Gret Palucca

Foto:Abraham Pisarek, 1945
Margarete „Gret“ Palucca, geborenePaluka (*8. Januar1902 inMünchen; †22. März1993 inDresden), genannt auch nurPalucca, war einedeutscheTänzerin undTanzpädagogin.
Leben
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Foto:Ursula Richter, um 1920

Foto:Genja Jonas, 1936

Gret Paluccas Eltern waren der ausKonstantinopel stammende Apotheker Max Paluka und Rosa Paluka, diejüdisch-ungarischer Herkunft war.[1] Kurz nach ihrer Geburt in München zog die Familie nachSan Francisco,Kalifornien. Im Jahr 1909 kehrte Gret mit ihrer Mutter Rosa nach Deutschland zurück und kam nach Dresden, wo sie von 1914 bis 1916 Ballettunterricht bei Heinrich Kröller erhielt. Sie besuchte vorher und nachher dieLehr- und Erziehungsanstalt Margarete Balsat.
Schon alsBallettelevin stand Gret Palucca demklassischen Tanz mit Skepsis gegenüber. Der Besuch einer Dresdner Tanzveranstaltung mitMary Wigman wurde für sie zu einem Schlüsselerlebnis und Palucca zu einer der ersten Schülerinnen Wigmans. Im Jahr 1921 änderte sie ihren Namen zuGret Palucca. Bis 1924 tanzte sie in Wigmans Gruppe. Dann begann Palucca mit ihrer Solokarriere und wurde eine der führendenAusdruckstänzerinnen. Ihr Stil war fröhlich, unbeschwert und humorvoll, wie etwa dieChoreografie vonIn weitem Schwung oderTanzfreude vermitteln.
Ab 1924 war Gret Palucca sechs Jahre mitFritz Bienert verheiratet, dem Besitzer eines Mühlenbetriebes, derBienertmühle in Dresden und Sohn vonIda Bienert, der ersten privaten Kunstsammlerin derModernen Kunst in Deutschland. In ihrem Hause gingen die Künstler desDadaismus ebenso ein und aus wie die Architekten des jungenBauhauses, wo ihre Tochter Ise Bienert, eineWorpswede-Schülerin, studierte. Palucca wurde zum Thema derNeuen Kunst. Mit ihrem Ehemann verbrachte sie ihre Sommerurlaube ab 1924 regelmäßig auf der InselSylt.
Im Jahr 1925 gründete Gret Palucca ihre eigene Schule. DiePalucca-Schule in Dresden unterschied sich maßgeblich von anderen Schulen ihrer Art. Nicht der körperliche Drill stand im Vordergrund, sondern die geistig-künstlerische Erziehung. Zu ihren bekanntesten Schülerinnen zählenRuth Berghaus undLotte Goslar sowie Annerose Schunke, die spätere DDR-NachrichtensprecherinAnnerose Neumann. Ihr ständiger Begleiter auf dem Klavier war von 1924 bis 1931 der Komponist und DirigentHerbert Trantow[2] aus Dresden.
Im Jahr 1926 schriebWassily Kandinsky zwei beachtete Aufsätze über Palucca, die zu ihrem wachsenden Bekanntheitsgrad beitrugen. Am 29. April 1927 trat Palucca im Bauhaus in Dessau auf.
„Palucca verdichtet den Raum, sie gliedert ihn: der Raum dehnt sich, sinkt und schwebt – fluktuierend in allen Richtungen.“
Im Jahr 1930 trennte sich Gret Palucca von Fritz Bienert und begann ein Verhältnis mit dem KunsthistorikerWill Grohmann, mit dem sie auch häufig auf Sylt war. Im Jahr 1935 schrieb er die erste Monographie über sie, unter dem Pseudonym Olaf Rydberg.
Bei denOlympischen Spielen 1936 inBerlin nahm Palucca am Eröffnungsabend mit einem Soloauftritt teil.
Gret Palucca hatte im „Dritten Reich“ kein Auftrittsverbot[3][4] mit Ausnahme von staatlichen und NSDAP-Veranstaltungen bis zur Schließung aller Theater 1944.[5] Die Legende vom vollständigen Auftrittsverbot hat vermutlich im Interesse der Kulturverantwortlichen in derDDR gelegen. Durch eine von Grohmann erwirkte Sondergenehmigung 1936 konnte Palucca trotz ihrer Stigmatisierung als sogenannte „Halbjüdin“ weiterhin als Tänzerin auftreten, Auslandsgastspiele wurden ihr anfangs noch gestattet, dann aber verboten.[6] Die Presse durfte ihre Auftritte nicht mehr positiv besprechen. Auf Provinzebene wurde die ungebrochen beliebte Ausdruckstänzerin jedoch weiterhin gewürdigt.[7] Am 31. März 1939 wurde ihre Schule geschlossen.
Am 1. Juli 1945 eröffnete Gret Palucca wieder ihre Tanz-Schule in der Karcherallee 43 in Dresden. Im Jahr 1949 wurde diese Palucca-Schule verstaatlicht. Zum 75. Geburtstag vonWilhelm Pieck im Jahr 1951 gab sie ihren letzten Soloauftritt. Bis ins hohe Alter blieb Gret Palucca als Tanzpädagogin tätig, doch ihr Ausdruckstanz entsprach nicht dem neuen Geist der Zeit. Unter dem BegriffNeuer Künstlerischer Tanz versuchte Gret Palucca weiterhin, ihre Ausrichtung im Lehrplan beizubehalten. Das klassische Ballett beherrschte aber die Ausbildung. Entnervt verließ sie 1959 die DDR, ging nach Sylt und verhandelte von dort aus über die Bedingungen ihrer Rückkehr.[8] Als Zugeständnis erhielt Gret Palucca die künstlerische Leitung der Tanzschule in Dresden zugesichert sowie eine Professur, einen Wagen mit Chauffeur und ein Grundstück aufHiddensee.
An der Gründung der DeutschenAkademie der Künste in Berlin (Ost) 1950 war sie beteiligt. Von 1965 bis 1970 war sie Vizepräsidentin.
Sie starb im Jahr 1993 und wurde auf Hiddensee beigesetzt, wo sie seit 1948 alljährlich ihre Sommeraufenthalte verbracht hatte. Das 1961 gebaute Palucca-Haus wurde 2009 von einem Investor abgerissen. In den 1920er Jahren hatte es auf Hiddensee eine Künstlerkolonie gegeben, in der sie zuweilen zu Gast war.
Auszeichnungen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Ehrenurkunde der Internationalen Tanzfestspiele anlässlich der XI.Olympiade, Berlin 1936
- Vaterländischer Verdienstorden in Bronze (1958), in Gold (1972), Ehrenspange (1985)
- Nationalpreis der DDR für Kunst und Literatur II. Klasse (1960 und 1976), I. Klasse (1981)
- Johannes-R.-Becher-Medaille in Gold (1964)
- Pestalozzi-Medaille für treue Dienste in Silber (1966) und Gold (1975)
- Orden „Banner der Arbeit“ (1967)
- Martin-Andersen-Nexö-Kunstpreis der Stadt Dresden (1972)
- Ehrenmitglied des Verbandes der Theaterschaffenden der DDR, Berlin (1975)
- Ehrenbürgerin der StadtDresden (1979)
- Stern der Völkerfreundschaft in Gold (1980 und 1987)
- Deutscher Tanzpreis, Essen (1983)
- Ehrenmitglied derDeutschen Akademie des Tanzes, Köln (1987)
- Ehrenmitglied derAkademie der Künste Berlin (1991)
- Großes Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband der Bundesrepublik Deutschland (1992)
Bildergalerie
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Ernst Ludwig Kirchner – Gret Palucca
- 1929–1930[9]
- 1930
- 1931
- Tanzfotografien
- Foto: Hans Robertson, 1920er Jahre
- Foto:Hugo Erfurth, circa 1926
- Ritzgrafik nach Entwürfen von Michel Dahne undHeike Böttcher, Kanzleigäßchen 2, Dresden
Würdigungen
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Ihre langjährigen Gastgeber bei ihren Sommerurlauben inList auf Sylt benannten in den frühen 1960er Jahren ihr erstes Ausflugsschiff nach ihrem Namen „Palucca“; auch alle nachfolgende Schiffe dieser kleinen Reederei trugen die Namen „Palucca“ oder „Gret Palucca“. Noch heute fährt ein Ausflugskutter derAdler-Reederei, die die Linien der alten Palucca-Reederei übernommen hat, unter dem Namen „Gret Palucca“, ein weiterer unter dem Namen ihrer Mutter, „Rosa Paluka“.
In Dresden gibt es dieGret-Palucca-Straße. Auch inMünchen Aubing wurde 2014 der Gret-Palucca-Weg nach ihr benannt.[10]
Am 8. Oktober 1998 wurde eine Briefmarke im Wert von 4,40 DM mit Paluccas Porträt im Rahmen der BriefmarkenserieFrauen der deutschen Geschichte herausgegeben.
ImMuseum Hofmühle Dresden im StadtteilPlauen befindet sich eine Dauerausstellung über Paluccas Leben und Werk.
An einem Haus im Dresdner Kanzleigäßchen wurde eine Fassade mit Bildern Paluccas im Tanz gestaltet.[11]
Literatur
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Monographien
- Olaf Rydberg (d. i.Will Grohmann):Die Tänzerin Palucca. Reissner, Dresden 1935.
- Werner Schmidt:Künstler um Palucca. Ausstellung zu Ehren des 85. Geburtstages. Kupferstich-Kabinett. Staatliche Kunstsammlung Dresden, Dresden 1987.
- Peter Jarchow, Ralf Stabel:Palucca. Aus ihrem Leben. Über ihre Kunst. Mit einem Geleitwort von Ingrid Biedenkopf. Henschel, Berlin 1997,ISBN 3-89487-266-7.
- Katja Erdmann-Rajski:Gret Palucca. Tanz und Tanzerfahrung in Deutschland im 20. Jahrhundert. Weimarer Republik, Nationalsozialismus, Deutsche Demokratische Republik. Hrsg. vomDeutschen Tanzarchiv Köln. Dissertation. Olms, Hildesheim 2000,ISBN 3-487-11143-8.
- Ralf Stabel:Tanz, Palucca! Die Verkörperung einer Leidenschaft. Die Biografie. Henschel, Berlin 2001,ISBN 3-89487-397-3.
- Ralf Stabel:Vorwärts – Rückwärts – Seitwärts – mit und ohne Frontveränderung. Zur Geschichte der Palucca Schule Dresden. Noetzel, Wilhelmshaven 2002,ISBN 3-7959-0799-3.
- Gret Palucca:Schriften, Interviews, Tanzmanuskripte. Hg. und mit einem Nachwort von Huguette Duvoisin und René Radrizzani. Schwabe, Basel 2008,ISBN 978-3-7965-2425-7.
- Susanne Beyer:Palucca – Die Biografie. AvivA Verlag, Berlin 2009,ISBN 978-3-932338-35-9.
- Ralf Stabel:Palucca. Ihr Leben, ihr Tanz. Henschel Verlag, Leipzig 2019.ISBN 978-3-89487-807-8.
- Aufsätze (Auswahl)
- Ralf Stabel: Palucca, Gret. In:Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 20, Duncker & Humblot, Berlin 2001,ISBN 3-428-00201-6, S. 24 f. (Digitalisat).
- Marion Kant:Gret Palucca und der avancierte Tanz in Dresden. In:Dresden und die avancierte Musik im 20. Jahrhundert. Teil II: 1933–1966. Hrsg. von Matthias Herrmann und Hanns-Werner Heister. Laaber 2002,ISBN 3-89007-510-X, S. 361–372 (Musik in Dresden 5).
- Michaela Karl:Gret Palucca: Die Tänzerin. In:Bayerische Amazonen – 12 Porträts. Pustet, Regensburg 2004,ISBN 3-7917-1868-1, S. 190–208.
- Kornelia Knospe: Palucca, Gret. In:Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 2. Ch. Links, Berlin 2010,ISBN 978-3-86153-561-4.
- Hubertus Adam:„Meine schönste Zeit war am Bauhaus“. Palucca in den Netzwerken der Avantgarde. In: Hubertus Adam,Sally Schöne (Hrsg.):Ausdruckstanz und Bauhausbühne. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2019,ISBN 978-3-7319-0852-4, S. 58–79.
Weblinks
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Literatur von und über Gret Palucca im Katalog derDeutschen Nationalbibliothek
- Literatur von und über Gret Palucca in derSächsischen Bibliografie
- Gret-Palucca-Archiv im Archiv derAkademie der Künste, Berlin
- Seite zu Palucca beimDeutschen Tanzarchiv Köln.
- Angela Rannow: Gret Palucca (1902–1993). In:Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde (Hrsg.):Sächsische Biografie.
- Gret Palucca. In:FemBio. Frauen-Biographieforschung (mit Literaturangaben und Zitaten).
- Offizielle Seite der Palucca-Schule Dresden – Hochschule für Tanz
Filme
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- „Ich will nicht hübsch und niedlich tanzen.“ (Memento vom 24. Oktober 2007 imInternet Archive) Film über Palucca
- Tanz unterm Hakenkreuz. Dokumentation, Deutschland 2003, 60 Min., Buch und Regie: Annette von Wangenheim
Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑Ralf Stabel:Tanz, Palucca! Die Verkörperung einer Leidenschaft. Henschel-Verlag, Berlin 2001.
- ↑Trantow Herbert. In: Walter Habel (Hrsg.):Wer ist wer? Das deutsche Who’s who. 24. Ausgabe. Schmidt-Römhild, Lübeck 1985,ISBN 3-7950-2005-0, S. 1257.
- ↑Ralf Stabel:Tanz, Palucca! Die Verkörperung einer Leidenschaft. Henschel, Berlin 2001,S. 118.
- ↑Susanne Beyer:Palucca – Die Biografie. AvivA, Berlin 2009,S. 188.
- ↑Katja Erdmann-Rajski:Gret Palucca. Tanz und Tanzerfahrung in Deutschland im 20. Jahrhundert. Olms, Hildesheim 2000, S. 297
- ↑K. Erdmann-Rajski:Gret Palucca, S. 278
- ↑Jörg Fligge:"Schöne Lübecker Theaterwelt". Das Stadttheater in den Jahren der NS-Diktatur. Schmidt-Römhild, Lübeck, 2018,ISBN 978-3-7950-5244-7, S. 305f., 573 (Auftritte in Lübeck bis 1943).
- ↑Susanne Beyer:„Abriss eines Sehnsuchtsorts“,Spiegel online, 26. März 2009
- ↑siehe Hyang-Sook Kim:Die Frauendarstellungen im Werk von Ernst Ludwig Kirchner, verborgene Selbstbekenntnisse des Malers. Tectum-Verlag, Marburg 2002,ISBN 3-8288-8407-5, S. 183.
- ↑Gret-Palucca-Weg in München Aubing-Lochhausen-Langwied. Abgerufen am 21. Februar 2023.
- ↑Neumarkt Dresden„Tanz an der Fassade“ (Memento vom 22. Oktober 2013 imInternet Archive)
Personendaten | |
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NAME | Palucca, Gret |
ALTERNATIVNAMEN | Paluka, Margarete (Geburtsname) |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Tänzerin und Tanzpädagogin |
GEBURTSDATUM | 8. Januar 1902 |
GEBURTSORT | München |
STERBEDATUM | 22. März 1993 |
STERBEORT | Dresden |
- Tänzer (Deutschland)
- Tanzpädagoge
- Pädagoge (20. Jahrhundert)
- Hochschullehrer (Palucca Schule Dresden)
- Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes mit Stern und Schulterband
- Träger des Vaterländischen Verdienstordens (Ehrenspange)
- Träger des Sterns der Völkerfreundschaft
- Träger des Banners der Arbeit
- Träger des Nationalpreises der DDR I. Klasse für Kunst und Literatur
- Träger der Johannes-R.-Becher-Medaille in Gold
- Mitglied der Akademie der Künste (DDR)
- Ehrenbürger von Dresden
- NS-Opfer
- Deutscher
- DDR-Bürger
- Geboren 1902
- Gestorben 1993
- Frau
- Kultur (Insel Hiddensee)