Doneli
Doneli,dōnelī, auchdunali, donali, donaly (belutschisch, „zwei Flöten“), ist ein Paar endgeblasenerKernspaltflöten in derpakistanischen ProvinzBelutschistan, die von einem einzelnen Musiker in der Unterhaltungsmusik, bei Besessenheitsritualen und in der instrumentalen und vokalen religiösen Musik derSufis gespielt werden. Diedoneli kommt auch in deriranischen ProvinzSistan und Belutschistan vor. Ein Flötenrohr dieserDoppelflöte produziert die Melodie, das andere einenBordunton.
Herkunft und Verbreitung
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Doppelblasinstrumente, die aus zweiEinfachrohrblattinstrumenten bestehen (Doppelklarinetten), sind seit dem 3. Jahrtausend aus dem östlichen Mittelmeerraum bekannt. Aus demAlten Ägypten ist seit dem Ende der 3. Dynastie oder dem Beginn der 4. Dynastie (um 2700 v. Chr.) die Doppelklarinettememet nachweisbar. InMesopotamien kommen sie in denGräbern von Ur ebenfalls im 3. Jahrtausend v. Chr. vor. Inbabylonisch-assyrischer Zeit waren Doppelklarinetten in Mesopotamien ähnlich häufig wie in Griechenland, wo in der gesamtenAntike deraulos eine führende musikalische Rolle einnahm.[1] Gedoppelte Rohrblattinstrumente gab es ferner im südlichenZentralasien, abgebildet beispielsweise auf einem Fries mit Musikanten aus der usbekischen StadtTermiz, das zwischen dem 1. Jahrhundert v. Chr. und dem 3. Jahrhundert n. Chr. datiert wird. Die Setzstufe einerkuschanazeitlichen Steintreppe (2.–3. Jahrhundert n. Chr.) aus der RegionGandhara zeigt eine Reihe Musikerinnen, darunter am rechten Rand eine Frau, die Doppelflöte spielt und sich einer Frau mit Fasstrommel neben ihr zuwendet.[2] Zwischen zwei Liebespaaren steht des Weiteren eine Panflötenspielerin.
Doppelblasinstrumente waren im alten Indien selten. Indem Bildhauer sie auf Steinreliefs wiedergaben, konnten sie zeigen, dass die Musiker zu einer Gruppe fremder Leute gehören, die von weither zu dem bestimmten Ort gekommen waren. AmStupa vonSanchi (1. Jahrhundert v. Chr.) wird die von vielen Zuschauern beobachtete Verbrennungszeremonie desBuddha dargestellt. Zur ungewöhnlichen Musikgruppe der aus ihrer HauptstadtKushinagar angereisten Mallas[3] gehören links zwei Spieler, die lange Trompeten mit gebogenen Schallbechern in Gestalt von Tierköpfen entsprechend der keltischencarnyx nach oben halten. Der nächste Spieler bläst ein gedoppeltes Rohrblattinstrument, dessen gerade Röhren er in spitzem Winkel auseinanderhält, in der Mitte folgen zwei Trommler. Die beiden Personen rechts spielenRahmentrommel und vermutlich Bogenharfe (vina).
Ein Doppelblasinstrument mit zwei konischen Spielrohren bläst ein Musiker auf einem Pfeilerrelief ausMathura (2. Jahrhundert v. Chr.). Die beiden Röhren des mutmaßlichen Rohrblattinstruments sind parallel miteinander verbunden oder werden entsprechend aneinandergehalten. Die ungeschickt gestaltete Fingerposition beider Hände verrät, dass der Bildhauer mit dem Instrument nicht vertraut war.[4]
Heute kommen Doppelblasinstrumente inSüdasien nur in einigen Regionen in der Volksmusik vor. Ein seltenes, von einem Musiker bei hinduistischen Tempelzeremonien paarweise geblasenes Instrument ist dietirucinnam, eine gerade, dünne Messingtrompete in Südindien,[5] deren Form auf eine mögliche altägyptische oder assyrische Herkunft hindeutet.[6] Einen Ursprung der indischen Doppelblasinstrumente (Flöten oder Rohrblattinstrumente) in der babylonisch-assyrischen Zeit Mesopotamiens vermutete bereitsCurt Sachs 1915.[7]
Die doppelte Spielweise verbindet zwei Einfachrohrblattinstrumente der indischen Volksmusik miteinander: diepungi, bei der die beiden parallel verbundenen Spielrohre die Blasluft über eine gemeinsameWindkapsel erhalten, und dietarpu, die aus zwei längs verbundenenKalebassen besteht und über ein kurzes Röhrchen als Mundstück in der Mitte angeblasen wird. In beiden Fällen produziert ein Rohr die Melodie und das andere einen Bordunton.[8] Diepepa im nordostindischen BundesstaatAssam ist ein Einfachrohrblattinstrument mit einem Büffelhorn als Schallbecher, das in einer Variante mit zwei gleichen Spielröhren vorkommt. Die zweite Spielröhre dient lediglich der Klangverstärkung und ausnahmsweise nicht zur Ergänzung eines Borduntons.
Paarweise gespielte Schnabelflöten kommen neben einfachen Schnabelflöten vonKaschmir bisBhutan am Südrand desHimalaya bei Hirten und Bauern vor. Eine Doppelflöte aus dem Himalayagebiet besitzt fünf Löcher in der rechten Melodieröhre und drei Löcher, von denen zwei mit Wachs verschlossen werden, in der linken Bordunröhre.[9] Die impakistanischen und im indischenPunjab, inRajasthan und nach Süden bisAndhra Pradesh gespieltealghoza besteht aus zwei separaten Schnabelflöten, die in einem spitzen Winkel zueinander geblasen werden. Die ähnlichesatara kommt hauptsächlich in Rajasthan vor. Während bei deralghoza beide Rohre zum melodischen Spiel verwendet werden, besitzt diesatara ein Melodie- und ein Bordunrohr. Der Ursprung der in Nordindien bei Hirten unter diesen Bezeichnungen verbreiteten Doppelflöten könnte im Sindh und im Punjab liegen.[10] Ein regionalsprachlicher Name für hauptsächlich Kernspaltflöten in der Volksmusik Nordwestindiens istpava (pawi, pavo).[11] Diesurpava ist eine in der Mitte angeblasene Querflöte inMaharashtra, die zur Melodie des unteren Spielrohres im oberen Rohr einen Bordunton erzeugt. Der Namenszusatzsur- (vonSanskritswara, „Tonstufe“) bezieht sich auf den zusätzlichen Bordunton. In Rajasthan und Gujarat heißt dieser seltene Flötentyp der Kuhhirtenpawa jodi oderjode pavo („Flöten-Paar“).
In derklassischen indischen Musik werden nur Querflöten (bansuri, venu), aber keine Längsflöten verwendet. Im Orient und Zentralasien sind die Varianten der in den klassischen Musikstilen gespieltennāy Längsflöten. In Belutschistan blieb mit der schräg angeblasenen Längsflötenarh ein alter Flötentyp erhalten, der am geographischen Übergang mit beiden Großregionen in Verbindung steht. Das für die Volksmusik Belutschistans charakteristische Zusammenspiel der Fiedelsoruz und der gezupften Langhalslautedamburag hat zentralasiatische Parallelen,[12] während sich diedoneli von Belutschistan nach Indien orientiert, wo im Unterschied zuriranischen Musik ein begleitender Bordunton in der Musik von zentraler Bedeutung ist.
Bauform und Spielweise
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Diedoneli besteht aus zwei Pflanzenrohren, von denen das rechte mit sieben Fingerlöchern das Melodierohr abgibt und als „männlich“ gilt. Das linke, „weibliche“ Rohr besitzt acht Löcher. Die Rohre sind entweder ungefähr gleich lang oder das Bordunrohr ist deutlich länger. Um den gewünschten Bordunton hervorzubringen, werden alle Löcher bis auf eines mit Wachs verschlossen. Wachs oder ein Stück einer Dattel kann am Rand des Mundstücks angebracht werden, um die Tonhöhe der beiden Spielrohre anzugleichen.
Der Musiker hält beide Flöten gerade nach unten-vorn und in einem geringen Abstand nahezu parallel. Um einen kontinuierlichen Melodiefluss zu ermöglichen, bläst er mitZirkularatmung. Mit den sieben Fingerlöchern kann einechromatische Skala gespielt werden. Die einfachen Melodien werden ornamentiert und durch Betonung rhythmisiert. Die Doppelflöte wird als Solo-Instrument, rhythmisch begleitet von der Langhalslautedamburag oder in einem kleinen Ensemble mit der Fiedelsuroz (sorud), einerdamburag und einer mit den Händen geschlagenen, zweifelligen Zylindertrommeldukkur gespielt.
Die angestammten Berufsmusiker in der Küstenregion Makran pflegen einen Gesangsstil, der auf verschiedenenModi basiert, diezahirig genannt werden und in der Musik von Belutschistan dem Prinzip des iranischenMaqam und des indischenRaga entsprechen.Zahirig steht darüber hinaus für einen bestimmten freirhythmischen undmelismatischen Gesangsstil. Die Melodieinstrumente für diese Tradition sind diesoruz, diedoneli und die Tastenzitherbanjo (benjo).[13]
Neben der Unterhaltungsmusik spielt die Doppelflöte als Gesangsbegleitung und in Instrumentalensembles derDerwische, bei denen Musik zu den religiösen Übungen (Dhikr) gehört. Die Derwische nennen sich häufigqalandari und verehren in ihren LiedernLal Schahbaz Qalandar, einen Sufi-Mystiker des 13. Jahrhunderts. Ferner wird diedoneli gelegentlich im Begleitensemble bei Besessenheitskulten und Heilungsritualen eingesetzt. Hierzu gehört ein auf schwarzafrikanische Einflüsse zurückgehendes Heilungsritual, bei dem ein Geist namensguat („Wind“ oder „Geist“) aus dem Patienten ausgetrieben werden soll. Ein anderes Ritual,damāli, enthält deutlichere islamische Elemente. Bei einem Typ vondamāli geraten Patient und Heiler in einen Zustand derTrance, bei einem zweiten Typ nimmt nur der Heiler in Trance Kontakt mit den herbeigerufenen Geistern auf und der dritte Typ ist eine religiöse Trance ohne Beteiligung eines Patienten. Bei den beiden letztgenannten Ritualen ist das melodieführende Instrument eine Fiedelsuroz oder einedoneli, jeweils rhythmisch begleitet von einerdamburag.[14]
In der gesamten RegionBelutschistan sind Flöten und Saiteninstrumente üblicherweise den hochkastigenBelutschen vorbehalten, in der KüstenregionMakran werden sie auch von sozial niedrig stehenden Berufsmusikern gespielt.[15] Im iranischen Teil von Belutschistan beherrschen nur noch wenige Musiker das Spiel mit zwei Flöten. Der bekannteste iranischedoneli-Spieler ist der 1931 geborene Schir Mohammad Espandar.[16]
Diskografie
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Anderson Bakewell (Aufnahmen und Text Begleitheft):Music of Makran. Traditional Fusion from Coastal Balochistan. (International Collection of the British Library Sound Archive) CD von Topic Records, London 2000
- Jean During (Aufnahmen und Text Begleitheft):Baloutchistan: La Tradition Instrumentale – Sorud – Benju – Doneli. CD von Ocora. Radio France, 1997
Literatur
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Jean During:Doneli. In: Laurence Libin (Hrsg.):The Grove Dictionary of Musical Instruments. Band 2, Oxford University Press, Oxford/New York 2014, S. 72
Weblinks
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Simorğ. In:Encyclopædia Iranica. Hörbeispiel: Der sechzehnjährige Mohammad Gāmšāzehi spieltdoneli, begleitet von Bahrām Surizehi,damburag. Aufnahme von Jean During, 1983
- Shir Mohammad Espandar. Youtube-Video (Doneli-Solo von Schir Mohammad Espandar in seinem Geburtsort Bambur, westlich vonIrānschahr im Iran)
- Twin Flute Player – Khuda Baksh from Hub, Baluchistan. Youtube-Video (doneli-Solo in Hub an der östlichen Makran-Küste)
- آهنگ بلوچی بادونلی Youtube-Video (Gesang unddoneli, zur rhythmischen Begleitungdamburag und Plastikkanister)
- Balochi donali.mp4. Youtube-Video (Instrumentalensemble mitdoneli, rhythmisch begleitet vondamburag, Zylindertrommeldukkur undSchellenring)
Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑Helmut Brand:Altgriechische Musikinstrumente. Ein kurzer Überblick. musikarchaeologie.de
- ↑Stair-riser. The British Museum
- ↑Vgl. Manohar Laxman Varadpande:History of Indian Theatre. Band 1. Abhinav Publications, Neu-Delhi 1987, S. 130
- ↑Walter Kaufmann:Altindien. Musikgeschichte in Bildern, Band 2.Musik des Altertums, Lieferung 8. VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1981, S. 62, 130
- ↑Hear the sound of tiruchinnam. The Hindu, 24. März 2016
- ↑Bigamudre Chaitanya Deva:Musical Instruments of India. Their History and Development. Firma KLM Private Limited, Kalkutta 1978, S. 111
- ↑Curt Sachs:Die Musikinstrumente Indiens und Indonesiens (zugleich eine Einführung in die Instrumentenkunde). Georg Reimer, Berlin 1915, S. 165
- ↑Bigamudre Chaitanya Deva, 1978, S. 116
- ↑Alain Daniélou:Südasien. Die indische Musik und ihre Traditionen. Musikgeschichte in Bildern. Band 1.Musikethnologie. Lieferung 1. Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1978, S. 90
- ↑Geneviève Dournon:Algōjā. In: Laurence Libin (Hrsg.):The Grove Dictionary of Musical Instruments. Band 1, Oxford University Press, Oxford/New York 2014, S. 70
- ↑Alastair Dick:Pāva. In:Grove Music Online, 20. Januar 2016
- ↑Jean During:Power, Authority and Music in the Cultures of Inner Asia. In:Ethnomusicology Forum, Band 14, Nr. 2 (Music and Identity in Central Asia) November 2005, S. 143–164, hier S. 157
- ↑Jean During:The Baluchi Zahirig music. Introduction to Professional Baluchi Music. (Memento vom 16. November 2016 imInternet Archive) In:Tavoos Quarterly, Nr. 10, 2012, S. 2
- ↑Jean During:African Winds and Muslim Djinns. Trance, Healing, and Devotion in Baluchistan. In:Yearbook for Traditional Music, Band 29, 1997, S. 39–56, hier S. 41
- ↑Anderson Bakewell:Music of Makran. CD, Begleitheft S. 6
- ↑Shirmohammad Espandar: Sole doneli player in world. Iran Daily, 19. April 2015