Dieser Artikel behandelt Ebbe und Flut speziell auf der Erde. Die Ursachen für die Gezeiten auf allen Himmelskörpern stehen im ArtikelGezeitenkraft.
Tide ist eine Weiterleitung auf diesen Artikel. Weitere Bedeutungen sind unterTide (Begriffsklärung) aufgeführt.
Hoch- und Niedrigwasser an einer Schiffsanlegestelle in derBay of FundySchematische Darstellung des Auftretens von Spring- und Nipptiden;Trägheiten führen dazu, dass z. B. Springtiden etwas später als bei Voll- und bei Neumond auftreten.Sandbänke im TidebereichNationalpark Niedersächsisches Wattenmeer (2019)
DieGezeiten oderTiden (niederdeutschTid, Tied [tiːt] „Zeit“; Pl.Tiden, Tieden [tiːdən] „Zeiten“) sind die Wasserbewegungen derOzeane, die durch die vonMond undSonne erzeugtenGezeitenkräfte im Zusammenspiel mit derErddrehung verursacht werden.
Die Gezeitenkräfte entstehen dadurch, dass Mond und Sonne trotz ihrer großen Entfernung mit ihrerAnziehungskraft nicht ganz gleichmäßig auf die Erde einwirken, sondern auf der ihnen gerade zugewandten Seite etwas stärker und auf der abgewandten Seite etwas schwächer als im Durchschnitt. Diese Unterschiede wirken im Sinne einer Streckung der Erde nach beiden Seiten, um je ca. 45 cm in und entgegengesetzt zur Mondrichtung und um je ca. 25 cm in und entgegengesetzt zur Sonnenrichtung. An einem festen Ort auf der Erde wird dieser Einfluss mit der täglichenRotation der Erde ein periodischer Vorgang, der sich jeden Tag zweimal wiederholt. Beim Einfluss des Mondes ist die Periode ca. 20–30 min länger, weil der Mond sich zusätzlich einmal im Monat um die Erde dreht und damit etwas länger von einem Höchststand zum nächsten braucht. Die Wirkungen von Mond und Sonne addieren sich, wobei der Mond den dominierenden Beitrag liefert und die Gesamtwirkung davon abhängt, wie groß der Winkel zwischen Mond- und Sonnenrichtung gerade ist.
Mit der um die Erdachse rotierenden Streckung der Erde geht ein periodisches Heben der Erdoberfläche einher, das von der am jeweiligen Ort vertikalen Komponente der Gezeitenkräfte verursacht wird und daher am zugewandten und am abgewandten Punkt am stärksten ist. Dieses Heben und Senken ist auf festem Boden alsErdgezeiten auch messbar. Es ist aber nicht die hauptsächliche Ursache der Tiden des Meeres.
Viel stärker wirken sich dieGezeitenströmungen aus, die in der ganzen Tiefe des Ozeans von der horizontalen Komponente der Gezeitenkräfte angeregt werden. Diese Komponente ist am stärksten in zwei Bändern, die sich mit 45° Winkelabstand von den eben genannten Punkten stärkster Hebung und Senkung um die Erde ziehen. Die Gezeitenströmungen werden mit periodisch wechselnder Richtung angetrieben und in ihrer Form stark durch dieCorioliskraft und die Kontinente beeinflusst. Sie verursachen an den Küsten periodische Änderungen der Wasserstände, die an vielen Orten mehrere Meter betragen, an anderen Orten aber auch weniger, und gegenüber dem Höchststand des Mondes, abhängig vom Ort, um Stunden verfrüht oder verspätet sind. Diese an sich schon verwickelten Verhältnisse werden zusätzlich durch das Wetter beeinflusst, weil starke Winde oberflächennahe Strömungen anregen, die an den Küsten ebenfalls die Wasserstände um bis zu einige Meter und auch die Eintrittszeiten von Hoch- und Niedrigwasser typischerweise um bis zu ca. ±20 min verändern können.
Bei Voll- und Neumond stehen Sonne und Mond von der Erde aus etwa auf einer geraden Linie, weshalb sich ihre Wirkungen zu einer besonders großen Tide, derSpringtide, addieren. Bei Halbmond hingegen stehen Sonne und Mond rechtwinklig zueinander und so ergibt sich eine besonders kleine Tide, dieNipptide. Die Gezeitenkräfte der Sonne betragen zwischen37 % und57 % (im Mittel etwa 46 %) derjenigen des Mondes.[1] Besonders große Gezeitenkräfte und Springtiden ergeben sich etwa sechs- oder achtmal im Jahr[2], wenn der Mond bei Voll- oder Neumond denerdnächsten Punkt seiner Bahn durchläuft, an dem die Ungleichförmigkeit der Anziehung maximal wird. Die größte Springtide ereignet sich, wenn das Ende Dezember/Anfang Januar geschieht, zu einer Zeit, da die Erde sich zusätzlich nahe demsonnennächsten Punkt ihrer Bahn um die Sonne befindet.
Die Lehre von den maritimen Gezeiten der Erde heißtGezeitenkunde. Ihre Grundaussagen sind Bestandteil dernautischen Ausbildung.
Flut – Zeitraum und Vorgang ansteigenden, „auflaufenden“ Wassers
Ebbe – Zeitraum und Vorgang sinkenden, „ablaufenden“ Wassers
Hochwasser (HW) – Zeitpunkt des höchsten Wasserstandes
Niedrigwasser (NW) – Zeitpunkt des tiefsten Wasserstandes
Kentern – Zeitpunkt des Wechsels von auflaufendem zu ablaufendem Wasser oder umgekehrt (Beim Kentern der Tide kommt es für kurze Zeit zu einem Stillstand der Gezeitenströmung.)
Stauwasser – Stillstand der Gezeitenströmung beim Kentern
Tidenkurve, aucheine Tide[3] – Zeitlicher Verlauf des Wasserstandes zwischen Niedrigwasser, Hochwasser und darauf folgendem Niedrigwasser
HThw = 906 cm (am 6. Dezember 2013) –HöchstesTidenhochwasser in einer Zeitspanne (01.11.2005 – 31.10.2015)
MThw = 622 cm –MittleresTidenhochwasser in einer Zeitspanne (01.11.2005 – 31.10.2015)
MTnw = 375 cm –MittleresTidenniedrigwasser in einer Zeitspanne (01.11.2005 – 31.10.2015)
NTnw = 251 cm (am 13. Dezember 2008) –NiedrigstesTidenniedrigwasser in einer Zeitspanne (01.11.2005 – 31.10.2015)
PNP = −5,00m. ü. NHN –Pegelnullpunkt, Höhenlage des Nullpunktes der Pegellatte bezogen auf ein amtlich festgelegtes Höhensystem (in Deutschland:DHHN92)
Für die Ostsee verwendet das Pegelportal folgende Pegelparameter,[6] erklärt mit Beispielwerten vom Pegel LT Kiel:[7]
HW = 670 cm (am 1. November 2006) –Hochwasser, höchster Wasserstand in einer Zeitspanne (01.11.2005 – 31.10.2015)
MHW = 615 cm –MittleresHochwasser, mittlerer höchster Wert der Wasserstände in einer Zeitspanne (01.11.2005 – 31.10.2015)
MW = 501 cm –MittlererWasserstand, Mittelwert der Wasserstände in einer Zeitspanne (01.11.2006 – 31.10.2015)
MNW = 383 cm –MittleresNiedrigwasser, mittlerer niedrigster Wert der Wasserstände in einer Zeitspanne (01.11.2005 – 31.10.2015)
NW = 322 cm (am 1. November 2006) –Niedrigwasser, niedrigster Wasserstand in einer Zeitspanne (01.11.2005 – 31.10.2015)
Hochwasserhöhe (HWH) – Wasserstand zum Zeitpunkt HW
Niedrigwasserhöhe (NWH) – Wasserstand zum Zeitpunkt NW. Aufeinander folgende Hochwasser- und Niedrigwasserhöhen am selben Ort sind im Allgemeinen unterschiedlich, da sich die Stellungen von Mond und Sonne relativ zu diesem Ort ändern.
Deutsch
Abk.
Englisch
Abk.
Bedeutung
Höhe der Gezeit
Height of Tide
Gezeitenbedingte Höhe des aktuellen Wasserstandes bezogen auf das örtliche Seekartennull SKN (meistensLAT)
Dass Ebbe und Flut vorwiegend mit dem Mond korreliert sind,[8] dürfte zu den ersten astrophysikalischen Erkenntnissen des Menschen gehören. Denn es ist an den Ozeanküsten unmittelbar zu beobachten, dass der bei Hochwasser sichtbare Mond regelmäßig beim übernächsten Hochwasser wieder fast an gleicher Stelle steht, also während eines seiner scheinbaren Umläufe zwei Tiden auftreten. Es sind auch detailliertere Kenntnisse über den Zusammenhang zwischen Mond und Gezeiten bekannt, einschließlich der langfristigen Periodizität in Abhängigkeit vonMondphasen undJahreszeiten. Diese Erkenntnisse wurden bereits im altenIndien, bei denPhöniziern undKarern dokumentiert,[9] und waren auch dem Seefahrer und EntdeckerPytheas bekannt.[10]
Der griechische AstronomSeleukos von Seleukia übernahm im zweiten vorchristlichen Jahrhundert dasheliozentrische Weltbild desAristarchos und baute darauf seine Theorie der Gezeiten auf.[11] Ein umfangreiches Werk vonPoseidonios aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. ist zwar verschollen, aber aus antiken Zitaten lässt sich schließen, dass es die lunisolare Theorie enthielt, also die Erklärung der täglichen und monatlichen Effekte aufgrund gegenseitiger Einwirkung der drei Himmelskörper.[12]
Im 14. Jahrhundert veröffentlichtJacopo de Dondi (dall’Orologio), Vater desGiovanni de Dondi (dall’Orologio), sein WerkDe fluxu et refluxu maris, wohl angeregt durch griechisch-byzantinische Quellen.[13]
Im 16. Jahrhundert gabAndrea Cesalpino in seinem WerkQuaestiones Peripatetica (1571) eine Erklärung der Gezeiten durch die Bewegung der Erde – ähnlich dem Hin- und Herschwappen von Wasser in einem bewegten Eimer. 1590 erklärteSimon Stevin die Anziehung durch den Mond zur Ursache der Gezeiten.
Johannes Kepler skizzierte 1609 im Vorwort seinerAstronomia Nova eine Theorie der Schwere, nach der alle Materie gegenseitig anziehend wirkt, sodass der Mond durch die Anziehung der Ozeane die Gezeiten verursacht. Kepler interpretierte schon qualitativ richtig, warum Ebbe und Flut an verschiedenen Küsten unterschiedlich stark und gegenüber dem Mond unterschiedlich phasenverschoben sind, konnte aber nur eine Tide pro Tag erklären.[14]Galileo Galilei verneinte jeden Einfluss des Mondes und interpretierte 1616 in seinem unveröffentlichtenDiscorso sopra il Flusso e Reflusso del Mare sowie in seinemDialogo sopra i due massimi sistemi del mondo (veröffentlicht 1632) die Gezeiten als Folge derErdrotation kombiniert mit dem Erdumlauf um die Sonne: Von der Sonne aus gesehen bewegt sich die Tagseite der Erde langsamer als die Nachtseite, wodurch sich die Gezeiten, allerdings auch nur einmal täglich, aufgrund der unterschiedlichen Beschleunigungen ergeben sollen.[10]René Descartes gab im 17. Jahrhundert eine Erklärung auf Basis einer Reibung des „Äthers“ zwischen Erde und Mond, die allerdings schnell widerlegt wurde.[15]
Zwei Körper kreisen um ihren gemeinsamen Schwerpunkt
Isaac Newton ging 1687 in seinem WerkMathematische Prinzipien der Naturlehre von dem Modell einesZweikörpersystems von Erde und Mond aus, das umden gemeinsamen Schwerpunkt, dasBaryzentrum, rotiert. Als Erster konnte er die an verschiedenen Orten der Erde unterschiedlichen Anziehungskräfte von Mond und Sonne und die daraus resultierende Verformung der Meeresoberfläche berechnen, die richtig zu zwei – allerdings viel zu schwach ausgeprägten – Tiden pro Tag führt.Daniel Bernoulli,Leonhard Euler,Pierre-Simon Laplace undThomas Young erweiterten Newtons Ansatz und fanden heraus, dass die Hebung und Senkung der Wasseroberfläche weniger durch die vertikalen Komponenten der Gezeitenkräfte verursacht wird als durch die Strömungen, die von den horizontalen Komponenten angetrieben werden. Damit bestätigten sie den Ansatz von Cesalpino („Schwappen in einem Gewässerbett“) und Kepler. Dabei entdeckte Euler 1739 die mathematische Herleitung der Phänomene dererzwungenen Schwingungen und derResonanz, und Young gab 1823 erstmals deren vollständige mathematische Beschreibung an. Die durch Berechnung gewonnenen Vorhersagen der Gezeiten waren allerdings sehr ungenau.
William Thomson ging einen Weg, der ohne eine detaillierte physikalische Erklärung auskam. Er nahm Mitte der 1860er Jahre an, dass sich der Verlauf der Tiden an einem gegebenen Ort als eineÜberlagerung unterschiedlicherSinusschwingungen darstellen lässt. Da Sinusfunktionen sich zeitlich beliebig fortschreiben lassen, erlaubt eine aus Tidenständen der Vergangenheit abgeleitete Kenntnis dieser Sinusschwingungen eine Vorhersage für die Zukunft. William Thomson nutzte dieFourier-Analyse von in regelmäßigen Abständen gemessenen und tabellierten Tidenständen um die zur Vorhersage benötigten Sinusschwingungen zu erhalten. Um den zur Berechnung von Tidentabellen nötigen Aufwand handhabbar zu machen, entwarf er zusammen mitEdward Roberts das mechanische Prinzip einerGezeitenrechenmaschine. Seine Maschine wurde vonAlexander Légé für das von der britischen Admiralität betriebeneHM Nautical Almanac Office (HMNAO) konstruiert und gebaut.[16] Dieses Gerät wurde vom HMNAO mehrere Jahrzehnte lang betrieben, bis es 1912 durch eine vonRollin Arthur Harris konstruierte Maschine ersetzt wurde. Auch in anderen Ländern wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts etwa 30 Gezeitenrechenmaschinen von staatlicher Seite betrieben, um der Schifffahrt verlässliche Vorhersagen für den Tidengang zur Verfügung zu stellen.[17] Etwa ab Mitte des Jahrhunderts wurde diese Berechnung auf digitaleComputer übertragen. Moderne Computer bewältigen die dafür nötigen Berechnungen in Bruchteilen einer Sekunde. Mechanische Gezeitenrechenmaschinen haben seitdem nur noch den Charakter von Museeumsstücken.
Gezeiten entstehen durch das Zusammenwirken der täglichen Drehung der Erde im (über einen Tag nahezu feststehenden) Gravitationsfeld von Mond und Sonne und der Tatsache, dass dieses Gravitationsfeld nicht überall gleich stark ist, sondern die Erde etwas in die Länge zieht. Die Kräfte, die das verursachen, heißenGezeitenkräfte. Ein Ort der Erdoberfläche erreicht bei jeder Umdrehung je zweimal einen Punkt mit maximaler und mit minimaler Gezeitenkraft. Die Gezeitenkraft macht zwar weniger als ein Zehnmillionstel der vertikal wirkenden Erdanziehung aus, hat aber fast überall auf der Erde auch eine horizontale Komponente, die eine periodische Störung eines ansonsten stabilen Gleichgewichtszustands darstellt. Auf diese Störung reagieren die Ozeane mit hin und her schwingenden Strömungen, die sich an Küsten durch periodisches Heben und Senken des Meeresspiegels bemerkbar machen. Dabei werden an vielen Orten Höhenunterschiede von deutlich über 1 Meter erreicht.
Ein äußeres Gravitationsfeld ruft an einemMassenpunkt (Masse), der sich am Ort befindet und ansonsten kräftefrei ist, eine Beschleunigung hervor. Betrachtet man eine ausgedehnte Ansammlung von solchen Massenpunkten, dann wird derenMassenmittelpunkt (Ort) eine bestimmte Beschleunigung zeigen, als ob die Summe der Gravitationskräfte auf alle Massenpunkte hier auf einen Körper mit der Summe ihrer Massen einwirkte (sieheSchwerpunktsatz).
Gezeitenbeschleunigung (blau) durch den Mond für Orte an der Erdoberfläche als Differenz der örtlichen Gravitationsbeschleunigung (grün) und der Beschleunigung des Massenmittelpunkts.
Man bezieht die Gravitationsbeschleunigung eines einzelnen Massenpunkts am Ort auf die Beschleunigung des Massenmittelpunkts. Die Differenz ist die am Ort herrschende Gezeitenbeschleunigung:
Die Gezeitenbeschleunigung zeigt sich direkt in der Beschleunigung der Bewegung des (ansonsten kräftefreien) Massenpunkts relativ zum Massenmittelpunkt. Im Bezugssystem, in dem der Massenmittelpunkt ruht, verhält jeder Massenpunkt sich so, als ob auf ihn die Gezeitenkraft
wirkt. Alternativ zu dieser Herleitung kann man explizit eine Transformation des Bezugssystems von einem Inertialsystem in das Ruhesystem des Massenmittelpunkts der Wolke vornehmen. Dies Bezugssystem ist mit beschleunigt, daher wirkt in ihm eine überall gleiche Trägheitskraft, die man zu der äußeren Kraft zu addieren hat. Das Ergebnis für die Gezeitenkraft – das ist die in diesem Bezugssystem wirksame Kraft – ist das gleiche.
Dieselbe Gezeitenkraft wirkt auch, wenn die Massenpunkte, aus denen der betrachtete Himmelskörper besteht, weitere Kräfte spüren, z. B. gegenseitige Gravitation, Kohäsion etc., oder auch ein weiteres äußeres Kraftfeld. Nur zeigt sich die Gezeitenkraft dann nicht unmittelbar in der beschleunigten Bewegung eines Massenpunkts, sondern nur in der Summe mit den anderen auf den Massenpunkt wirkenden Kräften.
Diese Herleitung von Gezeitenbeschleunigung und Gezeitenkraft auf einem Himmelskörper gilt unabhängig von Annahmen über dessen Bahn oder Bewegungszustand (z. B. obhyperbolisch wie beiKometen,elliptisch wie beiPlaneten, ob mit oder ohne Eigenrotation). Die in vielen Lehrbüchern getroffenen Annahmen etwa über dessen kreisförmige Bewegung und die zugehörigen Zentrifugalkräfte (diese Annahmen sind übrigens nur für eine gleichförmige Kreisbewegung exakt) dienen dort lediglich dazu, die Beschleunigung des Massenmittelpunktes zu ermitteln, die in der obigen Herleitung einfach aus dem Schwerpunktsatz entnommen wurde.[18][19]
Die von einem Himmelskörper auf der Erde hervorgerufene Gezeitenkraft ist am stärksten an den beiden entgegengesetzt liegenden Punkten der Erdoberfläche, die den kleinsten bzw. größten Abstand zum Himmelskörper haben. Sie weist dort vertikal nach außen, also beim Punkt des kleinsten Abstands direkt auf den Himmelskörper zu, beim Punkt des größten Abstands direkt von ihm weg. Am kleinsten ist die Gezeitenkraft auf dem Kreis auf der Erdoberfläche, der den gleichen Abstand vom Himmelskörper hat wie der Massenmittelpunkt der Erde. Bei großem Abstand des Himmelskörpers liegt dieser Kreis genau in der Mitte zwischen den beiden genannten Punkten des kleinsten und größten Abstands, wie der Äquator zwischen den Polen. Auf diesem Kreis weist die Gravitationskraft vertikal nach innen. In den mittleren Bereichen hat die Gezeitenkraft eine parallele Komponente zur Erdoberfläche und kann daher im Ozean effizient Strömungen antreiben, zumal sie nicht nur auf das Wasser an der Oberfläche wirkt, sondern praktisch unvermindert bis in die größten Tiefen.
Warum zieht das Gravitationsfeld der Sonne die Erde etwas in die Länge?
Für eine einfache Erklärung betrachte man wie eben anstelle der festen Erde eine fiktive kugelförmige Wolke kleiner Teilchen, die gemeinsam die Sonne umkreisen, aber keinerlei Kräfte aufeinander ausüben (auch keine Schwerkraft). Alle Teilchen bewegen sich (zunächst) mit derselbenWinkelgeschwindigkeit um die Sonne, teils etwas näher, teils etwas weiter von ihr entfernt als der mittlere Abstand. Dann liefert die gesamte Gravitationskraft, die die Sonne auf die Teilchen ausübt, am Ort des Massenmittelpunkts der Wolke genau dieZentripetalbeschleunigung, die zur Fortführung von dessen Kreisbewegung nötig ist (sieheSchwerpunktsatz). Die Teilchen, die näher an der Sonne sind, brauchen für ihre Kreisbahn bei gleicher Winkelgeschwindigkeit eine kleinere Zentripetalbeschleunigung als der Massenmittelpunkt, spüren aber eine stärkere Anziehungskraft der Sonne. Daher wird ihre Bahn stärker zur Sonne hin gekrümmt und sie entfernen sich vom Mittelpunkt der Wolke. Umgekehrt spüren die Teilchen mit größerem Abstand als eine geringere Anziehungskraft der Sonne und können von dieser nicht auf einer Kreisbahn gehalten werden. Diese Teilchen werden sich also nach außen beschleunigt vom Mittelpunkt entfernen. Ergebnis: die Wolke wird längs der Linie zur Sonne nach beiden Richtungen auseinandergezogen. Bei Kometen, die einem Planeten zu nahe kommen, hat man diesen „Gezeitenaufbruch“ schon beobachtet (sieheShoemaker-Levy 9). Nun ist die Erde zwar keine Wolke nicht wechselwirkender Teilchen, aber die Gezeitenkräfte sind die gleichen. Als ein fester Körper mit gewisser Elastizität verformt die Erde sich, und zwar (durch Sonne und Mond zusammen) um ±30 bis ±60 cm (sieheErdgezeiten), während in den beweglichen Luft- und Wassermassen von Atmosphäre und Ozeanen zusätzlich Strömungen erzeugt werden.
Gezeitenbeschleunigungen sind Beschleunigungsdifferenzen zwischen verschiedenen Punkten eines äußeren Feldes. Das äußere Feld ist stets eine Überlagerung von Zentralfeldern, hier hauptsächlich von Sonne und Mond. Am einfachsten ist der Falleines Zentralfeldes, also von Sonneoder Mond. Die Beschleunigungen werden anhand einer Testmasse ermittelt, die einmal an den Ort des Massenmittelpunkts der Erde und einmal an den interessierenden Ort gesetzt wird. Die Beschleunigung am Massenmittelpunkt ist gleich der Beschleunigung einer starren Erde.[20] Der andere Ort der Testmasse kann irgendwo in der Erde liegen, z. B. in der beweglichen Hydrosphäre.
ist der durch dasNewtonsche Gravitationsgesetz gegebeneBetrag der Beschleunigung im Gravitationsfeld des anderen Himmelskörpers (Sonne oder Mond). Darin ist der Abstand der Testmasse von der verursachenden Masse und dieGravitationskonstante. Für Punkte auf der Verbindungslinie vom Massenmittelpunkt der Erde zum Himmelskörper sind die Beschleunigungen parallel, daher ist die maximale und die minimale Gezeitenbeschleunigung einfach durch die Differenz der Beträge an den Stellen und zu berechnen ( für den mittlerenErdradius):
.
Mit und den Werten für den Mond, und, ergibt sich
und
.
Das ist etwa ein Dreißigstel der Beschleunigung der Erde zum Mond hin. Die Fallbeschleunigung auf der Erde, 9,81 m/s2, ist etwa 107-fach größer.
Vertikal- und Horizontalkomponenten der Gezeitenbeschleunigung
Für die Vertikal- und die Horizontalkomponente der Gezeitenbeschleunigung an einem beliebigen Ort der Erdoberfläche, der vom Erdmittelpunkt aus gesehen um denWinkel von der Richtung Erde→Mond abweicht, gilt[19]
für die Vertikalkomponente und
für die Horizontalkomponente der Gezeitenbeschleunigung.
Die Grafik rechts zeigt die Zerlegung Gezeitenbeschleunigung in Komponenten senkrecht und parallel zur Erdoberfläche.
Zerlegung der örtlich verschiedenen Werte der vom Mond verursachten Gezeitenbeschleunigung (bzw. der Gezeitenkraft, siehe obige Grafik) in Komponenten. Pfeil “1”: Richtung zum Mond und Rotationssymmetrieachse
Rechenbeispiel – Beschleunigung der Erde und Gezeitenbeschleunigung auf ihrer Oberfläche durch die Sonne
für die von der Sonne herrührende Gravitationsbeschleunigung der Erde sowie
für die Gezeitenbeschleunigung.
Die Gezeitenbeschleunigung variiert mit der dritten Potenz des Abstandes vom Gravitationszentrum und fällt damit schneller ab als die quadratisch variierende Gravitationsbeschleunigung. Obwohl die Sonne am Ort der Erde eine fast 180-fach stärkere Gravitationsbeschleunigung erzeugt als der Mond, erreicht die von ihr verursachte Gezeitenbeschleunigung nur 46 % der durch den Mond verursachten.
Überlagerung der vom Mond und von der Sonne verursachten Gezeitenkräfte
Die von Mond und Sonne verursachten Gezeitenkräfte addieren sich. Die stärkste Gesamtkraft ergibt sich, wenn Sonne, Erde und Mond auf einer Linie liegen, was bei Voll- und Neumond mit einerPeriode von etwa 14¾ Tagen näherungsweise eintritt. Dann heben sie den Wasserspiegel desOzeans bei Hochwasser etwa ¾ Meter (etwa ½ Meter durch den Mond und etwa ¼ Meter durch die Sonne) an.[21]
Berechnungen
Massen und Abstände
Objekt
Masse
Abstand zur Erde
Periapsis
Mittel
Apoapsis
Mond
m☾ = 7,346 · 1022 kg
s☾p = 363300 km
s☾ = 384400 km
s☾a = 405500 km
Sonne
m☉ = 1,9884 · 1030 kg
s☉p = 147,100 · 106 km
s☉ = 149,598 · 106 km
s☉a = 152,096 · 106 km
Die Gezeitenkräfte rechnen sich zu m/s3, normiert auf m☾/s☾3 betragen sie:
Objekt
Relative Stärke(m/s3) /(m☾/s☾3)
Periapsis
Mittel
Apoapsis
Mond
n☾p = 1,185
n☾ = 1
n☾a = 0,852
Sonne
n☉p = 0,483
n☉ = 0,459
n☉a = 0,437
In allen Fällen ist die Tide des Mondes die dominierende Tide.
Nipp- und Springtiden liegen damit zwischen
Tide
Min
Mittel
Max
Nipptide
n☾a − n☉p = 0,369
n☾ − n☉ = 0,548
n☾p − n☉a = 0,748
Springtide
n☾a + n☉a = 1,289
n☾ + n☉ = 1,459
n☾p + n☉p = 1,668
Die Verhältnisse zwischen Spring- und Nipptide liegen bei 1,72 (naher Mond, ferne Sonne) und 4,52 (ferner Mond, nahe Sonne), im Mittel bei 2,7.
Mittlere Periodendauer
Die Mondtide ist dominierend, d. h. ihre Amplitude ist immer größer als die Amplitude aller anderen Effekte. Daher ist sie allein für die mittlere Periodendauer der Tiden verantwortlich.
Wenn der Ozean die ganze Erde bedecken würde, würden bei der täglichen Drehung der Erde die Wasserberge und -täler auf der Erde umlaufen. Durch die Kontinente ist der Ozean in mehrere mehr oder weniger geschlossene Becken aufgeteilt, an deren Rändern das anströmende Wasser nicht nur aufgehalten, sondern auch reflektiert wird. Eine Wasserwelle läuft zurück und wird am gegenüberliegenden Rand erneut reflektiert. Das Wasser schwappt mit etwa 12½-stündiger Periode in den Ozeanbecken hin und her, wobei sich durch die Erddrehung kreisförmig umlaufende Wellen herausbilden. BeiResonanz zwischen der Wellenausbreitung und dem von der Erddrehung verursachten Wechsel der Gezeitenkräfte kann sich die Wellenamplitude stark vergrößern.
Die Amplitude der Pegelschwankungen ist farbkodiert. Es gibt mehrere Knotenpunkte (Amphidromie) verschwindender Amplitude, um die die Wellen herumlaufen. Linien gleicher Phase (weiß) umgeben die Knotenpunkte büschelförmig. Die Wellenausbreitung erfolgt senkrecht zu diesen Linien. Die Richtung ist durch Pfeile angedeutet.
Nach dem Ansatz vonGeorge Biddell Airy, der vonHenri Poincaré,Joseph Proudman undArthur Doodson weiterentwickelt wurde, entstehen die Gezeiten im Wesentlichen durch die horizontale Komponente der Gezeitenbeschleunigung vor allem im tiefen Ozean. Obwohl die Strömungen die gesamte Tiefe umfassen, handelt es sich umFlachwasserwellen, denn die Wellenlänge ist wesentlich größer als die Wassertiefe. Dann wird die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Wellen nur von der Wassertiefe bestimmt. Ihre Periodendauer ist durch die der Gezeitenkräfte festgelegt. Ausbreitungsgeschwindigkeit und Periodendauer ergeben zusammen einen typischen Knotenabstand von etwa 5000 Kilometern in stehenden Wellen in den Ozeanen, siehe Bild. In den Knoten ist die Amplitude des Pegels gering, die Strömungsgeschwindigkeit groß. Als Folge derCorioliskraft entstehen kreisende bis elliptische Bewegungen um die Knotenpunkte (Amphidromie). In den Schelfmeeren ist die Wellenlänge wegen der geringeren Wassertiefe kürzer. So gibt es in der relativ zu den Ozeanen kleinen Nordsee allein drei Amphidromiepunkte.
DieAmplituden der Gezeitenwellen sind wegen der geringeren Wassertiefe der Schelfe vor den Küsten deutlich höher als in den sonst tiefen Ozeanen. Die geringere Wassertiefe bedeutet geringere Ausbreitungsgeschwindigkeit der Wellen, was zum Anstieg der Wasserpegel führt. In Buchten und Mündungstrichtern von Flüssen verursacht die Querschnittsverringerung ein weiteres Abbremsen und Erhöhung der Wellenamplitude. Besonders großer Tidenhub tritt immer an solchen Stellen auf. Oftmals kommen rein topographisch begünstigte Resonanzüberhöhungen hinzu wie in derFundy-Bucht, in der es den weltweit höchsten Tidenhub gibt. Sie ist gerade so lang, dass sich die rücklaufende Welle außerhalb der Bucht zu einem dort gerade angekommenen erneuten Wasserberg addiert.
An steilen Küsten mit großer Wassertiefe ist der Tidenhub klein, weil die Wellenausbreitung im Gegensatz zu einer Küste mit vorgelagerten Inseln nicht verlangsamt wird.
„Die Ursache der Gezeiten ist eine astronomische, die Reaktion der Meere darauf hingegen ist eine geographische.“
–Wolfgang Glebe:Ebbe und Flut – Das Naturphänomen der Gezeiten einfach erklärt[22]
Die Gezeiten sind einer größeren Zahl individueller Zeitabhängigkeiten unterworfen, die im Wesentlichen astronomische Ursachen haben. Die Ortsabhängigkeit ist wegen der vielfältigen Form der Küste und des vorgelagerten Meeresbodens zwar groß, ist aber mit Hilfe weniger, prinzipiell beschreibbarer topographischer Parameter erklärbar. Dennoch werden Tidenvoraussagen im Allgemeinen nicht für größere Küstenabschnitte erstellt, sondern in der Regel nur für einen Ort, z. B. einen Hafen.
Die scheinbare Umlaufzeit des Mondes und die Periode der Mondphasen sind mit etwa 24 Stunden und 53 Minuten bzw. mit etwa 29½ Tagen Mittelwerte aus sowohl kurzfristig als auch aus längerfristig deutlich veränderlichen Werten. Durchharmonische Analyse der tatsächlichen Tiden-Verläufe wurden zusätzliche kleine Anteile mit anderer Periodendauer getrennt sichtbar gemacht. Der spätereLord Kelvin baute bereits 1872/76 eine ersteGezeitenrechenmaschine, mit deren Hilfe schon zehn unterschiedliche Schwingungsvorgänge zur Simulation des längerfristigen Verlaufs der Tiden in derThemse zusammengesetzt wurden (harmonische Synthese). Heutige Gezeitenrechnungen setzen etwa hundert Teilschwingungen zusammen, deren astronomischer Hintergrund meist, aber nicht immer, bekannt ist.
Wegen der zur Erd- und zur Mondbahn nicht senkrechten Erdachse haben zwei aufeinanderfolgende Gezeiten an einem Ort abseits des Äquators nicht den gleichen Tidenhub. Zu den Hochwasserzeiten befindet sich der Ort an Stellen, an denen die Gezeitenkräfte nicht gleich groß sind.[23][24]
Wegen des Wechsels der Mondlage relativ zur Sonne (Mondphasen) schwankt die Resultierende aus den von Mond und Sonne verursachten Gezeitenkräften, was zur etwa halbmonatlichen Periode der Tidenamplitude führt: Spring- und Nipptiden.[25][26][27]
Beim Anstieg des Tidenhubs von Tag zu Tag bis hin zur Springtide folgen sich die Fluten in geringeren Zeitabständen als beim Abstieg zur Nipptide. Die in den Ozeanen entstandenen Pegelwechsel kommen als höhere Wellen über den Schelfen schneller voran als die weniger hohen.[28][29]
Im halbjährigen Rhythmus derTagundnachtgleichen stehen die Sonne und annähernd auch der Mond senkrecht zur Erdachse. Die Gezeitenkräfte haben über die Erde als Ganzes gesehen dann die größte Wirkung.[30][31]
Die etwa elliptische Mondbahn dreht sich in ihrer Ebene in etwa 8,65 Jahren einmal um 360°. An einer bestimmten Bahnstelle bei gleicher Lage der Bahn befindet sich ein Voll- oder Neumond nach etwa 4½ Jahren wieder und hat denselben Abstand von der Erde. Die Wirkung des unterschiedlichen Abstandes auf den Gezeitenhub ist gering, aber als Effekt mit etwa 4½-jähriger Periode in langzeitigen Vergleichen – zum Beispiel der bereits extremen Springtiden an oder zeitnah bei den Tagundnachtgleichen – erkennbar.[32]
Die Mondbahn um die Erde und die Erdbahn um die Sonne schneiden einander unter einem Winkel von etwa 5°. Die Schnittlinie (Knotenlinie) dreht sich in etwa 18,6 Jahren einmal um 360°. Wenn sich der Mond in einem der beiden Knoten befindet, gleichzeitig Voll- oder Neumond ist und Springtiden stattfinden,[33] so ist der Tidenhub in diesem Rhythmus von etwa 9¼ Jahren nochmals geringfügig höher. Dieser Rhythmus wirdNodaltide genannt. Während des Maximums der Nodaltide fällt die Richtung der Gezeitenkräfte von Mond und Sonne während einer Springtide besonders genau zusammen.[34]
Mit Gezeitenrechnungen werden Vorhersagen über den zeitlichen Verlauf der Tiden und die Höhen von Hoch- undNiedrigwasser erstellt. Sie sind vorwiegend für die küstennahe Schifffahrt, die bei zu geringerWassertiefe Einschränkungen unterliegt, von Bedeutung. DieGezeitenströmung kann die Schifffahrt beschleunigen oder verlangsamen. Von besonderer Bedeutung ist die Vorhersage des Zeitpunktes, an dem sie ihre Richtung ändert(Kenterpunkt). Für die Schifffahrt in Flussmündungen sind Voraussagen über dieGezeitenwelle, die bei Flut stromaufwärts läuft, von besonderer Bedeutung.
Eine einfache Berechnung des zeitlichen Abstandes zweier Gezeiten gelingt mit der Annahme einer kreisförmigen Bewegung des Mondes um die Erde und unter Vernachlässigung des gravitativen Einflusses von Sonne und den anderen Planeten. Zwei Zeiten sind dafür entscheidend: der mittleresiderische Tag TErde = 23:56:4,0989 [hh:mm:s,f] = 23,93447 Stunden und dersiderische Monat TMond = 27,322 Tage. Die Winkelgeschwindigkeiten ω der Erdeigenrotation ωErde und der Mondrotation um die Erde ωMond betragen 2π/TErde bzw. 2π/TMond. Zeiten tk mit übereinstimmender Phase (die Phase ist periodisch mit 2π) erhält man aus der folgenden Gleichung:
mitk = 0,±1,± 2,±3.. und daraus dann.Für die erste Übereinstimmung der Phasen mit k = 1 erhält man gerundet mit h als Symbol für die Stunde, m und s für Minute und Sekunde.
Während dieser Zeit durchlaufen die Gezeitenkräfte des Mondes an jedem Ort der Erde zwei (fast gleich hohe) Maxima. Ihr zeitlicher Abstand ist genau die Hälfte, 12:25 [hh:mm].
Durch Gezeitenbewegungen typisches östliches Inselende am Beispiel vonNorderney
In Küstennähe sind die Gezeiten erheblich durch die geometrische Form der Küsten beeinflusst. Das betrifft sowohl denTidenhub als auch den Zeitpunkt von Hoch- und Niedrigwasser. Die an jedem Küstenort etwa gleich bleibende Zeitdifferenz zwischen Hochwasser und Höchststand des Mondes hängt vom Ort ab und wird als dessenHafenzeit, Tiden- oderHochwasserintervall bezeichnet. In derNordsee z. B. laufen Ebbe und Flut in einer Kreiswelle herum, so dass es an den Nordseeküsten Paare von Orten gibt, wo der eine gerade Hochwasser hat, wenn am anderen Niedrigwasser ist. Der Tidenhub unterscheidet sich nicht nur zwischen verschiedenen Regionen; an vorgelagerten Inseln und Kaps ist er geringer als an der Festlandsküste, in Buchten und Flussmündungen manchmal höher als an der vorderen Küste.
Der Tidenhub ist an den Küsten der Weltmeere oft größer als auf offener See. Das Meer schwappt bei Flut gewissermaßen an die Küste. Das gilt insbesondere für trichterförmige Küstenverläufe, z. B. an Flussmündungen (Ästuaren). So beträgt der Tidenhub in der westlichenOstsee nur etwa 30 Zentimeter, an der offenen deutschenNordseeküste etwa ein bis zwei Meter (siehe Liste weiter unten), in den alsTidefluss bezeichneten Unterläufen vonElbe undWeser aber bis über vier Meter. Noch höher ist der Tidenhub beispielsweise beiSt. Malo in Frankreich oder in derSevernmündung inGroßbritannien, wo er über acht Meter erreichen kann. In derBay of Fundy treten aufgrund einerTideresonanz die weltweit höchsten Gezeiten mit 14 bis 21 Metern auf.
Die Zunahme der Höhe der Flutwelle an den Küsten erfolgt in etwa nach dem gleichen Prinzip wie bei einemTsunami. In flacher werdendem Wasser verringert sich die Geschwindigkeit der Flutwelle, wodurch sie höher wird. Im Unterschied zum Tsunami ist die Gezeitenwelle aber nicht Resultat eines einzelnenImpulses, sondern wird durch die periodisch wechselnde Gezeitenkraft stets neu angeregt.
Die durch die Tide auf hoher See an den Küsten angeregten Meeresschwingungen können auchSchwingungsknoten haben, an denen gar kein Tidenhub auftritt (Amphidromie). Ebbe und Flut rotieren gewissermaßen um solche Knoten herum. Herrscht auf der einen Seite Ebbe, so herrscht auf der gegenüberliegenden Seite Flut. Dieses Phänomen findet man vor allem in Nebenmeeren, wie der Nordsee, die drei solcher Knoten aufweist (siehe Abbildung im ArtikelAmphidromie).
Mit der Ausbaggerung vonFahrrinnen für den Schiffsverkehr reicht der hohe Tidenhub der Mündung heute in den Ästuaren weit flussaufwärts, wo er früher schon deutlich nachließ (Vgl.Elbvertiefung undWeserkorrektion). Flussaufwärts wird der Tidenbereich heutzutage vielerorts durchWehre begrenzt, die gleichzeitig alsStaustufen in den zuführenden Flüssen einen Mindestwasserstand für die Schifffahrt garantieren können (zum BeispielRichmond Lock in derThemse), aber auch teilweise für die Nutzung derWasserkraft geeignet sind (siehe Untersuchungen für die Themse[66] und das bestehendeWeserkraftwerk Bremen).
Die Mündung der Themse mit ihrem relativ hohen Tidenhub ist ein klassisches Beispiel, dass bei sehr starken Tidenströmen dieErosion so stark und dieSedimentation so gering ist, dass sich einÄstuar ausbildet. ImRhein-Maas-Schelde-Delta haben Sedimentation und Erosion jahrtausendelang zusammengewirkt. Die Sedimentation hat bewirkt, dass die einmündenden Flüsse versandeten und in neue Betten ausbrachen, wodurch eine Vielzahl von Flussmündungen entstand. ZwischenAntwerpen undRotterdam, wo der Tidenhub groß ist, haben die gezeitenbedingten Pendelströme diese Flussmündungen zu Ästuaren aufgeweitet. An der flachen Küste östlich des holländischen Dünengürtels sind vom frühen 12. bis ins frühe 16. Jahrhundert Sturmfluten weit ins Land gedrungen und haben von der Mündung des östlichsten RheinarmsIJssel aus dieZuiderzee ausgewaschen, an der Mündung derEms denDollart und noch weiter östlich denJadebusen. Zwischen diesem und dem Ästuar derWeser bestand von Anfang des 14. bis Anfang des 16. Jahrhunderts einWeserdelta aus Ästuaren und Hochwasserrinnen, das dem Delta inZeeland ähnelte.
Die weitreichendsten Auswirkungen haben dieGezeiten auf den Amazonas, die Flutwelle läuft auf Grund der sehr breiten Mündung und des extrem geringen Gefälles etwa 800 km ins Inland bis etwaÓbidos.
Im Grundwasser merkt man die Gezeiten vor allem in den angrenzenden Bereichen zu tidebeeinflussten Gewässern. Der Effekt wird allerdings mit zunehmendem Abstand -abhängig von den Eigenschaften des Grundwasserleiters- immer mehr gedämpft und verzögert. Bei großen Abständen betragen die Auswirkungen nur wenige Millimeter, die im Zweifel von Niederschlägen und Luftdruck überlagert werden.[67]
↑Die durch den Mond verursache Tide liegt zwischen 85 % und 118,5 %, die durch die Sonne verursachte Tide zwischen 44 % und 48 % der durchschnittlichen Tide. Nipptiden können zwischen 37 % und 75 %, Springtiden zwischen 129 % und 167 % der durchschnittlichen Tide betragen, je nach Nähe oder Ferne von Sonne und Mond. Der Quotient zwischen Spring- und Nipptide kann zwischen 1,72 und 4,52 liegen, im Mittel liegt er bei 2,7.
↑What is a perigean spring tide? In: Ocean Facts. National Oceanic and Atmospheric Administration (USA), 1. Juni 2023, abgerufen am 17. Juli 2023 (englisch).
↑Martin Ekman:A concise history of the theories of tides, precession-nutation and polar motion (from antiquity to 1950). In:Surveys in Geophysics. 6/1993, Band 14, S. 585–617.
↑Gudrun Wolfschmidt (Hrsg.):Navigare necesse est – Geschichte der Navigation: Begleitbuch zur Ausstellung 2008/09 in Hamburg und Nürnberg. norderstedt 2008,eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche. Jack Hardisty:The Analysis of Tidal Stream Power. 2009eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche.
↑abDavid Edgar Cartwright:Tides: A Scientific History. Cambridge 1999,eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche.
↑Georgia L. Irby-Massie, Paul T. Keyser:Greek Science of the Hellenistic Era: A Sourcebook.eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche.
↑Lucio Russo:Die vergessene Revolution oder die Wiedergeburt des antiken Wissens. Übersetzt aus dem Italienischen von Bärbel Deninger, Springer 2005,ISBN 978-3-540-20938-6,eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche.
↑Jacopo Dondi (dall’Orologio):De fluxu et refluxu maris. Ediert 1912 von P. Revelli.
↑David T. Pugh:Tides, surges and mean sea-level. John Wiley & Sons, 1996,S.3.
↑Zu verschiedenen Theorien vor Newton siehe auch Carla Rita Palmerino, J. M. M. H. Thijssen (Hrsg.):The Reception of the Galilean Science of Motion in Seventeenth-Century Europe. Dordrecht 2004, S. 200 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑Proceedings of the Institution of Civil Engineers (London), Band 65 (1881), Seite 25–64: Zusammenfassung der öffentlichen Diskussion nach der Vorstellung der Gezeitenrechenmaschine.
↑P. L. Woodworth:An inventory of tide prediction machines. Research & Consultancy Report No. 56, National Oceanography Centre, Liverpool 2016, S. 30 (PDF; 8,8 MByte; englisch).
↑Robert Stewart:Introduction to Physical Oceanography. Orange Grove Texts Plus, 2009,S.302 (online [PDF; abgerufen am 19. Oktober 2019]). Stewart schreibt: „Note that many oceanographic books state that the tide is produced by two processes: i) the centripetal acceleration at earth’s surface as the earth and moon circle around a common center of mass, and ii) the gravitational attraction of mass on earth and the moon. However, the derivation of the tidal[force] does not involve centripetal acceleration, and the concept is not used by the astronomical or geodetic communities.“
↑abAndreas Malcherek:Gezeiten und Wellen: Die Hydromechanik der Küstengewässer. Vieweg+Teubner Verlag,ISBN 978-3-8348-0787-8, S. 25.
↑Das so definierte Zentrum wäre für eine genau kugelsymmetrische Erde ihr geometrisches Zentrum, sieheNewtonsches Schalentheorem.
↑Günther Sager:Gezeiten und Schiffahrt. Leipzig 1958, S. 61.
↑Zitat aus: Wolfgang Glebe:Ebbe und Flut – Das Naturphänomen der Gezeiten einfach erklärt. Delius Klasing Verlag, 2010,ISBN 978-3-7688-3193-2, S. 81.
↑Wolfgang Glebe:Ebbe und Flut. Das Naturphänomen der Gezeiten einfach erklärt. S. 43–47.
↑Wenn beachtet wird, dass wegen des geringen Unterschieds der Gezeitenkräfte zwischen zwei Springtiden oder zwei Nipptiden diese nicht genau gleich hoch sind, ändert sich die Periode auf einen Mondumlauf.
↑Wolfgang Glebe:Ebbe und Flut. Das Naturphänomen der Gezeiten einfach erklärt. S. 61–66.
↑Diese sich halbmonatlich wiederholende Verzerrung im Tidenkalender wird überlagert von einer kleineren, sich monatlich wiederholenden Verzerrung, die durch variierende Mondgeschwindigkeit auf seiner etwa elliptischen Bahn entsteht. Die dabei stattfindende Variation des Mondabstandes von der Erde führt zudem zu kleinen monatlichen Schwankungen des Tidenhubs.
↑Wolfgang Glebe:Ebbe und Flut. Das Naturphänomen der Gezeiten einfach erklärt. S. 50–54.
↑Die halbtägige Schwankung aufeinanderfolgender Gezeiten fällt dann aus.
↑Wolfgang Glebe:Ebbe und Flut. Das Naturphänomen der Gezeiten einfach erklärt. S. 71 f.