Die Vorfahren Emanuel Laskers stammen von eher armen Familienjüdischer Geistlicher aus dempolnischen StädtchenŁask ab und gehen zurück bis auf den dort ansässigenRabbi Abraham Meier Hindels (≈1700; das sind sechs Generationen vor Emanuel Lasker) und dessen Ehefrau Hinde, Tochter des Rabbi Itzig Goldes aus Łask. Der Familienname Lasker ist also einÖrtlichkeitsname. DerGroßvater Emanuels, Rabbi Wolf Lasker (1803–1884), warKantor und Leiter einer jüdischen Schule inCulmsee (heute:Chełmża). Dort galt er als „Wunderrabbi“, als ein Mann mit prophetischen Anlagen, hochgeehrt und ebenso arm wie geachtet. Ab 1846 übte er diese Tätigkeiten inLessen (heute:Łasin) aus. Aus zwei Ehen – seine zweite Ehefrau war Blume Nachtigall (⚭ 1843) – gingen fünf Kinder hervor.
Michaelis Aron Lasker (1831–1901), Emanuels Vater, heiratete Rosalie Israelsohn (1833–1906) im September 1860. Zweieinhalb Jahre vorher schon war er Kantor und Lehrer inBerlinchen (heute:Barlinek) geworden. Zusätzlich betrieb er dort eineTischlerwerkstatt. Er war in Berlinchen wegen seiner ungewöhnlichen Hilfsbereitschaft bekannt: Auf dem Weg nach Hause soll er noch seinen halben Lohn an einen armen Bettler verschenkt haben. Emanuel war der jüngste Sohn der Familie und hatte zwei Schwestern, Theophilia (1862–1943) und Amalie (1865–1938), und einen Bruder,Bertold.[2]
1879 verließ Emanuel Lasker Berlinchen und kam zu seinem Bruder nachBerlin, wo dieser Medizin studierte. Dort besuchte er das Gymnasium. Als Zwölfjähriger lernte er von seinem Bruder das Schachspiel, das ihn allerdings nach Auffassung seiner Eltern zu sehr von seinen Schulpflichten abhielt. 1887 schickten sie ihn deshalb auf das Gymnasium inLandsberg an der Warthe (heute:Gorzów Wielkopolski), wo er 1888 seinAbitur ablegte.
Sein Bruder Bertold war von 1894 bis 1903 mit der SchriftstellerinElse Lasker-Schüler verheiratet. Eine weitläufigeVerwandtschaft Emanuel Laskers zum deutschen PolitikerEduard Lasker besteht ebenso wie zum SchachmeisterEdward Lasker, den Emanuel Lasker gut kannte.
1889 begann Lasker, inBerlin Mathematik zu studieren, doch schon ein Jahr darauf wechselte er nachGöttingen.Noch im selben Jahr begann seineinternationale Schachkarriere mit dem Sieg im Hauptturnier vonBreslau. 1890 gewann er zusammen mit seinem Bruder ein Meisterturnier in Berlin und besiegteHenry Edward Bird in einem Wettkampf inLiverpool mit 8,5:3,5 (+7 =3 −2; sieben Siege, drei Unentschieden, zwei Niederlagen). 1891 entschloss er sich, sein Studium zu unterbrechen und als Berufsspieler nachLondon zu gehen. Dort feierte er eine Vielzahl von Erfolgen in Turnieren und Wettkämpfen, unter anderen besiegte erJoseph Henry Blackburne mit 8:2 (+6 =4 −0). Von 1892 bis 1893 gab er eine Schachzeitung, denLondon Chess Fortnightly, heraus. 1893 folgte er dem WeltmeisterWilhelm Steinitz über den Atlantik und nahm seinen neuen Wohnsitz inNew York City. Auch dort gelang es ihm, großen Eindruck auf das schachinteressierte Publikum zu machen. Nach weiteren Erfolgen in Wettkämpfen und Turniersiegen Laskers in der Neuen Welt fanden sich genügend Geldgeber in denUSA undKanada, um einen Weltmeisterschaftskampf mit Wilhelm Steinitz zu veranstalten.
Steinitz (links) und Lasker (rechts) während ihres Weltmeisterschaftskampfes 1894
Vom 15. März bis zum 26. Mai 1894 fanddas Match statt. Mit zehn Siegen bei fünf Niederlagen und vier Unentschieden wurde Lasker überlegen der zweite offizielle Schachweltmeister. Er spielte in dem Match nicht besonders spektakulär, nutzte aber die Schwächen seines Gegners, der den Zenit seiner Karriere bereits überschritten hatte, sehr effizient aus. In seinem ersten Turnier als Weltmeister inHastings 1895 musste er allerdings dem AmerikanerHarry Nelson Pillsbury den Sieg überlassen. Im selben Jahr veröffentlichte er sein erstes SchachbuchCommon sense in chess (deutsch: Gesunder Menschenverstand im Schach), das auf Vorträgen beruhte, die er in englischen Schachclubs gehalten hatte.
Lasker lebte bis 1896 überwiegend in den USA. Er gab Steinitz 1896/1897 einenRevanchewettkampf in Moskau, den er noch deutlicher mit zehn Siegen, zwei Niederlagen und fünf Unentschieden gewann. Dann zog er sich bis 1899 vom Schach zurück, um sein Studium inHeidelberg und Berlin fortzusetzen. 1900 wurde er an derUniversität Erlangen mit seinerDissertationÜber Reihen auf der Convergenzgrenze (veröffentlicht 1901)[3] zum Dr. phil. (Mathematik)promoviert.
Titelblatt einer Ausgabe vonLasker’s Chess Magazine (1904–1907)
Im Herbst 1902 siedelte Lasker nach New York über. Dort plante er, eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Diese Absicht hatte er bereits seit seiner Promotion an der Universität Erlangen, doch alle Versuche, einen Lehrstuhl zu erhalten, schlugen fehl. Bei seiner Bewerbung an derUniversity of Missouri inColumbia konnte er zwar Empfehlungsschreiben vonAdolf Hurwitz undFrank Morley vorlegen, die Professur ging aber anEarle Raymond Hedrick. Auch amCarnegie Technical Institute inPittsburgh, an dem er sich 1904 bewarb, kam er nicht zum Zuge.[6] Lasker war genötigt, sich verstärkt als Berufsschachspieler zu betätigen. Im Jahre 1904 gründete erLasker’s Chess Magazine, das in New York erschien. Laskers vergebliche Bemühungen um eine akademische Anstellung als Mathematiker führten in dieser Zeit zu seiner Hinwendung zurPhilosophie. 1907 erschien in New York seine erste philosophische Schrift sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch:Struggle undKampf. Im selben Jahr verteidigte er erstmals seit 1897 seinen Weltmeistertitel: Verschiedene amerikanische Klubs waren Gastgeber des ungleichen Kampfes, der vom 26. Januar bis zum 6. April ausgetragen wurde. Lasker besiegte den US-amerikanischen Meister und Gewinner vieler internationaler TurniereFrank James Marshall ohne eine einzige Niederlage überlegen mit 11,5:3,5 (+8 =7 −0).
Im Jahre 1908 kehrte er nachDeutschland zurück und nahm seinen Wohnsitz in Berlin. Vom 17. August bis 30. November 1908 spielte er gegen seinen alten RivalenSiegbert Tarrasch, der 1892 eine Herausforderung des damals noch wenig bekannten Laskers abgelehnt hatte, einen Wettkampf um dieWeltmeisterschaft. Die ersten vier Partien des Wettkampfs fanden vom 17. bis 24. August imKunstpalast inDüsseldorf statt, die weiteren Partien gab es inMünchen. Lasker gewann deutlich mit 10,5:5,5 (+8 =5 −3). Seine ZeitschriftLasker’s Chess Magazine gab er im Januar 1909 auf. 1910 spielte er den wohl spannendsten Wettkampf seines Lebens. Der ÖsterreicherCarl Schlechter forderte Lasker heraus und zeigte mit dem ausgeglichenen Endstand (5:5; +1 =8 −1), dass er ein würdiger Herausforderer war. Lasker lag bis zur letzten Partie zurück und konnte den Titel erst durch einen Sieg in der 10. Partie retten. Spielorte waren Wien und Berlin. Der österreichische SchriftstellerThomas Glavinic hat diesem Wettkampf mit seinem RomanCarl Haffners Liebe zum Unentschieden (Berlin, 1998) ein literarisches Denkmal gesetzt. Im selben Jahr verteidigte Lasker seinen Titel gegen den polnisch-französischen MeisterDawid Janowski. Den Wettkampf, ausgerichtet vom 8. November bis 8. Dezember im BerlinerKerkau-Palast, gewann er überlegen mit 9,5:1,5 (+8 =3 −0). Neben dem Schriftsteller Thomas Glavinic erwähnt noch ein weiterer Autor,Stefan Zweig, Lasker in einem seiner Werke. In derSchachnovelle stellt er den fiktionalen Protagonisten seines Werkes in eine Reihe mit Aljechin, Capablanca, Tartakower, Lasker und Bogoljubow.
Am 1. März 1911 heiratete er in Berlin die SchriftstellerinMartha Cohn. Im selben Jahr erhielt er erstmals eine Herausforderung des jungen KubanersJosé Raúl Capablanca zu einem Weltmeisterschaftskampf, doch sowohl diese als auch die folgenden Verhandlungen mitAkiba Rubinstein über ein Match scheiterten in der Folgezeit. Nicht zuletzt unter dem Eindruck des Schicksals seines in Armut gestorbenen Vorgängers Steinitz forderte Lasker von seinen Herausforderern hohe Wettkampfeinsätze, die sie oft nicht aufbringen konnten. Er unternahm auch Versuche, für die Partien seiner Wettkämpfe dasUrheberrecht zu beanspruchen und sich das alleinige Publikationsrecht vorzubehalten, konnte dies aber nie durchsetzen.
Im Jahre 1913 erwarb er ein Landhaus inThyrow beiTrebbin südlich von Berlin und versuchte sich in dieser Zeit auch als Landwirt. Da er aber nicht sehr praktisch veranlagt war, erzielte er auf diesem Gebiet keine Erfolge.
Vom 21. April bis 22. Mai 1914 fand inSt. Petersburgeines der bedeutendsten Turniere derSchachgeschichte statt. Zunächst spielten elf Meister ein Rundenturnier, das von Capablanca (8 Punkte) vor Lasker, Tarrasch (jeweils 6,5), Aljechin und Marshall (jeweils 6) gewonnen wurde. Diese fünf Spieler traten dann nochmals doppelrundig gegeneinander an, wobei die zuvor erzielten Punkte mitgenommen wurden. In diesem Finale gelang es Lasker durch energisches Spiel, den Vorsprung Capablancas noch aufzuholen: Er erzielte aus den acht Partien 7 Punkte (sechs Siege, zweiRemis), kam damit insgesamt auf 13,5 Punkte und wurde Turniersieger vor Capablanca, der 13 Punkte erreichte. Im Turnierbuch schrieb Laskers Rivale Tarrasch, dass das Antrittsgeld von über 4000 Rubel, das Lasker von den Organisatoren erhalten habe, angesichts seiner gezeigten Leistung nicht zu hoch gewesen sei.[7]
Durch den Ausgang desErsten Weltkrieges verlor Lasker sein inKriegsanleihen investiertes Vermögen. Lasker hatte sich, wie viele deutsche Juden, patriotisch gezeigt und sogar 1916 eine Broschüre mit dem TitelDie Selbsttäuschungen unserer Feinde veröffentlicht, in der er die Kriegsgegner Deutschlands kritisierte. In derNachkriegszeit widmete sich Lasker verstärkt der Philosophie und veröffentlichte 1919 sein HauptwerkDie Philosophie des Unvollendbar.
Ein erneuter Versuch Capablancas, mit Lasker um die Weltmeisterschaft zu spielen, scheiterte zunächst 1920 aus finanziellen Gründen. Lasker war bereit, freiwillig auf den Titel zu verzichten und ihn an Capablanca zu übergeben. Neuerliche Anstrengungen erlaubten dann aber die Ausrichtung eines Wettkampfs vom 15. März bis zum 28. April 1921 inHavanna. Lasker, der sich einem ungewohnten tropischen Klima ausgesetzt sah, gab den Wettkampf nach 14 Partien beim Stand von 5:9 (+0 =10 −4) auf. Capablanca wurde neuer Weltmeister, nachdem Lasker diesen Titel 27 Jahre lang getragen hatte.
Lehrbuch des Schachspiels, Originalausgabe von 1925
Lasker gewann 1923 inMährisch-Ostrau und 1924 in New York zwei sehr stark besetzte Turniere. Das New Yorker Turnier gilt als eines der bedeutendsten überhaupt in der Geschichte des Schachs. Dort spielte Emanuel Lasker auch die einzigen beiden Turnierpartien gegen seinen NamensvetterEdward Lasker. In einer dieser Partien hielt Emanuel Lasker ein Endspiel mitSpringer gegen Turm und Bauer remis, was als eine der größten Defensivleistungen seiner Karriere gilt. In dem doppelrundigen Turnier schlug Weltmeister Capablanca den Exweltmeister mit 1½:½, doch Emanuel Lasker gewann das Turnier mit insgesamt 16 Punkten aus 20 Partien und 1½ Punkten Vorsprung vor Capablanca, der 14½ Punkte erreichte, sowie mit 4 Punkten Vorsprung auf den künftigen WeltmeisterAljechin. 1925 überholte er Capablanca inMoskau, wo er Zweiter hinterEfim Bogoljubow wurde, nochmals um einen halben Punkt. Das Moskauer Turnier sollte nun für lange Zeit das Ende von Laskers Schachkarriere bedeuten. Im selben Jahr erschien seinLehrbuch des Schachspiels, in dem er unter anderem die Verdienste seines Vorgängers Steinitz um die Erforschung desPositionsspiels würdigt. Das Buch enthält zahlreiche philosophische Exkurse und zählt heute zu den Klassikern derSchachliteratur. Außerdem veröffentlichte er zusammen mit seinem Bruder Bertold ein von seinermachologischen Philosophie inspiriertesexpressionistischesDrama,Vom Menschen die Geschichte, dem allerdings kein Bühnenerfolg beschieden war. Er widmete sich seit 1926 vermehrt demGo-Spiel, das er bereits seit 1910 intensiv pflegte. Er galt bald als ein Konkurrent des besten damaligen Go-Spielers Deutschlands, des BerlinersFelix Dueball, den er 1930 in einer Turnierpartie, deren Notation erhalten ist, besiegen konnte. Neben Go wurde auch dasBridge-Spiel ein Betätigungsfeld für Lasker. Außerdem galt er als guterPoker-Spieler. 1927 gründete er in Berlin eineSchule für Verstandesspiele. In dieser Zeit erfand er auch das BrettspielLaska, eine Variante desDamespiels, und dieLasker-Mühle. 1929 erschien sein BuchDas verständige Kartenspiel, 1931Das Bridgespiel,Das Skatspiel undBrettspiele der Völker. 1932 nahm er mit einer von ihm zusammengestellten niederländischen Mannschaft an einem internationalen Bridgeturnier in London teil. Im selben Jahr verkündete er seinen Abschied vom Schach und plante, sich gänzlich dem Bridge zu widmen.
Die repressiveantisemitische Politik, die dieMachtübernahme der Nationalsozialisten Anfang 1933 in Deutschland mit sich brachte, nötigte Lasker und seine Ehefrau zur Flucht. Nach einjährigem Aufenthalt in denNiederlanden zog das Ehepaar 1934 nachLondon. Lasker nahm nun seine Schachtätigkeit wieder auf, da kaum eine andere Gelegenheit zum Geldverdienen bestand. Neben dem Schreiben für Schachspalten gab er vermehrtSimultanvorstellungen und nahm 1934 inZürich an einem internationalen Turnier teil, bei dem er Fünfter wurde.
1935 lud ihn dieAkademie der Wissenschaften der UdSSR nachMoskau in dieSowjetunion ein. Die Einladung beinhaltete unter anderem eine ständige Mitgliedschaft in der Akademie. Lasker nahm an und ging nach Moskau.[8] Seinen Lebensunterhalt verdiente er offiziell an einem mathematischen Institut, sein Hauptwirken bestand indessen im Schachtraining mit sowjetischen Meisterspielern und allgemeiner Popularisierung (Simultanreisen etc.) des Schachs in der UdSSR. Beim sehr stark besetzten internationalen Turnier von Moskau 1935 wurde er Dritter, beim Moskauer Turnier 1936 Sechster. Sein letztes internationales Turnier spielte er 1936 inNottingham. Hier siegten Capablanca undBotwinnik gemeinsam mit je 10 aus 14, den dritten Platz teilten sich Fine sowie Reshevsky und WeltmeisterEuwe mit je 9½, Aljechin belegte Platz 6 mit 9 und Flohr und Emanuel Lasker teilten sich Platz 7 mit je 8½ Punkten. Gegen die drei Ersten erzielte der 67-jährige Lasker zwei Punkte.[9] 1937 schrieb er in der Sowjetunion die ErzählungWie Wanja Meister wurde, die erst 2001 im deutschen Original erschien. Zuvor erschien 1973 eine russische Übersetzung.
Besorgt über denGroßen Terror in derstalinistischen Sowjetunion nutzte Lasker 1937 eine Gelegenheit, das Land zu verlassen. Nach einem Besuch bei seiner Stieftochter inNew York blieben die Laskers in den USA. Im November 1938 wurde ihm und seiner Ehefrau diedeutsche Staatsbürgerschaft aberkannt.[10] Die materiell entbehrungsreichste Zeit durchlebte das Ehepaar in diesem letzten Lebensabschnitt Laskers. Ende 1940 erkrankte Lasker, mit Beginn des neuen Jahres wurde er in dasMount Sinai Hospital in New York eingeliefert. Trotz einer Blutspende seines FreundesJoseph Platz starb er am 11. Januar 1941. Sein Grab befindet sich auf dem FriedhofBeth Olom inQueens.
Laskers Spielstil war pragmatisch und kämpferisch; Aljechin bezeichnete ihn im Turnierbuch New York 1927 als „unübertroffenen Turnierkämpfer“.[11] Er galt als Spieler mit anspruchsloserEröffnungsvorbereitung, machte aber sehr wenige offensichtliche Fehler und konnte schlechtere Stellungen ausgezeichnet verteidigen. ImEndspiel war Lasker zu seiner Zeit unübertroffen. Laskers Verteidigungskünste waren vielen Schachmeistern ein Rätsel, auf das sie in ihrer Verzweiflung verschiedene Antworten zu geben wussten: Für Tarrasch hatte Lasker schlichtGlück,Réti fand Laskers Spielpsychologisch. Mangels eindeutiger eigener Aussagen Laskers wird in diesem Zusammenhang oft ein Satz aus der Biographie von Hannak zitiert: Lasker „hat nicht der wissenschaftlich richtige Zug, sondern immer nur der für den konkreten Gegner unangenehmste Zug interessiert“. Dieses Verdikt ist seitdem eng mit dem Namen Laskers verbunden, wobei in letzter Zeit vor allemRobert Hübner versucht hat zu erklären, wieso es seinerzeit zu solchen Urteilen kam. Hübner argumentiert, dass es auf Meisterebene nur einen sehr geringen Spielraum für psychologische Überlegungen gebe und nicht stellungsgemäße Züge in der Regel widerlegt würden. Bei Réti, der gegen Lasker meist chancenlos war, sei daher von einerProjektion seiner eigenen Ängste auszugehen.
Als Beispiel für die Auffassung, Laskers Stil sei psychologischer Natur, wird oft seinePartie gegen Capablanca beim Turnier in St. Petersburg 1914 angeführt. Diese musste er unbedingt gewinnen, um noch Turniersieger werden zu können. Zur Überraschung seines Gegners wählte Lasker die als harmlos geltendeSpanische Abtauschvariante. Capablanca war darauf nicht eingestellt und verlor die Partie.
ImEvans-Gambit die Variante 1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lc4 Lc5 4. b4 Lxb4 5. c3 La5 6. d4 d6 7. 0–0 Lb6 8. dxe5 dxe5 9. Dxd8+ Sxd8 10. Sxe5 Le6. Dabei verschafft sich Schwarz durch Rückgabe des Mehrbauern eine solide Stellung, was gegen Angriffsspieler auch psychologisch von Vorteil ist. Nachdem Lasker diese Verteidigung empfohlen hatte, wurde das Evans-Gambit in der Turnierpraxis nur noch selten angewandt.
Laskers höchstehistorische Elo-Zahl war 2878 im Mai 1894. Er lag in 292 Monaten, also knapp 25 Jahre, auf Platz 1 der Weltrangliste. Das erste Mal geschah dies im Juni 1890, das letzte Mal im Dezember 1926.
Lasker war auchMathematiker undPhilosoph. 1900 wurde er an derUniversität Erlangen über unendlicheReihenpromoviert. Die vonMax Noether betreuteDissertation trägt den TitelUeber Reihen auf der Convergenzgrenze (26 Seiten).[12][13] 1905 veröffentlichte er in der ZeitschriftMathematische Annalen eine bedeutende mathematische Arbeit zur Theorie derModuln undIdeale,[14] die später vonEmmy Noether weiterentwickelt wurde. Daraus entstammt der heute so genannteSatz von Lasker-Noether. Lasker war mitAlbert Einstein bekannt und disputierte mit ihm über physikalische Probleme. Dabei stellte Lasker die Konstanz derLichtgeschwindigkeit im Vakuum in Frage. Trotz ihrer unterschiedlichen Meinungen in dieser Frage schrieb Einstein für die 1952 erschienene Lasker-Biographie vonJacques Hannak ein Geleitwort, in dem er Lasker als einen der interessantesten Menschen bezeichnet, die er in seinen späteren Jahren kennengelernt habe.
Laskers erste philosophische Arbeit erschien 1907 in New York in einer englischen(Struggle) und einer deutschen Ausgabe(Kampf). In ihr entwirft Lasker eine „Wissenschaft des Kampfes“, die erMachologie nennt. Dabei abstrahiert er Prinzipien aus dem Schachspiel und überträgt sie auf andere Lebensbereiche. Die Schrift wurde 2001 mit einem Nachwort vonLothar Schmid nachgedruckt. Seine Theorien führte Lasker später in zwei umfangreicheren Werken (Das Begreifen der Welt, 1913, undDie Philosophie des Unvollendbar, 1919) weiter aus. Die Bücher wurden jedoch von der Fachwelt kaum beachtet. Dies war für Lasker enttäuschend, da er gehofft hatte, dass ihm seine philosophischen Arbeiten einen bleibenderen Ruf als seine schachlichen Leistungen eintragen würden. Obwohl er auf Empfehlung vonPaul Natorp ab 1913 Mitglied derKant-Gesellschaft wurde, galt Lasker auf dem Gebiet der Philosophie zeitlebens als „Autodidakt und Außenseiter“ (Ulrich Sieg).[15] 1965 bezeichneteGeorg Klaus seine Anschauungen als Vorformen der modernenSpieltheorie.[16] Kurz vor seinem Tode veröffentlichte er noch eine politische Schrift (The Community of the Future, 1940), in der er sich gesellschaftlichen Problemen widmet. Zur Bekämpfung derArbeitslosigkeit schlug er darin unter anderem die Bildung vonGenossenschaften und die Schaffung neuer Ausbildungseinrichtungen vor.
Lasker hat sich mit vielen anderen Spielen als Theoretiker und Erfinder beschäftigt. Bei denBrettspielen hat er dasMühle-Spiel dadurch zu reformieren versucht, dass er jedem Spieler zehn (anstatt neun) Steine gab und ihm zu Anfang die Wahl ließ, entweder einen neuen Stein einzusetzen oder einen bereits gesetzten zu ziehen. DasDame-Spiel entwickelte er zum SpielLaska fort, bei dem – unter anderem – geschlagene Steine nicht vom Brett entfernt werden, sondern unter dem schlagenden Stein mitgenommen werden; schlägt ein Stein also mehrfach, kann er ganze „Türme“ mit sich führen; wer einen solchen „Turm“-Stein schlägt, darf aber nur den obersten Stein „mitnehmen“, so dass der „Rest-Turm“ auch die Partei wechseln kann; das Spiel entwickelt einen ganz neuartigen Charakter. Sowohl mit Kartenspielen (vor allem demPoker) als auch mit anderen Brettspielen (vor allemGo) hat er sich theoretisch beschäftigt und dazu publiziert.
Lasker hat eine Version desNim-Spiels[17] erfunden und durch Analysen von Aneinanderfügungen von Verluststellungen zur Entwicklung der frühenkombinatorischen Spieltheorie entscheidend beigetragen.
Lasker komponierte einigeEndspielstudien, deren berühmteste ein systematisches Manöver zeigt, welches heutzutage unter dem NamenLasker-Manöver bekannt ist.
Zu Laskers 100. Geburtstag erschien in der DDR die bislang einzige deutscheBriefmarke, auf der ein Schachspieler abgebildet ist.[20] Auch in anderen Ländern erschienen Briefmarken mit seinem Porträt, darunter Benin, Burundi, Guinea-Bissau, Jugoslawien, Kambodscha, Kampuchea, Kuba, Laos, Madagaskar, Mali, Mongolei, Myanmar, Niger, Nordkorea, Österreich, Tadschikistan, Togo und Vietnam.
DieEmanuel Lasker Gesellschaft wurde am 11. Januar 2001 inPotsdam gegründet. Sie befasst sich mit dem Wirken Laskers, aber auch anderen Themen der Schachgeschichte und Schachkultur.
Richard Forster, Michael Negele,Raj Tischbierek (Hrsg.):Emanuel Lasker. Bd. I:Struggle and victories. World chess champion for 27 years. Berlin 2018,ISBN 978-3-935800-09-9, Bd. II:Choices and chances. Chess and other games of the mind, Berlin 2020,ISBN 978-3-935800-10-5. Bd. III:Labors and Legacy. Chess, Philosophy, and Psychology, Berlin 2022,ISBN 978-3-9823864-1-6.[21]
Bernd Gräfrath:Das Leben als Optimierungsproblem: Emanuel Laskers „Philosophie des Unvollendbar“. In:Ketzer, Dilettanten und Genies: Grenzgänger der Philosophie. Junius, Hamburg 1993,ISBN 3-88506-227-5, S. 133–159.
Jacques Hannak:Emanuel Lasker: Biographie eines Schachweltmeisters. Engelhardt, Berlin 1952.
Robert Hübner:Der Wettkampf Lasker–Schlechter. In:Schach. Heft 5, 1999, S. 39–47, Heft 6, S. 49–60, Heft 8, S. 53–66, Heft 10, S. 36–47, Heft 11, S. 53–61.
Robert Hübner:Der Weltmeisterschaftskampf Lasker–Steinitz 1894 und weitere Zweikämpfe Laskers. Edition Marco, Berlin 2008,ISBN 978-3-924833-56-5.
↑Archiwum Państwowe Gorzów Wielkopolski, Sąd Obwodowy w Barlinku, Duplikaty księg metrykalnych gminy żydowskiej, Signatur 66/886/0/3/4, Eintrag 158szukajwarchiwach.pl (Memento vom 21. Januar 2016 imInternet Archive)
↑Wolfgang Kamm, Tomasz Lissowski:Ancestors, Family, and Childhood. In: Richard Forster, Michael Negele, Raj Tischbierek:Emanuel Lasker. Bd. 1:Struggle and Victories. Berlin 2018. S. 51–99, Familienstammbaum S. 88f.
↑Dr. Emanuel Lasker in Amerika. In:Neue Wiener Schachzeitung. IV. Jahrgang. Verlag des „Wiener Schach-Club“, Wien 1901,S.111–115 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 26. Mai 2024]). (Mit Einzelpartien.)
↑Tony Gillam: Lasker in Great Britain. In: Richard Forster et al. (Hrsg.):Emanuel Lasker, Volume 1, Exzelsior Verlag, Berlin 2018, S. 125
↑Joachim Rosenthal: Lasker and Mathematics. In: Richard Forster et al. (Hrsg.):Emanuel Lasker, Volume 1, Exzelsior Verlag, Berlin 2018, S. 195–200
↑Siegbert Tarrasch:Das Grossmeisterturnier zu St. Petersburg im Jahre 1914. Nürnberg 1914, S. 154 f.
↑Emanuel Lasker – ein philosophischer Vorläufer der Spieltheorie, in:Deutsche Zeitschrift für Philosophie,1965, Band 13, S. 976–988,doi:10.1524/dzph.1965.13.8.976