna restauriert und digital oder analog auf ein35-mm-Format gezogen.[22]
Spielfilme
Die letzte Nacht (Poslednjaja notsch) vonJuli Raisman (Sowjetunion, 1936)
Die ReiheVenezia Classici präsentierte ergänzend zur Retrospektive80! restaurierte Filmklassiker sowie Dokumentarfilme über das Filmemachen und einzelne Filmschaffende. NebenDer Fall Mattei des EhrenpreisträgersFrancesco Rosi wurde auch eine durchCriterion restaurierte Kopie der Originalfassung vonHeaven’s Gate (1980, 219 min) gezeigt, im Beisein des RegisseursMichael Cimino, der mit demPersol Award ausgezeichnet wurde, benannt nach einem Sponsor des Filmfestivals.[23] Die ungekürzte Fassung war bei den Filmfestspielen von Venedig im Jahr 1982 uraufgeführt worden.[24]
Restaurierte Filme
Der Fall Mattei (Il caso Mattei) von Francesco Rosi (Italien, 1972)
Heaven’s Gate von Michael Cimino (Vereinigte Staaten, 1980)
American Dreams vonJames Benning (Vereinigte Staaten, 1984)
DenPremio Luigi De Laurentiis vergab eine Jury unter Vorsitz des indischen FilmregisseursShekhar Kapur. Die Auszeichnung ehrte den besten Debütfilm eines Regisseurs (Löwe der Zukunft), alle Sektionen konnten berücksichtigt werden. Der Preis war mit einer Summe von 100.000 US-Dollar dotiert.[25]
Parallel zum Filmfestival fanden zwei unabhängige Filmreihen statt. Die italienische FilmkritikervereinigungSindacato Nazionale Critici Cinematografici Italiani veranstaltete dieInternationale Kritikerwoche (Settimana Internazionale della Critica – SIC), bei der internationale Debütfilme von einer unabhängigen Kommission ausgewählt wurden. DieAssociazione Nazionale Autori Cinematografici (ANAC) bereitete gemeinsam mit derAssociazione Autori e Produttori Indipendenti (API) dieGiornate degli Autori – Venice Days vor, die italienische und ausländische Spiel- und Dokumentarfilme zeigte.
↑Verena Lueken:Denn sie wissen, was sie tun. In:FAZ, 23. August 2006, S. 31.
↑Michael Mann. In: Internationales Biographisches Archiv 43/2007 vom 27. Oktober 2007, ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW 25/2012 (abgerufen viaMunzinger Online).
↑Peter Körte:Pulsschlagartig. In:FAZ, 5. Februar 2003, S. 38.