Diefranzösische HauptstadtParis ist nicht nur das politische, sondern auch das gesellschaftliche und wirtschaftliche Zentrum des Staats
Sehr oft entwickelte sich die Hauptstadt über einen langen Zeitraum hinweg zum unangefochtenen Herzstück einesNationalstaats. Sie ist nicht nur politisches Zentrum (Residenzstadt), sondern auch Mittelpunkt der Industrie, Wissenschaft, Kunst und Kultur einer Region (Hauptort). ImStädtebau einer Hauptstadt machen sich die Hauptstadt- und Regierungsfunktionen häufig durchmonumentale und auf staatlicheSelbstdarstellung zielende Gebäude, Straßenzüge, Plätze und Grünanlagen sowie durch die Anlage einesRegierungsviertels bemerkbar.
InFrankreich konnte sich die HauptstadtParis zur bedeutendsten Stadt des Landes entwickeln. Bereits imMittelalter wurde der Grundstein für diese Entwicklung gelegt, als diefranzösischen Könige die Stadt zu ihrer Hauptstadt machten, indem sie damit begannen,zentralörtliche, ofthöfische, später zunehmendstaatliche Funktionen an diesem Ort zu konzentrieren (Zentralismus). 1257 entstand etwa mit dem GymnasiumCollège deSorbonne der Vorgänger der ältesten und bekanntesten Universität Frankreichs.Franz I. ließ im 16. Jahrhundert Künstler wieMichelangelo,Tizian oderRaffael nach Paris kommen und legte damit den Grundstock für die königliche Gemäldesammlung, die heute derLouvre beherbergt. In den folgenden Jahrhunderten entstanden weitere für Frankreich bedeutende Einrichtungen wie z. B. dieAcadémie française. Trotz der Verlagerung der Residenz von Paris nachVersailles unterLudwig XIV. blieb die Stadt weiterhin das politische und wirtschaftliche Zentrum. Die Stadt wurde weiter ausgebaut, sie beherbergte zwischen 1855 und 1937 sechsWeltausstellungen. Während derBelle Époque wurde die Stadt erneut zu einem international anerkannten kulturellen und intellektuellen Zentrum. Noch in den letzten Jahrzehnten errichtetenfranzösische Präsidenten monumentale Bauwerke wie denGrande Arche, was die Bedeutung der Stadt weiter unterstrich. Paris ist auch heute nicht nur Zentrum der Kultur und Politik, die Stadt ist größter Verkehrsknotenpunkt und größter Wirtschaftsraum in Frankreich. Es fahren auch viele Besucher in die Hauptstadt.[1]
Die BundesstadtBern wurde 1848 im Rahmen derschweizerischen Bundesstaatsgründung durch einen politischen Kompromiss zur neuen Bundesstadt des Landes ernanntDiekanadische HauptstadtOttawa wurde 1857 auch aufgrund ihrer Lage an der englisch-französischen Sprachgrenze zum politischen Zentrum des Landes gewählt
Von der weit verbreiteten Norm, als Hauptstadt auch das kulturelle und wirtschaftlicheZentrum zu sein, weichen viele Hauptstädte aus verschiedenen historischen oder politischen Gründen ab. So ist die Hauptstadt nicht immer zugleich die größte und bedeutendste Stadt. Ihre Bedeutung beschränkt sich oftmals nur auf die Funktion als Regierungssitz. Oftmals wandeln sich allerdings im Laufe der Jahre anfänglich bedeutungslose, zu Hauptstädten ernannte Städte durch ihren erlangten Status zu wichtigen Zentren über ihre administrative Bedeutung hinaus.[3]
Zur Wahl Berns als Sitz von Bundesregierung und Bundesparlament sieheHauptstadtfrage der Schweiz.[4] Die Hauptstadt derVereinigten Staaten,Washington, D.C., belegt in der Reihung nach Einwohnerzahlen nur Platz 27 (auf Rang 1 stehtNew York City). Aufgrund der geografisch zentraleren Lage und als Zeichen der Abgrenzung vomOsmanischen Reich wurde die Hauptstadt der neu gegründetenTürkischen Republik 1923 von der MetropoleIstanbul ins deutlich kleinere und vergleichsweise unbedeutendeAnkara verlegt. Die zuvor eher unbedeutendekanadische StadtOttawa wurde aufgrund ihrer Lage an derenglisch-französischen Sprachgrenze und somit besseren Akzeptanz für beide Bevölkerungsteile als Hauptstadt ausgewählt. Man ging für eine Kleinstadt auch von einer geringeren Bedrohungslage im Kriegsfall aus.[5]Kasachstan verlegte 1997 seine Hauptstadt vonAlmaty in das halb so großeAstana. Zum einen geschah dies wegen der Erdbebengefahr in Almaty, zum anderen wählte man die Stadt in der ungefähren Mitte des Landes zwecks besserer Kontrolle derrussischsprachigen Minderheit im Norden.
Im Jahr 1949 wurde in derBundesrepublik Deutschland die bis dahin wenig bedeutende StadtBonn zur (provisorischen)Bundeshauptstadt gewählt. Dies geschah wohl vor allem auf Initiative desRheinländers und erstenBundeskanzlersKonrad Adenauer.[6] Ein weiterer Grund für den Erfolg Bonns gegenüber dem MitbewerberFrankfurt am Main war vermutlich die Befürchtung, dass sich die Bevölkerung nach einer Wiedervereinigung für die Beibehaltung Frankfurts als Hauptstadt hätte aussprechen können. Bei Bonn handelte es sich bei Weitem nicht um die größte Stadt der alten Bundesrepublik; Bonn hatte zu dieser Zeit etwa 115.000 Einwohner,Hamburg z. B. 1,6 Millionen. Im Laufe der Jahre wurde Bonn für die Aufgaben als Hauptstadt ausgebaut; die anfänglich hämisch alsBundesdorf,Bundeshauptdorf oderKonradopolis[7] in Anspielung auf Adenauer bezeichnete Stadt konnte durch Eingemeindungen ihre Einwohnerzahl mehr als verdoppeln. Mit derWiedervereinigung am 3. Oktober 1990 wurde Bonn durchBerlin als gesamtdeutsche Hauptstadt (wieder) abgelöst.[8] ImBerlin/Bonn-Gesetz wurde Bonn (nun mit dem Zusatztitel „Bundesstadt“) jedoch der Verbleib zahlreicher Bundesministerien und die Zuordnung mehrerer vormals in Berlin ansässiger Bundesbehörden zugestanden, so dass Berlin keine zentralistische Hauptstadt ist. Für das untergegangenePreußen kann man Berlin jedoch durchaus eine mit London oder Paris vergleichbare Entwicklung und Funktion attestieren.[9][10]
Die auf dem Reißbrett entstandene HauptstadtBrasília
Die Gründe für den Entschluss eines Staates, einePlanhauptstadt zu errichten, sind vielfältig.Pakistan entschloss sich für den Bau der neuen HauptstadtIslamabad, da man Vorbehalte gegenüber der Konzentration von Investitionen in der bisherigen HauptstadtKaratschi hatte. Der Grund für den Bau derbrasilianischen HauptstadtBrasília lag darin, dass man Bedarf nach einer neutralen und föderalen Hauptstadt hatte. Zudem sollte die nun im geographischen Zentrum liegende Stadt die Entwicklung des Binnenlandes fördern, was mit der an der Küste liegenden vorherigen HauptstadtRio de Janeiro so nicht möglich gewesen wäre.
Schon in vergangenen Jahrhunderten errichteten Herrscher und Staatsführungen auf dem Reißbrett entstandene Hauptstädte. 1703 ließ ZarPeter I. in den Sümpfen derNewa-Mündung den Grundstein für die neuerussische HauptstadtSankt Petersburg legen. Von 1712 bis 1918 löste sieMoskau als Hauptstadt ab. AuchWashington, D.C. ist eine geplante Hauptstadt. Gegen Ende desselben Jahrhunderts wurde 1792 an den Ufern desPotomac River mit dem Bau der Hauptstadt der USA begonnen. Am 11. Juni 1800 wurde Washington offiziell zur Hauptstadt.
Auch inDeutschland ließenabsolutistische Herrscher des 17. und 18. Jahrhunderts Residenzstädte völlig neu entstehen. Ein Beispiel dafür ist die ehemaligebadische LandeshauptstadtKarlsruhe.MarkgrafKarl Wilhelm von Baden-Durlach ließ am 17. Juni 1715 den Grundstein für die nach ihm benannte Stadt legen. Die strahlenförmige Anordnung der Straßen und Alleen, in deren Zentrum dasResidenzschloss liegt, ist heute noch gut zu erkennen, ihr verdankt die Stadt den Beinamen „Fächerstadt“.
DerBinnenhof in Den Haag, Sitz der Regierung der Niederlande
Der Regierungssitz einiger weniger Staaten befindet sich nicht in der Hauptstadt. So istAmsterdam sowohl die größte Stadt derNiederlande als auch deren nominelle Hauptstadt, offiziellerRegierungssitz und königlicheResidenz ist jedochDen Haag. InSüdafrika verteilt sich der Sitz der Verfassungsorgane sogar auf drei Städte, wobei die größte Stadt (Johannesburg) nicht dazugehört. DasParlament tagt inKapstadt, das Verwaltungs- und Regierungszentrum istPretoria (Tshwane) und die oberstenjudikativen Einrichtungen (Gerichtshöfe) befinden sich inBloemfontein.
Staaten ohne bzw. mit nicht international anerkannter Hauptstadt
Bei Monaco und der Vatikanstadt gibt es aufgrund der Tatsache, dass es sich um reine Stadtstaaten handelt, keine Hauptstadt, auch wenn für Monaco häufig fälschlicherweiseMonte-Carlo als Hauptstadt genannt wird.
In Nauru wird der Ort, an dem sich die Regierung befindet (Yaren), als inoffizielle Hauptstadt aufgefasst.
Sonderfälle finden sich in weiteren Staaten:
In derSchweiz wirdBern zwar durch zwei Bundesgesetze als Sitz von Exekutive und Legislative definiert, aber der BegriffHauptstadt wird amtlich vermieden (sieheHauptstadtfrage der Schweiz).
Israel hat das wiedervereinigteJerusalem zu seiner Hauptstadt bestimmt. Viele Staaten lehnen die Erweiterung der Stadtgrenzen aufOstjerusalem ab. Einige Staaten verweigern auchWestjerusalem die Anerkennung als Hauptstadt Israels, da Jerusalem nach demTeilungsplan alsCorpus separatum weder zum arabischen noch zum jüdischen Staat gehören sollte. Die meisten ausländischen Botschaften befinden sich inTel Aviv oderdessen Vorstädten.
InJapan wiederum gibt es die Besonderheit, dass dieStadt Tokio 1943 aufgelöst wurde und die Hauptstadtfunktion von den 23Stadtbezirken Tokios wahrgenommen wird, die als eigene Städte gelten. Des Weiteren ist unklar, ob Tokio auch de jure die Hauptstadt ist, da es nie eine explizite, offizielle Verlegung der Hauptstadt vonKyōto nach Tokio gab (siehe dazuHauptstadt Japans).
In Liechtenstein gibt es keine Stadt.Vaduz wird daher alsHauptort des Fürstentums bezeichnet.
Dabei handelt es sich um eine teils historische, teils aktuelle Aufstellung der Hauptstädte der einzelnen Staaten, ihrer eventuellen Vorgängerstaaten (z. B. Deutscher Bund, Deutsches Reich), der obersten Verwaltungseinheiten (Bundesstaaten, Länder, Bundesländer, Provinzen) und der abhängigen Gebiete.
Polen: in Polen gibt es zweiWoiwodschaften, deren Verwaltungsorgane in jeweils zwei Städte geteilt sind. Eine davon ist Sitz desWoiwoden, die andere des Sejmiks (Regionalparlament) und des Woiwodschaftsmarschalls (Parlamentspräsident). Keine der beiden Städte gilt damit offiziell als Hauptstadt, jedoch werden beide im Sprachgebrauch so genannt.
! Staaten, in denen die Hauptstadt nicht die größte Stadt ist
Insgesamt gibt es derzeit 39 Staaten auf der Welt, deren Hauptstädte ihrer Einwohnerzahl nach nicht an erster Stelle des Landes stehen. Das sind wie folgt:
Kristof Dascher:Warum sind Hauptstädte so groß? (= Volkswirtschaftliche Schriften, Bd. 502). Duncker & Humblot, Berlin 2000,ISBN 978-3-428-09805-7.
Andreas W. Daum:Capitals in Modern History: Inventing Urban Spaces for the Nation. In: Andreas W. Daum,Christof Mauch:Berlin – Washington, 1800–2000: Capital Cities, Cultural Representation, and National Identities. Cambridge University Press, Cambridge 2011,ISBN 978-1-107-40258-4, S. 3–28.
Jens Kirsch:Hauptstadt – Zum Wesen und Wandel eines nationalen Symbols. LIT-Verlag, Münster 2005,ISBN 3-8258-8593-3.
↑Statistics Department Montserrat (Hrsg.):Census 2011 – Montserrat at a Glance. Government of Montserrat – Ministry of Finance and Economic Management, Brades, Montserrat 2012,S.9,Table 2: Usual Resident Population by Enumeration District and Sex (englisch,online zugänglich auf der Website der Regierung von Montserrat [PDF;1,3MB; abgerufen am 26. Mai 2020]).