Gattung bezeichnet in derMusik einenKompositionstypus.[1] NachHermann Danuser ist der Gattungsbegriff „von logischen Klassifikationssystemen [...] auf einer mittleren Ebene angesiedelt. Er fügt verschiedene, auf einer unteren Ebene angesiedelte Arten zu einer Familie zusammen und erscheint umgekehrt mit anderen Erscheinungen derselben logischen Ebene unter einen gemeinsamen Oberbegriff subsumierbar. [...] Eine Art wird dadurch, daß man sie ihrerseits in weitere Typen untergliedert, zu einer Gattung für die nächstuntere Ebene, und umgekehrt wird eine Gattung dadurch, daß man sie mit anderen Gattungen zu einer übergreifenden Kategorie zusammenfaßt, ihrerseits zu einer Art.“[2]
Die Lehre von den musikalischen Gattungen betrachtet in erster Linie die KriterienBesetzung,Text,Funktion,Aufführungsort,Satzstruktur,Liturgie,Stil undTon. Davon abzugrenzen ist der Begriff derForm, der den kompositorischen Formaufbau einer Komposition beschreibt, beispielsweise dieSonatenhauptsatzform, die innerhalb einesSatzes einer Sonate zu finden ist.
Die genaue Definition des Begriffs „Gattung“ ist wissenschaftlich stark diskutiert und es existiert keine exakte allgemeingültige Definition. Beispiele für Gattungen sind etwaSonate oderStreichquartett,Messe oderOper, die jeweils eine ähnliche Form besitzen können, sich jedoch in manchen der oben genannten Faktoren unterscheiden. Zeitgleich können Werke einer Gattung unterschiedliche Form besitzen.
Oft überschneiden sich Bezeichnungen für Aufführungsrahmen mit den Bezeichnungen für das dort Aufgeführte:Kammermusik war einst Musik in der aristokratischen „Kammer“, scheint sich seit dem späten 18. Jahrhundert aber eher durch Besetzung, Stil etc. zu definieren. Der Begriff Opéra comique bezeichnet einPariser Theaterinstitut des 19. Jahrhunderts und zugleich eineOperngattung, die dort aufgeführt wurde. DasMenuett ist ein Gesellschaftstanz und zugleich ein Satz in der klassischenSinfonie.
Gattung und Aufführungsrahmen entsprechen sich so und sind dann nur bedingt trennbar: Gattungen sind vor der Romantik eng an funktionale Zusammenhänge gebunden, Musik ist dannGebrauchsmusik. Die Bindung an bestimmte Gattungstypen brachte für den Komponisten stets Beschränkungen seiner kompositorischen Möglichkeiten mit sich, z. B. bei Kirchensonaten oder zunächst bei der Gestaltung der geistlichen Oratorien, die nicht allzu opernhaft sein durften. Seit dem späten 18. Jahrhundert wurde Kammermusik jedoch – quasi gattungsübergreifend – auch im bürgerlichenKonzertsaal spielbar, und die Opéra comique konnte auch in deutschen (Provinz-)Theatern reproduziert werden. Dieser räumlichen Emanzipation entspricht oft dieEmanzipation von ihrer Funktion, wie etwa beiTanzmusik, die zum Sinfoniesatz wird.
Eine solche Emanzipation von derFunktionsmusik macht die Gattung rein bzw. „absolut“ (vgl.Absolute Musik). Sie bewahrt etwas (wie die aristokratische Kammer alsAura) und löst es zugleich aus seinem ursprünglichen Zusammenhang. Absolutheit zielt demästhetischen Anspruch nach auf Kunst als von der Wirklichkeit losgelöster „Gegenwelt“. Sie kann eine ungeschönte Betrachtung der historischen Fakten im 20. Jahrhundert behindern und steht seit den Katastrophen des 20. Jahrhunderts unter Ideologieverdacht.
Komponisten des 20. Jahrhunderts haben sich von allzu engen Gattungsbegriffen gelöst und haben hybride Mischformen im Rahmen klassischer Gattungen (wie z. B. die Kammersinfonie) oder im Rahmen der Künste (z. B. Performance als Mischform von Tanz/Theater und Musik) gefunden. In radikalen Experimenten negierteJohn Cage den Gattungs- und Werkbegriff vollständig.
- Marc Honegger,Günther Massenkeil (Hrsg.):Das große Lexikon der Musik. Band 3:Elsbeth – Haitink. Aktualisierte Sonderausgabe. Herder, Freiburg im Breisgau u. a. 1987,ISBN 3-451-20948-9, S. 235–237.
- Gattung in Ludwig Finscher (Hrsg.):Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Sachteil
- Genre inNew Grove Dictionary
- Carl Dahlhaus:Was ist eine musikalische Gattung
- ↑Marc Honegger, Günther Massenkeil (Hrsg.):Das große Lexikon der Musik. Band 3:Elsbeth – Haitink. Aktualisierte Sonderausgabe. Herder, Freiburg im Breisgau u. a. 1987,ISBN 3-451-20948-9, S. 235.
- ↑Hermann Danuser, Art. Gattung, I., in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, Kassel, Stuttgart, New York: 2016ff., zuerst veröffentlicht 1995, online veröffentlicht 2016.