Gütefaktor
Der BegriffGütefaktor, auchQ-Faktor oderGüte, hat je nach Anwendungsgebiet eine andere Bedeutung. In Bezug auf schwingungsfähige Systeme wird er auchKreisgüte,Filtergüte,Schwingkreisgüte,Oszillatorgüte oderResonanzschärfe genannt.
Der Gütefaktor ist in der Physik und Technik ein Parameter (eineKennzahl):
- In einem frei schwingendenharmonischen Oszillator (Resonator) ist er das Verhältnis der gespeicherten Energie zu demthermischen Energie-Verlust während der folgenden Schwingungsperiode.
- Bei Energiespeichern, wie beispielsweiseelektrischen Bauelementen wieSpulen undKondensatoren ist der Gütefaktor eine Kennzahl für den Energieverlust.[1] Einehohe Güte eines Systems besagt, dass das System die gespeicherte Energie in nur geringem Umfang in thermische Energie umsetzt und die Schwingung nur in geringem Umfang abnimmt.[2]
- DerKehrwert des Gütefaktors wird (in beiden obigen Bereichen) alsVerlustfaktor bezeichnet.[3]
- Bei einererzwungenen Schwingung beschreibt der Gütefaktor das Verhältnis derResonanzfrequenz zu seinerBandbreite.[4]
Der Gütefaktor ist je nach Systemauslegung sehr unterschiedlich. Systeme, bei denen die Dämpfung wichtig ist (beispielsweiseStoßdämpfer), haben einen Gütefaktor um, was demaperiodischen Grenzfall entspricht. Systeme, die eine hohe Frequenzstabilität benötigen, haben hohe Gütefaktoren, beispielsweise eineStimmgabel um und derQuarzoszillator in einerQuarzuhr um .[5]
Die Etablierung des Begriffs Q-Faktor und insbesondere im Englischen des BegriffsenglischQuality Factor geht auf Kenneth S. Johnson zurück, der den Gütefaktor zur Bewertung von elektrischen Netzwerken im Jahr 1923 erstmals verwendete.[6][7] Die Definition des Gütefaktors wurde neben der ursprünglichen Anwendung im Rahmen der elektrischen Netzwerktheorie verallgemeinert und findet Anwendung unter anderem beiHohlraumresonatoren, bei mechanischen und akustischen Systemen wie beispielsweiseLautsprechern, bis hin zur Bewertung von Spektrallinien und Teilchenresonanzen im Rahmen derQuantenmechanik.
Definitionen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Derdimensionslose Gütefaktor wird in zwei gebräuchlichen und nicht deckungsgleichen Definitionen verwendet, die bei größerem Q-Faktor in Näherung gleiche Ergebnisse liefern.
Definition über die Energie
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Bei dieser Definition ist der Gütefaktor gegeben als Verhältnis von im Systemgespeicherter Energie zur in der Folgeperiodedissipierten Energie. Die Verlustleistung entsteht bei mechanischen Schwingungen bspw. durch Reibung, bei elektrischen Schwingkreisen z. B. durch Stromwärmeverluste. Aus praktischen Gründen wird der Vorfaktor mit in den Gütefaktor hineindefiniert[8]:
mitKreisfrequenz. Bei freien Schwingungen setzt man diegedämpfte Eigenfrequenz ein, bei erzwungenen Schwingungen imeingeschwungenen Zustand dieResonanzfrequenz. Hierbei ist darauf zu achten, die Einsetzung ggf. auch bei, bzw. vorzunehmen, denn häufig hängen sie von der Frequenz ab (vgl.Parallelschwingkreis).
Für schwach gedämpfte, freie Schwingungen mit einer im Vergleich zurEnergierelaxationszeit kleinen Schwingungsperiode, d. h., gilt ferner und somit. In dem Fall gibt die Oszillatorgüte (bis auf den Faktor) die Anzahl der Schwingungen in der Relaxationszeit der Energie an, d. h. die Anzahl der Schwingungen bis die Energie auf den Bruchteil gefallen ist.
Definition über die Bandbreite
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Bei dieser Definition wird von der Resonanzfrequenz in Relation zur Resonanzbreite ausgegangen. Die Resonanzbreite stellt eineBandbreite dar, bei der dasLeistungsdichtespektrum auf die Hälfte abgenommen hat, dies entspricht derHalbwertsbreite und wird im technischen Bezug auch als3-dB-Bandbreite bezeichnet:
Nach dieser Definition entspricht die relative Bandbreite dem Kehrwert des Gütefaktors:
Elektrische Schaltungstechnik
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Im folgenden Abschnitt sind einige Beispiele zum Gütefaktor mit Bezug zuelektrischen Netzwerken beschrieben.
Schwingkreise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Reihenschwingkreis
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EinReihenschwingkreis besteht aus in Reihe liegendemWiderstand, Induktivität und einer Kapazität, welche von einem Wechselstrom durchflossen werden. Der Gütefaktor wird im Resonanzfall bestimmt, wobei dann die Beträge der Reaktanzen gleich sind, d. h.. Der Gütefaktor des Reihenschwingkreises kann dann als Quotient vonBlindleistung der Spule (oder Kondensator) undWirkleistung ausgedrückt werden:
mit Resonanzfrequenz und Reaktanzen bzw..
Für die genaue Herleitung mithilfe der Energiedefinition sieheEnergiebilanz undKreisgüte imReihenschwingkreis.
Parallelschwingkreis
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EinParallelschwingkreis umfasst inParallelschaltung einen Widerstand, eine Induktivität und eine Kapazität, welche parallel an einer Wechselspannung liegen. Auch der Gütefaktor eines Parallelschwingkreises wird im Resonanzfall bestimmt und lässt sich mit den Bezeichnungen von oben wie beim Reihenschwingkreis als Quotient von Blindleistung der Spule (oder Kondensator) undWirkleistung ausdrücken:
wobei die Formel nur bei schwacher Dämpfung gilt, da nur dann. Für die genauen Voraussetzungen und die Herleitung mithilfe der Energiedefinition sieheEnergiebilanz undKreisgüte imParallelschwingkreis.
Impedanzen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Bei einzelnen verlustbehafteten reaktiven Bauteilen ist der Gütefaktor ein Maß dafür, wie gut das Bauteil dem Ideal nahe kommt, also möglichst keine internen Verluste aufweist. Im Gegensatz zur Begriffsverwendung bei Schwingkreisen kommt dabei keine Resonanzfrequenz als ausgezeichneter Betriebsfall vor, die Frequenz wird von außen vorgegeben, womit der Gütefaktor dannfrequenzabhängig (!) ist.
Im einfachsten Fall werden bei Spule und Kondensator Verluste durch eine Reihenersatzschaltung von idealem Bauteil und Verlustwiderstand modelliert (ESR oderequivalent series resistance).
Mit der Energiedefinition lässt sich zeigen, dass der Gütefaktor als Quotient von Blind- und Wirkleistung des Bauteils ausdrückbar ist:
Eine hoheSpulengüte[9] ist vor allem dann erforderlich, wenn in einem Schwingkreis eine geringe Bandbreite angestrebt wird. Der Gütefaktor ist bei Netzwerkelementen zugleich der Kotangens desVerlustwinkels.[10]
Bandbreite
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Der Gütefaktor eines Resonanzkreises ist ein Maß für die Schärfe der Resonanz. Diese wird durch die3-dB-Bandbreite ausgedrückt:[11]
mit dem daraus gebildeten Gütefaktor:
Die obereGrenzfrequenz und die untere Grenzfrequenz sind diejenigen Frequenzen, bei denen die Spannung bzw. der Strom auf den-fachen Wert des Maximalwertes zurückgehen. An dieser Stelle ist die Leistung im Schwingkreis nur noch halb so groß wie bei der Resonanzfrequenz des verlustlosen Schwingkreises. Bei Darstellung desPegels in Abhängigkeit von derFrequenz ist die Bandbreite gleich dem Frequenzbereich, an dessen Grenzen dieLeistungswurzelgröße um 3 dB abnimmt. Die Grenzfrequenzen können berechnet werden aus:
- und
Sie sind mit der Resonanzfrequenz des idealen Schwingkreises verbunden durch:
- .
Mechanischer Schwingkreis
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]In derMechanik geht man bei einemFederpendel (Masse-Feder-System) von folgenden Differentialgleichungen aus:
Dabei bedeutet die Auslenkung aus der Ruhelage und die Masse. Weitere Terme sind die vorzugsweise durch Reibung bestimmteDämpfungskonstante , dieFederkonstante , der Dämpfungskoeffizient und die Eigenkreisfrequenz des ungedämpften Systems.
Ist die gespeicherte Energie gegeben durch, so klingt diese im Schwingfall gemäßab. Die Verlustleistung ist daher; die Energiedefinition ergibt daher für[12][13]
mit der gedämpften Eigenkreisfrequenz des schwach gedämpften Systems und der Energierelaxationszeit.
Beispiele
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]In der folgenden Tabelle sind einige Größenordnungen von Gütefaktoren bei verschiedenen schwingenden Systemen angegeben.
System | Gütefaktor Q |
---|---|
Aperiodischer Grenzfall | |
ElektrodynamischerLautsprecher | typ. |
ElektrischerSchwingkreis | |
Pendeluhr | |
Schwingungstilger | |
Schwingquarz 10 MHz | |
FrequenzstabilisierterLaser | |
SupraleitenderHohlraumresonator | |
Cäsium-Atomuhr | |
Mößbauer-Effekt beiGammastrahlung |
Literatur
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Bernd Girod, Rudolf Rabenstein, Alexander Stenger:Einführung in die Systemtheorie. 4. Auflage. Teubner, Wiesbaden 2007,ISBN 978-3-8351-0176-0.
Weblinks
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Umrechnung: 'Bandbreite in Oktaven'N in GütefaktorQ und GütefaktorQ in 'Bandbreite in Oktaven'N
- Q-Faktor und Mittenfrequenz - Finde die Grenzfrequenzen (Bandbreite)
- Gütefaktor Q in „Bandbreite in Oktaven“ N - und zurück – Excel
Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑Otto Zinke, Heinrich Brunswig:Physik - Ein Lehrbuch. 16. Auflage. 1989,ISBN 3-540-51196-2, Kapitel 4.1.2,S. 140 - 141.
- ↑Christian Gerthsen, Hans O. Kneser, Helmut Vogel:Physik - Ein Lehrbuch. 16. Auflage. 1989,ISBN 3-540-51196-2, Kapitel 4.1.2,S. 140 - 141.
- ↑Internationales Elektrotechnisches Wörterbuch – IEV151-15-47
- ↑Mike Tooley:Electronic Circuits - Fundamentals And Applications. 5. Auflage. Routledge, 2020,ISBN 978-0-367-82265-1, Chapter 2: Passive circuits,S. 79 - 81.
- ↑Time and Frequency from A to Z: Quality Factor, Q. NIST, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 4. Mai 2008; abgerufen am 3. Dezember 2022.
- ↑Patent US1628983: Electrical network. Veröffentlicht am 1923, Anmelder: Western Electric, Erfinder: Kenneth S. Johnson.
- ↑Estill Green: The Story of Q. Bell Telephone Laboratories, 1955, abgerufen am 3. Dezember 2022.
- ↑Wolfgang Pfeiler, Anton Zeilinger:Experimentalphysik Band 1. 2. Auflage. 2020,ISBN 978-3-11-067562-7, Kapitel 5.2.4,S. 298 - 299.
- ↑Internationales Elektrotechnisches Wörterbuch – IEV151-15-45
- ↑Internationales Elektrotechnisches Wörterbuch – IEV151-15-48
- ↑Erwin Böhmer, Dietmar Ehrhardt, Wolfgang Oberschelp:Elemente der angewandten Elektronik: Kompendium für Ausbildung und Beruf. 16. Auflage. Vieweg+Teubner, 2010, S. 69
- ↑Dieter Meschede (Hrsg.),Christian Gerthsen:Gerthsen Physik. 25. Auflage. Springer, 2015, S. 150f
- ↑Alan M. Portis, Hugh D. Young:Physik im Experiment. Vieweg, 1978, S. 34