DasGruber-De-Gasperi-Abkommen (auchPariser Abkommen oderSüdtirol-Abkommen genannt) wurde am 5. September 1946 inParis zwischenÖsterreich undItalien abgeschlossen. Der Vertrag garantiert den Schutz der kulturellen Eigenart der deutschsprachigen Bevölkerung in der RegionTrentino-Südtirol und war wichtig für die Zustimmung der Siegermächte zur weiteren Zugehörigkeit Südtirols zu Italien. Das Abkommen wurde vom österreichischen AußenministerKarl Gruber und dem italienischen MinisterpräsidentenAlcide De Gasperi im Rahmen derPariser Friedenskonferenz 1946 geschlossen, als Anlage IV des am 10. Februar 1947 ratifizierten Friedensvertragsinternationalisiert und bildet die Basis der heutigenAutonomie Südtirols.
Am 26. April 1915 schloss die Entente in London einenGeheimvertrag mit Italien (Treaty of London). Für seinen Kriegseintritt gegen die Mittelmächte sollte es neben anderen Gebietszusagen den TeilTirols südlich desBrenners erhalten. Mit Ende desErsten Weltkriegs und dem ZerfallÖsterreich-Ungarns wurde das Kronland Tirol geteilt. Der nördliche Teil Tirols wurde der neuen deutschen Republik Österreich (gegründet alsDeutschösterreich) zugesprochen und die südlichen Teile (heuteSüdtirol und dasTrentino) imVertrag von Saint-Germain demKönigreich Italien angegliedert. Mit der Machtergreifung derFaschisten in Italien unterBenito Mussolini im Jahr 1922 wurde in Südtirol eine systematische kulturelle und wirtschaftliche Marginalisierung der nicht italienischsprachigen Bevölkerungsmehrheit (Deutsche undLadiner) vorangetrieben. Mit dem Umsiedlungsabkommen (Option) im Jahr 1939 zwischen dem Regime Mussolinis (Italien) und dem RegimeAdolf Hitlers (Deutsches Reich) sollte die Italienisierung Südtirols abgeschlossen werden (s.Geschichte Südtirols). Im Verlauf desZweiten Weltkriegs wurde Südtirol von der Wehrmacht besetzt (1943 bis 1945) und alsOperationszone Alpenvorland von Hitlerdeutschland okkupiert.
Nach dem Zusammenbruch der Diktaturen kehrten viele zuvor ausgewanderte Südtiroler in ihr Heimatland zurück. Ein Teil der deutschsprachigen Bevölkerung strebte nunmehr die Angliederung an die wiedererrichtete RepublikÖsterreich an. Die Wiedervereinigung Tirols scheiterte allerdings am Veto der SiegermächteUSA,Großbritannien und derUdSSR sowieFrankreichs, die in Bezug auf dieSüdtirolfrage bereits unter dem Eindruck des sich anbahnendenOst-West-Konflikts agierten und, statt auf Gebietskonzessionen zu drängen, den Staat Italien zur Garantie von Schutzbestimmungen zugunsten der deutschsprachigen Bevölkerung Südtirols verpflichteten.[1]
Auf italienischer Seite verhandelte Alcide De Gasperi, der damals provisorisches Oberhaupt Italiens war, nicht selbst, sondern sandte den italienischen Botschafter in Großbritannien, Nicolo Carandini, als Unterhändler nach Paris. Im Rahmen der Verhandlungen strebte der österreichische Außenminister Karl Gruber zunächst eine Angliederung Südtirols an Österreich an. Der italienische Ministerpräsident Alcide De Gasperi rückte vom territorialen Anspruch Italiens auf das Gebiet jedoch nicht ab und beeinflusste durch geschickte Diplomatie auch die Siegermächte. So hatte er unter anderem in einem Interview mit derNew York Times nahegelegt, die Einwohner Südtirols seien unwissende Bauern, die überwiegend italienischer Herkunft seien und sich nur aus Angst vor einer Rückkehr der Deutschen nicht als Italiener bekannten.[2] Auf Drängen der Siegermächte stellte De Gasperi eineAutonomie für die RegionTrentino-Südtirol in Aussicht. Gruber willigte in den Vorschlag De Gasperis trotz Vorbehalten ein, wobei speziell dasVereinigte Königreich auf eine Einigung gedrängt hatte.
Besonders umstritten war dabei die territoriale Abgrenzung des Abkommens, die den Autonomieanspruch nicht klar auf das GebietSüdtirols bzw. der Provinz Bozen beschränkte, sondern die Konstituierung der erweiterten RegionTrentino-Südtirol ermöglichte. Durch Einbeziehung desTrentino bzw. der Provinz Trient wurde von Seiten der italienischen Zentralregierung in der Region jedoch bewusst eine italienischsprachige Bevölkerungsmehrheit geschaffen (den ca. 200.000 deutschsprachigen Südtirolern standen ca. 500.000 italienischsprachige Einwohner gegenüber), um den politischen Entscheidungsspielraum deutschsprachiger Parteien vor Ort zu limitieren.
Italien betrachtete das Gruber-De-Gasperi-Abkommen mit der verfassungsrechtlichen Konstituierung der Autonomen Region Trentino-Südtirol bzw. mit dem sogenanntenErsten Autonomiestatut im Jahr 1948 als erfüllt. Die politischen Vertreter der deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler empfanden diese Lösung jedoch als unzureichend. In den folgenden Jahrzehnten kam es zu intensiven politischen Verhandlungen zurAutonomie Südtirols unter neuerlicher Beteiligung Österreichs, die 1972 schließlich zum Inkrafttreten des sehr viel umfassenderenZweiten Autonomiestatuts führten. Mit diesem Statut gingen die nun deutlich erweiterten autonomen Befugnisse von der Region Trentino-Südtirol letztlich großteils auf die beiden autonomen Provinzen Trient und Bozen über.

Die juridische Bedeutung des Gruber-De-Gasperi-Abkommens aus dem Jahr 1946 besteht darin, dass mit ihm erstmals konkrete Schutzbestimmungen zugunsten der deutschsprachigen Bevölkerung Südtirols (vor allem hinsichtlich des Schulunterrichts in der Muttersprache, des Sprachgebrauchs bei öffentlichen Ämtern und der Vergabe von öffentlichen Stellen) auf internationaler Ebene verbrieft wurden. Die ladinische Sprachgruppe fand im Gruber-De-Gasperi-Abkommen allerdings noch keine Berücksichtigung, ihre Position wurde erst mit der Verabschiedung desZweiten Autonomiestatuts 1971 gestärkt.
Durch die Unterzeichnung des Abkommens wurde Österreich von Italien ebenso indirekt als Vertragspartner im Bereich der Südtirolfrage anerkannt. Von diesem Umstand, sowie von den jahrelang praktizierten bilateralen Verhandlungen um dasZweite Autonomiestatut, leitete sich im politischen Diskurs die sogenannteSchutzmachtfunktion (oder auchSchutzfunktion) Österreichs für die deutsch- und ladinischsprachige Bevölkerung der Region ab, die allerdings in keinem Dokument explizit genannt wurde. Maßnahmen von Seiten derFPÖ, diese Schutzmachtfunktion 2012 in der österreichischen Bundesverfassung ausdrücklich festzuschreiben, blieben erfolglos.
Die UN-Resolution 1497/XV vom 31. Oktober 1960 erkannte denvölkerrechtlichen Charakter des Abkommens an.[3] Im darauffolgenden Jahr wurde eine weitere UN-Resolution zur Südtirol-Frage verabschiedet (Res. 1661/XVI vom 28. November 1961), mit welcher Italien und Österreich aufgefordert wurden, weitere Anstrengungen zu unternehmen, um eine Lösung zu erzielen.
Diese Bemühungen führten schließlich zumPaket undOperationskalender des Jahres 1969, die in die Verabschiedung des sogenanntenZweiten Autonomiestatuts (Verfassungsgesetz Nr. 1 vom 10. November 1971, Einheitstext Nr. 670 vom 31. August 1972 mit dem Text des neuen Autonomiestatuts) mündeten. Der seit 1960 vor den Vereinten Nationen behängende Streit wurde erst mit der sogenanntenStreitbeilegungserklärung vom 11. Juni 1992, abgegeben von Österreich, für beendet erklärt. Diese Streitbeilegungserklärung war bereits im Operationskalender des Jahres 1969 vorgesehen gewesen. Der Text dieser Erklärung konnte im Jahr 1992 noch in der Form abgeändert werden, dass das gesamteZweite Autonomiestatut samt den seit 1972 ergangenen Änderungen auf eine völkerrechtliche Ebene gehoben werden konnte. Es ist somit davon auszugehen, dass Österreich die Einhaltung der Autonomieregelung für Südtirol auch völkerrechtlich von Italien verlangen kann. Zuvor war dies lange Zeit strittig, und es wurde zum Teil die Auffassung vertreten, dass allein dasErste Autonomiestatut aus dem Jahr 1948, das weit schwächere Schutzbestimmungen vorsah, völkerrechtlich abgesichert wäre, während alle nachfolgend erlassenen Schutzregelungenfreiwillige Leistungen Italien seien, die damit auch jederzeit hätten zurückgenommen werden können.[4]