Iatrochemie

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DieIatrochemie – abgeleitet vongriechischιατρός(iatrós = „Arzt“) undχημεία (chemeia = wörtlich „die Kunst der [Metall]gießerei“, „Chemie“) – und auch alsChemiatrie,Chemiatrik oderChymiatrie (von lateinischchymiatria, bei Alsted[1] auchmedicina chymica undchymia medica genannt[2]) bezeichnet, ist eine insbesondere vonParacelsus im 16. Jahrhundert verbreitete Nutzbarmachung derAlchemie (als Grundlage zur Herstellung möglichst reinerHeilmittel) für dieMedizin.[3] Die Chymiatrie mit der vermehrten Einbringung chemisch-mineralischer Stoffe in den Arzneimittelschatz (Materia medica) ist die historische Vorstufe derpharmazeutischen Chemie[4] und damit wie spätmittelalterliche Schriften derAlchemia medica undArs destillatorio von Einfluss auf die Entstehung der modernen Pharmakotherapie[5] gewesen.

Paracelsus unternahm den Versuch, einen genauen Zusammenhang zwischen einemMedikament und derKrankheit, die damit behandelt wurde, herzustellen.[6] Dazu formulierte er seine Lehre vomMikrokosmos (Welt des Winzigkleinen) – der Mensch, und demMakrokosmos (Welt des Riesiggroßen) – seineUmwelt. Beides bestehe aus den gleichenSubstanzen und deshalb entstünde die Krankheit, wenn das „äußere“Mineral seinen Zwilling im Körper entzündet und so die Krankheit zum Ausbruch bringt. Die Behandlung bestand darin, aus dem verursachenden Mineral ein Heilmittel herzustellen und es dem Patienten zu verabreichen. Die Herstellung dieser reinen Heilmittel (als vor allem durch „Sublimation“ und „Destillation“ von unreinen „Schlacken“ befreite, von ihmarcana genannte Wirkstoffe) erfolgte mitalchemistischen Methoden, von Paracelsus auchSpagyrik[7] genannt. Dem Leitprinzip der Chemiatrieseparatio puri ab impuro, wie es mit den Destillationsmethoden beiMichael Puff,Hieronymus Brunschwig oderJohannes de Rupescissa bereits verbreitet wurde, verhalf Paracelsus zum endgültigen Durchbruch.[8]

Diese Lehre konnte sich nicht durchsetzen, weil aus seinen Schriften nicht hervorging, wie eine Krankheit genau ihrer mineralischen Ursache zuzuordnen sei.Johan Baptista van Helmont (1577–1644) versuchte diese Theorie weiterzuentwickeln, scheiterte aber an demselben Problem. Die Rezepturen des Paracelsus waren wirksam und setzten sich durch, die Theorie dazu jedoch nicht.

Die Forschungsergebnisse von van Helmont führten allerdings zur Entstehung der Iatrochemischen Schule im 16. und 17. Jahrhundert mit den ExponentenFranciscus Sylvius (eigentlich Franz de le Boë, 1614–1672). der eine Lehre von den sauren und alkalischen Schärfen des Blutes entwarf,[9] und dem EngländerThomas Willis (1621–1675). Sie reformulierten die galenische Lehre der Gegensätze in chemischer Terminologie als „Säure“ und „Alkali“ und versuchten,Physiologie undPathogenese anhand dieser chemischen Gegensätze zu erklären.

Im Gegensatz zur rein chemischen Deutung aller biologischen und pathologischen Phänomene durch dieIatrochemiker (oderChemiater) wollten die Iatrophysiker als Vertreter derIatrophysik die Phänomene der Lebensvorgänge (Physiologie) rein physikalisch erklären.[10]

Erste Lehrstühle für Iatrochemie an deutschen Universitäten wurden im 17. Jahrhundert eingerichtet:

Wichtige frühe Vertreter der Iatrochemie (Chemiatrie) waren Johan Baptista van Helmont,Martin Ruland der Ältere undMartin Ruland der Jüngere. Weitere frühe akademische Vertreter der Chemiatrie waren Johannes Hartmann,Daniel Sennert undAndreas Libavius sowieJoachim Tancke[11] und Johannes Hiskias Cardilucius († 1697, Herausgeber einer 1676 in Nürnberg erschienenenWunderarznei, eine Sammelhandschrift alchemischen Inhalts, welche dieConsideratio vonJohannes de Rupescissa enthält.[12]) Im Laufe des 17. Jahrhunderts stellte insbesondereSylvius die Iatrochemie auf eine rationalere Basis.

Die Verknüpfung der Chemie mit der Medizin bzw. Pharmazie wurde erst im 18. Jahrhundert gelockert. Im Jahr 1750 wurde an derschwedischen Universität vonUppsala der neu eingerichtete Lehrstuhl für Chemie (vertreten durchJohan Gottschalk Wallerius) in der Philosophischen Fakultät eingerichtet, sehr zum Missfallen der Mitglieder der Medizinischen Fakultät. Hintergrund für diese Entscheidung waren wirtschaftliche Interessen: Man versprach sich mehr wirtschaftlichen Nutzen von einer wissenschaftlichen Unterstützung desBergbaus.

Auch seitens der Medizin wurde die Iatrochemie zunehmend durch die insbesondere durchHerman Boerhaave in Holland,Friedrich Hoffmann in Deutschland undThomas Sydenham in England vertretene rationell-empirische Medizin verdrängt.

Siehe auch:

Literatur

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  • Pierer’s Universal-Lexikon. Band 3, Altenburg 1857, S. 896.
  • Harris L. Coulter:Divided Legacy. A History of the Schism in Medical Thought Vol. II, North Atlantic Books, Berkeley 2000,ISBN 1-55643-371-9.
  • Bernhard D. Haage:Iatrochemie. In:Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage,Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.):Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin / New York 2005,ISBN 3-11-015714-4, S. 651 f.
  • Reijer Hooykaas:Die Elementenlehre der Iatrochemiker. In:Janus 41, 1937, S. 1–28.
  • Christoph Meinel:„…die Chymie anwendbarer und gemeinnütziger zu machen“ – Wissenschaftlicher Orientierungswandel in der Chemie des 18. Jahrhunderts. In:Angewandte Chemie. Bd. 96 (1984), H. 5, S. 326–334,doi:10.1002/ange.19840960505.
  • Roy Porter:Die Kunst des Heilens. Eine medizinische Geschichte der Menschheit von der Antike bis heute. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg/Berlin 2003,ISBN 3-8274-1454-7.

Einzelnachweise

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  1. Johann Heinrich Alsted:Encyclopaedia Cursus Philosophici. 7 Bände. (Gedruckt bei)Christoph Corvin, Herborn, S. 1803–1815 und 2274–2277.
  2. Joachim Telle:Zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Alchemia medica unter besondere Berücksichtigung von Joachim Tanck. In:Rudolf Schmitz, Gundolf Keil (Hrsg.):Humanismus und Medizin. Acta humaniora, Weinheim 1984 (=Deutsche Forschungsgemeinschaft: Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung. Band 11),ISBN 3-527-17011-1, S. 139–157, hier: S. 147.
  3. Bernhard Dietrich Haage:Iatrochemie vor Paracelsus. In:Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 14, 1996, S. 17–27; hier: S. 17–19.
  4. Rudolf Schmitz:Der Arzneimittelbegriff der Renaissance. In: Rudolf Schmitz,Gundolf Keil:Humanismus und Medizin. Acta humaniora, Weinheim 1984 (=Deutsche Forschungsgemeinschaft: Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung. Band 11),ISBN 3-527-17011-1, S. 1–21, hier: S. 15–16.
  5. Udo Benzenhöfer:Johannes’ de Rupescissa „Liber de consideratione quintae essentiae omnium rerum“ deutsch. Studien zur Alchemia medica des 15. bis 17. Jahrhunderts mit kritischer Edition des Textes (=Heidelberger Studien zur Naturkunde der frühen Neuzeit. Band 1). Steiner, Wiesbaden/Stuttgart 1989,ISBN 3-515-05388-3 (Zugleich Philosophische Dissertation, Universität Heidelberg, 1988), S. 198.
  6. Albert Gossauer:Struktur und Reaktivität der Biomoleküle, Verlag Helvetica Chimica Acta, Zürich, 2006, S. 262,ISBN 978-3-906390-29-1.
  7. Bernhard Dietrich Haage:Iatrochemie vor Paracelsus. In:Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 14, 1996, S. 17–27; hier: S. 19–23.
  8. Udo Benzenhöfer:Johannes’ de Rupescissa „Liber de consideratione quintae essentiae omnium rerum“ deutsch. Studien zur Alchemia medica des 15. bis 17. Jahrhunderts mit kritischer Edition des Textes (=Heidelberger Studien zur Naturkunde der frühen Neuzeit. Band 1). Steiner, Wiesbaden/Stuttgart 1989,ISBN 3-515-05388-3 (Zugleich Philosophische Dissertation, Universität Heidelberg, 1988), S. 72.
  9. Vgl.Paul Diepgen,Heinz Goerke:Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 25.
  10. Paul Diepgen,Heinz Goerke:Aschoff: Kurze Übersichtstabellen zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 24.
  11. Joachim Telle:Zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Alchemia medica unter besondere Berücksichtigung von Joachim Tanck. In:Rudolf Schmitz, Gundolf Keil (Hrsg.):Humanismus und Medizin. Acta humaniora, Weinheim 1984 (=Deutsche Forschungsgemeinschaft: Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung. Band 11),ISBN 3-527-17011-1, S. 139–157, hier: S. 157.
  12. Udo Benzenhöfer:Johannes’ de Rupescissa „Liber de consideratione quintae essentiae omnium rerum“ deutsch. Studien zur Alchemia medica des 15. bis 17. Jahrhunderts mit kritischer Edition des Textes (=Heidelberger Studien zur Naturkunde der frühen Neuzeit. Band 1). Steiner, Wiesbaden/Stuttgart 1989,ISBN 3-515-05388-3 (Zugleich Philosophische Dissertation, Universität Heidelberg, 1988), S. 76, 81 und 199.
Normdaten (Sachbegriff):GND:4161166-4(lobid,OGND,AKS)
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