Infinitiv
Infinitiv (lateinisch[modus] infinitivus zu lat.infinitum, wörtl. „das Unbegrenzte“, gemeint: „das Unbestimmte“) ist der Name für eineVerbform, in der (normalerweise) Personalformen des Verbs (Person undNumerus) sowieModus nicht ausgedrückt werden. Infinitive tragen meist auch keineTempusformen, es gibt beim deutschen Infinitiv aber zusammengesetzte Formen, die Zeitverhältnisse ausdrücken („gesehen zu haben“). DieAktiv-Passiv-Unterscheidung (und andereDiathesen) existieren regulär genauso im Infinitiv („gesehen zu werden“).
Es gibt einigeInfinite Verbformen, die nicht unter die Bezeichnung „Infinitiv“ fallen, vor allem derInflektiv sowie teilweise auchPartizipien. Allerdings werden Partizip-Formen in deutschen Hilfsverbkonstruktionen (etwa: „ich habegeschlafen“) teilweise auch als „dritter Status des Infinitivs“ bezeichnet (Partizipien, die nicht als Infinitive gelten, sind dann die adjektivisch gebrauchten Partizipien).
ImDeutschen und in vielen anderen Sprachen wird der Infinitiv als Nennform (Zitierform) eines Verbs verwendet; dies ist jedoch nicht in allen Sprachen so. Eine Reihe von Sprachen haben beispielsweise gar keinen Infinitiv, andere Sprachen verfügen zwar über einen Infinitiv, dieser wird aber nicht als Zitierform gebraucht.
Der Infinitiv im Deutschen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Infinitive erscheinen im Deutschen:
- in Verbindung mitinfinitivregierenden Verben (Beispiel:Sie muss bleiben.Er scheint zu schlafen.)[1]
- in nebensatzwertigen Infinitivphrasen (Beispiel:Lange Texte zu lesen, fällt ihm schwer.)[2]
- in hauptsatzwertigen Infinitivphrasen (Beispiel:Nicht aus dem Fenster lehnen!)[3]
Formen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Der Infinitiv ist im Deutschen an der Endung-en zu erkennen (seltener:-n, -n von Verben wieruder-n odersegel-n, die ursprünglich auf-elen oder-eren endeten; auch beitun, von ursprünglichtuen, undsein):
- Der Zeuge willaussagen (Infinitiv Präsens Aktiv).
Man kann den Infinitiv auch in der Zeitform des Perfekt bilden:
- Der Zeuge will die Tatbeobachtet haben (Infinitiv Perfekt Aktiv).
Für beide Zeitformen kann man auch einen Infinitiv im Passiv bilden:
- Der Täter möchte bei der Tat nichtentdeckt werden (Infinitiv Präsens Passiv).
- Der Zeuge könnte zur Aussagegenötigt worden sein (Infinitiv Perfekt Passiv).
Nebensatzwertige Infinitivphrasen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Infinitive können auch mitzu gebildet werden. Wenn außer dem Infinitiv undzu noch ein weiteres Wort zurInfinitivgruppe gehört, spricht man traditionell von einem „erweiterten Infinitiv“. Ein Infinitiv mitzu, der nachgestellt auftritt, hat immer den Status eines eigenen Nebensatzes (was für andere Konstruktionstypen mit Infinitiven nicht unbedingt gilt; näheres siehe unterKohärente Konstruktion).
- Der Zeuge wünschtauszusagen (Präsens Aktiv).
- Er kommt, umauszusagen (Präsens Aktiv).
- Der Zeuge behauptet, die Tatbeobachtet zu haben (Perfekt Aktiv).
- Der Täter hofft, bei der Tat nichtentdeckt zu werden (Präsens Passiv).
- Der Zeuge bestätigt, zur Aussagegenötigt worden zu sein (Perfekt Passiv).
Hauptsatzwertige Infinitivphrasen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Der „freie Infinitiv“ steht unabhängig von einem anderen Verb, vor allem bei Aufschriften und Anweisungen:
- Packungsbeilagebeachten!
Rechtschreibung
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Infinitive werden – wie alle Verben – im Normalfallkleingeschrieben. Sie können jedoch auch substantivisch gebraucht werden und müssen danngroßgeschrieben werden. Beispiele: „das Aussterben der Dinosaurier, zum Lachen sein, meines Erachtens, ohne Ansehen, viel Redens machen.“ Wenn dieSubstantivierung nicht eindeutig ist – eindeutig wird sie z. B. durch einen vorangestelltenArtikel –, erlaubt derDuden sowohl Klein- als auch Großschreibung; seit der 25. Auflage empfiehlt er jedoch Großschreibung (Beispiel: „Irren ist menschlich“). Bei Infinitiven mitReflexivpronomen (Beispiel: „sich regen bringt Segen“) liegt keine Substantivierung vor, sodass Kleinschreibung notwendig ist; bei der Substantivierung solcher Verben entfällt das Reflexivpronomen nämlich(sich regen →das Regen).
Übersichtliche zweiteiligeInfinitivkomposita werden zusammengeschrieben (Beispiele:das Autofahren, das Anderssein).[4]Durchkopplung, d. h. Getrenntschreibung mit Bindestrichen, wird erst bei unübersichtlichen Komposita(das Püree-Essen) sowie bei Komposita mit mehr als zwei Bestandteilen erforderlich(das In-den-Tag-hinein-Leben).[5]
Der Infinitiv in anderen Sprachen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Die meisten Infinitivformen haben keine Merkmale für Person und Numerus. Eine Ausnahme bildet dieportugiesische Sprache, die einen „persönlichen Infinitiv“ kennt(infinitivo pessoal).
In indogermanischen Sprachen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Der Infinitiv kommt in vielen indogermanischen Sprachen vor, hat aber in den verschiedenen Sprachgruppen unterschiedliche Endungen.
- Präsens/Aktiv:clamare (rufen/schreien),vidēre (sehen),audire (hören),agĕre (handeln), venire (kommen)
- Präsens/Passiv:clamari, videri, audiri, agi
- Perfekt/Aktiv:clamavisse, vidisse, adivisse, egisse
- Perfekt/Passiv:clamatum esse, visum esse, auditum esse, actum esse (mitPartizip Perfekt Passiv, deklinierbar)
- Futur/Aktiv:clamaturum esse, visurum esse, auditurum esse, acturum esse
- Futur/Passiv:clamatum iri, visum iri, auditum iri, actum iri (mitSupinum, nicht deklinierbar)
- Spanisch:-ar, -er, -ir
- cantar (singen), beber (trinken), vivir (leben)
- Portugiesisch:-ar, -er, -ir
- falar (sprechen),vender (verkaufen),partir (weggehen)
- Ausnahme:pôr (setzen, stellen, legen)
- Französisch:-er, -dre, -oir, -ir, -re
- donner (geben),prendre (nehmen),savoir (wissen),finir (beenden),vivre (leben)
- Ausnahme:boire (trinken)
- Englisch: mit Infinitivmarker „to“ (fehlt beimbare infinitive)
- to go (gehen),to sleep (schlafen),to sing (singen)
- Italienisch:-are, -ere, -ire
- cantare (singen),vedere (sehen),partire (abfahren)
- Hindi: endet immer auf -ना /naˑ/
- होना /ɦoːnaˑ/ (sein, werden), बेचना /beːt͡ɕ(ə)naˑ/ (verkaufen), ख़रीदना /xəriːd̪(ə)naˑ/ (kaufen)
- Rumänisch: mit Infinitivmarker „a“
- a auzi (hören),a face (machen/tun),a vrea (wollen)
- Russisch: endet immer auf -ть, -ти oder -чь
- жить (leben), писать (schreiben), любить (lieben), идти (gehen), нести (tragen), печь (backen), мочь (können)
- Lettisch: endet auf -t oder -ties
- būt (sein),nākt (kommen),mācīties (lernen)[6]
- Hierbei ist die Endung -ties bei reflexiven Verben zu finden.
- Armenisch: endet auf -ալ oder -ել: կարդալ (lesen), գրել (schreiben)
- dātum (geben),bhávitum (sein)
- Diese Endung ist derAkkusativ von -tu und entspricht demSupinum im Latein und in Baltischen sowie Slawischen Sprachen.
- Im älterenVedischen kamen noch weitere Endungen vor, wobei deren Häufigkeit variieren konnte:
- -e (z. B.dṙśé "sehen"),
- -ase (Dativ von -as, z. B.áyase "gehen"),
- -mane (Dativ von -man, z. B.dāmane "geben"),
- -vane (Dativ von -van, z. B.dāváne "geben")
- -taye (Dativ von -ti, z. B.sātáye "gewinnen")
- -tave (Dativ von -tu, z. B.étave "gehen")
- -sani (Lokativ von -san, z. B.neṣáṇi "führen")
- Hierbei waren die Endungen mitDativ am häufigsten.
In finnougrischen Sprachen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Finnisch: Jedes Verb bildet fünf Infinitive, die jeweils nur in bestimmten Kontexten verwendet werden können und nur in bestimmten Kasusformen oder Konstruktionen (teilweise in Verbindung mit den Possessivsuffixen zur Kennzeichnung der handelnden Person) auftreten.
- Infinitiv I oder A-Infinitiv:laulaa (singen),laulaakseni [-si, -nsa …]
- Infinitiv II oder E-Infinitiv:laulaessa, laulettaessa, laulaen
- Infinitiv III oder MA-Infinitiv:laulamassa, laulamasta, laulamaan, laulamalla, laulamatta, laulaman, laulettaman
- Infinitiv IV oder MINEN-Infinitiv:laulaminen, laulamista
- Infinitiv V oder MAISILLA-Infinitiv:laulamaisillani [-si, -nsa …]
- Estnisch: Jedes Verb bildet zwei Infinitive, und zwar auf -da (selten -ta oder -a) oder -ma, wobei sich beide in der Anwendung im Satz unterscheiden.[8]
- lugema –lugeda (lesen),ostma –osta (kaufen)
- Ungarisch: immer auf-ni
- menni (gehen),futni (rennen)
In Turksprachen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Türkisch: endet immer auf-mak oder-mek
- gülmek (lachen),gelmek (kommen),bakmak (gucken),oynamak (spielen)
In Plansprachen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Esperanto: endet immer auf-i
- iri (gehen),labori (arbeiten),vidi (sehen),kompreni (verstehen)
- Volapük: endet immer auf-ön
- stopön (anhalten),klotön (ankleiden),dolön (schmerzen)[9]
Siehe auch
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Weblinks
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Deutsche Verbtabellen Verbtabellen der gebräuchlichsten deutschen Wörter
Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑Duden. Die Grammatik. 8. Auflage. Dudenverlag, Mannheim, Wien, Zürich 2009,ISBN 978-3-411-04048-3,S. 847 ff. ; eineListe infinitivregierender Verben findet man im Wiktionary
- ↑Duden. Die Grammatik. 8. Auflage. Dudenverlag, Mannheim, Wien, Zürich 2009,ISBN 978-3-411-04048-3,S. 850 ff.
- ↑Duden. Die Grammatik. 8. Auflage. Dudenverlag, Mannheim, Wien, Zürich 2009,ISBN 978-3-411-04048-3,S. 852 ff.
- ↑Deutsche Rechtschreibung: Regeln und Wörterverzeichnis (Memento desOriginals vom 11. Juli 2012 imInternet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäßAnleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.ids-mannheim.de (PDF; 847 kB), § 43
- ↑Deutsche Rechtschreibung: Regeln und Wörterverzeichnis (Memento desOriginals vom 11. Juli 2012 imInternet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäßAnleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.ids-mannheim.de (PDF; 847 kB), § 44
- ↑Berthold Forssmann:Wörterbuch Lettisch-Deutsch. Seiten 39, 132 und 144.
- ↑T. Burrow:The sanskrit language. Seite 364.
- ↑NachKauderwelsch Band 55, Estnisch Wort für Wort. 6. Auflage. 2014, Seite 32.
- ↑NachVolapük - Die Weltsprache, von J. M. Schleyer, Seiten 50 und 75.
Tempus | Präsens |Präteritum (Imperfekt) |Perfekt |Plusquamperfekt |Futur I |Futur II |
Numerus | |
Modus | |
Genus verbi | |
Person | |
Infinite Verbformen | |
Aspekt | am-Progressiv (noch nicht sicher etabliert),Absentiv (umstritten) |