Erinnyen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet vonFurie)
Zur Navigation springenZur Suche springen
Furie ist eine Weiterleitung auf diesen Artikel. Weitere Bedeutungen sind unterFurie (Begriffsklärung) aufgeführt.
Zwei Rachegöttinnen
(Zeichnung aus dem 19. Jahrhundert nach einer antiken Vase)

DieErinnyen oderErinyen (altgriechischἘρινύεςErinýes, in der EinzahlἘρινύςErinýs,lateinischErinys, Erinnys) – bei den Griechen auch alsΜανίαιManíai, deutsch‚die Rasenden‘, später alsEumeniden (ΕὐμενίδεςEumenídes), bei den Römern alsFurien(furiae, vonfuria‚Wut, Raserei‘[1]) bezeichnet – sind in dergriechischen Mythologie drei Rachegöttinnen:

  • Alekto (ἈληκτώAlēktṓ), „die (bei ihrer Jagd) Unaufhörliche“
  • Megaira (ΜέγαιραMégaira, deutsch auch „Megäre“), „derneidischeZorn“.
  • Tisiphone (ΤισιφόνηTisiphónē, auchΤεισιφόνηTeisiphónē), „dieVergeltung“ oder „die den MordRächende“. Sie wird auf griechischen Amphoren häufig mit Hundekopf und Fledermausschwingen dargestellt.

Sie stellen diepersonifizierten Gewissensbisse dar. Immatriarchalen Kontext gelten sie als Verteidigerinnen mutterrechtlicher Prinzipien. Sie stehen im Zusammenhang mit Totenkult und Fruchtbarkeit.

Der Name Eumeniden, die Wohlmeinenden, wurde ihnen nachAischylosDie Eumeniden im Ergebnis des Verfahrens gegenOrestes verliehen, nachdem sie ihr Amt und ihre Macht verloren hatten. Diese Umbenennung wird als beschwichtigend-abwehrenderEuphemismus betrachtet, der auf den in derOrestie vollzogenen historischen Umbruch zumpatriarchalen Prinzip hindeute.

Als „Furie“ oder seltener „Megäre“ wird im übertragenen Sinn eine rasend wütende Frau bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Mythologischer Ursprung

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]
Die RachegöttinTisiphone schwingt die Fackel des Wahnsinns und entleert den Krug mit Gift über das glückliche KönigspaarAthamas undIno.[2]
(Kupferstich vonBernard Picart, 18. Jahrhundert)
Les Remords d’Oreste – Orestes wird von Furien gehetzt.
(William Adolphe Bouguereau, 1862, Chrysler Collection,Norfolk)
  • NachHesiod wurden die Erinnyen vonGaia geboren, nachdem der TitanKronos seinen VaterUranos mit einer Sichel entmannt hatte. Aus dem Zeugungsglied, das ins Meer fiel, erwuchsAphrodite; aus dem Blut aber, das auf die Erde tropfte, entstanden außer denGiganten undmelischen Nymphen auch die Erinnyen.[3]
  • Nach anderen Erzählungen waren sie Töchter der Nacht (Nyx)[4] oder aber auch Töchter der Gaia und desSkotos,[5] der „Dunkelheit“. DenOrphikern galtenHades undPersephone als Eltern der Erinnyen.
  • BeiHomer und in der späteren griechischen Mythologie stellten die Erinnyen Rachegöttinnen bzw. Schutzgöttinnen der sittlichen Ordnung dar. Zu furchtbaren Werkzeugen der Rache wurden sie insbesondere, wenn es zu Mord (v. a. anBlutsverwandten), zu Verbrechen an Eltern oder älteren Menschen,[6] zuMeineid, aber auch, wenn es zu Verletzungen der geheiligtenBräuche gekommen war: als Personifizierungen der Verfluchungskraft (besonders der Verfluchung durch Vater und Mutter) und des Racheanspruchs Ermordeter. So verfolgten sie Orestes nach seinem Muttermord und trieben ihn in die Raserei. Die Ansprüche der Mütter wurden unter allen Umständen und zuerst von ihnen verteidigt, aber auch die der Väter und der älteren Brüder, so dass es Orestes nicht half,Klytaimnestra auf Befehl des Gottes Apollon umgebracht zu haben – hätte er es nicht getan, hätteApollon trotz allem die Erinnyen auf Orestes gehetzt. Apollon unterstützt all die Charaktere, die durch ihre Mutter leiden mussten (nicht nur Orestes, ein weiteres Beispiel ist KönigÖdipus). Erst durchPallas Athene und die Unterstützung Apollons wurde Orestes auf dem Athener Gericht freigesprochen, ohne dass das der allgemeinen Verehrung der Erinnyen Abbruch getan hätte. Seither verehrte man die Erinnyen in Athen – jedoch nicht unter ihrem alten Namen, sondern als die Eumeniden („Wohlgesinnten“).
  • Die in derUnterwelt hausenden Erinnyen werden als alte, aber jungfräulicheVetteln beschrieben, deren Hautfarbe schwarz war; sie kleideten sich in graue Gewänder, die Haare waren Schlangen, ihr Geruch war unerträglich und aus ihren Augen floss giftigerGeifer oder Blut.
  • Die Erinnyen konnten auch als eine einzige –Erinnys, „Rache“ – angerufen werden. Diese war damit zusammen mitDike, „Gerechtigkeit“, undPoine, „Strafe“, eine der drei Helferinnen derNemesis.
  • In der Orestie des Aischylos spielen die Erinnyen als Rachegöttinnen der Unterwelt eine wichtige Rolle. (Dritte Tragödie der Trilogie:Die Eumeniden)

Die Erinnyen in der nachantiken Kulturgeschichte

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]

In der Literatur der Neuzeit und der Moderne wird das Motiv der Erinnyen immer wieder aufgegriffen. InDantesDie Göttliche Komödie (IX. Gesang, Verse 37–42) treten sie auf, als Dante sich imInferno der unteren Hölle nähert. Auch inJohn Miltons EposParadise Lost (1667) begegnen die Erinnyen als „harpyienfüßige Furien“. InHercules vonHändel wendet sich eine wahnsinnigeDeïaneira kurz vor ihrem Suizid an die drei „dreadful sisters“ („grässliche Schwestern“), welche sie verfolgen.[7]Goethe ließ sie sowohl in seinerIphigenie auf Tauris (1786) als auch in seinemFaust II (1832) auftreten. InFriedrich Schillers BalladeDie Kraniche des Ibykus (1797) werden kraft ihres Chorgesangs die Mörder des SängersIbykus überführt, in seiner BalladeDer Ring des Polykrates (1798) weiht ihnen der KönigPolykrates seinen kostbaren Ring, um sich vor der Rache des Schicksals zu bewahren.

Von Erinnyen verfolgt fühlt sich inAlfred Döblins RomanBerlin Alexanderplatz (1929) die Hauptperson Franz Biberkopf, weil er seine Freundin erschlagen hat.Kurt Tucholsky (1931) bezeichnet in seinem RomanSchloss Gripsholm Frau Adriani alsMegäre. Drei Erinnyen treten im DramaDie Fliegen (1943) vonJean-Paul Sartre als Fliegen auf. Im RomanHomo faber. Ein Bericht (1957) vonMax Frisch spielt die „Schlafende Erinnye“ (die sogenannte Medusa Ludovisi) eine Rolle, da Faber unwissentlich Inzest mit seiner Tochter Elisabeth begeht und damit die Rachegöttinnen heraufruft.Die Wohlgesinnten ist der Titel eines Romans von Jonathan Littell, 2008 (französisch 2006:Les Bienveillantes). Der amerikanische HistorikerMichael S. Neiberg griff 2011 das Motiv des „Tanz[es] der Furien“ im Titel seines Werkes zur Stimmungslage der Europäer nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 auf.[8]

Literatur

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]

Weblinks

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]
Commons: Erinnyen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Erinnye – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]
  1. Georges, 1913.
  2. Ovid,Metamorphosen 4,508–509
  3. Hesiod,Theogonie 183 ff.
  4. Aischylos,Die Eumeniden 321
  5. Sophokles,Ödipus auf Kolonos 40,106
  6. Homer,Ilias 21,412 und 9,571; Homer,Odyssee 11,279
  7. G.F. Händel: Hercules – Partitur. In: IMSLP. Deutsche Händelgesellschaft, 1859, abgerufen am 24. November 2023 (englisch). 
  8. Michael S. Neiberg:Dance of the Furies: Europe and the Outbreak of World War I. Belknap Press of Harvard University Press, Cambridge, Mass. 2011. 
Abgerufen von „https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Erinnyen&oldid=253926419
Kategorien: