Europäischer Ziesel
Europäischer Ziesel | ||||||||||||
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![]() Europäischer Ziesel | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Spermophilus citellus | ||||||||||||
(Linnaeus, 1766) |
Der, in Österreich auch das,Europäische Ziesel (Spermophilus citellus,Syn.:Citellus citellus), auchSchlichtziesel genannt, ist ein bodenbewohnendes, meistSteppengebiete und Graslandschaften besiedelndes rattengroßesNagetier aus derFamilie derHörnchen (Sciuridae). Es kommt in den Steppen Südosteuropas, in Teilen Österreichs und des Balkans sowie im europäischen Teil der Türkei vor.[1]
Merkmale
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Der Europäische Ziesel erreicht ohneSchwanz eine Länge von 18 bis 23 Zentimeter. Mit dem relativ langen und dicht behaarten Schwanz kommen noch 5,5 bis 7,5 Zentimeter hinzu. Es wiegt je nach Jahreszeit 200 bis 430 Gramm. Die Beine sind relativ kurz. Das oben gelbgraueFell ist mit weißgelben Tupfen bedeckt, diese Flecken fehlen an den Körperseiten. Zur gelblicheren Bauchseite hin hellt sich das Fell etwas auf. Stirn und Scheitel sind etwas dunkler schattiert als die Rückenpartie. Die dunklenAugen werden von einem helleren Ring umrahmt.
1 | · | 0 | · | 2 | · | 3 | = 22 |
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Die Art besitzt wie alle Arten der Gattung im Oberkiefer pro Hälfte einen zu einemNagezahn ausgebildetenSchneidezahn (Incisivus), dem eine Zahnlücke (Diastema) folgt. Hierauf folgen zweiPrämolare und dreiMolare. Im Unterkiefer besitzen die Tiere dagegen nur einen Prämolar. Insgesamt verfügen die Tiere damit über ein Gebiss aus 22 Zähnen.[2]
Gemeinsam mit demKleinasiatischen Ziesel (Spermophilus xanthoprymnus), demTaurus-Ziesel (Spermophilus taurensis), demPerlziesel (Spermophilus suslicus), demDaurischen Ziesel (Spermophilus dauricus) und demAlashan-Ziesel (Spermophilus alashanicus) bildet der Europäische Ziesel eine wahrscheinlich nahe verwandte Gruppe von Erdhörnchen, die anatomisch nur sehr schwierig oder gar nicht zu unterscheiden und nur aufgrund der unterschiedlichen Verbreitungsgebiete identifizierbar sind.[3] Der Kleinasiatische Ziesel, der ebenso wie der Europäische und der Taurus-Ziesel in der Türkei vorkommt, unterscheidet sich von diesen etwa durch einen kürzeren Schwanz sowie Merkmale des Schädels. Eine sichere Abgrenzung der Arten ist aber nur über vergleichende Schädelmessungen oder genetische Tests möglich.[4][5]
Verbreitung
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Sein Hauptverbreitungsgebiet liegt in denSteppenSüdosteuropas, im europäischen Teil derTürkei und in Teilen desBalkan. Vorkommen gibt es auch inÖsterreich (z. B. auf derPerchtoldsdorfer Heide in der Nähe von Wien, Rafinger Heide (Pulkau)) und imBöhmischen Mittelgebirge rund um den Berg Raná inTschechien. Das einzige deutsche Vorkommen bestand bis ca. 1950 beiOelsen imOsterzgebirge. Ein Versuch der erneuten Ansiedlung von Zieseln beiRudolphsdorf an der Grenze zu Tschechien wurde 2016 nach elf Jahren aufgegeben.[6] Aussetzungen auf Gelände von Tiergärten (Wildpark „Osterzgebirge“ Geising-Hartmannmühle, Tiergarten Nürnberg, Heimattiergarten Riesa) scheinen sich dagegen besser zu bewähren.
In der Türkei leben neben Europäischen Ziesel zusätzlich derKleinasiatische Ziesel sowie der erst 2007 beschriebene und ehemals dem Kleinasiatischen Ziesel zugeordneteTaurus-Ziesel[5], wobei der Europäische Ziesel auf den europäischen Teil der Türkei westlich desBosporus beschränkt ist.Spermophilus taurensis kommt dagegen in den östlichen Teilen desTaurusgebirges vor, wobei sich sein Verbreitungsgebiet nur im nördlichen Teil mit dem des Kleinasiatischen Ziesels überlappt, wo beide Artenparapatrisch vorkommen.[4]
Lebensweise
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Europäische Ziesel leben in Erdbauen, die sie tagsüber verlassen, um auf Nahrungssuche zu gehen. Sie ernähren sich hauptsächlich von grünen Pflanzenteilen, Blüten undSamen, je nach Angebot ergänzen sie ihren Speiseplan mitWurzeln,Knollen undZwiebeln. Auchwirbellose Tiere wieInsekten undRegenwürmer werden nicht verschmäht. Im Spätsommer legen sie im Gegensatz zu anderenZieselarten undFeldhamstern kaum Vorräte an, sondern intensivieren ihre Nahrungsaufnahme. Zusammen mit Änderungen in ihrem Stoffwechsel führt das zum Aufbau von körpereigenen Fettdepots. Wenn sie genügend Fettreserven gebildet haben, halten sie von Ende August/Anfang September bis März oder April des nächsten Jahres einen mehrmonatigenWinterschlaf. Zieselweibchen sind meist nach ihrem ersten Winterschlaf geschlechtsreif und bringen pro Jahr 2 bis 10 Junge zur Welt.
Trotz ihrer hörnchentypisch hektischen Bewegungen und ihrer ständigen Fluchtbereitschaft können Ziesel-Populationen gegenüber dem Menschen jede Scheu abbauen. Die Tiere lassen sich dann aus der Hand füttern, klettern gar auf sitzenden oder liegenden Personen herum. Auf den Menschen wirken Ziesel durch das Herausschauen aus den Erdlöchern, das Halten des Futters mit den Vorderpfoten, das häufige „Männchenmachen“ sowie vor allem eine ungewöhnlich ausgeprägt erscheinende Mimik selbst für Nagetier-Verhältnisse besonders possierlich.
Systematik
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Der Europäische Ziesel wird als eigenständigeArt innerhalb der Gattung derZiesel (Spermophilus) eingeordnet und stellt dieTypusart der Gattung dar. Die Ziesel bestehen nach aktuellem Stand nach einer Revision der Gattung[7] aus 15 Arten.[8]
Die wissenschaftlicheErstbeschreibung stammt vonCarl von Linné aus dem Jahr 1766. Er beschrieb die Art in der 12. Auflage seinerSystema naturae anhand von Individuen aus Österreich, wobei der Fundort später auf denWagram inNiederösterreich eingegrenzt wurde.[9] Dabei beschrieb Linné den Europäischen Ziesel alsMus citellus und ordnete ihn somit denMäusen zu.[10] 1825 wurde die Art durchFrédéric Cuvier in dessen Abhandlung über die Zähne der Säugetiere (Des dents des mammifères, considérées comme caracteres zoologiques.) alsNomenklatorischer Typus für die Erstbeschreibung der GattungSpermophilus genutzt und erstmals unter dem bis heute gültigen NamenSpermophilus citellus gefasst.[11] Parallel war zudem lange Zeit der NameCitellus citellus üblich, der 1816 vonLorenz Oken inOkens Lehrbuch der Naturgeschichte geprägt wurde. Alle von Oken erdachten Namen wurden jedoch 1956 von derInternational Commission on Zoological Nomenclature (ICZN) für ungültig erklärt, weil sie nicht derLinnäischen Nomenklatur folgten. Damit istSpermophilus der allein gültige Gattungsname.

Innerhalb der Art werden neben derNominatform vier Unterarten unterschieden.[8][9] Insgesamt wurden acht Unterarten beschrieben, die heute mit den akzeptierten vier Unterarten größtenteils synonymisiert sind. Da die kraniometrischen Daten dieser Unterarten jedoch nicht konsistent sind, wird eine Überarbeitung angeregt.[3]
- Spermophilus citellus citellus: Nominatform, kommt in Österreich, Tschechien, der Slowakei und Ungarn vor.[8]
- Spermophilus citellus gradojevici: in Mazedonien. Die Rückenfärbung ist einfarbig blassgelb und die Bauchseite ist sandgelb. Das dunkle Band vor der Schwanzspitze ist eher braun als schwarz.[8]S. c. karamani wird als Synonym betrachtet.[3]
- Spermophilus citellus istricus: Ebenen der unteren Donau in Rumänien. Der Rücken ist auffällig von weißen Flecken gesprenkelt.[8]S. c. laskarevi wird als Synonym betrachtet.[3]
- Spermophilus citellus martinoi: in Bulgarien.[8]S. c. balcanicus undS. c. thracius werden als Synonyme betrachtet.[3]
Der NameSpermophilus leitet sich von dem griechischen Wortenspermatos für „Same“ undphileo für „Liebe“ ab, bedeutet übersetzt also etwa „Samenliebende“.[7] Der Artnamecitellus wird von der latinisierten Form der deutschen Bezeichnung „Ziesel“ für das Erdhörnchen abgeleitet.[3]
Gefährdung und Schutz
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Der Europäische Ziesel steht als „gefährdet“ (VU) auf derRoten Liste der gefährdeten Tierarten derIUCN. Die Art steht europarechtlich unter Schutz und wird in den Anhängen II („Art von gemeinschaftlichem Interesse, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen“) und IV („Streng zu schützende Art von gemeinschaftlichem Interesse“) derFauna-Flora-Habitat-Richtlinie derEU geführt. In der Roten Liste Österreichs ist die Art als „stark gefährdet“ (EN) eingestuft.[12] Allerdings gibt es im Stadtgebiet vonWien hohe Bestände wie nie zuvor; 2019 wurde der Bestand nach dem Monitoring auf ca. 14.000 Stück geschätzt.[13]
Belege
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑Das Europäische Ziesel (Spermophilus citellus). Naturschutzbund NÖ, abgerufen am 24. Juli 2024.
- ↑Robert S. Hoffmann, Andrew T. Smith:Spermophilus. In:Andrew T. Smith, Yan Xie:A Guide to the Mammals of China. Princeton University Press, Princeton NJ 2008,ISBN 978-0-691-09984-2, S. 193.
- ↑abcdefNicolás Ramos-Lara, John L. Koprowski, Boris Kryštufek, Ilse E. Hoffmann:Spermophilus citellus (Rodentia: Sciuridae). In:Mammalian Species.Band 913,Nr. 913, 12. Dezember 2014,S. 71–87,doi:10.1644/913.1.
- ↑abMutlu Kart Gür, Hakan Gür:Spermophilus xanthoprymnus (Rodentia: Sciuridae). In:Mammalian Species.Band 42,Nr. 892, 2010,S. 183–194,doi:10.1644/864.1.
- ↑abİslam Gündüz, Maarit Jaarola, Coskun Tez, Can Yeniyurt, P. David Polly, Jeremy B. Searle:Multigenic and morphometric differentiation of ground squirrels (Spermophilus, Sciuridae, Rodentia) in Turkey, with a description of a new species. In:Molecular Phylogenetics and Evolution.Band 43,Nr. 3, Juni 2007,S. 916–935,doi:10.1016/j.ympev.2007.02.021.
- ↑Die Ziesel verlassen Rudolfsdorf.Sächsische Zeitung, 2. November 2016.
- ↑abKristofer M. Helgen, F. Russell Cole, Lauren E. Helgen, Don E. Wilson:Generic Revision in the Holarctic Ground Squirrel Genus Spermophilus. In:Journal of Mammalogy.Band 90,Nr. 2, 14. April 2009,S. 270–305,doi:10.1644/07-MAMM-A-309.1.
- ↑abcdefRichard W. Thorington Jr., John L. Koprowski, Michael A. Steele:Squirrels of the World. Johns Hopkins University Press, Baltimore MD 2012,ISBN 978-1-4214-0469-1, S. 302–303.
- ↑abSpermophilus citellus In:Don E. Wilson, DeeAnn M. Reeder (Hrsg.):Mammal Species of the World. A taxonomic and geographic Reference. 2 Bände. 3. Auflage. Johns Hopkins University Press, Baltimore MD 2005,ISBN 0-8018-8221-4.
- ↑Carl von Linné:Systema naturæ per regna tria naturæ, secundum classes, ordines, genera, species, cum characteribus, differentiis, synonymis, locis. 12. Auflage, Band 1, 1966, S. 81 (Digitalisat).
- ↑Frédéric Cuvier:Des dents des mammifères, considérées comme caracteres zoologiques. 1825 (Digitalisat).
- ↑Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg.):Rote Listen gefährdeter Tiere Österreichs. Checklisten, Gefährdungsanalysen, Handlungsbedarf. Teil 1: Säugetiere, Vögel, Heuschrecken, Wasserkäfer, Netzflügler, Schnabelfliegen, Tagfalter Böhlau Verlag, Wien 2005,ISBN 3-205-77345-4.
- ↑Monitoring von Ziesel-Vorkommen in WienÖKOTEAM Institut für Tierökologie und Naturraumplanung, 19. November 2021.
Literatur
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Richard W. Thorington Jr., John L. Koprowski, Michael A. Steele:Squirrels of the World. Johns Hopkins University Press, Baltimore MD 2012,ISBN 978-1-4214-0469-1, S. 302–303.
- Nicolás Ramos-Lara, John L. Koprowski,Boris Kryštufek, Ilse E. Hoffmann:Spermophilus citellus (Rodentia: Sciuridae). In:Mammalian Species.Band 913,Nr. 913, 12. Dezember 2014,S. 71–87,doi:10.1644/913.1.
Weblinks
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Schutz des Ziesels in Österreich
- Das Europäische Ziesel auf der Perchtoldsdorfer Heide
- GESUCHT: Ziesel in Österreich
- Spermophiluscitellus in derRoten Liste gefährdeter Arten derIUCN 2006. Eingestellt von: Amori, 1996. Abgerufen am 11. Mai 2006.