Falsett (von gleichbedeutenditalienischfalsetto für eine „höhere, durch Zusammenpressen derStellknorpel erreichteStimmlage“)[1] oderFalsettstimme ist die Bezeichnung für einGesangsregister und somit für eine besondere Form der Benutzung der menschlichenStimme.
„Falset-Stimme, Falsetto [ital.] heisset: (1. was über oder unter eines jeden blasenden Instruments sonst natürliche und ordinaire Höhe oder Tiefe von einem guten Meister zuwege gebracht und erzwungen werden kann. (2. Bei erwachsenen Sängern, wenn sie anstatt ihrer ordentlichen Bass- oder Tenor-Stimme, durch Zusammenzwingen und Dringen des Halses, den Alt oder Discant singen. Man nennet es auch deswegen eine unnatürliche Stimme.“
Im weiteren Sinne wird der Begriff als das verstanden, was landläufigKopfstimme oder auch manchmal (fälschlich) „Fistelstimme“ genannt wird, also die um eineOktave hochgestellte männliche Sprech- oderGesangsstimme, bei der dieStimmbänder nicht vollständig, sondern nur an ihren Rändern schwingen, wodurch ein weicher und grundtöniger Klang zustande kommt. Im engeren (musikalischen) Sinne schließt der BegriffFalsett die Verstärkung dieser Randschwingungsstimme in der Tiefe durch die klangliche Beimischung der Brust- und Kopfstimme ein. Diese Technik ermöglicht esCountertenören, den Übergang zu tieferen Lagen dynamisch auszugleichen. BeimJodeln ist der ständige Wechsel zwischen Normalstimme und Falsett kennzeichnend.
Bereits in derSpätantike wurden die hohen Stimmlagen geschätzt. Um bei Knaben den einsetzendenStimmbruch zu unterbinden, wurden diese vor dem Eintreten derPubertätkastriert.
Bis insBarock war die Falsettstimme, deren Gesangstechnik im 9. Jahrhundert vom persischen MusikerZiryab (Abu Hassan Ali ben Nafi) mit derandalusischen Musik inCórdoba bekanntgemacht und von dort aus überTrobadore in Europa verbreitet[2] worden sein soll, eine Möglichkeit unter mehreren, Gesang von Männern inSopran- undAlt-Lage darzustellen. Spanische Falsettisten („Spagnioletti“) sangen im Vatikan. Mit der Entstehung derOper ab Ende des 16. Jahrhunderts sangen zunehmend Knaben oderKastraten die hohen männlichen Partien.[3]
In der nachbarocken Oper wurde diese Art des Singens nur noch hin und wieder als komischer Effekt verlangt. Erst im 20. Jahrhundert – als es im Zuge der Wiederentdeckung der Barockoper immer mehr Countertenöre gab, die die Kastratenrollen sangen – begannen Komponisten wieder, für Falsettisten zu schreiben. Zu diesen Komponisten zählenBenjamin Britten (Oberon inA Midsummer Night’s Dream,Aldeburgh Festival 1960),Hans Werner Henze (L’Upupa oder Der Triumph der Sohnesliebe, Salzburg 2003),Georg Friedrich Haas (Die schöne Wunde, Bregenz 2003),Gavin Bryars (G, Mainz 2002) oderKlaus Huber (Schwarzerde, Basel 2001). Diese Rollen für Falsettisten sind oft „Zwischenwesen“.
Von den Tagen des frühen Blues an wurde das Falsett in allen Stilrichtungen derpopulären Musik von einer großen Anzahl von Sängern als Stilmittel eingesetzt.
Im Bereich derDoo-Wop-Musik wird im Sinne derClose Harmony auf Falsettsänger zurückgegriffen, um die Harmonien zu vervollständigen. Davon ausgehend wird in der vokalenSurfmusik ausgiebig davon Gebrauch gemacht, das bekannteste Beispiel istBrian Wilson vonThe Beach Boys.
Manche Sänger setzten die Technik nur in einzelnen Songs ein, beispielsweise sangBruce Springsteen 1999Lift Me Up, das Abspannlied für den FilmLimbo, komplett in Falsett. Einzelne Songs oder Teile von Songs wurden zum Beispiel vonNeil Young undAxl Rose in Falsettstimme vorgetragen, überwiegend in Falsett sang auchMick Jagger das StückEmotional Rescue,Prince den SongKiss sowieBeck den SongDebra.
In den 1960er und 1970er Jahren wurde der amerikanische KünstlerTiny Tim für seinen Falsettgesang bekannt. Die Kombination seines Aussehens, des Gesangs und der Begleitung durch dieUkulele machte ihn und sein extremes Falsett berühmt. Große kommerzielle Erfolge erreichten dieBee Gees mit ihrem dreistimmigen Falsettgesang in der Diskowelle Ende der 1970er Jahre.
Um Lieder von extremer Tiefe bis in extreme Höhen singen zu können, setztenFish, von 1979 bis 1988 Sänger der GruppeMarillion, undFreddie Mercury auch das Falsett ein. Letzterer sang auch komplette Lieder in Falsett. Mercury war eigentlich von Natur aus einBariton, konnte aber die verschiedenenRegister seiner3 1⁄2-Oktaven-Stimme in vielfältiger Weise abschattieren. So war er nicht nur einfach in der Lage, das tiefe F korrekt zu intonieren, er konnte seiner Stimme auch das dazu passende charakteristischeTimbre einesBass-Baritons verleihen. Entsprechend klingt er beim b″ im extrem hohen Falsett-Register absolut überzeugend.
Nahezu ausschließlich im Falsett singt Martyn Jacques, Sänger und Kopf des britischen „Punk-Kabarett-Trios“The Tiger Lillies.
Im Zuge der um 1980 von Großbritannien ausgehendenHeavy-Metal-Welle entstanden in Europa und den USA zahlreiche Bands mit Falsettsängern. Der bekannteste unter ihnen istRob Halford, der zwischen 1976 und 1990 mit der BandJudas Priest eine Vielzahl Falsettgesänge aufnahm (beispielsweise den SongPainkiller). Weitere bekannte Falsettsänger aus dem Heavy Metal sind unter anderemBruce Dickinson,Ian Gillan,Tobias Sammet,Michael Kiske,Harry Conklin,Tim „Ripper“ Owens,King Diamond undEric Adams. Auch bei der deutschen BandKnorkator wurde vom klassisch ausgebildeten SängerStumpen (Gero Ivers) bei verschiedenen Songs sehr hohes Falsett gesungen, allerdings in einer fürMetal untypisch klaren Ausführung, die einige Zuhörer zunächst für eine weibliche Stimme halten. Vor allem imPower Metal ist der Falsettgesang ausschlaggebend, besonders bei den BandsHammerfall undIced Earth.
In der religiösen Musik derSufis tragen männliche Sänger poetische Lieder von verehrten Sufi-Heiligen im Falsett vor, als eine Form der Hingabe an Gott. Gesang im Falsett kommt im pakistanischenQawwali vor, etwa in den Liedern des bekanntesten Qawwali-SängersNusrat Fateh Ali Khan. Überwiegend im Falsett wird dieSur genannte religiöse Versform im Süden Pakistans gesungen, bei der sich die Sänger auf der LanghalslauteTanburo begleiten.
Falsett wird auch verwendet, wenn Männer mit ihrer Sprechstimme eine Frauenstimme imitieren möchten. Beispiele aus bekannten synchronisierten Filmen, in denen Männer sich mit Frauenkleidern und Falsettstimme als Frauen tarnen, sindTony Curtis undJack Lemmon inManche mögen’s heiß,Terry Jones als Brians Mutter inDas Leben des Brian,Dustin Hoffman inTootsie,Robin Williams inMrs. Doubtfire – Das stachelige Kindermädchen undMartin Lawrence inBig Mamas Haus. Die Schauspielerin und SängerinMegan Mullally nutzte Falsett, um Karen Walker in der FernsehserieWill & Grace darzustellen.
Noch in dem im Jahr 1913 erstmals erschienenenDeutschen Fremdwörterbuch werden unter dem Stichwort Falsett die „falschen Töne“ vonBlechblasinstrumenten als erstes aufgeführt. Heute kennen Lexika dieses Phänomen nicht mehr. Die Definition von Anthony Baines lautet:
„FALSET. Spielraum des Bläsers für die Tonhöhenkontrolle einesNaturtones. Während er im mittleren und hohenRegister gerade ausreicht dieIntonation zu korrigieren, wird er in der Tiefe sehr breit bezüglich des Senkens des Tones; tatsächlich hätte das konventionelle System mit dreiVentilen ohne dieses Phänomen beschränkte Zukunftsaussichten, weil die für die Tiefe erforderlichen Ventilkombinationen zu hohe Töne produzieren. Beim 2. Naturton kann man den Ton bis zu einerQuarte oder mehr abfallen lassen, indem man die Lippen entspannt (loose-lipping) und so durch eine Art schlurfenden Ansatz künstliche Töne erzeugt, welche die Theorie derObertöne gar nicht kennt.“[4]
Die künstlichen tiefen Töne zwischen dem ersten und zweiten Naturton erklärt Arthur H. Benade so, dass man ein Rohr auch mit anderen „bevorzugtenResonanzen“ als den Naturtönen zum Klingen bringen kann. Während die Frequenzen der Naturtöne stets ganzzahlige Vielfache der Grundfrequenz betragen, gibt es auch Resonanzen bei den ganzzahligen Brüchen dieser Naturtöne. Das hat in der Höhe geringe praktische Bedeutung, weil dort die Naturtöne eng beieinander liegen. In der Tiefe kann damit aber die Lücke zwischen erstem und zweitem Naturton ausgefüllt werden, wenn auch mit Tönen minderer Qualität.