Emil Orgetorix Gustav Forrer (auchEmilio O. Forrer; *19. Februar1894 inStraßburg; †10. Januar1986 inSan Salvador) warSchweizerAssyriologe,Altertumswissenschaftler undHethitologe.
Emil Forrers Vater warRobert Forrer (1866–1947), ein bekannterPrähistoriker,Kunsthistoriker,Numismatiker undArchäologe, der dasStraßburger Museum für römische und vorgeschichtliche Altertümer als Direktor leitete. Robert Forrer veröffentlichte zahlreiche Bücher, die noch heute Handbuchcharakter besitzen und war einer der bedeutendsten Vertreter seines Faches im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. In diesem großbürgerlichen Milieu wuchs Emil Forrer als Drittgeborener mit seinen Geschwistern auf. Am ortsansässigen protestantischenLyzeum schloss er 1911 seine schulische Ausbildung mit dem Abitur ab. Über seine Jugend gibt es einige, auch publizierte Hinweise, die er selbst wie folgt zusammenfasst:
„Alle Probleme und Methoden der Vorgeschichtsforschung und Archäologie sind mir infolgedessen(aufgrund der Tätigkeit des Vaters) früh selbstverständlich geworden.“
Im Jahre 1912 immatrikulierte er sich an derUniversität Straßburg fürGeschichte,Ägyptologie undAssyriologie. Dort lernte er bei zahlreichen namhaften Gelehrten, wie zum BeispielAssyrisch beiCarl Frank,Ägyptisch beiWilhelm Spiegelberg,Arabisch undNeupersisch beiEnno Littmann sowieAltpersisch beiAlbert Thumb.
Im Herbst 1913 siedelte Forrer im Alter von 19 Jahren nachBerlin über, um beiEduard Meyer altorientalische Geschichte und beiFriedrich Delitzsch Assyriologie zu hören und dort zu promovieren. Dabei standen für Forrer wohl immer Fragen derEthnologie undGeographie desAlten Orients im Mittelpunkt seines Interesses, so dass es nur konsequent erscheint, dass er für seineDissertation 1917 das ThemaDie Provinzeinteilung des assyrischen Reiches wählte.
1917 nach erfolgreicherPromotion war es Eduard Meyer, der den jungen Forrer überzeugte, sich näher mit demHethitischen zu befassen, da diese noch junge Disziplin reichen wissenschaftlichen Ertrag versprach. Da Meyer gute Kontakte zumBerliner Museum pflegte sowie eine wichtige Rolle innerhalb derDeutschen Orient-Gesellschaft spielte, stellte diese Forrer ab 1917 einen eigenen Arbeitsraum im Museum zur Verfügung und gewährte ihm Zugang zu denTontafeln aus Boghazköi (Hattuscha). Mit viel Fleiß arbeitete sich Forrer durch Tausende von Tafeln und Fragmenten und legte dabei sehr umfangreiche Verzettelungen an, auf die auch Eduard Meyer gern zurückgriff. Er sortierte dabei auch erstmals das Material. Die ersten Ergebnisse dieser umfangreichen Studien publizierte Forrer 1919 in seinem AufsatzDie Acht Sprachen der Boghazköi-Inschriften sowie in zwei weiteren Aufsätzen 1921 und 1922.
Zu seinen anfänglichen Förderern gehörte neben Eduard Meyer vor allem auchOtto Weber, der seit 1912Kustos am Berliner Museum und in der Nachfolge Delitzschs Direktor derVorderasiatischen Abteilung des Museums war. Meyer und Weber beteiligten Forrer ab 1920 an der Herausgabe der Texte in der ReiheKeilschrifttexte aus Boghazköi, deren viertes Heft Forrer verfasste. Diese Periode und die folgenden Jahre zählten zu seinen produktivsten. 1922 erschien seine Zeichenliste sowie seine zwei Bände mit den historischen Texten in Umschrift. Diese ermöglichten auchKeilschriftunkundigen einen Zugang zu den Texten. Wichtig waren auch die vieldiskutiertenAḫḫijawa-Aufsätze. Vor allem 1923 widmete sich Forrer der Entschlüsselung desHieroglyphen-Luwischen, das er „tabalisch“ nannte.
Nach zwei gescheiterten Anläufen 1921 inMünchen und 1923 an der BerlinerFriedrich-Wilhelms-Universität (seine Habilitationsschrift wurde nicht angenommen)habilitierte Forrer sich am 18. Mai 1925 für „Geschichte des Alten Orients und nicht semitische Keilschriftsprachen des alten Orient“. ZurHabilitation ist heute nichts mehr bekannt, das Thema der Habilitationsschrift lässt sich jedoch aus einem Brief entnehmen: „...seither habe ich an der Ausarbeitung eines Buches über dieArzaova- undLugga-Länder, Assuva und die Griechen nach den Boghazköi-Texten gearbeitet, von dem ich den ersten in sich abgeschlossenen Teil als Habilitationsschrift einreiche.“ Später erschien eine erweiterte Fassung im Selbstverlag.
1926 unternahm Forrer zusammen mit demReligionswissenschaftlerEdmund Weigand eine durch private Zuwendungen und durch dieDeutsche Orient-Gesellschaft finanzierte Forschungsreise nachAnatolien. Die Reise hatte vor allem archäologische Zielsetzungen wie die Lokalisierung von Siedlungen aus vorrömischer Zeit.
Da Forrer auch nach seiner Habilitation im Jahr 1925 ohne feste Anstellung blieb, begannen sich die finanziellen Sorgen, die bis auf wenige Ausnahmejahre sein ganzes Leben bestimmen sollten, deutlich bemerkbar zu machen. DieNotgemeinschaft der deutschen Wissenschaft unterstützte Forrer zeitweise mit einemPrivatdozentenstipendium.[1]
Im Jahre 1929 wurde Forrer, der brieflichen Kontakt zuJames Henry Breasted (1865–1935), dem Gründer des Oriental-Institute inChicago, pflegte, auf eine dreijährige Gastprofessur (associate professor) nach Chicago berufen. Im Rahmen dieser Tätigkeit reiste er nachKreta, um u. a. dieminoischen Tontafeln zu studieren. Des Weiteren wurde er 1930 nach Paris gesandt, um sich mit den Keilschriftfunden ausRas Shamra zu befassen sowie sich grundlegende Kenntnisse der Grabungsmethodik inMegiddo anzueignen. Auch bereiste Forrer im Sommer 1930Zypern, um dort eine in Aussicht genommene Grabung zu sondieren. Im Anschluss daran, im Herbst 1930, unternahm er eine Forschungsreise nach Kleinasien, die der „weiteren Klärung der Lage der BibliotheksstadtArinna“ galt. Schließlich publizierte Forrer während seines Aufenthaltes in Chicago seine Ergebnisse zur hethitischen Hieroglyphenschrift, die methodisch auch heute noch überzeugen.
Emil Forrer wurde im Anschluss an seine Chicagoer Zeit im Mai/Juni 1933 von den UniversitätenGenf undLausanne eingeladen, je zehn Vorträge über die „Ursprünge der Kulturen, Völker und Sprachen des Alten Orients“ zu halten. Diese gut honorierten Vortragsreihen verdeutlichen, dass Emil Forrer durchaus, wenn auch eher im Ausland, eine verdiente Wertschätzung genoss.
Für das Wintersemester 1933/34 (Oktober–Januar) hatte Forrer eine vertretende Gastprofessur für Assyriologie und Semitistik an derJohns Hopkins University inBaltimore inne und nutzte diesen Aufenthalt, die USA ausgiebig mit dem Auto zu bereisen. Dort rückten zum ersten Mal ernsthaft die mittelamerikanischen Kulturen, insbesondere dieMaya-Kultur, in den Mittelpunkt seines wissenschaftlichen Interesses.
Direkt im Anschluss an den Aufenthalt in Baltimore wurde Forrer als „Expedition Advisor“ im Auftrag desBryn Mawr College, Pennsylvania, unter Vertrag genommen, wo er mithalf, eineKilikien-Expedition vorzubereiten, an der er selbst teilnahm.
Allerdings stagnierte die Karriere Forrers in den folgenden Jahren und er hielt sich mit Lehraufträgen, Dozentenbeihilfen und finanziellen Unterstützungen der Schweizer Botschaft über Wasser. Eine zunächst ausgesprochene Übernahme in den Beamtenstatus durch das nationalsozialistischeReichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung als Dozent derBerliner Universität vom 11. Dezember 1939 wurde am 11. Mai 1940 widerrufen, da sich Forrer trotz gegebener Zusage weigerte, seineSchweizer Staatsbürgerschaft niederzulegen.
Während des Krieges hielt Forrer bis zum WS 1944 regelmäßig Lehrveranstaltungen in Berlin ab. In den Kriegswirren und im Kampf um Berlin blieb Forrer, solange es ging, in seinem langjährigen WohnortErkner. In den Jahren 1940/1941 arbeitete er für die militärgeographische Abteilung desOberkommandos der Wehrmacht an einem geheimen Projekt zur Erstellung spezieller Landkarten für den Einsatz der Panzerwaffe und fertigte militärgeographische Karten des Vorderen Orients an. Wie weit er sich mit dem NS-Wissenschaftsbetrieb einließ, geht aus einem Schreiben der „Forschungsstelle Orient“ umOtto Rössler desReichssicherheitshauptamts an der Universität Tübingen vom 11. November 1944 an ihn hervor.[2]
Wie aus einem Tagebuch seiner damaligen Frau, Dorothea Forrer-Haupt, hervorgeht, bemühte sich Forrer direkt nach Kriegsende um die Position des Direktors der Vorderasiatischen Abteilung des Berliner Museums. Er erstellte für eine Abteilung der Roten Armee sowie für das kommissarisch eingesetzte Direktorengremium des Museums im Juni und Juli 1945 Berichte über den Zustand des Inventars der Vorderasiatischen sowie der Ägyptischen Abteilung und entwarf in einer Denkschrift die zukünftige Ausgestaltung und Organisation des Museums und dessen Stellung im Berliner Wissenschaftsbetrieb. Das Stellungsgesuch Forrers scheiterte jedoch am Widerstand der verbliebenen Direktoren des Museums.
Nach dieser erneut herben Enttäuschung und ohne Aussicht auf eine einträgliche Beschäftigung verließ Forrer im August 1945 mit seinem ältesten Sohn und seiner Frau Berlin mit einem Konvoi für „Displaced Persons“ desSchweizer Roten Kreuzes Berlin in Richtung Schweiz, allerdings nicht ohne vorher eine Vernehmung durch amerikanisches Militär über sich ergehen lassen zu müssen. Dort hatte Forrer zu erklären, warum er als Schweizer Staatsbürger bis Kriegsende im nationalsozialistischen Deutschland geblieben war.
Forrer fand nach seiner Ausreise und einem Zwischenaufenthalt in einem Internierungslager derSchweizer Armee Unterkunft in Zürich. Dort bemühte er sich erfolglos um eine entsprechende Position an der dortigen Universität.
Zu dieser Zeit reifte durch die Lektüre des antiken AutorsTheopompos vonChios die Idee, die ihn für den Rest seines wissenschaftlichen Lebens verfolgte und die er „Meropis-Forschung“ nannte. In seinem WerkPhilippika beschreibt Theopompos den Dialog zwischen dem mythischen KönigMidas und einem betrunkenenSilen.[3] Europa, Asien und Afrika seien Inseln, die aus einem alten Kontinent hervorgegangen sind, den erMeropis nannte. Forrer baute diese Idee zu einer Theorie aus und suchte nach wissenschaftlichen Beweisen für früheste Kontakte zwischen Amerika und Europa.
Im Jahre 1949 wanderte Forrer, vom Wissenschaftsbetrieb in Europa enttäuscht, mit seiner Frau nach Mittelamerika aus. Mit dem Erbe seines 1947 verstorbenen Vaters Robert Forrer schifften sich die beiden nach New York ein. Über Texas und Mexiko reisten sie nachHonduras,Guatemala undEl Salvador, um sich der Erforschung der mittelamerikanischen Kulturen zu widmen. Dies führte ihn kurzzeitig an die neugegründete philosophische Fakultät der UniversitätSan Salvador, an der er eine Stelle annahm und sich die archäologische Erschließung derComayagua-Täler in Honduras zur Aufgabe machte. Aber dieses vielversprechende Engagement wurde durch grundlegende Veränderungen an der Universität wieder zunichtegemacht. Forrer ließ sich in El Salvador nieder. Das Leben dort gestaltete sich jedoch zunehmend zu einem harten Kampf um die Existenz für die vielköpfige Familie. Emil Forrer wurde in El Salvador noch sieben Mal Vater. Er arbeitete u. a. als freier Autor für die TageszeitungDiario del Hoy und publizierte zwischen 1949 und 1966 mehr als 200 Zeitungsartikel. Meist waren espopulärwissenschaftliche Darstellungen, die vom Vulkanismus über Planetenkonstellationen bis hin zu einem U-Bahn-Projekt für San Salvador reichten.
Aufgrund seiner Kenntnisse in den älteren Sprachstufen des Spanischen wurde er 1967 vom salvadorianischen Außenministerium beauftragt, historische Dokumente nach Argumenten im Grenzstreit zwischen El Salvador und Honduras zu durchsuchen. Bei dieser Gelegenheit lernte Earl H. Lubensky – zu dieser Zeit in Diensten der amerikanischen Botschaft in El Salvador – Emil Forrer kennen und knüpfte engeren Kontakt zu ihm. Er verfasste 1984 eine bis heute unpublizierte Biographie, die vor allem hinsichtlich der Zeit nach 1949, also der mittelamerikanischen Periode von Forrers Leben, Neues enthält. Forrer hat auch in El Salvador einige Bücher im Selbstverlag erscheinen lassen, die sich vor allem auf die Meropis-Forschung und die Kulturkontakte zwischen Amerika und dem alten Europa konzentrieren. Einiges davon hat über familiäre Kontakte den Weg nach Europa gefunden und ist unter anderem in derSchweizerischen Nationalbibliothek eingestellt. Emil Forrer starb am 10. Januar 1986 im Alter von 91 Jahren in San Salvador.
In seinem Nachlass finden sich Briefwechsel mit nahezu allen vor dem Zweiten Weltkrieg tätigen namhaften Altorientalisten und Keilschriftforschern, aber auch mit Wissenschaftlern anderer Disziplinen, zu denen Forrer anscheinend über viele Jahre intensiven Kontakt hielt. Korrespondiert hat er u. a. mit (in Auswahl):William F. Albright,Helmuth Theodor Bossert,Wilhelm Brandenstein,James H. Breasted,Franz Dornseiff,Erich Ebeling,Hans Ehelolf,Johannes Friedrich,Albrecht Götze,Hans Gustav Güterbock,Oliver R. Gurney,Hans F. K. Günther,Bedřich Hrozný, Franz Köcher, Paul Koschaker,Paul Kretschmer,Ernest Lachmann,Carl Friedrich Lehmann-Haupt, Ernst Lewy,Oswald Menghin,Bruno Meissner,Piero Meriggi,Eduard Meyer,Max von Oppenheim,Hans Henning von der Osten, Anton Poebel,Hans Reinerth,Fritz Schachermeyr,Ferdinand Sommer,Arthur Ungnad,Otto Weber,Ernst Friedrich Weidner undHans Zimmern.
Zu den institutionellen Kontakten, die durch Briefe belegbar sind, gehören unter anderem das Oriental Institute in Chicago, das Bryn Mawr College in Bryn Mawr Pennsylvania, dieJohns Hopkins University in Baltimore, dasCollège de France, dieDeutsche Morgenländische Gesellschaft, dieDeutsche Orientgesellschaft, dieNotgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, die Universitäten zu Berlin, Zürich,Genf, Neuchatel und Brüssel, die Schweizerische Gesandtschaft zu Berlin, die türkische Regierung und viele mehr.
Darüber hinaus sind zahlreiche Briefwechsel mit Freunden und Bekannten erhalten, die zum einen das private Leben Emil Forrers beleuchten, zum anderen Hinweise und Erklärungen zu Vorhaben hethitologischer Art enthalten oder sich auf Reiseerlebnisse und Forschungsprojekte beziehen.
Forrer besaß ein „Kopierbuch“, in welchem 902 Briefe aus der Hand Emil Forrers an zahlreiche Korrespondenzpartner auf dünnemPergamentpapier als Durchschläge handschriftlicher Originale erhalten sind. Diese Briefe, allen voran diejenigen an seinen Vater Robert Forrer sowie an seine erste Frau Margarete Sommer („Gretl“), liefern tiefer gehende Einblicke in die Frühzeit der Hethitologie in den Jahren 1917–1922 und über den Weg Forrers in diese neue Disziplin. Forrer schildert die Verhältnisse im Berliner Museum, wo die Boghazköi-Tafeln aufbewahrt und ausgewertet wurden, und seine Zusammenarbeit mit der Deutschen Orientgesellschaft in den frühen Zwanziger Jahren. Auch seine akademische Situation, insbesonderePromotion undHabilitation und sein enges Verhältnis zu Eduard Meyer, seinem wichtigsten akademischen Lehrer und Mentor, lässt sich auf der Grundlage dieses Materials gut verfolgen. Hierzu ergänzt das Material des Archivs derHumboldt-Universität zu Berlin Lücken des Briefmaterials. Es finden sich fast alle offiziellen Unterlagen zum Promotionsverfahren, so zum Beispiel die Eröffnung und Meldung zum Verfahren, Einreichung der Promotionsschrift sowie die handschriftlichen Originalgutachten seiner akademischen Lehrer Eduard Meyer und Friedrich Delitzsch.
| Personendaten | |
|---|---|
| NAME | Forrer, Emil |
| ALTERNATIVNAMEN | Forrer, Emil Orcitirix Gustav |
| KURZBESCHREIBUNG | Schweizer Assyriologe, Altertumskundler und Hethitologe |
| GEBURTSDATUM | 19. Februar 1894 |
| GEBURTSORT | Straßburg |
| STERBEDATUM | 10. Januar 1986 |
| STERBEORT | San Salvador |