Dhadd
Dhadd (Panjabiਢੱਡḍhaḍ) auchḍhāḍ oderdhadh, ist eine kleine zweifelligeSanduhrtrommel, die im nordwestindischen BundesstaatPunjab von denDhadi (Dhadhi) genannten Musikern und Sängern zusammen mit der Streichlautesarangi zur Begleitung epischer Gesänge gespielt wird.Dhadi heißt auch der weltliche punjabische Volksmusikstil und der vonSikhs gepflegte religiöse Gesangsvortrag.Dhadi jatha bezeichnet das aus drei Musikern bestehende Ensemble, das bei der religiösen Musik der Sikhs um einen Sprecher ergänzt wird, der den historischen Hintergrund der Lieder vermittelt. Die am häufigsten erzählten weltlichen Geschichten handeln von mythischen Liebespaaren, die durch das Schicksal getrennt wurden, und von ihrer ewigen Suche nach Wiedervereinigung. Die religiösen Themen beinhalten im Kern die Suche nach dem Göttlichen, die als verlustreicher Kampf menschlicher Helden beschrieben wird.

Bauform
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]DerKorpus derdhadd besteht aus einem ausgehöhlten Holzblock, der außen sanduhrförmig gedrechselt und glatt geschliffen wurde. Die beiden etwa gleich große Membrane bestehen aus ungegerbter Tierhaut, die über kreisrunde Ringe gezogen, umgeschlagen und festgeklebt werden. Die Membranringe sind etwas größer als die Enddurchmesser des Korpus. Sie werden auf die Korpusöffnungen gelegt und gegeneinander mit einer dicken umlaufenden Schnur V-förmig verspannt. Die flexible Verschnürung wird mittig mit einer quer verlaufenden Schnur umwickelt und entsprechend der gewünschten Tonhöhe angespannt. Eine engere Einschnürung ergibt einen höheren Ton.
Der Musiker hält die Trommel mit der linken Hand um die Taille des Korpus annähernd waagrecht nach vorn in Höhe des Oberkörpers und schlägt mit den Fingern der rechten Hand auf das obere Trommelfell. Den linken Daumen hat er unter die Verschnürung gesteckt, mit den übrigen Fingern umgreift er die Trommel oberhalb der Schnüre. Um während des Spiels einen höheren Ton oder einen jaulenden Ton von wechselnder Höhe zu produzieren, drückt er die flexible Verschnürung mit der Hand etwas zusammen. Diese Methode funktioniert bei einer derart kleinen Sanduhrtrommel. Bei der etwas größerenhurka, die inGarhwal und anderen Regionen im BundesstaatUttarakhand am Südrand des Himalaya gespielt wird, hängt sich der Musiker die Sanduhrtrommel mit einem Gurt, der an der mittigen Schnur befestigt ist, um die linke Schulter. Wenn er nun den Arm mit der Trommel ausstreckt, zieht er an der Verschnürung und erhöht so den Ton. Die dritte Methode praktiziert der Spieler der südindischenidakka, der sein Instrument unter der linken Armbeuge eingeklemmt hält und durch Zusammendrücken der Verschnürung einen Tonraum von bis zu zwei Oktaven spielbar macht. Diedhadd entspricht in Größe und Form weitgehend der noch etwas kleineren Sanduhrtrommeldamaru, wobei letztere zu den Rasseltrommeln zählt. Zwei an Schnüren befestigte Steinchen schlagen durch schnelles Drehen desdamaru gegen die Trommelfelle und erzeugen ein klackendes Geräusch. Bei derdhadd fehlen diese Rasselsteinchen. Das Trommelfell derdhadd wird mit schnellen Schlagfolgen der einzelnen Finger senkrecht oder in einem flachen Winkel gleitend bespielt.
Herkunft und Verbreitung
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]
Sanduhrtrommeln haben in Indien eine Tradition, die weit in vorchristliche Zeit zurückreicht und genießen meist eine religiöse Wertschätzung. Anbuddhistischen Kultstätten (Stupas) sind Steinreliefs mit Abbildungen von Sanduhrtrommeln ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. erhalten. Die in der altindischen Literatur als Attribute in den Händen von Göttern (devas) beschrieben Trommeln wurden aufSanskritpanava oderalingya genannt. Am bekanntesten ist der kleinedamaru, mit dem GottShiva in Gestalt desNataraja den kosmischen Tanz (tandava) aufführt.[1]
Größere Sanduhrtrommeln, diehudukka undhuruk genannt wurden, sind inMogulmalereien seit dem 16. Jahrhundert in Musik- und Tanzszenen abgebildet; neben der doppelten Kesseltrommelnaqqara und der Rahmentrommeldaira. Mehrere heutige Sanduhrtrommeln wie die südindischen Tempeltrommelnudukkai undidakka sind namensverwandte Nachfahren der mittelalterlichen Trommel. Keine Spannschnüre besitzt die von Straßenmusikern verwendetebudbudiki, die (gemessen an einem Exemplar vom Ende des 19. Jahrhunderts) nur acht Zentimeter lang ist.[2] In ähnlicher Weise zur Liedbegleitung wie diedhadd wird dietudi inKarnataka eingesetzt. In Garhwal kommt neben derhurka die ähnlich großedaunr vor, deren Membranen zwar ebenso mit Schnüren verspannt sind, deren Tonhöhe aber während des Spiels nicht verändert wird.
Zum Wortumfelddhadd gehören in Nordindien mehrere unterschiedlich geformteRöhrentrommeln. Die im Punjab bei Festveranstaltungen und Familienfeiern meist verwendete Trommel ist die fassförmigedholak. Der Name bezeichnet eine Vielzahl von zweifelligen Trommeln in ganz Nordindien, die in der Regel mit den Händen gespielt werden. Etwas größere, mit Stöcken geschlagene Röhrentrommeln werden allgemein alsdhol, dhole oderdhak bezeichnet. Die Bandbreite reicht von der übergroßen Fasstrommeldhak inWestbengalen undAssam, die bei Hindu-Festen wieDurga Puja unverzichtbar ist, bis zu kleinendholaks, mit denen junge Frauen bei Hochzeiten improvisieren oder die Bettelmusiker auf der Straße einsetzen.[3] Alsdhak wird im südlichenRajasthan eine gänzlich andere Sanduhrtrommel bezeichnet, die in den Dörfern der Mina-Kaste bei Besessenheitsritualen eine Rolle als göttliches Symbol spielt.[4] Benachbarte Ethnien imVindhyagebirge verwenden ebenfalls eine solchedhak. Weitere regionale Namensvarianten für Sanduhrtrommeln in Zentralindien sinddhakka unddhanka. Die im Punjab gespielte regionale Variante der Streichlautesarangi wird auchdhad sarangi genannt.
Geschichte der Dhadi-Musiker
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Im Punjab besitzen Dhadis, also diedhadd undsarangi spielenden Musiker und Sänger, einen hohen Stellenwert innerhalb der Volksmusik, weil sie in ihren Balladen das Alltagsleben sowie Geschichten und Gebräuche der Region zum Ausdruck bringen. Während die Vorgeschichte der Dhadis länger zurückreicht, tauchen sie seit dem 15. Jahrhundert in der Literatur auf. ImAdi Granth, der heiligen Schrift der Sikhs, kommt mehrfach das Wortdhadi vor.Guru Nanak (1469–1539), der Gründer des Sikhismus, komponierte religiöse Lieder (nirgunbhajan). Er,Amar Das (1479–1574) und weitere nachfolgendeGurus bezeichneten sich selbst alsdhadi und verstanden sich damit als ein Sänger, der zum Ruhm Gottes Lieder vorträgt.
Im 15. und 16. Jahrhundert trugen viele muslimische Berufssänger (rabābī), die sich auf der Zupflauterabāb begleiteten, zur Verbreitung der Sikh-Musik bei. Dierabāb war der Vorläufer der im 19. Jahrhundert eingeführtensursingar und unterschied sich von der afghanischenrubāb. Ende des 16. Jahrhunderts, als professionelle Sänger wegen höherer Lohnforderungen in den Streik getreten waren, traten Amateursänger (raggī) teilweise an ihre Stelle. Die religiösen Balladensänger (dhadi) bildeten die dritte und besonders beliebte Gruppe der Sikh-Musiker.[5]
Gemäß dem von Kahan Singh Nabha 1930 aufPanjabi verfasstenMahan Kosh, dem umfangreichen Standardlexikon zur Sikh-Literatur, ist Dhadi ein Preissänger, der Lieder über heldenhafte Krieger zur Begleitung derdhadd singt. An den Höfen derRajputen-Herrscher waren Barden – Bhatts (gelehrteBrahmanen) oder Dhadis – angestellt, die mit ihren epischen Versen (var) die Heldentaten der Vorfahren besangen. Diesen auch im Volk beliebten Gesangsstil übernahmen die Sikhs für ihre religiösen Lieder. Der fünfte GuruArjan Dev (1563–1606) fügte die von seinen Vorgängern verfassten Verse (gurbani) imAdi Granth zusammen. Zu neun dieser Verse wählte er erstmals Melodien bekannter Heldenlieder aus, die inhaltlich jedoch mit den religiösen Texten nichts zu tun haben.
Die heute bekannten Dhadi-Tradition begann mit seinem Nachfolger, dem sechsten GuruHar Gobind (1595–1644). Um den Kampfesmut seiner Armee zu befeuern, ließ er Dhadis an seinem Hof Heldenlieder vortragen. Die Namen einiger damals berühmter Dhadis sind überliefert. Erst als sich nach dem letzten GuruGobind Singh (1666–1708) mit dem Tod des Militärführers Banda Singh Bahadur 1716 die Gemeinschaft der Sikhs spaltete und in mehreren verlustreichen Kämpfen gegen dasMogulreich ihre Bedeutung verlor, ging auch die Unterstützung für die Dhadis zurück.
Arabische Händler erreichten in früheren Zeiten mit Kamelkarawanen über Iran und Afghanistan den Nordwesten Indiens. Was sie abends an Liedern sangen verschmolz mit der regionalen Volksmusik zumdhapa genannten und auf Panjabi gesungenen Stil. In dendhapa-Liedern geht es um die tragische Liebesgeschichte zwischen der reichen und schönen Hir aus derJat-Volksgruppe und dem umherziehenden Ranjha, der am Hof ihres Vaters als Kuhhirte angestellt wird und schön die Flöte (bansuri, regionalwanjhli) bläst. Die Hir-Ranjha-Liebesgeschichte wurde in der Versformqissa (Pluralqisse) vorgetragen, die Anfang des 17. Jahrhunderts aufkam und bis Anfang des 20. Jahrhunderts die populärste Form der Punjabi-Volksliteratur war.[6] Nach der frühesten bekannten Geschichte auf Panjabi in der Form vonqisse des Dichters Damodar, die zwischen 1600 und 1615 entstand, gab es weitere Dichter, die ihre Versionen auf den Dörfern verbreiteten, bis sie bald von Sängern mitdhadd undsarangi aufgegriffen wurden. Unter MaharajaRanjit Singh (reg. 1801–1839) begann in einer politisch stabilen und wirtschaftlich gesicherten Zeit die Gesangstradition mitdhadd undsarangi zu blühen. Dichter und Sänger waren an den Herrscherhäusern hoch angesehen. Dhadi-Gruppen erreichten gleichermaßen die Dörfer.
Zur Unterscheidung von den weltlichen Geschichten wurden die religiösen Anrufungen der Sikhsguru ka dhadi genannt. Die religiöse Gesangstradition ist bis heute lebendig. Die anderen, an geeigneten Plätzen (Panjabi:akhara) nahe Dörfern auftretenden Unterhaltungssänger der Volkserzählungen (gaun) erhielten den Beinamengamantri. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts trugen die Volkssänger an den Fürstenhäusern vonPatiala,Faridkot,Nabha und anderenFürstenstaaten zum Ansehen der Herrscher (Maharadschas) bei und erhielten dafür Geschenke und regelmäßige Vergütungen. An den Höfen angestellte Sarangi-Meister zählten viele Dhadis zu ihren Schülern. Mit der Auflösungen der Fürstenstaaten in den 1950er Jahren war auch deren Patronage für die Dhadis beendet.[7]
Spielweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]
Volksliedtradition
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Die weltlichen Lieder des Dhadi-Genres werden eingeteilt in:
- Heldenlieder, in denen die Taten von historischen und legendenumwobenen Kriegern besungen werden. Zu ihnen gehört Dulla Bhatti (eigentlich Rai Abdullah Khan Bhatti), ein Held der Rajputen, der im 16. Jahrhundert einen Aufstand gegen den MogulkaiserAkbar I. anführte. Dasselbe taten die beiden Jugendlichen Jaimal Rathore und Patta (Fateh Singh Sisodiya) in den Jahren 1567 und 1568. Weitere kriegerische Helden in den Volkslegenden sind Dahud Badshah und Sucha Soorma.
- Liebesgeschichten, zu denen neben Hir und Ranjha die Paare Sohni und Mahiwal sowie Kaka und Partapi gehören. Letztere lebten in den 1880er Jahren naheLudhiana.
- Lieder, die regionale Adaptionen von Episoden aus den großen indischen EpenMahabharata,Ramayana und aus denPuranas beinhalten.
- Moralische und erzieherische Geschichten aus dem Alltag.
Das Dhadi-Genre war im 19. Jahrhundert im ganzen Punjab verbreitet, sein Zentrum lag jedoch in der südöstlichen Punjab-RegionMalwa, wo die meisten Dhadis zu den Familien der Mirasi und Mir gehörten. Viele bekannte Dhadis stehen in einer Lehrtradition (Gharana), in der ein ausgewählter musikalischer Stil und ein bevorzugtes Versmaß vom Lehrer auf die Schüler weitergegeben wird. Dhadis wählen später ihr Repertoire aus der Tradition mehrerer Lehrmeister. Die Ausbildung fand früher häufig im Umfeld eines Hindu- oder eines Sikhtempels (Gurdwara) statt, wo zugleich auch religiöse Inhalte vermittelt wurden. Eine wesentliche Eigenschaft der Dhadis war dennoch immer ihre religiöse Neutralität. Muslimische Dhadis singen gleichermaßen Episoden aus der hinduistischen Mythologie wie aus der Geschichte der Sikhs.
Die Verse sind in die drei hauptsächlichenMetrenbaint, sadd undkali gesetzt, wobeikali so populär wurde, dass der Begriff auch stellvertretend für die Dhadd-Sarangi-Balladen allgemein verwendet wird. Der Grund für die Bekanntheit vonkali liegt in dessen Wurzel im Volksgesangkavishari aus Malwa, der vokal vorgetragen wird. Die Kombination auskavishari mit Trommel und Streichlaute ergab die Form deskali. Die Verszeilen schließen mit einerKadenz (mukhra) ab, die den Übergang zum Refrain (tora) bildet. Diese Begriffe für Formelemente beschreiben auch Teile des klassischenRagas.[8]
In früheren Zeiten, als es noch keine Lautsprecherverstärkung gab, fanden die Dhadi-Vorstellungen unter ein paar Bäumen an einem Teich am Rand eines Dorfes statt, einem Platz (akhara), der auch für religiöse Feiern (melas) nach dem Jahreskalender verwendet wurde. Das Publikum saß bei Aufführungen um eine Kreisfläche, in der sich die Musiker schrittweise abwechselnd zur einen, dann zur anderen Seite bewegten, wo sie jeweils zwei Verse vortrugen. Die mit weißen Gewändern und hohen Turbanen bekleideten Musiker hatten früher mitKajal geschwärzte Augen, trugen lange Bärte und hoben sich so eindrucksvoll von der Landbevölkerung ab. Ihre Schrittfolgen und Posen gehörten mit zu ihrem Vortragsstil.
Anlässe für die Auftritte der Dhadis waren entweder religiöse Feste für einen lokalen Heiligen oder die Auftritte wurden aus einem anderen Grund von der Dorfgemeinschaft (panchayat) oder einer reichen, kunstsinnigen Privatperson organisiert. Um eine Erzählung (gaun) im traditionellen Stil und in voller Länge zu präsentieren, traten die Musiker gelegentlich an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen auf. Die gesamte Liebesgeschichte von Hir und Ranjha dauert beispielsweise drei Tage, bei Kurzfassungen wurden nur die spannenden Episoden herausgepickt. Das allgemeine Publikum steckte bei solchen Konzerten den Musikern nach Belieben Geldscheine zu. Die meiste Zuwendung erhielten die Musiker jedoch von den Patrons, nach deren Geschmack sie folglich diegauns auswählten und denen sie sich häufig bei ihren Auftritten zuwandten.[9]
Die mit der Auflösung der Fürstenstaaten in den 1950er Jahren beendete Patronage war die Hauptursache für den Niedergang der Dhadi-Tradition. Es trat keine finanzielle Förderung des Staates an ihre Stelle. In den 1960er Jahren begann dann mit dem allgemeinen Trend zur Verwestlichung der Kultur die bisherige Aufführungspraxis der Dhadis langsam zu verschwinden. Heute versammelt sich nur noch ein überwiegend älteres Publikum an den traditionellen Aufführungsplätzen am Dorfrand, wo einige wenige Dhadi-Gruppen ihre Geschichten in derselben Weise wie vor 100 Jahren vortragen. Übrig geblieben sind einige Tempel im ländlichen Raum, die Dhadi-Gruppen finanziell unterstützen und ihnen Aufführungsmöglichkeiten bei Festveranstaltungen bieten. Bekannten Gruppen werden regelmäßige Auftritte in Gurdwaras angeboten.[10]
Zwei der bekanntesten, heute aktiven Dhadis sind Des Raj Lachkani und Sharif Idu Lalaudha. Der nahe Patiala geborene Sarangi-Spieler Des Raj trat bei großen religiösen Festen und Kulturveranstaltungen (melas) auf und gewann mehrere Wettbewerbe mit seinen im traditionellen Stil vorgetragenen Balladenformenvar undkali. Seine in Malwa gesungenen Hir-Ranjha-Geschichten sind nach wie vor beliebt.
Sharif Idu verdiente früher zeitweilig seinen Lebensunterhalt, indem er einen Handkarren durch eine Kleinstadt naheChandigarh zog. Er wurde erstmals durch einen Auftritt bei der Hochzeit desBhangra-Sängers Manohar Deepak einem größeren Publikum bekannt. 1986 nahm ihn das in Patiala gegründete staatlicheNorth Zone Cultural Centre[11] unter Vertrag. In den folgenden Jahren trat er als Sänger und Sarangi-Spieler in vielen Bundesländern auf Konzertbühnen auf.[12]
Neben der Balladenformdhadi gibt es im Punjab weitere gesungene Versgattungen, die teilweise nur mit einem einzelnen Ritual oder mit einem jahreszeitlichen Ereignis verbunden sind, eine magische Bedeutung besitzen und von Frauen vorgetragen werden. Andere Versformen der Volkstradition wieboli, mahia unddhola gehören nicht zu einem bestimmten Anlass. Mit demboli, der aus einzeiligen Versen besteht, dietappa (nicht verwandt mit dem klassischen MusikstilTappa) genannt werden, können die Tanzstilejhumar odergiddha begleitet werden.Mahia ist ein regionaler Ausdruck fürtappa, währenddhola sich durch andere Melodien unterscheidet.[13]
Religiöse Tradition
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]
Die religiöse Dhadi-Tradition steht unter der Patronage des Sikh-Verwaltungszentrums imAkal Takht in Amritsar. Diese Form des Balladengesangs (parsang) dient als Verbreitungsmedium, um die als tragisch empfundene, mit Leid und Gewalt verbundene Geschichte der Sikhs zu erzählen, was als Akt der kollektiven Selbstversicherung der heutigen Generation verstanden wird und deren politisches Bewusstsein stärken soll. Die Veranstaltungen können den Charakter von Kampfesreden annehmen.[14] Eine Sikh-Dhadi-Gruppe besteht aus vier Mitgliedern. Zwei Spieler/Sänger mitdadh und einer mitsarangi werden von einem Sprecher ergänzt, der historische Erzählungen (itihasak prasanga) über dieSikh-Gurus und ihrMartyrium vorträgt und damit den inhaltlichen Hintergrund für die Musik liefert. In dieser Funktion spielten Dhadi-Aufführungen auch eine Rolle während der nationalistischen Aufstände der Sikhs in den 1980er Jahren, als erstmals auch Frauen die bislang den Männern vorbehaltene Bühne der Dhadi-Musik betraten. Im Zusammenklang mit dem Gesang der Männer und den Trommeln verkörpert der klagende und weiche Ton dersarangi die weibliche Stimme, zumal die Streichlaute als Begleitinstrument eines klassischen weiblichen Gesangsstils bekannt ist, wie er bis Anfang des 20. Jahrhunderts in den vornehmen Häusern gepflegt wurde. Unmittelbar vor dem ersten Angriff der indischen Armee auf denGoldenen Tempel sangen Frauen in dessen Nähe Heldenlieder und befeuerten mit ihren Stimmen die Kampfesbereitschaft der Sikhs. Ein Jahrzehnt später nannten Sikh-Sängerinnen als Grund, weshalb sie Heldenlieder vortrugen, sich in diese Kampfestradition stellen zu wollen. Das Wortdhadi erhielt durch die politische Situation einen entsprechend aufrührerischen Beiklang und machte so einen Bedeutungswandel gegenüber seinem ursprünglichen spirituellen Bezug mit.[15]
Dhadi ist wieKirtan eine devotionale Liedform und steht in den Hymnen des Adi Granth als ein Begriff für die mystische Verständigung mit dem Göttlichen. In diesem Sinn taucht das Wortdhadi bereits bei Guru Nanak auf. Kirtan (genauersabad-kirtan odershabad-kirtan) ist die übliche Liedform, in der die religiösen Verse der Sikhs begleitet vontabla undHarmonium vorgetragen werden, bei größeren Ensembles erweitert um die Saiteninstrumentesarangi,taus odertanpura. Gelegentlich wird diesarangi durch die schlankere und leichtere Streichlautedilruba ersetzt.[16] Daneben gibt es das rezitierte Glaubensbekenntnisardas. Imardas wird an die Opfer erinnert, welche die Sikhgemeinschaft in der Geschichte erbracht hat, ohne jedoch im Unterschied zum Dhadi-Stil die Helden namentlich zu benennen, die im Kampf gegen die Ungerechtigkeit gefallen sind.[17]
Vergleichbar mit der Einstellung der Gläubigen gegenüber demsamāʿ imSufismus gibt es strenge Regeln und Reinigungsvorschriften zur richtigen Ausführung des Kirtan. Im Unterschied zur muslimischen Andachtsmusiksamāʿ wurden beim Kirtan der Sikhs seit jeher zu den Trommeln auch Saiteninstrumente (etwa diesarinda) verwendet. In diesem musikalischen Rahmen der Religionsausübung, die in der nach innen gerichteten Meditation einen Weg zur Befreiung der Menschheit sucht, verkörpert der Dhadi den ins Mystische überhöhten göttlichen Barden.
Daneben gibt es einen sozialen Aspekt, der mit der Aufnahme des Begriffsdhadi in die religiösen Hymnen zusammenhängt. Der Sikhismus versteht jeden Menschen als gleichrangig in seinem Verhältnis zu Gott. Die heute als Angehörige einer der untersten Kasten angesehenen Dhadis gehörten sehr wahrscheinlich auch im 16./17. Jahrhundert zu einer niedrigen, von ihren reichen Auftraggebern abhängigen sozialen Schicht. Vermutlich standen sie während der Mogulzeit sozial unterhalb von den anderen Musikergruppen: denatai (hochrangige Musiker am Hof),gunijan (besaßen musiktheoretische Kenntnisse),darbārī oderhuzuri. Die erste Gemeinschaft, die Guru Nanak um sich versammelt hatte, bestand bereits aus vielen niedrigkastigen Gruppen und war egalitär ausgerichtet. Die Aufnahme der Dhadis, die wohl die älteste Musikergemeinschaft bildeten und die meist muslimische Namen trugen, kann folglich als Kritik am herrschenden Klassensystem aufgefasst werden.
Ein befragter Sikh-Musiker äußerte die Ansicht, das Dhadi-Genre (dhadi kala) sei ein goldenes Behältnis, also eine reine musikalische Form, die mit religiösen oder säkularen Inhalten gefüllt werden kann.[18]
Literatur
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Michael Nijhawan:From Divine Bliss to Ardent Passion: Exploring Sikh Religious Aesthetics through the Ḍhāḍī Genre. In:History of Religions, Band 42, Nr. 4, Mai 2003, S. 359–385
- Joyce Pettigrew:Songs of the Sikh Resistance Movement. In:Asian Music, Band 23, Nr. 1. Herbst 1991 – Winter 1992, S. 85–118
- Hardial Thuhi:The Folk Dhadi Genre. In:Journal of Punjab Studies, Band 18, Nr. 1–2, 2011, S. 131–168
Weblinks
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- David Courtney:Dhad. chandrakantha.com
- Dhadi Master & Sarangi Master VIDEO2. Youtube-Video (Dhadd undsarangi instrumental)
- Dhadi Daya Singh Dilbar 1994. FULL parsang. Youtube-Video (Parsang ist eine Ballade aus der Geschichte der Sikhs)
Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑Walter Kaufmann:Altindien. Musikgeschichte in Bildern. Band 2.Musik des Altertums. Lieferung 8. VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1981, S. 33
- ↑Budbudiki. The Metropolitan Museum of Art (Abbildung)
- ↑Bigamudre Chaitanya Deva:Musical Instruments. National Book Trust, Neu-Delhi 1977, S. 40
- ↑David Roche:The "Dḩāk", Devi Amba’s Hourglass Drum in Tribal Southern Rajasthan, India. In:Asian Music, Band 32, Nr. 1, Tribal Music of India, Herbst 2000 – Winter 2001, S. 59–99
- ↑Joyce Middlebrook:Punjab. In: Alison Arnold (Hrsg.):Garland Encyclopedia of World Music. Band 5:South Asia. The Indian Subcontinent. Routledge, New York / London 2000, S. 655,ISBN 978-0-8240-4946-1
- ↑Farina Mir:The Social Space of Language. Vernacular Culture in British Colonial Punjab. University of California Press, Berkeley 2010, S. 4, 7,ISBN 978-0-520-26269-0
- ↑Hardial Thuhi, S. 131–135, 154
- ↑Hardial Thuhi, S. 135–138, 140, 149
- ↑Hardial Thuhi, S. 147f
- ↑Regula Burckhart Qureshi:The Indian Sarangi: Sound of Affect, Site of Contest. In:Yearbook for Traditional Music, Band 29, 1997, S. 1–38, hier S. 12
- ↑North Zone Cultural Centre. Patiala
- ↑Hardial Thuhi, S. 155–159
- ↑Gibb Schreffler:Western Punjabi Song Forms: Māhīā and Ḍholā. (Memento vom 18. Januar 2016 imInternet Archive; PDF) In:Journal of Punjab Studies. University of California, Santa Barbara. Band 18, Nr. 1–2, 2011, S. 76, 83
- ↑11/11Aorha Chand & Anand Sahib. Dhadi Major Singh Khalsa. Baba Budha Ji. Youtube-Video (Sikh-Vortrag)
- ↑Michael Nijhawan, S. 361
- ↑Dilruba. Sikh Saaj
- ↑Joyce Pettigrew, S. 86
- ↑Michael Nijhawan, S. 366, 370, 372, 379, 385