DieFinanzökonomik (eng. financial economics), auchFinanzmarktökonomie oderKapitalmarktforschung, ist ein Bereich derWirtschaftswissenschaft, der die Verwendung und Verteilung von Ressourcen aufFinanzmärkten analysiert.[1][2]
Die Finanzökonomik befasst sich mit der räumlichen und zeitlichen Zuweisung und Bereitstellung wirtschaftlicher Ressourcen in einem unsicheren Umfeld.[4] Die Disziplin basiert auf den Grundlagen derMikroökonomik und derEntscheidungstheorie. Die Forschung konzentriert sich daher auf dieEntscheidungsfindung unter Unsicherheit im Kontext der Finanzmärkte und der daraus resultierenden wirtschaftlichen und finanziellen Modelle und Grundsätze. Entscheidend ist dabei die Ableitung überprüfbarer oder politischer Implikationen aus akzeptablen Annahmen.[3]
Die Finanzökonomik untersucht, wie rationale Investoren dieEntscheidungstheorie auf Investitionsprobleme anwenden.[3] Die Disziplin baut somit auf den Grundlagen derMikroökonomik und der Entscheidungstheorie auf und leitet mehrere Schlüsselergebnisse für die Anwendung der Entscheidungsfindung unter Unsicherheit auf die Finanzmärkte ab.[5] Die zugrunde liegende ökonomische Logik führt zu fundamentalen Bewertungsergebnissen für Investitionsgüter.[6]
Finanzökonometrie ist ein Zweig der Finanzökonomik, derökonometrische Techniken verwendet, um diese Beziehungen zu parametrisieren.Finanzmathematik ist eine verwandte Disziplin, die die von der Finanzökonomik vorgeschlagenen mathematischen oder numerischen Modelle ableitet und erweitert. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der mathematischen Konsistenz im Gegensatz zur Kompatibilität mit der Wirtschaftstheorie. Eine weitere verwandte Disziplin ist dieGeldtheorie. Während die Finanzökonomik in erster Linie mikroökonomisch ausgerichtet ist, ist die Geldtheorie in erster Linie makroökonomischer Natur.
Der gesamten Finanzökonomik liegen die Konzepte desBarwerts und desErwartungswerts einer Zahlungsreihe zugrunde.[6]
Der Barwert ist der Wert, den zukünftigeZahlungen in der Gegenwart besitzen.[7] Er wird durchAbzinsung der zukünftigen Zahlungen und anschließendesSummieren ermittelt. Durch die Berechnung des Barwerts kann der Entscheidungsträger die künftigenCashflows (oder sonstigen Renditen) des Investitionsgutes zu einem einzigen Wert am fraglichen Zeitpunkt aggregieren und so mehrere Investitionsmöglichkeiten miteinander vergleichen. Dieses Konzept ist daher der wesentliche Ausgangspunkt für finanzielle Entscheidungen.[8]
Eine Erweiterung besteht darin,Wahrscheinlichkeiten mit dem Barwert zu kombinieren, was zumErwartungswert führt.[9] Dieser beschreibt den Wert des Kapitalgutes in Abhängigkeit von der Größe der erwarteten Auszahlungen, gewichtet nach den Wahrscheinlichkeiten ihres Auftretens.[10][11]
Ein weiteres Konzept ist dieRisikoaversion von Anlegern.[10] Da Individuen einen größeren Nutzen aus einer zusätzlichen Geldeinheit erhalten, wenn sie relativ arm sind, und einen geringeren Nutzen, wenn sie relativ reich sind, besteht dieser Ansatz darin, das den verschiedenen Umweltzuständen (eng. states) zugewiesene Gewicht gemäß der Risikoaversion anzupassen.
Entscheidungen unter Unsicherheit können so als Maximierung des erwarteten Nutzens charakterisiert werden.[12] Die resultierendeNutzenfunktion besagt, dass der subjektive Wert die statistische Erwartung des Individuums an die Bewertungen der Ergebnisse der Investition ist.[13]
Arbitragefreiheit ist das Fehlen jeder Möglichkeit zur (ökonomischen)Arbitrage.[14] Dies ist auf Finanzmärkten aufgrund der hohen Transparenz und geringer Transaktionskosten gegeben.[15] Rationale Preise bezeichnen die Annahme, dass Kapitalmärkte den arbitragefreien Preis des Kapitalgutes widerspiegeln, da jede Abweichung von diesem Preis „wegarbitriert“ wird.[16][17] Damit verbunden ist die Annahme der Informationseffizienz von Kapitalmärkten.[18] Das heißt, dass Preise auf Kapitalmärkten zu jeder Zeit alle verfügbaren Informationen widerspiegeln. Eine Arbitrage auf Basis von verfügbaren Informationen ist damit nicht möglich.[19]
DasMarktgleichgewicht bezeichnet einen Zustand, in dem sichAngebot undNachfrage entsprechen.[20] Ohne externe Einflüsse ändern sich diese Gleichgewichtswerte der wirtschaftlichen Variablen nicht, sie sind stabil. Das allgemeine Gleichgewicht befasst sich mit dem Verhalten von Angebot, Nachfrage und Preisen in einer gesamten Volkswirtschaft mit mehreren oder vielen interagierenden Märkten.[21] Dabei wird versucht zu zeigen, dass Preise existieren, die zu einem Gesamtgleichgewicht führen.[22]
Die beiden Konzepte sind wie folgt miteinander verbunden: Wenn die Marktpreise keine rentable Arbitrage zulassen, d. h. sie einen arbitragefreien Markt darstellen, werden diese Preise auch alsArbitrage-Gleichgewicht bezeichnet.[22] Dies lässt daran erkennen, dass sich die Preise dort ändern können, wo eine Arbitrage-Möglichkeit besteht, und sich daher nicht im Gleichgewicht befinden. Ein Arbitrage-Gleichgewicht ist somit eine Voraussetzung für einallgemeines wirtschaftliches Gleichgewicht.[19]
Eines der wichtigsten Modelle zur Untersuchung von Kapitalmärkten ist dieMarkteffizienzhypothese (EMH).[24] Sie besagt, dass Assetpreise alle verfügbaren Informationen widerspiegeln.[25] Eine direkte Konsequenz ist, dass kein Marktteilnehmer den Markt langfristig schlagen kann. Assetpreise sollten nur auf neue Informationen reagieren und daher einenzufälligen Verlauf aufweisen.[26]Eugene Fama hat wesentliche Beiträge zur EMH geliefert, indem er sieoperationalisierte und eine Reihe von empirischen Tests präsentierte.[27]
Diemoderne Portfoliotheorie (MPT) ist ein Modell für die Zusammenstellung eines Portfolios von Investitionsgütern, sodass die erwartete Rendite für ein bestimmtes Risikoniveau maximiert wird.[28] Grundlegend ist dabei das Konzept derDiversifikation.[29] Dieses bezeichnet die Idee, dass der Besitz verschiedener Arten von Kapitalgütern weniger riskant ist, als der Besitz nur einer Art.[22]
Die wichtigste Erkenntnis der MPT ist, dass das Risiko und Rendite eines Investitionsgutes nicht im Vakuum betrachtet werden sollte, sondern, wie es zum Gesamtrisiko und zur Gesamtrendite eines Portfolios beiträgt.[30]
DasCapital Asset Pricing Model (CAPM) ist ein Modell, welches dazu dient,Investitionsgüter zu bewerten.[33] Dadurch kann eine theoretisch angemessene erforderliche Rendite eines Investitionsgutes ermittelt werden, um Entscheidungen über das Hinzufügen zu einem gut diversifizierten Portfolio zu treffen.[34][35]
Das CAPM wird im gesamtenFinanzsektor häufig verwendet, umWertpapiere zu bewerten und erwartete Renditen für Investitionsgüter zu berechnen, wenn das Risiko und die Kapitalkosten berücksichtigt werden.[36]
Die Schlüsselidee des Modells besteht darin, die Option durch den richtigen Kauf und Verkauf des zugrunde liegenden Vermögenswerts abzusichern (sieheSicherungsgeschäft) und dadurch das Risiko zu minimieren.[38] Diese Art der Absicherung wird alsDelta-Hedging bezeichnet und ist die Grundlage für komplexesRisikomanagement, wie es beispielsweise vonInvestmentbanken undHedgefonds durchgeführt wird.[39]
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