Doketismus

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springenZur Suche springen

DerDoketismus (griechisch δοκεῖνdokein „scheinen“) ist eine Lehre, der die Auffassung zugrunde liegt, dass dieMaterie niedrig undböse sei, und dieChristus nur einen Scheinleib zuerkennt.[1][2] So sei Jesus aus doketischer SichtGott geblieben, weil seine physischeExistenz sein Wesen nicht berührt habe, er also nur zum Scheingelitten habe und gestorben sei.[3][4] Das Menschsein und dieGeschichtlichkeit Christi werden damit im Doketismus aufgegeben[2] oder zumindest eingeschränkt[3].

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]

Die Ansicht verschiedenerfrühchristlicher Gruppen, dass alle Materieunrein sei, weshalb Christus keine Stoffgestalt annehmen könne, wurde schon in den Briefen desIgnatius von Antiochien (ca. 110 n. Chr.) bekämpft. Zudem wirft er seinen Gegnern vor, sie lehrten, Christus habe nur zum Schein gelitten.[3][5] Später hatIrenäus, um ebenfalls dem Doketismus entgegenzuwirken, dieapologetischeLogos-Christologie mit einer betontenInkarnationstheologie verbunden.[6] Häufig wird auch vermutet, schon im1. Johannesbrief (der zwischen Mitte des ersten Jahrhunderts bis ins 1. Jahrzehnt des 2. Jahrhunderts datiert wird) sei Doketismus bereits als Gegnerposition gegeben (1. Joh. 1,1-3 EU[7];1. Joh. 4,2-3 EU[1]), so die Positionen von Weigandt und Uebele. Als Quellen werden sowohlhellenistische Auffassungen, wie dieIdeenlehrePlatons, gesehen, die die Materie als minderwertig betrachteten, als auch derjudenchristlicheMonotheismus, der an derMenschwerdung und dem Leiden Gottes Anstoß nahm.

Der Doketismus ging später imGnostizismus undManichäismus auf. Da viele gnostische Lehren auch doketisch sind[7], nahm man lange an, dass der Doketismus aus der Gnosis entstanden oder gar mit ihr identisch sei.

Die römische Kirche verurteilte mitTertullian den Doketismus[8], da sie gerade dasLeiden und Sterben am Kreuz als zentralen Bestandteil ihresErlösungsglaubens betrachtete.

Beispiele für Doketismus

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]
  • DerGnostiker AddruCerdo (ΚέρδωνKerdōn) vertritt die Auffassung, dass Christus nur als Trugbild(in phantasmate) in der Welt gewesen, nicht geboren sei und nur vermeintlich gelitten(quasi passum) habe.
  • Markion meint, dass Christus als Mensch erschien, obwohl er kein Mensch war, und dass er weder Geburt noch Leiden wirklich auf sich genommen habe, sondern nur zum Schein. Jesus habe sich in »Gestalt eines Menschen« offenbart und Markion habe die Stellen über die (menschliche) Geburt Jesu aus seiner Bibel eliminiert.[3] Die doketistischeChristologie Markions impliziert demnach eine Abwertung des Leibes und das Heil allein der Seele.[3]
  • VonBasilides (um 133) berichtetIrenäus von Lyon die Vorstellung, dassSimon von Cyrene die Gestalt Jesu angenommen und an dessen Stelle am Kreuz gestorben sei, während dieser selbst sich unsichtbar gemacht und als „unkörperliche Kraft“ (virtus incorporalis) zum Vater aufgestiegen sei.[3][9]
  • Valentinus, er hatte einen psychischen Leib Christi gelehrt, schrieb: „Und Valentinus sagt in seinem Brief an Agathopus: Jesus ertrug alles und war enthaltsam; er suchte sich das Gottsein zu erwerben; er aß und trank auf eine nur ihm eigene Weise, indem er die Speisen nicht wieder von sich gab; so groß war die Macht seiner Enthaltsamkeit, dass die Speise in ihm nicht dem Verderben unterlag; denn er selbst unterlag dem Verderben nicht.‘“[3][10]
  • In einer anderen Form des Doketismus bediente sich nachCerinthus der göttliche Christus eines gewöhnlichen Menschen (Jesus) als Medium, auf den er bei der Taufe im Jordan herabstieg („Du bist mein geliebter Sohn, ich habe dich heute gezeugt.“Lk 3,22 EU), und den er vor dem Kreuzestod wieder verließ („Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“Mk 15,34 EU;Mt 27,46 EU).
  • Mani, Begründer desManichäismus deutete an, dass nicht derErlöser (Soteriologie), sondern ein anderer, derTeufel, gekreuzigt wurde.[11][3] Originalquellen zeigen allerdings eine sehr differenzierte doketische Auffassung Jesu, der als Apostel des Lichtes auf der Welt war, dort in der Passion gelitten hat und gekreuzigt wurde, aber nur seine äußere Form (einⲥⲭⲏⲙⲁ) am Kreuz starb, während das Göttliche in ihm unversehrt blieb.[12]
  • ImKoran lässt sich eine doketische Sicht des Todes Jesu erkennen[13] in derSure 4 Vers 157f.

„157 und (weil sie) sagten: 'Wir haben Christus Jesus, den Sohn der Maria und Gesandten Allahs, getötet.' - Aber sie haben ihn (in Wirklichkeit) nicht getötet und (auch) nicht gekreuzigt. Vielmehr erschien ihnen (ein anderer) ähnlich (so dass sie ihn mit Jesus verwechselten und töteten). Und diejenigen, die über ihn (oder: darüber) uneins sind, sind im Zweifel über ihn (oder: darüber). Sie haben kein Wissen über ihn (oder: darüber), gehen vielmehr Vermutungen nach. Und sie haben ihn nicht mit Gewißheit getötet (d. h. sie können nicht mit Gewißheit sagen, daß sie ihn getötet haben).

158 Nein, Gott hat ihn zu sich (in den Himmel) erhoben. Gott ist mächtig und weise.“

Rudi Paret:Koran, Sure 4[14]

Literatur

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]
  • Norbert Brox:Doketismus – eine Problemanzeige; in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 95 (1984), S. 301–314 (W. Kohlhammer, Stuttgart Berlin Köln Mainz,ISSN 0044-2925)
  • Wichard v. Heyden:Doketismus und Inkarnation. Die Entstehung zweier gegensätzlicher Modelle von Christologie. Francke-Verlag, Tübingen 2014,ISBN 978-3-7720-8524-6.
  • Adolf Jülicher: Δοκηταί. In:Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band V,1, Stuttgart 1903, Sp. 1268.
  • Winrich Löhr, Josef van Ess: Art.Doketismus I. Christentum II. Islam. In:RGG, 4. Aufl., Bd. 2.
  • Ulrich B. Müller:Die Menschwerdung des Gottessohnes. Frühchristliche Inkarnationsvorstellungen und die Anfänge des Doketismus; Stuttgarter Bibelstudien 140; Verl. Kath. Bibelwerk, Stuttgart 1990;ISBN 3-460-04401-2
  • Wolfram Uebele:„Viele Verführer sind in die Welt ausgegangen“. Die Gegner in den Briefen desIgnatius von Antiochien und in denJohannesbriefen; BWANT 151; Kohlhammer, Stuttgart/Berlin/Köln 2001;ISBN 3-17-016725-1
  • Benjamin Walker:Gnosis. Vom Wissen göttlicher Geheimnisse; Diederichs, München 1992;ISBN 3-424-01126-6
  • Peter Weigandt:Der Doketismus im Urchristentum und in der theologischen Entwicklung des zweiten Jahrhunderts. 2 Bde., Diss. Heidelberg 1961

Weblinks

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]
Wiktionary: Doketismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]
  1. abDoketismus. In: www.bibelwissenschaft.de. Deutsche Bibelgesellschaft, abgerufen am 16. Oktober 2019: „Vielmehr hat er [Jesus] sich – in derTaufe am Jordan – nur äußerlich und »zum Schein« (»Doketismus« kommt von dem griechischen Wort dokein = scheinen) mit einem Menschenleib verbunden, den er vor derPassion wieder verließ.“ 
  2. abJohannes Hanselmann, Samuel Rothenberg, Uwe Swarat (Hrsg.):Fachwörterbuch Theologie. SCM R. Brockhaus, Wuppertal 1987,ISBN 3-417-24083-2, Doketismus,S. 44. 
  3. abcdefghWinrich LöhrDoketismus. In:Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG). 4. Auflage. Band 2, Mohr-Siebeck, Tübingen 1999, Sp. 925–926.
  4. Susanne Hausammann:Alte Kirche, Frühchristliche Schriftsteller.Band 1. Neukirchener, 2001,ISBN 3-7887-1806-4,S. 64: „Doketimus nennt man diese Leugnung der Leiblichkeit Christi. Seiner Geburt, Seines Kreuzes und Seiner Auferstehung. Mit ihr hat sich schon Paulus auseinandersetzen müssen (1. Kor. 15 EU)“ 
  5. Ignatius: Die sieben Briefe des Ignatius von Antiochien - 2. Kapitel - Christus hat für uns gelitten wahrhaft, nicht scheinbar. - Ignatius an die Smyrnäer. In: Bibliothek der Kirchenväter. Griechische Patristik und orientalische Sprachen, abgerufen am 25. Dezember 2023: „Dies alles hat er nämlich gelitten unseretwegen, damit wir gerettet werden; und zwar hat er wahrhaft gelitten, wie er sich auch wahrhaft auferweckt hat, nicht wie einige Ungläubige behaupten, er habe nur scheinbar gelitten, da sie selbst nur scheinbar leben; und gemäß ihren Anschauungen wird es ihnen ergehen, wenn sie körperlos und gespensterhaft sind (bei der Auferstehung).“ 
  6. Wolfhart PannenbergChristologie II. Dogmengeschichtlich. In:Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG). 3. Auflage. Band 1, Mohr-Siebeck, Tübingen 1957, Sp. 1763. „Im Kampf gegen die Christologie der Gnosis (vor allemValentins) undMarcions, die den Erlöser für die Dauer seines irdischen Wirkens mit einem seinem wahren Wesen fremd bleibenden und gleichzeitig der Fleischlichkeit baren Leibe nur bekleidet sein ließ (»Doketismus«), hat Irenäus die apologetische Logos-Christologie mit einer betonten Inkarnationstheologie verbunden.“
  7. abFranz Lau:Christologie - 2. Die ersten Anfänge einer Lehre von Christus. In:Evangelisches Kirchen Lexikon.Band 1.Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1961,S. 755–756: „Eine sog. doketische Christologie (Christus hat nur einen Scheinleib) istgnostisch und wird meistens (vgl. 1Joh 1,1ff), aber nicht durchgehend abgewiesen.“ 
  8. Tertullian: Über den Leib Christi. (De carne Christi) - 9. Kapitel - Der Leib des Menschen kommt von der Erde. Ebenso war der Leib Christi und nicht aus himmlischen Stoffen gebildet. In: Bibliothek der Kirchenväter. Griechische Patristik und orientalische Sprachen, 220, abgerufen am 25. Dezember 2023: „Wie kann man mir überhaupt einen Leib als himmlisch bezeichnen, woran man keine Spur von etwas Himmlischem wahrnimmt? Wie kann man die irdische Beschaffenheit leugnen, da, wo man die klaren Beweise davon sieht? Es hungerte ihn — unter den Augen desTeufels, es dürstete ihn — in Gegenwart derSamariterin, er weinte — überLazarus,er zagte — im Angesichte des Todes, denn das Fleisch, ruft er aus, ist schwach, und zuletzt vergoss er seinBlut.“ 
  9. Irenäus: Gegen die Häresien (Contra Haereses) - Erstes Buch - 24. Kapitel: Saturninus and Basilides - 4. In: Bibliothek der Kirchenväter. Griechische Patristik und orientalische Sprachen, abgerufen am 25. Dezember 2023: „Wie aber der ungezeugte und unnennbare Vater ihre Verderbtheit sah, sandte er seinen eingeborenenNous, der Christus genannt wird, um die, welche an ihn glauben würden, von der Herrschaft jener zu befreien, die die Welt gemacht haben. Er erschien auch ihren Völkern auf Erden als Mensch und vollendete die Kräfte. Aber er hat nicht gelitten, sondern ein gewisser Simon von Cyrene, den man zwang, für ihn das Kreuz zu tragen. Dieser wurde irrtümlich und unwissentlich gekreuzigt, nachdem er von ihm verwandelt war, so dass er für Jesus gehalten wurde. Jesus aber nahm die Gestalt des Simon an und lachte sie aus, indem er dabeistand. Er war ja die unkörperliche Kraft und der Nous des ungezeugten Vaters, deswegen konnte er sich nach Belieben verwandeln und stieg so wieder zu dem hinauf, der ihn gesandt hatte, indem er derer spottete, die ihn nicht halten konnten, und unsichtbar für alle war.“ 
  10. Clemens von Alexandria: Teppiche (Stromateis) - Drittes Buch - 7. Kapitel 59.3. In: Bibliothek der Kirchenväter. Griechische Patristik und orientalische Sprachen, abgerufen am 25. Dezember 2023. 
  11. Evodius,De fide contra Manichaeos 28
  12. Siegfried G. Richter:Christology in the Coptic Manichaean Sources. In: BSAC 35 (1996) 117–128;Siegfried G. Richter:Bemerkungen zu verschiedenen “Jesus-Figuren” im Manichäismus. In: J. Van Oort, O. Wermelinger, G. Wurst (Hrsg.):Augustine and Manichaeism in the Latin West. Proceedings of the Fribourg-Utrecht Symposium of the International Association of Manichaean Studies (IAMS), Leiden etc. 2001, S. 174–184.
  13. E. Kellerhals: Islam. In:Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG). 3. Auflage. Band 3, Mohr-Siebeck, Tübingen 1959, Sp. 922. „Als Religion derWerkgerechtigkeit sagt der Islam zumstellvertretenden Erlösungstod Christi am Kreuz ein radikales Nein. Da ein gerechter Prophet nicht unschuldig sterben kann, hat Gott in letzter Minute den Leib Jesu durch denjenigen eines andern Menschen ersetzt (Doketismus), und da die Bedingungen zum Heilsempfang nur im Glauben an Allah und seinen Propheten sowie in der Unterwerfung (»islam«) unter die anMuhammed ergangene endgültige Offenbarung besteht, bedarf der Mensch keinerErlösung durch einen Mittler.“
  14. Rudi Paret:Der Koran. 12. Auflage. Kohlhammer, Stuttgart 2014,ISBN 978-3-17-026978-1, Sure 4, Die Frauen,S. 76. 
Abgerufen von „https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Doketismus&oldid=240522526
Kategorien: