Gustav Kuhr

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Gustav Kuhr

Gustav Kuhr (*17. Januar1914 inSteinort,Landkreis Königsberg i. Pr.; †1. Juni2000 inBremerhaven) war ein deutscherBootsbauer. In derNachkriegszeit errichtete er inWesermünde / Bremerhaven eineWerft, auf der später die ersten geschlossenen und unsinkbarenRettungsboote gebaut wurden.

Inhaltsverzeichnis

Leben

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Gustav Kuhrs Eltern waren der FischerwirtGottlieb Johann Kuhr und dessen FrauRosina Elise geb. Freudenfeld. Beide entstammten Familien von derKurischen Nehrung.Nach derKonfirmation fuhr Kuhr sechs Jahre alsFischer auf demKurischen Haff. Danach machte er von 1934 bis 1937 auf der Werft vonAdolf Groß inLabiau eine Lehre als Bootsbauer. AlsGeselle arbeitete er sechs Jahre auf einer Bootswerft inKönigsberg. Vor der Handwerkskammer Ostpreußen legte er die Meisterprüfung im Boots- und Schiffbauhandwerk ab. In Abendkursen bildete er sich als Schiffbautechniker weiter.[1]

Schiffbau

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Zur Zeit derdeutschen Besetzung Polens stellte er ab 1943 auf der Weichsel-Werft inSchröttersburg Sektionen fürU-Boote her. Anfang 1945 wechselte er zuBlohm & Voss, wo er alsBetriebsingenieur in der Abnahme von U-Booten tätig war.[1] Nachdem er seine Frau unter abenteuerlichen Umständen ausOstpreußen geholt hatte, ließ er sich aufgrund verwandtschaftlicher Kontakte in Wesermünde nieder.[1] Auf der Suche nach einem Platz für Schiffsreparaturen fand er an derLuneBaracken, die imZweiten Weltkrieg Soldaten derFlakbatterie Tabar aufgenommen hatten. Von der vormaligen Marine-Standortverwaltungpachtete er im November 1945 zwölf Räume mit 260 m2. Auf derLunewerft Wesermünde, G. Kuhr wurdenFischkutter repariert und Holzboote gebaut. Mit sechs Flüchtlingen aus Ostpreußen baute er 1946 eineSlipanlage. Die Nähe desFischereihafens war günstig; aber dasSiel zurWeser konnte nur bei Wassergleichstand passiert werden.

Lloyddock zwischen Weserdeich und Neuem Hafen

Trotz der guten Auftragslage verlegte Kuhr deshalb den Betrieb 1952 auf das Gelände derLloyd Werft Bremerhaven amNeuen Hafen. Dort betrieb er ein kleinesSchwimmdock und eineSchlosserei.[2]

K-Boot

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K-Rettungsboot
Kuhr-Boot aufPioner Kazakhstana derMurmansker Seereederei (2006)

Ab 1954 entwickelte er das weltweit erste geschlossene Rettungsboot ausStahl. Die Erfahrungen im U-Bootbau kamen ihm dabei zugute. Anlass seiner Entwicklung waren die vielen Schiffsuntergänge der deutschenHochseefischerei zwischen 1949 und 1954. Hunderte Seeleute waren mit offenen Rettungsbooten gekentert und ertrunken.

VonGießharz undPolyesterharz fasziniert, stellte Kuhr 1958 den Bootsbau von Stahl aufKunststoff um. Die geschlossenen Rettungsboote hattenBallasttanks, die nach dem Aufprall auf dem Wasser automatisch geflutet wurden und das Boot aufrichteten. DasBundespatentamtpatentierte diese Erfindung. Für denAntrieb desunsinkbaren „K-Boots“ sorgte einDieselmotor. Der Prototyp konnte 50 Personen aufnehmen. Vergeblich hoffte Kuhr, dass die Internationale Schiffssicherheitskonferenz in London 1960 die Vorschrift offener Rettungsboote abschaffte – obwohl die Vertreter derSowjetunion am entschiedensten für die Neuerung eintraten.[3]

DieSerienfertigung konnte in Angriff genommen werden, alsBurmeister & Wain 16 K-Boote orderte. Um die 8,10 m langen und 3,06 m breiten Boote ausKunststoff fertigen zu können, brauchte es eine große Halle mit konstanter Lufttemperatur von 12 °C. Kuhr fand sie auf dem Gelände derMaschinenbau und Eisenbau GmbH Hans Seebeck südöstlich vomBahnhof Bremerhaven-Lehe. Die 300 m2 große Halle Am Fleeth brannte im Januar 1962 mit allen Booten nieder.[4] Im Saal einerSpadener Gaststätte fand Kuhr eine neue Produktionsstätte. Der Liefertermin der dänischen Boote konnte gehalten werden. Der Erfolg in Deutschland blieb aus, weil dieReeder die Kosten scheuten undRettungsinseln vorzogen.[2]

1964 bezog Kuhr einen neuen Betrieb an der Westseite des Fischereihafens II. Auch das Schwimmdock kam dorthin.[5] Hinter derJungfischerschule wurden K-Rettungsboote für 38, 48, 56, 64 und 120 Personen gebaut. DieSchiffsrümpfe waren in Druckkörperform gebaut. Der Polyester-Kunststoff wurde im Spritzverfahren aufgetragen und mit Glasfaser armiert. Der Kunststoffkiel lief um den ganzen Bootskörper und war mit einer eisernen Halbrundschiene versehen. Ein Mittellängsschott gab dem Boot zusätzliche Längsstabilität. Die Sitze waren als Luftkästen ausgebildet und dienten zur Aufnahme der Ausrüstung. Der Hauptschwimmkörper befand sich im Innern des Bootes, in das man über vier Klappluken gelangen konnte.[2]

Als dieHowaldtswerke achtFabrikschiffe für die Sowjetunion bauten, lieferte Kuhr die Rettungsboote.

„Mit den vollkommen geschlossenen, einem kleinen U-Boot ähnelnden Motorbooten, die unter härtesten Bedingungen erprobt wurden, beschreiten die Sowjets einen neuen Weg. Mit 16 geschlossenen Kunststoffbooten rüsten sie schonjetzt die vier bei Burmeister und Wain in Kopenhagen gebauten Fischkühltransporter aus, und die liefernde Lune-Werft in Bremerhaven hat Anschlussaufträge für weitere 28 ihrer K-Rettungsboote verbuchen können. Auch ihre in Schweden bei den Götaverken bestellten Kühlschiffe statten die Russen mit 12 dieser neuen Rettungsboote aus.“

Kieler Nachrichten. 25. März 1964

Inzwischen hatten die K-Boote einen weiteren Eignungstest bestanden. InJugoslawien wurden 13Tanker auf sowjetische Rechnung gebaut. Bedingung warenfeuerfeste Rettungsboote. Kuhr hatte mit der Reichhold Chemie AG ein feuerhemmendes Material entwickelt, das in seiner Außenschicht der Hitzebeständigkeit vonAsbest nahekam. Mäuse an Bord der Boote überstanden die 15-minütige Feuerprobe auf der Werft inVela Luka schadlos.[6][7]

Trotzdem verweigerte dieSee-Berufsgenossenschaft die Zulassung der geschlossenen Rettungsboote, so lange keine Erfahrungen auf Schiffen unter deutscher Flagge vorlagen. 1968 wurde das 100. Kuhr-Rettungsboot an die sowjetischeStaatsreedereiSudimport ausgeliefert. Alle ihre in Finnland, Jugoslawien und Dänemark gebauten Schiffe ließ sie mit Kuhr-Rettungsbooten ausrüsten. Wohlhabend wurde Kuhr dadurch nicht; denn die Sowjetunion hatte ihn in Kenntnis seiner wirtschaftlichen Lage genötigt, das Aufrichtungspatent abzutreten.[8] Nach und nach führten alle Länder bei Schiffsneubauten geschlossene Rettungsboote ein. DieInternational Convention for the Safety of Life at Sea von 1974 schreibt sie vor.

Siehe auch:Liste bedeutender Seeunfälle 1950 bis 1999 undGedenkstein Islandfischerei

Kunststoffboote

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Freifallversuch eines K-Bootes am Schwimmkran Enak

Mitte der 1960er Jahre fertigte Kuhr auch Motor- und Segelboote zum Selbstausbau. DerKrabbenkutterApollo (Wremen) wurde am 6. März 1970 auf der Lunewerft zu Wasser gelassen. Der KutterJuwel war 1973 wieder ein Gemeinschaftsbau mit derSeebeckwerft. Mit 26 m war er das größte privatwirtschaftlich genutzte GFK-Schiff. Auch hier kamen keine Folgeaufträge.[2] Für dieBundesmarine baute Kuhr Rettungsboote und Kunststoff-Fahrzeuge.[1]

Das Aufkommen der Fabrikschiffe Anfang der 1970er Jahre verschlechterte die Lage der deutschen Fischer rapide und brachte den Niedergang desBremerhavener Fischereihafens. Als dieWesteuropäische Union 1976 im Rahmengemeinsamer Fischereipolitik neueFangquoten für die Nord- und Ostsee erließ, hatten die kleinen Fischer keine Zukunft mehr. 1973 schloss Kuhr seine Werft, die zeitweise 40 Mitarbeiter beschäftigte. DieRickmers-Werft übernahm 1976 das Gelände und die Gebäude der Lunewerft.[1] Verbände und Behörden beriet er als Sachverständiger fürglasfaserverstärkten Kunststoff im Boots- und Schiffbau.[2]

Ostpreußische Reminiszenz

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In seiner Wohnung über der Werkstatt am Fischereihafen II baute KuhrSchiffsmodelle vonKurenkähnen. Ein Modell mitKurenwimpel im Maßstab 1:10 wurde 1986 imDeutschen Schifffahrtsmuseum ausgestellt. Von 1988 bis 1992 war er Berater für den Nachbau derHansekogge von 1380 nach Methoden der Kurenkahnbauer in Ostpreußen.[2]

Kuhr war „seiner Zeit um 20 Jahre voraus“. Als die Weiterentwicklung derFreifallrettungsboote seiner Idee den Durchbruch brachte, starb er mit 86 Jahren. Er wurde auf dem Alt-Wulsdorfer Friedhof inWulsdorf beigesetzt.[1]

Familie

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1939 hatte KuhrFrida Luise Bojahr in Schaaken geheiratet. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor. Zwei Töchter starben 1945 nach der Flucht. Zwei Söhne kamen 1946 und 1949 in Bremerhaven zur Welt.[8] Frida Kuhr starb am 27. Januar 2002.[9]

Ehrenämter

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  • Vorsitzender des Deutschen Boots- und Schiffbauerverbandes (1967–1971)

Literatur

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  • The German glass-fibre lifeboats. In:Shipbuilding and Shipping Record. 13. September 1962.
  • Lars Schmitz-Eggen:Der Kunststoffschmied vom Neuen Hafen. Gustav Kuhr und die Geschichte der Lunewerft 1945–1976. Books on Demand, 2012,ISBN 978-3-8448-1953-3.GoogleBooks

Weblinks

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Commons: Gustav Kuhr – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. abcdefD.J.P.:Kuhr, Gustav. In:Hartmut Bickelmann:Bremerhavener Persönlichkeiten aus vier Jahrhunderten. Veröffentlichung des Stadtarchivs Bremerhaven 2003,ISBN 3-923851-25-1, S. 182–183.
  2. abcdefPeter Raap, Niederdeutsches Heimatblatt der Männer vom Morgenstern (2008)
  3. Nordsee-Zeitung. 23. Juni 1960.
  4. Nordsee-Zeitung. 20. Januar 1962.
  5. An der Pier werden heute Versorgungsschiffe fürOffshore-Windparks ausgerüstet.
  6. Feuerversuch mit einem geschlossenen Stahlrettungsboot für Tankschiffe. In:Hansa. 102. Jahrgang (1965), S. 535 f.
  7. Sowjets nehmen K-Boote mit Kußhand. Bremerhavener Bootsbauer feiert Triumphe nur im Ausland. Feuerwehrmann weinte: Die Mäuse überstanden das Feuer. In:Nordsee-Zeitung. 5. Januar 1965.
  8. abMitteilung Peter Raap
  9. Foto des Grabsteins, Grabstein-Projekt von genealogy.net, abgerufen am 3. Juli 2017.
Personendaten
NAMEKuhr, Gustav
ALTERNATIVNAMENKuhr, Franz Gustav (vollständiger Name)
KURZBESCHREIBUNGdeutscher Bootsbauer und Werftbesitzer
GEBURTSDATUM17. Januar 1914
GEBURTSORTSteinort, Ostpreußen
STERBEDATUM1. Juni 2000
STERBEORTBremerhaven
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