Giotto war Sohn des Schmieds Bondone aus Florenz; geboren wurde er vermutlich in Vespignano, nördlich von Florenz. Wahrscheinlich warGiotto sein tatsächlicher Name; allerdings könnte es sich dabei auch um eine Kurzform von Ambrogio (Ambrogiotto) oder Angelo (Angiolotto) handeln. Dokumentarisch gesicherte Nachrichten zur Kindheit und Ausbildung Giottos fehlen.
Zwei Ende des 13. Jahrhunderts ausgeführte Freskenzyklen in der Oberkirche vonSan Francesco inAssisi mit Szenen aus dem LebenIsaaks und desHeiligen Franziskus werden von der kunstwissenschaftlichen Forschung überwiegend Giotto bzw. einer Werkstatt mit Giottos Beteiligung zugeschrieben. Dem widersprachen unter anderem Richard Offner (1939),Millard Meiss (1960), Alastair Smart (1971),Federico Zeri (1997) und zuletzt Ende der 1990er Jahre der RestauratorBruno Zanardi, der viele Jahre mit der Untersuchung und Erhaltung der Fresken befasst war.[4] Sie sehen in den Bildern die Arbeit einer römischen Werkstatt bzw. konkret die Hand des römischen MalersPietro Cavallini. Zanardis These wurde in der Forschung intensiv diskutiert.[5]
Zwischen 1290 und 1300 schuf Giotto für die FlorentinerDominikaner-KircheSanta Maria Novella, in deren Nähe er wohnte, ein großesTriumphkreuz mit der Darstellung des gekreuzigten Christus sowie der trauernden Maria und des Johannes. Das mitTempera-Farben undBlattgold auf Holz ausgeführte Kruzifix befindet sich bis heute im Langhaus der Kirche.
Kurz vor 1300 ging Giotto auf Wunsch PapstBonifaz VIII. nach Rom. InSan Giovanni in Laterano sind Fragmente eines größeren Freskos erhalten, das die Verkündung des erstenHeiligen Jahrs durch Papst Bonifaz VIII. zeigt.
Anschließend kehrte Giotto ausweislich seiner Steuererklärungen für einige Jahre nach Florenz zurück, wo er anscheinend eine Künstlerwerkstatt mit Gehilfen aufbaute, was ihm die Ausführung größerer Aufträge erlaubte. In diese Zeit wird das für die FlorentinerBadia geschaffenePolyptychon datiert,[6] das heute in denUffizien aufbewahrt wird.
Ein kurzer Aufenthalt Giottos inRimini ist zwar zu rekonstruieren, es haben sich aber bis auf ein von der Forschung überwiegend Giotto zugeschriebenes Triumphkreuz keine Werke erhalten. Das sog.Crocifisso di Rimini befindet sich in derFranziskaner-Kirche von Rimini, dem sog.Tempio Malatestiano.
Giotto, Marienleben und Passion Christi, 1304–1306, Fresko/Secco, Cappella degli Scrovegni, PaduaGiotto,Anbetung der Könige, 1304–1306, Fresko/Secco, Cappella degli Scrovegni, Padua
Anfang des 14. Jahrhunderts wurde Giotto nachPadua gerufen, wo er im Ratssaal desPalazzo della Ragione Fresken ausführte (nicht erhalten). 1304–1306 schuf Giotto den großen Freskenzyklus in derCappella degli Scrovegni (auch Scrovegni-Kapelle bzw. Arena-Kapelle genannt) mit 39 Szenen aus dem LebenMariä undJesu. Die Sockelzone zeigt eine fingierteMarmorverkleidung mit gemalten Relieffiguren, diePersonifikationen vonTugenden undLastern darstellen.[7][8] Auf der demChor zugewandten Wand malte Giotto zweiinkrustierte Räume („coretti“) mit Hängeleuchtern; sie sind wegen ihrer überzeugenden perspektivischen Konstruktion berühmt.[9] In der Anbetung derHeiligen Drei Könige schwebt einkometenähnlicher Stern am Himmel, bei dem es sich wahrscheinlich neben demTeppich von Bayeux um eine der frühesten Darstellungen desHalleyschen Kometen handelt, der wenige Jahre vorher mit bloßem Auge zu sehen war. Während seiner Zeit in Padua malte Giotto in derKirche des Heiligen Antonius dieCappella della Madonna Mora und dieCappella Scrovegni aus; die beiden bis dahin unbekannten Aufträge konnte der italienische Kunsthistoriker Giacomo Guazzini 2015 und 2019 nachweisen.[10][11] Bekannt, aber ebenfalls nahezu vollständig verloren waren bereits Giottos Fresken im Kapitelsaal des Santo.[12]
Zwischen 1306 und 1311 arbeitet Giotto bzw. vor allem seine Werkstatt erneut in Assisi. Im Querhaus der Unterkirche von San Francesco entstanden Gewölbemalereien, die franziskanische Motive zeigen.
In Rom entstand zwischen 1305 und 1313 im Atrium des altenPetersdoms in Rom das berühmte Mosaik mit der Darstellung des Schiffs des Apostels Petrus, die sog.Navicella. Das Mosaik wurde im 17. Jahrhundert zerstört; sein Aussehen belegen Zeichnungen und Kopien.[13]
In der Florentiner FranziskanerkircheSanta Croce malte Giotto zwischen 1318 und 1322 in der Cappella Peruzzi einen Zyklus zum Leben desTäufers Johannes und desEvangelisten Johannes. Wenige Jahre später erhielt er von der FamilieBardi den Auftrag, die angrenzende Kapelle mit Darstellungen aus dem Leben des HeiligenFranziskus zu versehen; an der Ausführung waren Mitarbeiter Giottos beteiligt. Die Fresken wurden 1714 überstrichen und erst 1852 freigelegt. Die umfassenden Ergänzungen des Restaurators Gaetano Bianchi wurden bei jüngeren Restaurierungen entfernt.
In den 1340er Jahren berief KönigRobert von Anjou Giotto an seinen Hof inNeapel. Dokumente, in denen er als „prothomagister“ (1331) bzw. als „prothopictor“ (1332) bezeichnet wird, belegen seine Rolle als leitender Künstler.[15] Für den König und seine FrauSancha malte er zwei Kapellen imCastel Nuovo aus[16] und schuf ein Tafelbild mit einerKreuzigung (heute imLouvre).[17] Ob Giotto, wie eine lokale Überlieferung besagt, tatsächlich an der Ausschmückung der 1310 begonnenen und 1340 geweihtenBasilika Santa Chiara beteiligt gewesen war, ist unsicher.[18]
Am 12. April 1334 wurde er zum leitendenBaumeister („capomastro“) an die Bauhütte desFlorentiner Doms berufen.[19] In dieser Funktion kümmerte er sich um die Errichtung desCampaniles,[20] der erst nach Giottos Tod fertiggestellt wurde.
Campanile (Glockenturm) in FlorenzGiotto, Tod des hl. Franziskus, um 1325, Fresko/Secco, Cappella Bardi,Santa Croce, Florenz
Giotto wurde vonBoccaccio imDecamerone (6. Tag, 5. Geschichte) und vonDante Alighieri in derGöttlichen Komödie erwähnt. Dante behauptet erstmals, Giotto habe Cimabue übertroffen (Purgatorium, 11.94–95, 1321). Der DichterPetrarca besaß eine Tafel mit einer Darstellung der Jungfrau mit Kind von Giotto und schrieb, jeder Kunstkenner müsse von ihr hingerissen sein. Der MalerCennino Cennini bewunderte ihn zu Beginn des 15. Jahrhunderts in seiner Schrift über die Malerei (Libro dell'Arte) als Überwinder dermaniera greca und pries seine technischen Fertigkeiten.[21] AuchMichelangelo hat Arbeiten Giottos studiert, wie eine Zeichnung von Figuren aus dem Fresko mit der Himmelfahrt des heiligen Johannes inSanta Croce in Florenz zeigt.
In einer Künstleranekdote heißt es über Giotto, dass dieser eines Tages auf ein Kunstwerk seines Meisters Cimabue eine kleine Fliege malte, die so täuschend echt aussah, dass Cimabue mehrmals versuchte, sie fortzuscheuchen, ehe er die Illusion erkannte. Cimabue soll daraufhin der Ansicht gewesen sein, dass Giotto ihn übertroffen habe.
Nach einer weiteren der vielen Legenden, die sich um Giotto ranken, hat er einem Abgesandten des Papstes, der eine Arbeitsprobe haben wollte, nichts anderes gezeigt als einen aus der freien Hand gezeichneten Kreis, den man mit dem Zirkel nicht besser hätte anfertigen können („Giottos O“).[22][23]
In den um 1450 verfasstenCommentarii des Florentiner Bildhauers und BronzegießersLorenzo Ghiberti heißt es, Giotto sei von dem MalerCimabue als Hirtenjunge beim Zeichnen seiner Schafe entdeckt worden; eine Darstellung, bei der es sich um einen literarischenTopos handelt, der erstmals im sogenanntenFalso Boccaccio des späten 14. Jahrhunderts überliefert wurde. Die Anekdote wurde von Lorenzo Ghiberti und später imLibro di Antonio Billi im frühen 16. Jahrhundert wiederholt und dann vonGiorgio Vasari in seine Vita Giottos übernommen (1550).[24]
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Samuel Y. Edgerton:Giotto und die Erfindung der dritten Dimension. Malerei und Geometrie am Vorabend der wissenschaftlichen Revolution. Fink, München 2003,ISBN 3-7705-3884-6.
Michael Viktor Schwarz, Pia Theis:Giottus Pictor. 3 Bände. Böhlau, Wien u. a., 2004–2020;
Band 1:Giottos Leben. Mit einer Sammlung der Urkunden und Texte bis Vasari. 2004,ISBN 3-205-77243-1 (online);
Alessandro Tomei (Hrsg.):Giotto e il Trecento. Il più sovrano maestro in dipintura. Ausstellungskatalog (Rom, Complesso del Vittoriano), 2 Bände. Skira, Mailand 2009,ISBN 978-88-572-0117-7.
Frank Büttner:Giotto und die Ursprünge der neuzeitlichen Bildauffassung. Die Malerei und die Wissenschaft vom Sehen in Italien um 1300. WBG – Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2013,ISBN 978-3-534-25753-9.
Luciano Bellosi:Giotto (= Die großen Meister der Kunst). Scala, Bagno a Ripoli (Florenz) 2014,ISBN 978-88-6637-193-9. [populärwissenschaftlich; reich bebildert]
Giuliano Pisani:La concezione agostiniana del programma teologico della Cappella degli Scrovegni. In: Francesco Bottin (Hrsg.):Alberto da Padova e la cultura degli agostiniani. Padova University Press, Padua 2014,ISBN 978-88-6938-009-9, S. 215–268.
Giorgio Vasari:Das Leben des Cimabue, des Giotto und des Pietro Cavallini. Neu ins Deutsche übersetzt von Victoria Lorini. Herausgegeben, kommentiert von eingeleitet von Fabian Jonietz (Cimabue und Giotto) und Anna Magnago Lampugnani (Pietro Cavallini). Wagenbach, Berlin 2015,ISBN 978-3-8031-5064-6.
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↑Stefan Weppelmann:Raum und Memoria: Giottos Berliner "Transitus Mariae" und einige Überlegungen zur Aufstellung der "Maestà" in Ognissanti, Florenz. In: Stefan Weppelmann (Hrsg.):Zeremoniell und Raum in der frühen italienischen Malerei (= Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte.Band60). Imhof-Verlag, Petersberg 2007,ISBN 978-3-86568-260-4,S.128–159.
↑Katharina Weiger:Studien zu einer Kreuzigung im Louvre: Malerei nach Giotto in Unteritalien und Kunst am Anjou-Hof. arthistoricum, Heidelberg 2021,ISBN 978-3-948466-70-1,177,doi:10.17169/refubium-30635.
↑„Im Castel Nuovo hat der Maler laut Urkunden aus den Jahren zwischen 1329 und 1333 zwei Kapellen dekoriert und eine Altartafel hinterlassen (I b 3, 7). In dieser Burg bzw. in Neapel gab es vielleicht auch wirklich den von Ghiberti genannten Saal mit den Bildern berühmter Männer. Daß sie von Giotto stammten, wird durch das Schweigen Petrarcas, der mit der Neapler Residenz vertraut war und sich für Giotto-Werke grundsätzlich interessiert hat, aber ausgesprochen unwahrscheinlich (II g 2).“ Schwarz/Theis, Bd. 1, S. 20 (Die Klammerausdrücke beziehen sich auf die im Band abgedruckten Quellentexte.)
↑Katharina Weiger:Studien zu einer Kreuzigung im Louvre: Malerei nach Giotto in Unteritalien und Kunst am Anjou-Hof. arthistoricum, Heidelberg 2021,doi:10.17169/refubium-30635.
↑Cesare Guasti:Santa Maria del Fiore. 1887,Dok.-Nr. 44.
↑Gerd Kreytenberg:Der Campanile von Giotto. In:Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz.Nr.22.1978, 2, 1978,S.147–184,JSTOR:27652452.
↑Cennino Cennini da Colle di Valdelsa:Das Buch von der Kunst oder Tractat der Malerei (=Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance. 1,ZDB-ID 514181-3). Übersetzt und erläutert vonAlbert Ilg. Wilhelm Braumüller, Wien 1871, S. 28 (Digitalisat). Cennini erwähnt Giotto insgesamt zehn Mal.
↑Wolf-Dietrich Löhr:Die Rede der Hand: Giottos O und die Autorschaft des Künstlers bei Polizian und Vasari. In: Christel Meier, Martina Wagner-Egelhaaf, Ulrich Berges (Hrsg.):Autorschaft: Ikonen - Stile - Institutionen. Akademie-Verlag, Berlin 2011,ISBN 978-3-05-005108-6,S.163–193.