Mit hohem Druck wird Ammoniakgas im Überschuss in die Lösung gepresst, dabei erwärmt sich diese auf ca. 400 K, und es erfolgt die Weiterreaktion zu Hydrazin.
Bayer-Prozess: Oxidation von Ammoniak mit Natriumhypochlorit in Gegenwart vonAceton.
Hydrazin bildet mit Aceton ein Ketazin, das Kondensationsprodukt einesKetons mit Hydrazin.
Das Ketazin lässt sich bei 8–12 bar und 180 °C zu Hydrazinhydrolysieren.
Durch Einleiten vonChlor in eine 20%ige Harnstofflösung und anschließender Zugabe von 20%igerNatronlauge. Die Ausbeute liegt bei etwa 50 %.
Der mechanistische Ablauf ist derselbe wie der derHofmann-Umlagerung: Zuerst Bildung desAmidat-Ions durch Deprotonierung, dannelektrophileHalogenierung des Amidat-Ions, gefolgt von der zweiten Deprotonierung. Das Chloramidation zerfällt spontan zum Acylnitren und einem Chloridion. Das Acylnitren lagert sich zumIsocyanat um, welches unter Addition von Wasser die unbeständigeCarbamidsäure liefert, die dann zuKohlendioxid und Hydrazin zerfällt. Das entstandene Kohlendioxid wird unter Bildung vonNatriumcarbonat von derNatronlauge aufgenommen.
Das Monohydrat kann ebenfalls aus trockenemHydraziniumsulfat undKaliumhydroxid durch Zugabe von Wasser und anschließender Destillation in einer Ausbeute von 25 % der Theorie erhalten werden:
Zu 99,5 % wasserfreies Hydrazin entsteht bei der fraktionierten Destillation des Monohydrats mit Natriumhydroxid im Stickstoffstrom.
Eine weitere Möglichkeit zur Herstellung trockenen Hydrazins ist die Freisetzung von Hydrazin aus Hydrazinium-Salzen durch Zugabe der stärkeren Base Ammoniak als Säurebinder:[13]
Reines Hydrazin[14] kann beim Erhitzen explosionsartig zu Ammoniak und Stickstoffdisproportionieren. Die Reaktion verläuft mit einerReaktionsenthalpie von −123,3 kJ·mol−1 bzw. −4128 kJ·kg−1 stark exotherm.[15]
Konzentrierte Lösungen sind in Verbindung mitOxidationsmitteln hochexplosiv, teilweisehypergol. Hydrazin kann auch katalytisch zersetzt werden; dies wird in der Technik angewandt, z. B. in Korrektur- oder Nottriebwerken.
Die Verbindung bildet mit Wasser einAzeotrop mit einem Hydrazin-Gehalt von 58,5 %, das bei 120,5 °C siedet.[16]
Hydrazin ist eine zweiwertigeBase (pKb1 = 6,07; pKb2 = 15), jedoch schwächer als Ammoniak (pKb = 4,75). Es reagiert als zweiwertige Base mit Säuren zu zwei Reihen vonHydraziniumsalzen (Name analog zumAmmonium) mit der allgemeinen Zusammensetzung [H2N–NH3]+X− und [H3N–NH3]2+2X−. Mit Salzsäure bildet sichHydraziniummonochlorid ([H2N–NH3]Cl) undHydraziniumdichlorid ([H3N–NH3]Cl2). Mit Schwefelsäure bildet sichHydraziniumsulfat ([H3N–NH3]SO4) undDihydraziniumsulfat ([H2N-NH3]2SO4).
Gegenüber sehr starken Basen (pKb ≪ 0) fungiert Hydrazin auch als Säure. So kann durch Reaktion von Natriumhydrid oderNatriumamid mit Hydrazin äußerst oxidationsempfindliches Natriumhydrazid erhalten werden, in welchem Hydrazid-Anionen vorliegen (N2H3−). Umgekehrt reagieren Hydrazid-Ionen mit Wasser praktisch vollständig zu Hydroxid-Ionen und Hydrazin.
Aufgrund seiner hochreaktiven Eigenschaften verwendet man Hydrazin vor allem alsRaketentreibstoff, der mit denOxidatorenDistickstofftetroxid oderSalpetersäure einehypergole Treibstoffkombination bildet. Hydrazin wird nicht nur pur, sondern auch gemischt zusammen mit1,1-Dimethylhydrazin mit den oben genannten Oxidatoren verwendet. Bekannte Gemische mit verschiedener Konzentration der beiden Bestandteile zueinander sindAerozin 50 undUH 25.
Hydrazin kann in geeigneten Brennstoffzellen, denHydrazin-Brennstoffzellen, zur elektrochemischen Stromerzeugung genutzt werden. Die Speicherung des flüssigen Hydrazinhydrats kann im Vergleich zum gasförmigen Wasserstoff in beliebig geformten Tanks erfolgen, da diese für geringere Drücke ausgelegt werden können. Aufgrund der Giftigkeit des Hydrazins ist die Anwendung von Hydrazin-Brennstoffzellen nur noch in Sonderbereichen wie derRaumfahrt oder beimMilitär denkbar.
Monotreibmittel für Schubdüsen, Notenergieaggregate und Auftauchsysteme
Hydrazin wird in Korrekturtriebwerken verwendet, wo es katalytisch in einer stark exothermen Reaktion in gasförmigen Stickstoff und Wasserstoff zersetzt wird, zum Beispiel auch bei denVoyager-Sonden.[17][18] Nach Firmenangaben aus dem Jahr 2018 arbeiten über 500 hydrazinbetriebene Schubdüsen im Weltraum, und auch in derAriane 5 kommen sie zum Einsatz.[19]
InU-Booten, z. B. in derU-Boot-Klasse 214, wird ein Hydrazinzersetzer als integraleKomponente eines Rettungssystems verwendet, das RESUS (REscue system for SUbmarineS) genannt wird, und das mit Hilfe des durch Hydrazinzersetzung entstandenen Gasdrucks auch dann ein Auftauchen des U-Boots ermöglicht, wenn andere Systeme versagt haben.[22]
Verdünnte Hydrazin-Lösungen werden auch als Reagenzien im Labor sowie zur Deoxigenierung (Befreiung von Sauerstoff) vonKesselspeisewasser inDampfkraftwerken eingesetzt. Die Verwendung erfolgt sowohl für die Entfernung des Restsauerstoffes nach Speisewasserentgasung, zum Schutz gegen mögliche geringe Sauerstoffeinbrüche im Bereich des Kondensators wie auch für diekatalytische Sauerstoffentfernung aus dem Zusatzwasser. Der Vorteil von Hydrazin ist, dass nur Stickstoff und Wasser bei dieser Reaktion entstehen.[23] Neben der Deoxigenierung wird auch eine Anhebung despH-Wertes im Wasser-Dampf-Kreislauf erreicht.
Hydrazin wird als lagerbarer Treibstoff in vielen Raketen, Satelliten und Raumsonden verwendet. Dies kann zu einer erheblichen Umweltgefahr führen, wenn ein Raketenstart misslingt. Hat ein Satellit bereits eineUmlaufbahn erreicht, ist es aufgrund der hohenGeschwindigkeit von mindestens acht Kilometern pro Sekunde und der ungünstigenaerodynamischen Verhältnisse bei den kugelförmigen Tanks praktisch ausgeschlossen, dass diese auf den Erdboden aufschlagen, da sie aufgrund der hohen kinetischen Energie in der Atmosphäre verglühen. Das Hydrazin zersetzt sich dabei.
Bei derChallenger-Katastrophe 1986 wurde keine Hydrazin-Kontamination festgestellt. Nach einer erfolgreichen Shuttle-Landung war stets eine der ersten Sicherheitsmaßnahmen, den stehenden Orbiter auf austretendes Hydrazin zu untersuchen. Erst wenn dieser Test negativ ausfiel, durften sich weitere Hilfsfahrzeuge, etwa zur Kühlung, dem Shuttle nähern.
Bei derColumbia-Katastrophe im Jahre 2003 wurde vor einer möglichen Hydrazin-Kontamination von der NASA in den Medien gewarnt, und tatsächlich wurde im Jahr 2011 in einem texanischen See ein weitgehend intakter Hydrazin-Tank der Columbia gefunden.[25]
Auch bei Abstürzen von Kampfjets des Types F-16 wird regelmäßig vor den Gefahren des mitgeführten Hydrazins gewarnt[26] sowie das umliegende Grund- und Trinkwasser auf etwaige Kontaminierungen getestet[27] und teilweise geringfügige Mengen gemessen.[28]
Der Abschuss des US-amerikanischenUSA-193-Satelliten 2008 wurde in den Medien mit der Gefährdung durch das an Bord befindliche Hydrazin begründet.
Die Verwendung von Hydrazin in Wasser-Dampf-Systemen (Dampfkesselanlagen und Fernwärmesystemen) unterliegt bereits seit 1991 strengen Vorschriften, die in derTRGS 608[29] definiert sind. So ist z. B. die direkte Trinkwassererwärmung beiFernwärmesystemen, die mit Hydrazin konditioniert sind, nicht zulässig, sondern es muss ein Zweikreissystem installiert werden.
Hydrazin ist seit Juni 2011 wegen des Verdachts auf krebserregender Wirkung in dieSVHC-Kandidatenliste (Liste besonders besorgniserregender Stoffe) aufgenommen. Dies hat zunächst nur Auswirkungen auf besondere Informationspflichten in der Lieferkette.
↑Davis, D.D.; Wedlich, R.C.; Martin, N.B.:Transition Metal Catalysis of the Heterogeneous Decomposition of Hydrazine: Adiabatic Kinetics by Accelerating Rate Calorimetry inThermochim. Acta 175 (1991) 175–188,doi:10.1016/0040-6031(91)80064-P.
↑Eintrag zuHydrazin. In:Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 14. Juni 2014.
↑Vierter Satz der Symphonie. In:Der Spiegel.Nr.35/1989, 28. August 1989,S.190–195 (online).
↑RESUS - Rescue Systems for Submarines. In: Orbital Propulsion Centre, Lampoldshausen, Germany > Submarine Recovery and Rescue Systems. ArianeGroup GmbH, Taufkirchen, abgerufen am 22. Juni 2019 (englisch).
↑K. Hancke, S. Wilhelm:Wasseraufbereitung: Chemie und chemische Verfahrenstechnik. Springer, 2003,ISBN 3-540-06848-1, S. 249.
↑F. Zymalkokowski:Katalytische Hydrierung, Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart 1965.