Gütefaktor

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Dieser Artikel behandelt ein Maß für die Dämpfung bzw. den Energieverlust einesschwingungsfähigen Systems; zur Güte eines Filters in der Fluidtechnik sieheStaubabscheideleistung.

Der BegriffGütefaktor, auchQ-Faktor oderGüte, hat je nach Anwendungsgebiet eine andere Bedeutung. In Bezug auf schwingungsfähige Systeme wird er auchKreisgüte,Filtergüte,Schwingkreisgüte,Oszillatorgüte oderResonanzschärfe genannt.

Der Gütefaktor ist in der Physik und Technik ein Parameter (eineKennzahl):

Der Gütefaktor ist je nach Systemauslegung sehr unterschiedlich. Systeme, bei denen die Dämpfung wichtig ist (beispielsweiseStoßdämpfer), haben einen Gütefaktor um0,5{\displaystyle 0{,}5}, was demaperiodischen Grenzfall entspricht. Systeme, die eine hohe Frequenzstabilität benötigen, haben hohe Gütefaktoren, beispielsweise eineStimmgabel umQ=1000{\displaystyle Q=1000} und derQuarzoszillator in einerQuarzuhr umQ=10000{\displaystyle Q=10000} .[5]

Die Etablierung des Begriffs Q-Faktor und insbesondere im Englischen des BegriffsenglischQuality Factor geht auf Kenneth S. Johnson zurück, der den Gütefaktor zur Bewertung von elektrischen Netzwerken im Jahr 1923 erstmals verwendete.[6][7] Die Definition des Gütefaktors wurde neben der ursprünglichen Anwendung im Rahmen der elektrischen Netzwerktheorie verallgemeinert und findet Anwendung unter anderem beiHohlraumresonatoren, bei mechanischen und akustischen Systemen wie beispielsweiseLautsprechern, bis hin zur Bewertung von Spektrallinien und Teilchenresonanzen im Rahmen derQuantenmechanik.

Inhaltsverzeichnis

Definitionen

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Derdimensionslose GütefaktorQ{\displaystyle Q} wird in zwei gebräuchlichen und nicht deckungsgleichen Definitionen verwendet, die bei größerem Q-Faktor in Näherung gleiche Ergebnisse liefern.

Definition über die Energie

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Bei dieser Definition ist der Gütefaktor gegeben als Verhältnis von im Systemgespeicherter EnergieE{\displaystyle E} zur in der FolgeperiodeT{\displaystyle T}dissipierten EnergieWV=PVT{\displaystyle W_{V}=P_{V}\,T}. Die VerlustleistungPV>0{\displaystyle P_{V}>0} entsteht bei mechanischen Schwingungen bspw. durch Reibung, bei elektrischen Schwingkreisen z. B. durch Stromwärmeverluste. Aus praktischen Gründen wird der Vorfaktor2π{\displaystyle 2\pi } mit in den Gütefaktor hineindefiniert[8]:

Q=def2πEWV=ωEPV{\displaystyle Q\mathrel {\stackrel {\text{def}}{=}} 2\pi \,{\frac {E}{W_{V}}}=\omega \,{\frac {E}{P_{V}}}}

mitKreisfrequenzω=2πf=2π/T{\displaystyle \omega =2\pi f=2\pi /T}. Bei freien Schwingungen setzt man diegedämpfte Eigenfrequenzωd{\displaystyle \omega _{d}} ein, bei erzwungenen Schwingungen imeingeschwungenen Zustand dieResonanzfrequenzωr{\displaystyle \omega _{r}}. Hierbei ist darauf zu achten, die Einsetzung ggf. auch beiE=E(ω){\displaystyle E=E(\omega )},WV=WV(ω){\displaystyle W_{V}=W_{V}(\omega )} bzw.PV=PV(ω){\displaystyle P_{V}=P_{V}(\omega )} vorzunehmen, denn häufig hängen sie von der Frequenzω{\displaystyle \omega } ab (vgl.Parallelschwingkreis).

Für schwach gedämpfte, freie Schwingungen mit einer im Vergleich zurEnergierelaxationszeitτ{\displaystyle \tau } kleinen SchwingungsperiodeT{\displaystyle T}, d. h.Tτ{\displaystyle T\ll \tau }, gilt fernerWVEτT{\displaystyle W_{V}\approx {\frac {E}{\tau }}\,T} und somitQ=ωτ=2πfτ{\displaystyle Q=\omega \,\tau =2\pi f\,\tau }. In dem Fall gibt die Oszillatorgüte (bis auf den Faktor2π{\displaystyle 2\pi }) die Anzahl der Schwingungen in der Relaxationszeit der Energie an, d. h. die Anzahl der Schwingungen bis die Energie auf den Bruchteil1/e{\displaystyle 1/e} gefallen ist.

Definition über die Bandbreite

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Bei dieser Definition wird von der Resonanzfrequenzfr{\displaystyle f_{r}} in Relation zur ResonanzbreiteΔf{\displaystyle \Delta f} ausgegangen. Die Resonanzbreite stellt eineBandbreite dar, bei der dasLeistungsdichtespektrum auf die Hälfte abgenommen hat, dies entspricht derHalbwertsbreite und wird im technischen Bezug auch als3-dB-Bandbreite bezeichnet:

Q=deffrΔf=ωrΔω{\displaystyle Q\mathrel {\stackrel {\text{def}}{=}} {\frac {f_{r}}{\Delta f}}={\frac {\omega _{r}}{\Delta \omega }}}

Nach dieser Definition entspricht die relative Bandbreited{\displaystyle d} dem Kehrwert des Gütefaktors:

d=Δωωr=1Q{\displaystyle d={\frac {\Delta \omega }{\omega _{r}}}={\frac {1}{Q}}}

Elektrische Schaltungstechnik

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Im folgenden Abschnitt sind einige Beispiele zum Gütefaktor mit Bezug zuelektrischen Netzwerken beschrieben.

Schwingkreise

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Reihenschwingkreis

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Reihenschwingkreis

EinReihenschwingkreis besteht aus in Reihe liegendemWiderstandR{\displaystyle R}, InduktivitätL{\displaystyle L} und einer KapazitätC{\displaystyle C}, welche von einem WechselstromI{\displaystyle I} durchflossen werden. Der Gütefaktor wird im Resonanzfall bestimmt, wobei dann die Beträge der Reaktanzen gleich sind, d. h.|Xr|:=|XL|=|XC|{\displaystyle |X_{r}|:=|X_{L}|=|X_{C}|}. Der Gütefaktor des Reihenschwingkreises kann dann als Quotient vonBlindleistungPQ{\displaystyle P_{Q}} der Spule (oder Kondensator) undWirkleistungPW{\displaystyle P_{W}} ausgedrückt werden:

Q=PQPW=I2|Xr|I2R=|Xr|R=1RLC{\displaystyle Q={\frac {P_{Q}}{P_{W}}}={\frac {I^{2}|X_{r}|}{I^{2}R}}={\frac {|X_{r}|}{R}}={\frac {1}{R}}\;{\sqrt {\,{\frac {L}{C}}\,}}}

mit Resonanzfrequenzωr=1LC{\displaystyle \omega _{r}={\frac {1}{\sqrt {LC}}}} und ReaktanzenXL=ωrL{\displaystyle X_{L}=\omega _{r}L} bzw.XC=1ωrC{\displaystyle X_{C}=-{\frac {1}{\omega _{r}C}}}.

Für die genaue Herleitung mithilfe der Energiedefinition sieheEnergiebilanz undKreisgüte imReihenschwingkreis.

Parallelschwingkreis

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Parallelschwingkreis

EinParallelschwingkreis umfasst inParallelschaltung einen WiderstandR{\displaystyle R}, eine InduktivitätL{\displaystyle L} und eine KapazitätC{\displaystyle C}, welche parallel an einer WechselspannungU{\displaystyle U} liegen. Auch der Gütefaktor eines Parallelschwingkreises wird im Resonanzfall bestimmt und lässt sich mit den Bezeichnungen von oben|Xr|:=|XL|=|XC|{\displaystyle |X_{r}|:=|X_{L}|=|X_{C}|} wie beim Reihenschwingkreis als Quotient von BlindleistungPQ{\displaystyle P_{Q}} der Spule (oder Kondensator) undWirkleistungPW{\displaystyle P_{W}} ausdrücken:

Q=PQPW=U2|Xr|U2R=R|Xr|=RCL{\displaystyle Q={\frac {P_{Q}}{P_{W}}}={\frac {\frac {U^{2}}{|X_{r}|}}{\frac {U^{2}}{R}}}={\frac {R}{|X_{r}|}}=R\;{\sqrt {\,{\frac {C}{L}}\,}}}

wobei die Formel nur bei schwacher Dämpfung gilt, da nur dannωr1LC{\displaystyle \omega _{r}\approx {\frac {1}{\sqrt {LC}}}}. Für die genauen Voraussetzungen und die Herleitung mithilfe der Energiedefinition sieheEnergiebilanz undKreisgüte imParallelschwingkreis.

Impedanzen

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Bei einzelnen verlustbehafteten reaktiven Bauteilen ist der Gütefaktor ein Maß dafür, wie gut das Bauteil dem Ideal nahe kommt, also möglichst keine internen Verluste aufweist. Im Gegensatz zur Begriffsverwendung bei Schwingkreisen kommt dabei keine Resonanzfrequenz als ausgezeichneter Betriebsfall vor, die Frequenz wird von außen vorgegeben, womit der Gütefaktor dannfrequenzabhängig (!) ist.

Im einfachsten Fall werden bei Spule und Kondensator Verluste durch eine Reihenersatzschaltung von idealem Bauteil und Verlustwiderstand modelliert (ESR oderequivalent series resistance).

Mit der Energiedefinition lässt sich zeigen, dass der Gütefaktor als Quotient von Blind- und Wirkleistung des Bauteils ausdrückbar ist:

Q=PQPW=I2|X|I2R=|X|R{\displaystyle Q={\frac {P_{Q}}{P_{W}}}={\frac {I^{2}|X|}{I^{2}R}}={\frac {|X|}{R}}}

Eine hoheSpulengüte[9] ist vor allem dann erforderlich, wenn in einem Schwingkreis eine geringe Bandbreite angestrebt wird. Der Gütefaktor ist bei Netzwerkelementen zugleich der Kotangens desVerlustwinkels.[10]

Bandbreite

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Resonanzkurve bei einer logarithmischen Auftragung der Amplitude über der Erregerfrequenz, wobei die Resonanzfrequenz mitfc{\displaystyle f_{c}} bezeichnet ist

Der Gütefaktor eines Resonanzkreises ist ein Maß für die Schärfe der Resonanz. Diese wird durch die3-dB-BandbreiteB{\displaystyle B} ausgedrückt:[11]

B=f2f1=f0Q{\displaystyle B=f_{2}-f_{1}={\frac {f_{0}}{Q}}}

mit dem daraus gebildeten Gütefaktor:

Q=f0B{\displaystyle Q={\frac {f_{0}}{B}}}

Die obereGrenzfrequenzf2{\displaystyle f_{2}} und die untere Grenzfrequenzf1{\displaystyle f_{1}} sind diejenigen Frequenzen, bei denen die Spannung u^{\displaystyle {\hat {u}}} bzw. der Strom ı^{\displaystyle {\hat {\imath }}} auf den120,707{\displaystyle {\frac {1}{\sqrt {2}}}\approx 0{,}707}-fachen Wert des Maximalwertes zurückgehen. An dieser Stelle ist die Leistung im Schwingkreis nur noch halb so groß wie bei der Resonanzfrequenz des verlustlosen Schwingkreises. Bei Darstellung desPegels in Abhängigkeit von derFrequenz ist die Bandbreite gleich dem Frequenzbereich, an dessen Grenzen dieLeistungswurzelgröße um 3 dB abnimmt. Die Grenzfrequenzen können berechnet werden aus:

f1=R2+4LCR4πL{\displaystyle f_{1}={\frac {{\sqrt {R^{2}+4{\frac {L}{C}}}}-R}{4\pi L}}}   und  f2=R2+4LC+R4πL{\displaystyle f_{2}={\frac {{\sqrt {R^{2}+4{\frac {L}{C}}}}+R}{4\pi L}}}

Sie sind mit der Resonanzfrequenz des idealen Schwingkreises verbunden durch:

f0=f1f2{\displaystyle f_{0}={\sqrt {f_{1}\,f_{2}}}}.

Mechanischer Schwingkreis

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In derMechanik geht man bei einemFederpendel (Masse-Feder-System) von folgenden Differentialgleichungen aus:

mx¨+dx˙+kx=0oderx¨+2δx˙+ω02x=0{\displaystyle m{\ddot {x}}+d{\dot {x}}+kx=0\qquad {\text{oder}}\qquad {\ddot {x}}+2\delta {\dot {x}}+\omega _{0}^{2}x=0}

Dabei bedeutetx{\displaystyle x} die Auslenkung aus der Ruhelage undm{\displaystyle m} die Masse. Weitere Terme sind die vorzugsweise durch Reibung bestimmteDämpfungskonstante d{\displaystyle d}, dieFederkonstante k{\displaystyle k}, der Dämpfungskoeffizient δ{\displaystyle \delta } und die Eigenkreisfrequenz ω0=k/m{\displaystyle \omega _{0}={\sqrt {k/m}}} des ungedämpften Systems.

Ist die gespeicherte Energie gegeben durchE0=12kx02=12mv02{\displaystyle E_{0}={\frac {1}{2}}kx_{0}^{2}={\frac {1}{2}}mv_{0}^{2}}, so klingt diese im Schwingfall gemäßE(t)=E0etτ{\displaystyle E(t)=E_{0}\,e^{-{\frac {t}{\tau }}}}ab. Die Verlustleistung ist daherPV=E˙=E/τ{\displaystyle P_{V}=-{\dot {E}}=E/\tau }; die Energiedefinition ergibt daher fürδT1{\displaystyle \delta \,T\ll 1}[12][13]

Q=ωdEPV=ωdτ{\displaystyle Q=\omega _{d}\;{\frac {E}{P_{V}}}=\omega _{d}\,\tau }

mit der gedämpften Eigenkreisfrequenzωd=ω02δ2{\displaystyle \omega _{d}={\sqrt {\omega _{0}^{2}-\delta ^{2}}}} des schwach gedämpften Systems und der Energierelaxationszeitτ=1/2δ{\displaystyle \tau =1/2\delta }.

Beispiele

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In der folgenden Tabelle sind einige Größenordnungen von Gütefaktoren bei verschiedenen schwingenden Systemen angegeben.

SystemGütefaktor Q
Aperiodischer Grenzfall0,5{\displaystyle 0{,}5}
ElektrodynamischerLautsprechertyp.0,21,2{\displaystyle 0{,}2\,\ldots \,1{,}2}
ElektrischerSchwingkreis102{\displaystyle 10^{2}}
Pendeluhr104{\displaystyle 10^{4}}
Schwingungstilger105{\displaystyle 10^{5}}
Schwingquarz 10 MHz(310)105{\displaystyle (3\,\ldots \,10)\cdot 10^{5}}
FrequenzstabilisierterLaser109{\displaystyle 10^{9}}
SupraleitenderHohlraumresonator1091011{\displaystyle 10^{9}\,\ldots \,10^{11}}
Cäsium-Atomuhr1013{\displaystyle 10^{13}}
Mößbauer-Effekt beiGammastrahlung1015{\displaystyle 10^{15}}

Literatur

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  • Bernd Girod, Rudolf Rabenstein, Alexander Stenger:Einführung in die Systemtheorie. 4. Auflage. Teubner, Wiesbaden 2007,ISBN 978-3-8351-0176-0. 

Weblinks

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Einzelnachweise

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  1. Otto Zinke, Heinrich Brunswig:Physik - Ein Lehrbuch. 16. Auflage. 1989,ISBN 3-540-51196-2, Kapitel 4.1.2,S. 140 - 141. 
  2. Christian Gerthsen, Hans O. Kneser, Helmut Vogel:Physik - Ein Lehrbuch. 16. Auflage. 1989,ISBN 3-540-51196-2, Kapitel 4.1.2,S. 140 - 141. 
  3. Internationales Elektrotechnisches Wörterbuch – IEV151-15-47
  4. Mike Tooley:Electronic Circuits - Fundamentals And Applications. 5. Auflage. Routledge, 2020,ISBN 978-0-367-82265-1, Chapter 2: Passive circuits,S. 79 - 81. 
  5. Time and Frequency from A to Z: Quality Factor, Q. NIST, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 4. Mai 2008; abgerufen am 3. Dezember 2022. 
  6. Patent US1628983: Electrical network. Veröffentlicht am 1923, Anmelder: Western Electric, Erfinder: Kenneth S. Johnson.
  7. Estill Green: The Story of Q. Bell Telephone Laboratories, 1955, abgerufen am 3. Dezember 2022. 
  8. Wolfgang Pfeiler, Anton Zeilinger:Experimentalphysik Band 1. 2. Auflage. 2020,ISBN 978-3-11-067562-7, Kapitel 5.2.4,S. 298 - 299. 
  9. Internationales Elektrotechnisches Wörterbuch – IEV151-15-45
  10. Internationales Elektrotechnisches Wörterbuch – IEV151-15-48
  11. Erwin Böhmer, Dietmar Ehrhardt, Wolfgang Oberschelp:Elemente der angewandten Elektronik: Kompendium für Ausbildung und Beruf. 16. Auflage. Vieweg+Teubner, 2010, S. 69
  12. Dieter Meschede (Hrsg.),Christian Gerthsen:Gerthsen Physik. 25. Auflage. Springer, 2015, S. 150f
  13. Alan M. Portis, Hugh D. Young:Physik im Experiment. Vieweg, 1978, S. 34
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