
Unter einemHostienwunder versteht man eineucharistisches Wunder, das unerklärte Erscheinungen an einerkonsekriertenHostie beinhaltet. Die häufigsten Erzählungen über Hostienwunder seit dem 12. Jahrhundert sind Berichte überBluthostien, an denen sich auf wunderbare WeiseBlut gezeigt haben soll.
Die Erscheinungen werden oft im Zusammenhang mit ritueller Nachlässigkeit, mit Glaubenszweifeln oder mit angeblichemHostienfrevel beschrieben. Hostienfrevel wurde oftJuden zur Last gelegt, so bei den Hostienwundern vonRöttingen,Deggendorf,Sternberg undFlassau. Hostienwunder waren daher auch Anlass für antijüdischePogrome.
Da nach der im 11. und 12. Jahrhundert diskutierten kirchlichen Lehre bei derMesseBrot und Wein substanziell in den Leib und das Blut Christi verwandelt werden (Realpräsenz), entstanden im Mittelalter zahlreicheLegenden darüber, dass diese normalerweise nicht sinnlich wahrnehmbare Verwandlung nach außen sichtbar geworden sei. Solche Wunderberichte spielten auch bei der Entstehung desFronleichnamsfestes eine Rolle.
Nachdem im 11. JahrhundertBerengar von Tours eine materielle Verwandlung der eucharistischen Gaben bestritten hatte, wurden Bluthostien zu einer ArtGottesurteil über die „wahre Lehre“. Es gibt auch Berichte, nach denen sich in derHeiligen Messe die Hostie inFleisch und der Wein in Blut verwandelt haben sollen.
Als erstes Hostienwunder der Kirchengeschichte wird seit einigen Jahrzehnten häufiger daseucharistische Wunder von Lanciano genannt. Es wird erstmals in einem Dokument aus dem Jahr 1631 erwähnt, das den Ursprung einer inLanciano – dem legendären Geburts- und Sterbeort des heiligen Longinus – aufbewahrten Blut- und Hostienreliquie mit einem Wunder erklärt, das angeblich im 8. Jahrhundert einem griechischen Mönch widerfahren sein soll. Die dortige „Hostie“ soll Untersuchungen zufolge eine mumifizierte Scheibe menschlichenHerzgewebes sein, die mitZwecknägeln auf einem Holzbrett befestigt wurde.Reliquien mit Blutstropfen, die im eucharistischen Kontext entstanden sein sollen, werden u. a. auch inBrügge,Mantua undBolsena verehrt, wo allerdings keine Hostienreste erhalten sind. Ein Grund dafür, dass das Phänomen gehäuft seit dem 13. Jahrhundert auftrat, dürfte neben dem frömmigkeitsgeschichtlichen Umschwung zurGotik mit ihrer leiborientierten Schmerzensmystik auch sein, dass etwa seit dem 12. Jahrhundert in derlateinischen Kirche ungesäuerterBrotteig für Hostien verwendet wird, denn dasBacterium prodigiosum kann aufSauerteigen nicht wachsen.
Hostienwunder riefen teils nur kurzlebige, teils auch bis heute andauerndeWallfahrtsbräuche hervor. Die märkischeWunderblutkirche Wilsnack und dieKapelle des Heiligen Blutes in Sternberg wurden wegen solcher Hostienwunder in Nordeuropa zu Zielen von Wallfahrten. DieWunderblutkirche Wilsnack war Ziel desPilgerwegs von Berlin nach Wilsnack. Im Süden warSeefeld in Tirol wegen seines Hostienwunders ein beliebter Pilgerort. Auf der Basis dieser Sage schrieb und inszenierte der Autor und RegisseurHolm Dressler das Theaterstück „Das Hostienwunder von Seefeld“, das im September 2016 in Seefeld in Tirol uraufgeführt wurde.

Zum Vorstellungskreis der eucharistischen Wunder gehören auchErscheinungen, die demPriester während der Messe zuteilgeworden sein sollen.
Bekanntestes Beispiel ist dieGregorsmesse, ein seit dem 13. Jahrhundert verbreiteter Bildtyp, der auf einen Bericht desPaulus Diaconus über eine MesseGregors des Großen zurückgeht. Abgebildet ist die Erscheinung Jesu alsSchmerzensmann, der ihm in der Messe erschienen sein soll. Bei Paulus Diaconus ist allerdings nur von einem blutigen Finger die Rede.
Ein typisches Beispiel für eine frühe Wundererzählung ist auch der böhmische PriesterPeter von Prag, der nach Zweifeln an der Wirklichkeit der Wandlung 1263 inBolsena das Brot für die Kommunion gebrochen und dabei Blutstropfen entdeckt haben soll.
Von eucharistischen Wundern zu unterscheiden sind Legenden über den Verbleib des Blutes Jesu, das bei seiner Kreuzigung aufgefangen worden sein soll. Zur Zeit der Kreuzzüge verband sich die Legende vonJosef von Arimathäa, der das Blut Jesu aufgefangen haben soll, mit dem Ritterepos von derArtusrunde zurGralssage. Andere Legenden berichteten, dassMaria Magdalena oder der römische OffizierLonginus das Blut aufgefangen hätten. Im 13. Jahrhundert wurdenBlutreliquien populär – Ampullen mit dem Blut Jesu oder einesMärtyrers, die an bestimmten Tagen durch Flüssigwerden ihre Wunderkraft zeigten. Oft wurden derartige Blutreste mit eucharistischen Wundern in Zusammenhang gebracht oder erklärt.
Schon seit der Entstehungszeit dieses Wundertyps gab es daran theologisch begründete Kritik.Albertus Magnus hielt derartige Wunder für Visionen.Thomas von Aquin betrachtete sie skeptisch, da er ihren Sinn in Frage stellte und sie als Widerspruch zu seiner Lehre von der streng übernatürlichen (und darum äußerlich definitionsgemäß nicht wahrnehmbaren)Transsubstantiation ansah. AuchNikolaus von Kues wandte sich entschieden gegen den Bluthostienkult, ebensoJan Hus auf demKonzil von Konstanz, desgleichen die Erfurter Theologen, die die Wallfahrt nach Wilsnack ablehnten und dazu auf die kritische Haltung des Thomas von Aquin zum eucharistischen Wunder verwiesen. Sie konnten sich nicht gegen die päpstliche Kurie durchsetzen, die die Wallfahrt 1453 sanktionierte. In den theologischen Diskussionen des Mittelalters warfen vor allem der theologische Zweck solcher Erscheinungen, die unklare Logik des Wundergeschehens und die damals noch uneinheitlich gehandhabte Praxis der Aufbewahrung geweihter Hostien Fragen auf.
Heute geht man auch unter römisch-katholischen Fachleuten überwiegend davon aus, dass es sich bei den historisch überlieferten Erscheinungen großteils um fromme Legenden, um Betrug, Selbsttäuschungen oder auch anderweitig erklärbare Phänomene handelt. Nur bei überzeugenden Hinweisen auf ein mögliches übernatürliches Geschehen erlaubt dierömisch-katholische Kirche auch heute noch Verehrungshandlungen, so etwa in Polen, wo am 17. April 2016 derBischof von Liegnitz die Verehrung einer im Dezember 2013 aufgetauchten Hostie genehmigte, welche „die charakteristischen Merkmale eines eucharistischen Wunders“ aufweise.[1][2] Ein etwa gleichzeitig imBistum Salt Lake City in denUSA untersuchtes Ereignis wurde hingegen nicht anerkannt.[3]
Insbesondere dasBakteriumSerratia marcescens (auchBacterium prodigiosum genannt, „Wunderbakterium“) soll für viele Erscheinungen vom Typ eines Hostienwunders verantwortlich sein.[4] Dabei treten rötliche Gewächse an den Hostien auf, die als Blutreste gedeutet werden. Das Bakterium entfaltet sich besonders rasch auf mit Wein getränkten Hostien, früher die übliche Aufbewahrungsweise des Allerheiligsten imTabernakel. Auch derSchimmelpilzNeurospora crassa kann auf Hostien gedeihen und diese rot verfärben, was ebenfalls den falschen Eindruck einesBlutwunders erweckt.[5] Auch bei gewässerten Hostien kommt derartiger Pilz- oder Bakterienbewuchs oft vor (Auflösung in Wasser ist übliche Art der Vernichtung geweihter Formen, die wegen Verschmutzung oder Beschädigung nicht mehr konsumiert werden können).
Durch Pilz- und Bakterienbefall nicht zu erklären sind Wunder, bei denen menschliches Blut oder Körperzellen an den Hostien gefunden werden, diehistopathologisch untersucht und näher bestimmt werden können, oder wo Wucherungen aus solchen Zellen an den Hostien gefunden werden (meist als „Herzgewebe“ identifiziert). Ein solches Wunder soll sich 2013 inLiegnitz ereignet haben.[6] Allerdings waren an der Untersuchung der dort an gewässerten Hostien entdeckten Zellen strenggläubigePathologen beteiligt, die bereits 2009 ein gleichartiges, angebliches Hostienwunder in einer anderen polnischen Diözese positiv begutachtet hatten.[7][8][9]