NS-Staat
AlsNS-Staat (kurz fürnationalsozialistischer Staat) oderNS-Deutschland, auchNazi-Deutschland genannt, wird dasDeutsche Reich, ab 1943Großdeutsches Reich, in derZeit des Nationalsozialismus (1933–1945) bezeichnet, in dem dieDiktaturAdolf Hitlers, die von derNationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) gestützt wurde, an die Stelle der demokratisch verfasstenWeimarer Republik getreten war. Sein Verwaltungs- und Einflussgebiet erstreckte sich mit den von ihm besetzten und annektierten Regionen in Mitteleuropa weit über die eigentlichen Grenzen Deutschlands hinaus.
Dieser umgangssprachlich auchDrittes Reich genannte Staat war geprägt von einem absoluten Herrschaftsanspruch über das Individuum, einem radikalenAntisemitismus, einem ausgreifendenFührerkult und zunehmendemStaatsterror. Die Errichtung der Diktatur begann unmittelbar nach derErnennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933: Mit derVerordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 und demErmächtigungsgesetz vom 24. März 1933 wurden wesentliche Teile derWeimarer Reichsverfassung dauerhaft suspendiert, darunter dieGewaltenteilung, die parlamentarische Kontrolle der Regierung sowiegrundlegende Bürgerrechte. DerAusnahmezustand blieb bis zum Ende des NS-Staates bestehen.
Innerhalb weniger Monate schuf dasNS-Regime durch dieGleichschaltung von Politik und Gesellschaft einenzentralistischen Staat nach der Ideologie desNationalsozialismus. DieGewerkschaften und alle politischen Parteien außer der NSDAP wurden verboten. An die Stelle der früheren Staatsordnung mit ihren klar abgegrenzten Machtbefugnissen trat ein rivalisierendes Nebeneinander sich überschneidender Kompetenzen des Staates und der NSDAP, einePolykratie, in der Hitler stets die letzte Entscheidungsgewalt in Anspruch nahm. Mit Hilfe derGeheimen Staatspolizei (Gestapo) und Parteiorganisationen wieSA undSS verwandelte das Regime denRechtsstaat in einenPolizeistaat mitKonzentrations- und später auchVernichtungslagern.Holocaust undPorajmos – die systematischenGenozide anJuden sowieSinti und Roma –, die Verfolgung und ErmordungOppositioneller,Andersdenkender,Behinderter undHomosexueller wie auch dieNS-Krankenmorde forderten mehrere Millionen Menschenleben.
Als Hitler 1934 zusätzlich das Amt des Reichspräsidenten übernahm, fiel ihm auch dasBeamtenernennungsrecht zu, das er sich für das höhereBeamtentum persönlich vorbehielt. Bereits unmittelbar nach der sogenannten Machtergreifung hatte sich das Regime vom Prinzip des nur dem Gemeinwohl verpflichteten, unpolitischen Beamten abgewandt. Neben der fachlichen Qualifikation mussten Anwärter auf ein Amt nun auch ihre politische Zuverlässigkeit im Sinne des Nationalsozialismus nachweisen. In Feldern, die ihm besonders wichtig waren, setzte der DiktatorStaatskommissare ein, die allen Regierungs- und Verwaltungsstellen übergeordnet waren. Mit der Übernahme der Befehlsgewalt über dieWehrmacht 1938 sicherte Hitler sich auch die unmittelbare Führung des Militärs.
Der NS-Staat ging in dem von ihm selbst ausgelöstenZweiten Weltkrieg unter. DieAnti-Hitler-Koalition zwang die deutsche Wehrmacht am 8. Mai 1945 zurbedingungslosen Kapitulation. Am 5. Juni 1945 übernahmen die SiegermächteUSA,Großbritannien,Sowjetunion undFrankreich auch formell dieRegierungsgewalt in Deutschland.
In der politikwissenschaftlichen und historischen Forschung wurde und wird der NS-Staat unter anderem alsfaschistisch,totalitär,polykratisch,absolutistisch,modernisierend, alscharismatische Herrschaft und als Gefälligkeitsdiktatur beschrieben.
Leitvorstellungen nationalsozialistischer Staatsorganisation

Der Nationalsozialismus verstand sich als alle Bereiche vonStaat und Gesellschaft umgestaltende, revolutionäre Bewegung. Ziel war es, dieparlamentarische Demokratie durch die Diktatur der NSDAP als einzigerPartei – beziehungsweise durch die ihres Führers – und die grundsätzlich offene, bürgerliche Gesellschaft durch eine rassistisch definierteVolksgemeinschaft zu ersetzen.
Um den Staat im Sinne desFührerprinzips und einer spezifischen Vorstellung von Volksgemeinschaft umzugestalten, galt es, die individuellenBürgerrechte und die institutionalisierteGewaltenteilung zwischen Reichs- und Landesregierungen einerseits sowieLegislative,Exekutive undJudikative andererseits zu beseitigen. Eine „starke Zentralgewalt des Reiches“ gehörte bereits zum25-Punkte-Programm der NSDAP von 1920.
Nach innen sollte die Idee derVolksgemeinschaft Politik, Moral und Recht zu einem unauflösbaren Ganzen zusammenschweißen. Der keiner höheren Rechtsinstanz verpflichtete „Führerwille“ sollte – von den Parteigliederungen im vorauseilenden Gehorsam erahnt – eine neue nationalsozialistischeHerrschafts- undRegierungsform schaffen. An die Stelle der Verpflichtung der Staatsbeamten auf allgemeine Rechtsprinzipien trat die persönliche, durch „Führereide“ zu bekräftigende Verpflichtung. Zentraler Bestandteil der NS-Ideologie war dervölkische Nationalismus,Rassismus undAntisemitismus.Juden, aber auchSinti und Roma sowie weitere als „nicht-arisch“ definierte Bevölkerungsgruppen, konnten demnach nicht Teil der Volksgemeinschaft sein.
Gleichschaltung
Die Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur erfolgte in einer Geschwindigkeit, die Gegner und selbst Anhänger der NSDAP überraschte. Bereits am 1. Februar 1933 erwirkte Hitler von Reichspräsident Hindenburg die Auflösung des Reichstags und die Anberaumung vonNeuwahlen für den 5. März. So wurde das Parlament für die Zeit bis zur Wahl als Machtzentrum ausgeschaltet. Am 4. Februar erging dieVerordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes, die die Presse- und Versammlungsfreiheit so weit einschränkte, dass Hitlers Minderheitsregierung oppositionelle Parteien im Wahlkampf praktisch mundtot machen konnte.[3]
Ebenfalls schon im Februar leitete die Regierung Hitler Maßnahmen ein, umDemokratie undPluralismus zu beseitigen. Sie zielten darauf ab, konkurrierende Machtzentren in Reich, Ländern und Kommunen auszuschalten und das gesamte staatliche, gesellschaftliche und kulturelle Leben der Ideologie des Nationalsozialismus unterzuordnen. Dieser Prozess der Gleichschaltung betraf neben staatlichen Institutionen alle bedeutenden Organisationen, Verbände undpolitischen Parteien. Diese wurden entweder verboten oder ideologisch und organisatorisch auf die Linie der NSDAP gebracht.
Die sogenannteReichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933 setzte verfassungsmäßig verbürgteGrundrechte auf unbestimmte Zeit außer Kraft und begründete denAusnahmezustand. Die linken Oppositionsparteien wurden gewaltsam unterdrückt, wobei Einheiten vonSturmabteilung (SA) undSS in Preußen als „freiwillige Hilfspolizei“ (Erlass vom 22. Februar 1933) eingesetzt wurden. Bis Herbst 1933 wurden auf Grundlage der Reichstagsbrandverordnung mehr als 100.000 politische Gegner in „Schutzhaft“ genommen.[4] Mit demErmächtigungsgesetz wurde schließlich der staatsorganisatorische Teil derWeimarer Verfassung beiseite geschoben, indem die Gewaltenteilung aufgehoben und dieReichsregierung als vollwertiger Gesetzgeber mit der Autorität zuVerfassungsänderungen installiert wurde.[5] Zwar waren die einschlägigen Bestimmungen zur Gesetzgebungskompetenz von Reichstag undReichsrat in Kraft gelassen worden. Aber der Reichstag existierte lediglich als „Akklamationsinstanz“ Hitlers und seiner Regierung weiter.[6]
Das Ermächtigungsgesetz setzte neuesVerfassungsrecht ohne Rücksicht auf geltendes Recht, zwar in den Formen der Verfassungsänderung nach der Reichsverfassung, aber ohne von deren Befugnis gedeckt zu sein.[7] Es brach nicht nur mit der Verfassung, ohne sie außer Kraft zu setzen, sondern verabschiedete Form und Gestalt rechtsstaatlicher Verfassung gleich prinzipiell.[8] Die Weimarer Verfassung galt hiernach nicht mehr, auch nicht in den Teilen, die, formal gesehen, vom Ermächtigungsgesetz und der Reichstagsbrandverordnung nicht berührt worden waren. Wenn dennoch einzelne Verfassungsnormen nach 1933 angewendet wurden, dann ohne Begründung oder unter Berufung darauf, dass sie dem Willen des „Führers“, der auch oberster Gesetzgeber war, nicht widersprachen.[9] Die Weimarer Reichsverfassung war damit in ihrer rechtlichen Substanz faktisch ausgehöhlt. Auf der Grundlage des Ermächtigungsgesetzes konnte auch derFöderalismus in Deutschland aufgehoben werden.[10]
Zunächst wurden dieföderalen Strukturen der Weimarer Republik aufgehoben. Die beiden dazu erlassenen Gesetze schalteten sämtliche bis dahin gewählten Minister, Abgeordneten und höheren Staatsbeamten der Länder – vor allemSüddeutschlands – und die Senate derHansestädte aus. Das ersteGleichschaltungsgesetz vom 31. März 1933 löste die Landtage, Bürgerschaften, Kreistage und Gemeinderäte auf und ermächtigte die Landesregierungen, Gesetze auch gegen die Landesverfassungen zu erlassen. Die Selbstverwaltungskörperschaften mussten nach den Stimmverhältnissen der Reichstagswahl vom 5. März 1933 neu zusammengesetzt werden. Dadurch rückten Tausende NSDAP-Mitglieder auf freigewordene Posten nach. Das zweite Gleichschaltungsgesetz vom 7. April 1933 schuf in allen Ländern außerPreußen, in dem dies schon durch den „Preußenschlag“ 1932 geschehen war,Reichsstatthalter mit diktatorischen Vollmachten, die vom Reichspräsidenten ernannt werden durften, direkt demReichskanzler unterstellt und den Landesregierungen übergeordnet waren. Sie durften deren Mitglieder, sonstige Staatsbeamte und Richter ernennen und entlassen. Auch das Recht, Gesetze zu erlassen, wurde ihnen übertragen. Das Amt eines Staatspräsidenten, das einige Landesverfassungen verankerten, wurde für beendet erklärt. In der Praxis folgte ReichspräsidentPaul von Hindenburg bei der Besetzung der Reichsstatthalter fast überall Hitlers Vorschlägen aus alten Gefolgsleuten und NSDAP-Gauleitern.
Mit der Verfolgung derKPD ab dem 28. Februar infolge desReichstagsbrands, dem Verbot der SPD am 22. Juni und der Selbstauflösung der übrigen Parteien bis zumGesetz gegen die Neubildung von Parteien vom 14. Juli 1933 wurde die NSDAP zur einzigen und alleinherrschenden Partei des Reiches, was im Dezember 1933 mit demGesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat noch bekräftigt wurde. Damit war einEinparteiensystem errichtet und der als Kennzeichen des verhassten „Systems“ betrachteteParlamentarismus beseitigt. Um jede mögliche Opposition auszuschalten, zerschlug das NS-Regime unmittelbar nach demTag der nationalen Arbeit am 1. Mai 1933 alleGewerkschaften, beschlagnahmte ihr Vermögen und schaffte das Streikrecht ab. Alle Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände wurden am 10. Mai 1933 zwangsweise in derDeutschen Arbeitsfront (DAF) zusammengeschlossen, die ab 1934 der NSDAP unterstand.
DerReichstag hatte seine legislative und die Exekutive kontrollierende Funktion bereits mit der Zustimmung einerZweidrittelmehrheit zum Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933 aufgegeben. Er blieb als Institution formal bestehen, um für Hitlers Regierungserklärungen eineStaffage zu liefern und auch gegenüber dem Ausland einen demokratischen Schein zu bewahren. Er bestand nun zur Hälfte aus Parteimitgliedern, zur anderen Hälfte aus Vertretern von SA, SS und der Partei angeschlossenen Verbänden. Bis 1939 erließ er noch neun Gesetze, während die übrigen an die 5.000 Gesetze und Verordnungen von den Spitzen des NS-Regimes direkt erlassen wurden.
Mit demGesetz über den Neuaufbau des Reichs vom 30. Januar 1934 verloren die Länder ihre staatliche Souveränität, so dass in den bis 1935 anhaltenden Gleichschaltungsverordnungen die Justiz- und Verwaltungshoheit der Länder vollständig ausgehebelt wurde, bis diese den zuständigen Reichsministerien direkt unterstellt war. DerReichsrat, der als Ländervertretung in der Weimarer Verfassung ein Einspruchsrecht gegen alle Gesetzesvorlagen derReichsregierung hatte, wurde am 14. Februar 1934 aufgelöst.
Aufgehoben oder durch eine nationalsozialistische Verfassung ersetzt wurde die Weimarer Reichsverfassung gleichwohl nicht. Nachdem sie in wesentlichen Punkten materiell dauerhaft außer Kraft gesetzt war, musste sie das aber auch nicht mehr.[10] Nationalsozialistische Staatsrechtslehrer wieCarl Schmitt erklärten schon 1933, die Weimarer Verfassung habe zu gelten aufgehört. FürErnst Forsthoff war die Verfassungsfrage 1935 „erledigt“,[11] undErnst Rudolf Huber beschrieb die nationalsozialistische Machteroberung 1939 als „wirkliche Revolution“, welche „die Weimarer Verfassung als Gesamtsystem beseitigt“ und „zugleich die völkische Verfassung aufgerichtet“ habe.[12]
Oberste Reichsbehörden
Die in der NS-Ideologie proklamierte „Einheit von Volk und Staat“ führte zur Aufhebung der Gewaltenteilung; die obersten Regierungsämter erhielten sowohl legislative wie exekutive und judikativeKompetenzen. Als dasFührerprinzip in allen staatlichen Aufgabenbereichen und auf allen Staatsebenen wirksam wurde, ergab sich einerseits eine Zentralisierung der bisherigen Ressorts und Ämter, andererseits ihre oft wildwüchsige Vermehrung.
Die Überschneidung von Aufgaben zentralisierter und neugeschaffener Staatsbehörden sowie oberster Parteiämter mündete in eine Fülle von Kompetenzstreitigkeiten und Rivalitäten, die dann oftmals durch eine Entscheidung Hitlers autoritativ beendet werden mussten. In der Regel wurden im Ergebnis Verwaltungsbehörden mit Parteiämtern verschmolzen. Daraus entstand eine Reihe neuer „Oberster Reichsbehörden“.
Reichskanzlei
Am 30. Januar 1933 wurde der Vorsitzende der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), Adolf Hitler, zum neuenReichskanzler ernannt.Staatsoberhaupt war bis zu seinem Tod am 2. August 1934Reichspräsident von Hindenburg. Die Abschaffung des selbständigen Reichspräsidentenamtes hatte Hitler schon lange vorher beschlossen. Mit dem am 1. August 1934 ausgefertigtenGesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs ließ Hitler die Ämter des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers vereinigen und für sich den neuen TitelFührer und Reichskanzler einführen. In pseudo-demokratischer Manier wies er eineVolksabstimmung über das Gesetz an, die am 19. August abgehalten wurde. Das Gesetz markiert mit der Errichtung desFührerstaats den Abschluss der nationalsozialistischen Machtübernahme.[13] Die unkontrollierte Vereinigung allerStaatsgewalt in der Person Hitlers war vollendet.[14] Den Titel „Führer und Reichskanzler des Deutschen Reiches“ trug Hitler nach außen bis 1938, ab Januar 1939 ließ er sich nur noch „Führer“ nennen.
Hitlers Amtssitz war die Reichskanzlei in Berlin. Diese fungierte als Behörde zur Abwicklung der laufenden Regierungsgeschäfte und zugleich als Parteizentrale der NSDAP. Für die Regierungsgeschäfte zuständig war der StaatssekretärHans Heinrich Lammers, späterMartin Bormann. In unmittelbarer Nähe zu Hitlers privatem, zum Sperrgebiet erklärten Wohnsitz auf demObersalzberg wurde 1937 zudem dieReichskanzlei Dienststelle Berchtesgaden, die so genannteKleine Reichskanzlei, errichtet.
Zentrales Führungsorgan der NSDAP und für die Koordination von Reichskanzlei und Ministerien zuständig war derStab des Stellvertreters des Führers vonRudolf Heß, der im Rang eines Ministers dem Reichskabinett und demMinisterrat für die Reichsverteidigung angehörte. Zudem hatte er ein Mitspracherecht bei wichtigen Verordnungen der Reichsministerien und bei der Ernennung hoher Staatsbeamter. Ab 1941 wurde diese Stelle unter der BezeichnungParteikanzlei von Bormann weitergeführt. Die als „Privatkanzlei Adolf Hitlers“ 1934 geschaffeneKanzlei des Führers der NSDAP, die vonPhilipp Bouhler geleitet wurde und in der auch Martin Bormanns BruderAlbert Bormann tätig war, beschränkte sich bei Parteiangelegenheiten auf Gnadengesuche und Petitionen, steuerte aber auch die „Aktion T4“.

Am 12. Januar 1939 verlegte Hitler seinen Amtssitz in die vonAlbert Speer konzipierteNeue Reichskanzlei an der Voßstraße in Berlin.
Reichsregierung
Die imKabinett Hitler fortbestehende Reichsregierung bestand aus 12 bis 15 Reichsministern mit und ohne Geschäftsbereich und weiteren Spitzenbeamten des NS-Staates. Unter dem Vorsitz des Reichskanzlers war sie hauptsächlich damit beschäftigt, Gesetzentwürfe zu beraten und zu beschließen. Hitler hielt jedoch nur bis zur Konsolidierung seiner Machtstellung und -funktionen regelmäßige Kabinettssitzungen ab. Ab 1935 tagte das Kabinett nur noch unregelmäßig und immer seltener. Es verabschiedete dann im Eilverfahren reihenweise neue Gesetze, ohne diese zu diskutieren. Die letzte gemeinsame Sitzung fand am 5. Februar 1938 statt.
Indem immer mehr Kompetenzen an den Regierungschef delegiert bzw. von diesem an sich gezogen wurden, wurden Minister zunehmend zu Befehlsempfängern. Hitler regierte unmittelbar mit Verordnungen. Damit verlor das Kabinett seine gesetzgeberische Rolle und zerfiel schließlich während des Krieges in Teilressorts, die sich nur noch partiell untereinander abstimmten.
Nach dem Tod Hitlers bildete der frühereReichsfinanzministerJohann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk im Auftrag von GroßadmiralKarl Dönitz, den Hitler zu seinem Nachfolger alsReichspräsident bestimmt hatte, einegeschäftsführende Regierung. Sie versuchte, Verhandlungen mit den Alliierten über eine Verwaltung Deutschlands aufzunehmen, wurde aber von diesen am 23. Mai 1945 abgesetzt und verhaftet. Bis zur Übernahme der obersten Staatsgewalt in Deutschland durch Großbritannien, die USA, die Sowjetunion und Frankreich, die am 5. Juni 1945 in derBerliner Erklärung und in begleitenden Deklarationen verkündet wurde,[15] existierte keine zentrale Regierung Deutschlands mehr. DerAlliierte Kontrollrat, der diese Funktion übernehmen sollte, verfügte über keine eigene Exekutive und war für die Umsetzung seiner Beschlüsse auf dieMilitärregierungen in den Besatzungszonen angewiesen.
Reichsministerien
AlsReichsministerium wurden ab 1933 folgende Behörden bezeichnet:
- Reichsarbeitsministerium
- Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft
- Reichsfinanzministerium
- Reichsjustizministerium
- Reichspostministerium
- Reichsverkehrsministerium
- Reichswirtschaftsministerium
- Reichsministerium des Auswärtigen (seit 1919 übliche Langbezeichnung neben dem weiterhin verwendeten Namen „Auswärtiges Amt“)
- Reichsministerium des Innern
- Reichskriegsministerium (zuvorReichswehrministerium; am 4. Februar 1938 beseitigt)
Dabei veränderte das NS-Regime Zuschnitt und reale Kompetenzen der einzelnen Ministerien teilweise erheblich. Ab 1933 wurden folgende Ressorts neu eingerichtet:
- Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda
- Reichsluftfahrtministerium
- Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung
- Reichsministerium für die kirchlichen Angelegenheiten
- Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete
- Reichsministerium für Bewaffnung und Munition (ab September 1942:Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion)

Weitere Reichsbehörden und Spitzenämter
Zu den obersten Reichsbehörden und Spitzenämtern, die keinem Reichsministerium, aber direkt der Reichskanzlei unterstellt waren oder wurden, zählten:
- die Dienststelle Stellvertreter des Führers (Parteikanzlei, ab Juni 1933)
- dieReichsgerichte
- derRechnungshof des Deutschen Reiches
- derReichsbauernführer (Richard Walther Darré, später inPersonalunion mit dem Ernährungsminister)
- dasReichsforstamt (Hermann Göring, Personalunion mit dem Amt desReichsjägermeisters)
- dasReichsamt für Wirtschaftsausbau
- die Reichsstelle für Wohnungs- und Siedlungswesen (1939–1940)
- der Reichskommissar für sozialen Wohnungsbau (Reichsorganisationsleiter der NSDAP,Robert Ley, ernannt am 15. November 1940)
- der Generalinspekteur für das deutsche Straßenwesen (Fritz Todt, ab November 1933)
- derGeneralbauinspektor für die Reichshauptstadt (Albert Speer, ab Januar 1937)
- dasRasse- und Siedlungshauptamt
- dasReichsamt für Wetterdienst (Februar 1933 bis November 1934:Reichsamt für Flugsicherung)
- dasStatistische Reichsamt (bis 1940)
- dasReichsversicherungsamt (bis 1944)
- dieReichsversicherungsanstalt für Angestellte (bis 1935)
- dasReichsaufsichtsamt für das Versicherungswesen (bis Juni 1943:Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung)
- dasReichsgesundheitsamt (bis 1938)
- dieReichsanstalt für Vitaminprüfung und Vitaminforschung (ab 1941/42)
- dieReichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (Präsident bis Ende 1938:Friedrich Syrup, ab Januar 1939 Staatssekretär unter dem Reichsarbeitsminister)
- derReichsarbeitsdienst (Konstantin Hierl, von 1935 bis 1943; danach Teil des Innenministeriums)
- der Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft (1935; später für Kriegswirtschaft)
- der Chef des Technischen Amtes des Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion, HauptdienststellenleiterKarl-Otto Saur (1945testamentarisch Rüstungsministerin spe)
- dieReichsstelle für Raumordnung (1935)
- dasReichsamt für Landesaufnahme
- derReichswohnungskommissar (1942–1945)
- dasReichspatentamt
- dieReichsjugendführung (Baldur von Schirach, ab 1936)
- derReichskommissar für Preisbildung (Carl Friedrich Goerdeler, ab November 1936)
- derReichssportführer (ab 1936)
- der Beauftragte für den Vierjahresplan (StaatssekretärErich Neumann, ab 1936)
- derReichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei (Chef der Sicherheitspolizei und des SD;Heinrich Himmler, ab 1936)
- derGeneralgouverneur (Hans Frank, ab 1941 auch dessen ständiger Stellvertreter StaatssekretärJosef Bühler)
- der Generalbevollmächtigte für die Reichsverwaltung (ab 1938)
- derMinisterrat für die Reichsverteidigung bzw. Geheime Kabinettsrat (ab 1938)
- dieReichsbank (ab Juni 1939)
- dieReichshauptkasse (bis 1939)
- dieReichsschuldenverwaltung (bis 1938)
- dieReichsdruckerei
- derReichsprotektor in Böhmen und Mähren (ab März 1939)
- derReichsarbeitsführer (Konstantin Hierl, ab 1943)
- derGeneralbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz (Fritz Sauckel, ab März 1943)
- derReichsbevollmächtigte für den totalen Kriegseinsatz (Joseph Goebbels, ab Juli 1944)
Innere Verwaltung und Justiz
Beamtenschaft
Ein Großteil der Beamtenschaft zu Zeiten der Weimarer Republik stammte noch aus der Kaiserzeit und blieb antidemokratisch eingestellt. In Preußen waren schon ab 1930 überdurchschnittlich viele Beamte in die NSDAP eingetreten, obwohl das Beamtengesetz ihnen politische Betätigung für diese Partei – ebenso wie für die KPD – verbot.
Beim Machtantritt Hitlers blieben die meisten Beamten passiv; erst nach derReichstagswahl vom März 1933 kam es zu einer Welle von Aufnahmeanträgen in die NSDAP. DerReichsbund der Deutschen Beamten rief seine Mitglieder dazu auf, sich der „nationalen Revolution“ anzuschließen. Proteste der Altkader in der NSDAP führten jedoch dazu, dass die als „Märzgefallene“ verhöhnten Neubewerber einen untergeordneten Mitgliedsstatus erhielten und schließlich Neuaufnahmen ganz gestoppt wurden.
Zugleich entließ die neue Reichsregierung von Anfang an möglichst viele missliebige Spitzenbeamte, bei denen man politische Unzuverlässigkeit annahm. Besonders in Preußen entließ Göring viele Ober- und Regierungspräsidenten, Landräte und Polizeipräsidenten. Bis 1941 wurden dort 354 von 365 Landratsstellen mit NSDAP-Mitgliedern besetzt, darunter 201 „alte Kämpfer“. In den Kommunen vertrieb die SA oft ohne gesetzliche Grundlagen Beamte aus ihren Ämtern. Hinzu kam am 7. April 1933 dasGesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, das Angehörige von Linksparteien undJuden ausschließen sollte, dessen Wirkung jedoch durch das von Hindenburg eingeführte „Frontkämpferprivileg“ zunächst eingeschränkt blieb.
Dennoch ließ das NS-Regime den Beamtenapparat insgesamt weitgehend unangetastet. Die NSDAP verfügte zudem nicht über genügend qualifizierte Funktionsträger, die in freigemachte Stellen hätten nachrücken können. Diese wurden vielfach weiterhin nach Befähigung und nicht vorrangig aufgrund politischer Linientreue besetzt. NSDAP-Mitglieder blieben in manchen Verwaltungsbereichen und Ressorts in der Minderheit, zum Beispiel im Reichsarbeitsministerium und im Innenministerium. So ließ das NS-Regime die vorhandene Bürokratie in der Phase derMachtübernahme vorläufig bestehen, um sie erst nach der Machtkonsolidierung in weiten Bereichen zu entmachten. Unter anderem schuf man eine Vielzahl neuer Reichsbehörden, um bestehende Verwaltungseinrichtungen zu „überwölben“. Infolgedessen kam es nach 1933 zu widersprüchlichen, mitunter lähmenden Entwicklungen in Staatsaufbau und Staatsverwaltung.[16] DiesePolykratie, das heißt, die Konkurrenz unterschiedlicher Institutionen mit sich teilweise überschneidenden Kompetenzen, widersprach zwar der eigenen Ideologie einesstarken Staates, weil sie dessen Handeln oft ineffizient machte, aber sie war durchaus gewollt, da konkurrierende Machtebenen die letztgültige Entscheidung stets dem Diktator an der Spitze überlassen mussten.[17]
Auf der Führungsebene wurde dasDeutsche Beamtengesetz vom 26. Januar 1937 entworfen, das auf Weimarer Reformansätzen beruhte und 1953 durch dasBundesbeamtengesetz aufgehoben und ersetzt wurde. Es legte traditionelle Pflichten, Rechte und formale Dienstwege für die Beamten fest, um so politische Einflussnahme, Willkür und Korruption auch für NSDAP-Mitglieder einzuschränken, wobei dennoch ein „vonnationalsozialistischer Weltanschauung durchdrungenesBerufsbeamtentum, das dem Führer des Deutschen Reichs und Volkes, Adolf Hitler, in Treue verbunden ist“, lautPräambel zum „Grundpfeiler des nationalsozialistischen Staates“ werden sollte. Das Gesetz konnte gegen Widerstände aus der NSDAP und Vorbehalte Hitlers, der sich verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht unterordnen wollte, in Kraft treten.
In der Folgezeit beschnitt das NS-Regime das Eigengewicht der Bürokratie immer stärker. Bei Neubesetzungen kommunaler Ämter hatten die NSDAP-Gauleiter ein Vorschlagsrecht, bei Reichsbehörden hatte die Parteikanzlei ein Widerspruchsrecht. Dieses wurde zur regelmäßigen „politischen Beurteilung“ von Amtskandidaten genutzt, was die Anpassung der Beamten an das Regime begünstigte und vertiefte. Mit einemFührereid wurden u. a. Hochschulprofessoren zu einem Loyalitätsbekenntnis zu Hitler gezwungen; wer ihn verweigerte, verlor in der Regel sein Amt. Zusätzlich richtete die NSDAP in vielen Bereichen konkurrierende Verwaltungs- und Vollzugsorgane ein. Bei der Personalpolitik löste Martin Bormann den eher moderaten Rudolf Heß ab und setzte allmählich eine neue Generation von Hitler ergebenen und zugleich fachkompetenten NS-Spitzenbeamten durch.
Am 26. April 1942 beanspruchte Hitler im Reichstag das persönliche Recht, jeden Staatsbediensteten zum Rücktritt zu zwingen oder zu entlassen, der aus seiner Sicht seine Pflichten verletzte (→ Beschluss des Großdeutschen Reichstags vom 26. April 1942). Dieses Recht nahm er vor allem nach dem20. Juli 1944 für großflächige „Säuberungen“ auch in der Beamtenschaft in Anspruch. Damit verloren die deutschnationalen Beamten, die anfangs eine wesentliche Stütze für Hitlers Machtkonsolidierung gewesen waren, in der NS-Zeit endgültig ihre gestaltenden Einflussmöglichkeiten.[18]
Sicherheitsapparat
Hitler hatte Hermann Göring im Januar 1933 zumReichskommissar für das preußische Innenministerium ernannt. Göring nutzte dies umgehend, um die preußische Polizei zur Machtsäule des NS-Regimes umzubauen. Im Februar 1933 stellte er aus SA- und SS-Truppen eine 50.000 Mann starkeHilfspolizei auf, die dann auch in den Ländern eingeführt wurde. Ende April 1933 gründete er zudem einGeheimes Staatspolizeiamt für Preußen mit der Aufgabe, „alle staatsgefährlichen politischen Bestrebungen im gesamten Staatsgebiet zu erforschen“. Daraus entstand dieGeheime Staatspolizei (Gestapo). Diese blieb wegen einer relativ geringen Personaldecke jedoch auf Mithilfe der Bevölkerung angewiesen. Die NS-Propaganda rief dieDeutschen zurDenunziation missliebiger Nachbarn, Kollegen o. ä. auf, was vielfach auf fruchtbaren Boden fiel. Die breite Denunziationsbereitschaft der Bevölkerung stellte daher die wichtigste Quelle von Informationen der Gestapo dar, die dann durch sogenannte „verschärfte Verhöre“, alsoFolter von Verdächtigen, erweitert wurden.[19] Weil die Bevölkerung des NS-Staates mehrheitlich die Ziele Hitlers teilte, spricht man in der Forschung von einer „Selbstüberwachung“.[20]
Heinrich Himmler führte ab 1929 dieSS, die bis zum sogenanntenRöhm-Putsch von Ende Juni/Anfang Juli 1934 der SA unterstellt war. Er brachte bis 1934 diePolitische Polizei und dieKonzentrationslager im gesamten Reich unter die Kontrolle der SS. PerErlass vom 17. Juni 1936 wurde er alsReichsführer SS auch zumChef derDeutschen Polizei im Reichsministerium des Innern ernannt und leitete somit beide Organisationen in Personalunion. 1937 wurde diese Verklammerung durch dieHöheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) durchgängig auch institutionell verankert. Ihre Funktion bestand darin, einerseits die dem Chef der Polizei, andererseits die dem Reichsführer SS unterstellten Kräfte einheitlich zu führen.[21]
Himmler baute die SS fortan systematisch und erfolgreich zur Schaltzentrale und zum „Gehirn“ des NS-Systems aus. Ziel der Machtkonzentration war der Aufbau einer parallelen, auf Überwachung ausgerichteten Machtelite als „Staat im Staate“ mit starker Bindung an den „Führer“, die später überall die Führungsschicht des deutschen Großreichs bilden sollte. Als zentrale Leitungsbehörde zur Lenkung der bisher staatlichen Polizei und des parteieigenen Sicherheitsapparats wurde 1938 dasReichssicherheitshauptamt (RSHA) unterReinhard Heydrich, später unterErnst Kaltenbrunner gegründet. Es entstand aus der Zusammenlegung vonSicherheitspolizei (SiPo) undSicherheitsdienst (SD). Dem RSHA unterstanden auch die Gestapo unterHeinrich Müller und ab Kriegsbeginn dieEinsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD. Das RSHA war zentral an der Planung und Durchführung der Judenverfolgung und desHolocaust sowie an der nationalsozialistischenUmvolkungs- und Rassenpolitik beteiligt.
In den besetzten Gebieten trat die SS teilweise in Konkurrenz zu den zivilen und militärischen Verwaltungen.
Justiz

Wie für den Verwaltungsapparat besaß die NSDAP auch für die von ihr angestrebteRechtsordnung kein klares Konzept. Das 25-Punkte-Programm hatte in Punkt 19 ein nicht näher definiertes „deutsches Gemeinrecht“ als „Ersatz für das der materialistischen Weltanschauung dienende römische Recht“ gefordert. Darunter verstand die NSDAP vor allem die Unterordnung der individuellen Bürgerrechte unter das angebliche Gesamtinteresse der „Volksgemeinschaft“:Recht ist, was dem Volke nützt. Als oberste Rechtsgüter wurden unklar definierte Begriffe wie Rasse, Erbgut, Ehre, Treue, Wehrhaftigkeit, Arbeitskraft, Zucht und Ordnung propagiert.
Diesen Vorstellungen entsprechend verstießen schon einige der ersten Maßnahmen des NS-Regimes gegen grundlegende Prinzipien desRechtsstaats wie die Gleichheit allerStaatsbürger vor dem Gesetz, Gewaltenteilung undnulla poena sine lege: so die „Reichstagsbrandverordnung“, das „Heimtückegesetz“ und das „Gesetz über Verhängung und Vollzug derTodesstrafe“ (Lex van der Lubbe). DasGesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 7. April 1933 zielte auf die Ausschaltung jüdischer Rechtsanwälte, doch aufgrund der von Reichspräsident Hindenburg geforderten Ausnahmeregelung („Frontkämpferprivileg“) konnte ein von denAntisemiten unvorhergesehen großer Teil der jüdischen Anwälte ihren Beruf bis 1938 weiter ausüben. Hitlers Mordbefehle und ihre Ausführung beim angeblichenRöhm-Putsch vom 30. Juni bis 3. Juli 1934 wurden nachträglich legalisiert. Damit wurden der Wille und die ausführende Gewalt des Führers dem kodifizierten Recht und Gesetz übergeordnet.
Die Gleichschaltungsgesetze und -maßnahmen hoben bis Januar 1935 auch die Justizhoheit der Länder auf. Das Reichsjustizministerium wurde dadurch zur obersten Aufsichtsbehörde über alle Gerichte, Strafvollzugsanstalten und deren Personal. Eine einheitliche Justizausbildungsverordnung sollte die Loyalität der Absolventen gegenüber dem Führerstaat gewährleisten: Sie sah fürReferendare eine zweimonatige ideologische Schulung imGemeinschaftslager „Hanns Kerrl“ und die mündliche Prüfung des Fachs „Volks- und Staatskunde im weitesten Sinn“ vor.
Andererseits wurden die meisten seit dem 18. Jahrhundert entstandenen Justizbehörden beibehalten. Von den Richtern, die bis 1933 nur selten NSDAP-Mitglieder waren, wurden nur etwa 600 entlassen. Die Spitzenpositionen des Reichsjustizministers und desReichsgerichtspräsidenten wurden deutschnationalen Vertretern überlassen und nicht neu besetzt. Dagegen betraf das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vor allem „nichtarische“ und politisch missliebige Rechtsanwälte. Alle Anwälte mussten sich in derReichsrechtsanwaltskammer und derReichsnotarkammer registrieren lassen, die ihre Zulassung regelte und politische Zuverlässigkeit überwachte. Später mussten alle Richter einen persönlichen Treueeid auf den „Führer und Reichskanzler“ Adolf Hitler ablegen, der ab 30. Juni 1934 auch der „oberste Gerichtsherr des deutschen Volkes“ zu sein beanspruchte. Frauen wurden ab 1935 nicht mehr als Richterinnen, Staats- und Rechtsanwälte zugelassen.

Neben dem traditionellen Gerichtswesen wurde für immer mehr Bereiche eine Sonder- und Standesgerichtsbarkeit aufgebaut. Nur für „Artgleiche“ galt annähernd gleiches Recht, für zu „Artfremden“ erklärte Bevölkerungsgruppen dagegen wurde Sonderrecht eingeführt: so für die „Asozialen“,Juden und „Fremdvölkischen“, vor allem Polen undRussen. Juden durften nur noch als „Konsulenten“ für andere Juden vor Gericht erscheinen. FürPolen undJuden im vomDeutschen Reich besetzten Polen galt ab Dezember 1941 diePolenstrafrechtsverordnung.
Schon ab Juli 1933 wurden allen AmtsgerichtenErbgesundheitsgerichte angegliedert, die u. a. dasGesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses mit Gesundheitszeugnissen durchführen sollten. Endgültig entscheidendes Rechtsmittelgericht war das bei denOberlandesgerichten zu bildende Erbgesundheitsobergericht. Imbürgerlichen Recht wurden Eheverbote auseugenischen Gründen ermöglicht. Bei rassischen „Mischehen“ wurde dieEhescheidung erleichtert und die Fortpflanzung verboten. Den Versuch, Unfruchtbarkeit als Scheidungsgrund zu legalisieren, verhinderte die katholische Kirche. Zugleich wurden unverheiratete Mütter und uneheliche Kinder rechtlich besser gestellt; „arische“ Frauen durften ab 1941 sogar gefallene Soldaten nachträglich heiraten.
DieSondergerichte für politische Delikte und der neu geschaffeneVolksgerichtshof blieben zwar dem Justizministerium unterstellt, aber für dort durchgeführte Verfahren gab es keineRevisionsinstanzen. Neben sie traten ab Mai 1933 selbständige Kriegsgerichte, die ab 1936 dem neu eingerichtetenReichskriegsgericht unterstellt waren. Diese durften unter bestimmten Bedingungen auch Zivilisten verurteilen. Seit Kriegsbeginn entfielen auch dort Instanzenwege und Berufungsmöglichkeiten; die Urteile wurden nur von den jeweiligen Militärbefehlshabern bestätigt oder zur Neuverhandlung – fast immer mit dem Ziel einer Strafverschärfung – angewiesen.
Himmler schuf nach dem „Röhm-Putsch“ 1934 für die SS ein eigenesEhrengericht, aus dem sich ab Oktober 1939 eine besondere SS- und Polizeigerichtsbarkeit unter demHauptamt SS-Gericht entwickelte. Dessen Gerichtsherr war er selbst. Das neu geschaffeneReichsverwaltungsgericht unterstand dem Reichsinnenministerium, durfte aber keine politisch veranlassten Willkürakte vor allem der Polizei überprüfen. Sämtliche Gewaltakte der SA, Gestapo und SS blieben so der Strafverfolgung unabhängiger Gerichte entzogen. In präventive „Schutzhaft“ genommene Strafgefangene waren entrechtet.
In der Strafjustiz wurden die Kriterien für Straftatbestände immer mehr von eindeutigen Tatmerkmalen auf dieGesinnung eines mutmaßlichen Täters verlagert. Den Richtern wurde dabei ein viel größerer Ermessensspielraum als bisher zugestanden. Diese Aufweichung zielte praktisch auf Strafverschärfung. Zugleich wurden viele Straftatbestände direkt mit höheren Strafen belegt, einige neu geschaffen. Die 1941 geänderten, amTäterstrafrecht orientiertenMordmerkmale wurden dennoch nach 1945 unverändert imStrafgesetzbuch beibehalten.

Der Grundsatznulla poena sine lege wurde nach punktueller Missachtung ganz aufgegeben. So erließ Hitler nach zwei Einzelfällen im Juni 1938 rückwirkend neue Strafen und Gesetze für diese und analoge Taten: Er verlangte z. B. die Todesstrafe für einen im Vorjahr begangenen erpresserischen Kindesraub und für das vorsätzliche Stellen einer „Autofalle“ (Lex Götze), die nicht näher definiert wurde. Nachdem das Reichsgericht die Angeklagten in einem Fall von „Elektrizitätsdiebstahl“ und einem Fall von „Fernsprechautomatenbetrug“ freigesprochen hatte, wurde auch dasAnalogieverbot im Strafrecht aufgehoben. Richter durften nun nicht ausdrücklich strafbare Taten nach ihnen vergleichbar erscheinenden Straftatbeständen „in Übereinstimmung mit dem völkischen Rechtsempfinden“ verurteilen.
Die Todesstrafe, die 1933 für drei Tatbestände vorgesehen war, wurde auf zuletzt 46 Tatbestände ausgedehnt und vor allem im Krieg exzessiv angewandt. DieKriegsgerichte bezogen Tatbestände wie „Wehrkraftzersetzung“ auch auf subjektive Einstellungen; alsKriegswirtschaftsverbrechen galten immer geringfügigere Vergehen. Die 5. Verordnung zum Kriegssonderstrafrecht vom 5. Mai 1940 erlaubte den Sonderrichtern schließlich, für jede Straftat jede Strafe bis einschließlich der Todesstrafe zu verhängen, wenn der nach Gesetzestext vorgesehene Strafrahmen „nach gesundem Volksempfinden“ für eineSühne nicht ausreiche. Infolge dieser Rechtswillkür fällten die zivilen Sondergerichte rund 16.000 Todesurteile, 15.000 davon ab 1941; die Kriegsgerichte fällten rund 30.000 Todesurteile, davon etwa 23.000 wegenFahnenflucht.[22]
1942 begann das NS-Regime, dieRechtsprechung zusätzlich durch regelmäßigeRichterbriefe und analogeRechtsanwaltsbriefe zu lenken. Zudem ermächtigte Hitler den Reichsjustizminister, alle ihm erforderlich erscheinenden, auch vom bisherigen Recht abweichenden Maßnahmen zum Aufbau einer „nationalsozialistischen Rechtspflege“ zu treffen. Gewöhnliche Landes- und Oberlandesgerichte waren jedoch schon ab 1933 Teil des staatlichen Verfolgungsapparates geworden, indem sie viele Fälle von Regimekritik, Oppositionsverhalten, „Rundfunkverbrechen“ und „Rassenschande“ verurteilten.
In einer Reichstagsrede im Frühjahr 1942 beschwerte sich Hitler über angeblich zu milde Urteile der Justiz. Die Gestapo wurde daraufhin bei politischen oder gewöhnlichen, aber politisierten Delikten faktisch zur Revisionsinstanz und durfte bereits Verurteilte, die ihre Strafe verbüßt hatten, nach eigenem Ermessen erneut festnehmen, wobei Folterungen mit Todesfolge in der Regel strafrechtlich nicht geahndet wurden. Die „Fremdarbeiter“ verfolgte und bestrafte sie direkt ohne Gesetzesgrundlage, Anzeige, Gerichtsverfahren und Urteil.[23]
Weitere Gerichte und Gerichtshöfe:
Militär

Seit seinem Machtantritt setzte Hitler die unter seinen Vorgängern begonnene, zunächst noch geheimgehalteneAufrüstung der durch den Versailler Vertrag begrenztenReichswehr energisch fort, die er als zweite Säule des nationalsozialistischen Staates neben der Partei betrachtete. Die immer deutlicher werdende Rivalität zwischen Reichswehr undSA ließ er im Juni 1934 durch die als Niederschlagung des Röhm-Putschs getarnte Entmachtung der SA-Führung beenden, die Reichswehr wurde zum alleinigen Waffenträger der Nation erklärt. Nachdem er sich mit Hilfe des am 1. August 1934 erlassenen „Gesetzes über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches“ zum Nachfolger des einen Tag später verstorbenen Reichspräsidenten Hindenburg hatte erklären lassen, übernahm er Kraft der Weimarer Verfassung den politischen Oberbefehl über die Reichswehr. Der Reichswehrminister und militärische OberbefehlshaberWerner von Blomberg ließ in der Folge die Streitkräfte persönlich auf Hitler vereidigen. Ebenfalls 1934 begann der Aufbau derSS-Verfügungstruppe, aus der später dieWaffen-SS hervorgehen sollte.
Bereits im Oktober 1933 hatte Hitler den Austritt Deutschlands aus demVölkerbund unter gleichzeitigem Rückzug von derGenfer Abrüstungskonferenz verkündet, auf der Deutschland von den anderen europäischen Mächten noch eine Rüstungsparität angeboten worden war. Am 16. März 1935 verkündete das Deutsche Reich mit dem „Gesetz für den Aufbau der Wehrmacht“ die Wiedererlangung derWehrhoheit, die Wiedereinführung derallgemeinen Wehrpflicht und das Ziel des Aufbaus einesHeeres von 550.000 Mann. Von nun ab wurde die Armee nur noch als „Wehrmacht“ bezeichnet, dieReichsmarine wurde wenig später in „Kriegsmarine“ umbenannt. Bereits am 11. März hatte Reichsluftfahrtminister Göring die Existenz einer deutschenLuftwaffe bekanntgegeben. Von den anderen Mächten wurden diese eklatanten Verletzungen des Versailler Vertrags weitgehend hingenommen, so schloss Großbritannien im Juni 1935 dasdeutsch-britische Flottenabkommen ab, das Deutschland eine Aufrüstung der Kriegsmarine auf 35 % derRoyal Navy erlaubte. Im März 1936 führten deutsche Truppen unter Bruch derVerträge von Locarno dieWiederbesetzung des Rheinlands durch. Kurz darauf wurde mit der Einführung desVierjahresplanes die Herstellung der Kriegsfähigkeit des Landes und der Wehrmacht binnen vier Jahren beschlossen. Im gleichen Jahr griffen deutsche Freiwillige derLegion Condor erstmals auf Seiten der spanischen Nationalisten in denSpanischen Bürgerkrieg ein.
Im Zuge derBlomberg-Fritsch-Krise setzte Hitler am 4. Februar 1938 Reichswehrminister Blomberg und den Oberbefehlshaber des HeeresFritsch ab, löste das Kriegsministerium auf und übernahm auch den operativen Oberbefehl über das neugebildeteOberkommando der Wehrmacht (OKW), das sein persönlicher Generalstab wurde. Es war in der Spitzengliederung wie folgt besetzt:
- Oberkommando der Wehrmacht – Chef:Wilhelm Keitel (1938–1945)
- Wehrmachtführungsamt (ab 1940 Wehrmachtführungsstab) – Chef:Alfred Jodl (1938–1945)
- AmtsgruppeAllgemeines Wehrmachtamt – Chef:Hermann Reinecke (1939–1945)
- Amtsgruppe Ausland/Abwehr
- Wehrmacht-Zentralabteilung
- Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt
- Justizdienststelle beim Chef OKW

Die bereits zuvor bestehenden Oberkommandos der Teilstreitkräfte waren dem OKW weisungsgebunden, wahrten aber mit ihren angeschlossenen Stäben eine teilweise Selbständigkeit. Die Oberbefehlshaber und deren Stabschefs waren:
Oberkommando des Heeres | Oberkommando der Marine | Oberkommando der Luftwaffe |
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Auf die Einrichtung des OKW folgten derAnschluss Österreichs und desSudetenlandes (1938), die Einverleibung der„Rest-Tschechei“ (1939) und schließlich die Entfesselung desZweiten Weltkriegs durch denÜberfall auf Polen.
Bevölkerung

EinerVolkszählung zufolge lebten 1939 auf dem deutschen Reichsgebiet 79.375.281 Menschen, einschließlich der Mitarbeiter vonReichsarbeitsdienst (RAD) und Militär. Darunter fielen 38.761.645 (48,83 %) Männer und 40.613.636 (51,17 %) Frauen. Davon lebten in Großstädten 24.187.422 (30,47 %), in Gemeinden von 2.000 bis unter 100.000 Einwohnern 29.875.968 (37,64 %) und in Gemeinden von unter 2.000 Einwohnern 25.311.877 (31,89 %) Menschen. Das ehemalige Gebiet Preußens mit seinen zahlreichen Provinzen machte dabei den bei Weitem größten Bevölkerungsraum aus (40.941.155 Einwohner bzw. 51,58 %). Auf das zu diesem Zeitpunkt bereits „angeschlossene“ Österreich entfielen 6.881.457 Personen (8,67 %).
Wirtschaft
Territorium
Länder des „Altreichs“



Das 1871 gegründete Kaiserreich war einBundesstaat aus 22monarchischen Staaten, dreirepublikanischenStadtstaaten und demReichsland Elsaß-Lothringen gewesen. In der Weimarer Republik bestand das Deutsche Reich aus18 Ländern. Der NS-Staat behielt die Gliederung in Länder zwar bei, reduzierte deren Aufgaben jedoch auf die ausführenderOrgane der zentralen Reichsministerien und -behörden. Den Ministerpräsidenten der Länder wurdenReichsstatthalter übergeordnet. Neben die Länder traten dieGaue der NSDAP als konkurrierende Einheiten.
DerFreistaat Preußen blieb auch in der NS-Zeit das größte Land des Reiches. Seine Verwaltungsstrukturen waren aber schon 1932 durch denPreußenschlag der Regierung Papen stark geschwächt worden. Mit der Gleichschaltung Preußens verloren seine zentralen Institutionen 1933 weiter an Bedeutung und traten gegenüber denen der Reichsregierung und Oberpräsidien derpreußischen Provinzen in den Hintergrund. In manchen Provinzen wurde das Amt desOberpräsidenten vom jeweiligenNSDAP-Gauleiter bekleidet, wie etwa inOstpreußen vonErich Koch. Der Reichsstatthalter von Preußen war Hitler selbst, der jedoch seine diesbezüglichenBefugnisse an den preußischen MinisterpräsidentenHermann Göring übertrug.
Weitere Länder mit eigenem Reichsstatthalter waren:
Länder, die mit anderen von einem gemeinsamen Reichsstatthalter regiert wurden, waren:
- Anhalt undBraunschweig
- Bremen undOldenburg
- Lippe undSchaumburg-Lippe
- Lübeck (1937 Preußen angegliedert) undMecklenburg (ab 1934 aus Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz)
Vergrößerung des Reichsgebiets
Bereits vor 1939 erweiterte das NS-Regime das Reichsgebiet schrittweise durch die Eingliederung desSaargebiets (1935), Österreichs und des Sudetenlandes 1938. Dort wurden im FolgejahrReichsgaue unter einem oder mehrerenReichsstatthaltern gebildet, die später auch im übrigen Reich eingerichtet werden sollten. Bis auf die Angliederung des Saargebiets erfolgten alle territorialen Zugewinne unter Gewaltandrohung.[24]
Mit derZerschlagung der Tschechoslowakei im März 1939 dehnte sich das Reich erstmals auf Territorien aus, die mehrheitlich nicht vonDeutschen besiedelt waren. Damit verlor es seinen Charakter alsNationalstaat.[25] Das Reichsgebiet umfasste seit 1939 dasProtektorat Böhmen und Mähren, die erobertenCdZ-Gebiete waren als „Gebiete des Großdeutschen Reiches“ vorgesehen. Nach Auskunft des GeneralgouverneursHans Frank hatte Hitler wohl schon im Herbst 1939 beschlossen, auch dasGeneralgouvernement, in welchem er ein Landarbeiterreservat für das Reich sah, zu einem Teil des Großdeutschen Reiches zu machen. Allerdings, so vermutet der HistorikerMartin Broszat, wollte Hitler den Rechtsstatus zugleich ungeklärt lassen, um das Generalgouvernement außerhalb völkerrechtlicher und reichsrechtlicher Verbindlichkeiten zu belassen. Hitler akzeptierte im Sommer 1940 die von Frank entwickelte Theorie vom „Nebenland des Reiches“. Bei der amtlichen Bezeichnung des Generalgouvernements wurde zwar der Zusatz „für die besetzten polnischen Gebiete“ fortgelassen. Aber das Generalgouvernement erhielt nicht den Status eines Protektorats, sondern wurde „ein zum Zwecke möglichst rechtsunverbindlicher Herrschaft ad-hoc konstruiertes reichs-exterritoriales deutsches ‚Nebenland‘ ohne Staatseigenschaft mit staatenlosen Einwohnern polnischerVolkszugehörigkeit.“[26] Nach dem polnischen HistorikerTomasz Szarota zeigt sich in den von Frank zitierten Äußerungen Hitlers eine „Tendenz zurAnnektierungexpressis verbis“,[27] gleichwohl unter dem Aspekt der völkerrechtlichen Angliederung durch das Deutsche Reich „schon am Vorliegen einer wirklichen Inkorporationshandlung einige Zweifel bestehen“.[28] Wie im NS-System üblich, fand die nationalsozialistische Staatsrechts- und Völkerrechtslehre keine Begriffe, um das neue Gebilde Generalgouvernement zu beschreiben. So lässt sich dessen staatsrechtliche Stellung, soDiemut Majer, „nur vom Faktischen unter Berücksichtigung der politischen Zielsetzung erklären“. Hierbei zeigt sich, dass das Generalgouvernement „trotz der weitgehenden Verwaltungs- und Rechtssetzungsautonomie grundsätzlich als Bestandteil des Reiches, alsReichsgebiet, betrachtet wurde“. In der Praxis wurden allerdings zahlreiche Ausnahmen gemacht, wenn sich dadurch eine sonderrechtliche Behandlung „Fremdvölkischer“ besser durchsetzen ließ.[29] Zugleich war das Generalgouvernement dazu bestimmt, die „ersteKolonie des Reiches“ zu werden, was sich in einer „Politik der ökonomischen Ausbeutung, der kulturellen Niederhaltung der Polen und der Vernichtung ihrer Intelligenz“ niederschlug.[30]
Vor Kriegsbeginn eingegliedert
- Das nach dem Ersten Weltkrieg unter französischer Verwaltung stehende Saargebiet wurde nach Auslaufen der im Versailler Vertrag gesetzten Frist und einerVolksabstimmung am 1. März 1935 als „Saarland“ ins Reich eingegliedert.
- Der „Anschluss“ des österreichischen Staates an das nationalsozialistische Deutschland wurde unter Androhung von Gewalt mit dem Einmarsch der Wehrmacht am 12. März 1938 begonnen.
Durch politische Erpressung oder mit militärischer Drohung wurde außerdem dieAbtretung einiger Gebiete erzwungen:
- DieTschechoslowakei musste diesudetendeutschen Gebiete nach demMünchner Abkommen am 10. Oktober 1938 an das Reich abtreten.
- DasMemelgebiet wurde nach einemdeutschen Ultimatum an Litauen im deutsch-litauischen Staatsvertrag vom 22. März 1939 an Deutschland abgetreten.[31]
Diese vor dem Zweiten Weltkrieg vorgenommenen Angliederungen wurdenstaatsrechtlich wirksam.
DieSlowakei musste sich von derTschecho-Slowakischen Republik unabhängig erklären (14. März 1939), erhielt eine beschränkte Selbständigkeit und denSatellitenstatus eines deutschen Verbündeten.
Nach der „Zerschlagung der Rest-Tschechei“ am 15. März 1939 wurde demProtektorat Böhmen und Mähren eine scheinbareAutonomie[32] unter der Aufsicht eines deutschen Reichsprotektors zugebilligt; es galt als Bestandteil des Reiches, das auch die höchsteRegierungsgewalt hatte. Die Bildung diesesProtektorats brach eineninternationalen Vertrag und war damit ebenso wie die folgenden, durch militärische Eroberungen erreichten Erweiterungen des deutschenHoheitsgebietesvölkerrechtlichunwirksam.
Im Verlauf des Krieges eingegliedert

Das deutsche Reichsgebiet wurde nach demPolenfeldzug vom Herbst 1939 über die Rückgliederung der imFriedensvertrag von Versailles anPolen abgetretenen Gebiete hinaus erweitert:
- Danzig-Westpreußen mit demDanziger Korridor wurde zum Reichsgau.
- DasWartheland (Posen bisŁódź) wurde als Reichsgau aus dem Großteil der früheren preußischenProvinz Posen und weiteren angrenzenden polnischen Gebieten geschaffen.
- DerRegierungsbezirk Zichenau wurde Ostpreußen zugeschlagen;
- derLandkreis Sudauen und
- Ostoberschlesien mit demOlsagebiet (früherÖsterreichisch-Schlesien) und damit das gesamte Industrierevier kamen zu Preußen.
- Die übrigen Teile des in den nationalsozialistischen Machtbereich gelangten polnischen Staatsgebietes wurden als „Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete“ mit den DistriktenKrakau,Lublin,Radom undWarschau von einer Hitler direkt unterstellten Regierung verwaltet und im Zuge desDeutsch-Sowjetischen Krieges eingegliedert.
Die eingegliederten Gebiete Polens waren doppelt so groß wie diejenigen, die 1919 abgetreten wurden, und verschoben die Reichsgrenze um 150 bis 200 km nach Osten.
Besetztes Staatsgebiet unter deutscher Zivilverwaltung
Viele von deutschen Streitkräften besetzte Staaten konnten eigene Regierungen behalten, wie es dieHaager Landkriegsordnung vorsieht, aber nicht alle. Nach demWestfeldzug 1940 wurden in einigen besetzten Gebieten zivile Behörden eingerichtet, die einem „Chef der Zivilverwaltung“ (CdZ) unterstanden, der seinerseits deutschen Reichsstellen verantwortlich war.
- Eupen-Malmedy, das 1919 an Belgien abgetreten worden war, wurde sofort annektiert, dabei jedoch um Gemeinden vergrößert, die vor 1920 nicht zum Deutschen Reich gehört hatten.[33]
Weitere Gebiete im Westen wurden de facto dem deutschen Staat eingegliedert, aber in keinem Fall formell annektiert.[34] Sie wurden von denGauleitern der angrenzenden Reichsgebiete mitverwaltet:
In ihnen wurde eine „Eindeutschungspolitik“ betrieben.
Nach demBalkanfeldzug 1941 wurde dasKönigreich Jugoslawien in drei Separatstaaten (Kroatien, Serbien, Montenegro) aufgeteilt. Zwei Drittel vonSlowenien wurden unter die CdZ-Verwaltung desKärntner Gauleiters gestellt und de facto eingegliedert:
Nach demRusslandfeldzug 1941 wurden weitere Gebiete einer deutschen Zivilverwaltung unterstellt:
- Distrikt Galizien mitLemberg unter die Verwaltung des Generalgouvernements,
- Bezirk Bialystok
Besetztes Staatsgebiet unter Kriegsrecht
Nach demWaffenstillstand Italiens mit den Alliierten im September 1943okkupierte Deutschland auchItalien, undBenito Mussolini richtete in Oberitalien dieItalienische Sozialrepublik (RSI) alsfaschistischenSatellitenstaat ein. Hier und im italienisch besetzten Jugoslawien übten die Wehrmacht, die unter dieFührung der SS des Reichsgebiets gestellte Polizei und eine deutsch-italienische Zivilverwaltung in zwei Gebieten die Macht aus:
- „Operationszone Alpenvorland“, zu der dieProvinzen Bozen (Südtirol),Trient undBelluno gehörten;
- „Operationszone Adriatisches Küstenland“, ein Gebiet etwa vonUdine bisLaibach.
Diese Operationszonen, deren Grenzen sich nicht an Staatsgrenzen orientierten, sondern an militärischen Erfordernissen, wurden durch die SS-Herrschaft und die Zivilverwaltung vom italienisch regierten Territorium getrennt, das weiterhin formell unter der Souveränität der RSI verblieb. In ihnen wurde weitgehend deutsches Recht und die deutscheAmtssprache eingeführt. Eine deutsch-italienische Zivilverwaltung war sogenannten „zivilen Beratern“ mit der offiziellen BezeichnungOberster Kommissar unterstellt, die sich nach persönlichen Weisungen Hitlers an die Leiter der benachbarten ReichsgaueTirol-Vorarlberg undKärntenFranz Hofer undFriedrich Rainer zu richten hatten. Deren Zuständigkeit erstreckte sich auch auf den 1941 von Italien besetzten Teil Sloweniens. Diese persönlichen Vollmachten bedingten eine grundsätzliche Rechtsunsicherheit der Bevölkerung in den Gebieten der Zivilverwaltung.[35]
Gebiete ohne Autonomie im deutschen Herrschaftsbereich
Dem Reich angegliedert, aber nicht annektiert, waren auch zwei riesige „Reichsprovinzen“ unter deutscher Zivilverwaltung, dieReichskommissariate Ostland (baltische Staaten undWeißrussland) undUkraine.
Geplante Erweiterungen
Wie weit das NS-Regime seine Eroberungsziele steckte, ist in der Forschung umstritten.Eberhard Jäckel argumentiert in Anlehnung anHugh Trevor-Roper, Hitler habe im WesentlichenLebensraum im Osten erobern wollen, das heißt im europäischen Russland.[36] Der unter der Ägide des Reichsführers SSHeinrich Himmler bis 1942 erstellteGeneralplan Ost sah bereits ein neues Bodenrecht und in einem auf 25 Jahre angelegten Plan eine Besiedlung des eroberten Gebiets mit vier Millionen „germanischstämmigen“ Siedlern im „Ingermanland“ umLeningrad, im „Gotengau“ auf derKrim und im Gebiet umCherson sowie im Einzugsbereich der FlüsseMemel undNarew vor.[37]
Dieser „kontinentalistischen“ Interpretation der nationalsozialistischen Eroberungspläne, der sich unter anderemHans-Adolf Jacobsen undDietrich Aigner anschlossen,[38] wurde von verschiedener Seite widersprochen. So entfaltete das nationalsozialistische Deutschland verschiedensteAktivitäten zur Wiedergewinnung von Kolonien, namentlich inAfrika.[39] Wie ernst dieserevisionistischen Überlegungen waren, ist in der Forschung ebenfalls umstritten. Durch das Bündnis mit Japan verzichtete das Deutsche Reich auf die ostasiatischen Kolonien derbesetzten Niederlande und Frankreichs. Die bereits ab 1941 eingeschränkte Ambition zur Wiedergewinnung einesKolonialreichs in Afrika wurde Anfang 1943 eingestellt.[40] Auch mit Blick auf diese Afrikapläne argumentieren viele Historiker, Hitler habe letztlich dieWeltherrschaft angestrebt.[41]
Geografisch-politische Lage
Das Deutsche Reich hatte zur Zeit seiner größten Ausdehnung 1942 (neben derKriegsfront zurSowjetunion) zehn Nachbarstaaten: Im Norden grenzte es anDänemark (67 Kilometer Grenzstrecke), im Südosten an dieErste Slowakische Republik sowieUngarn undKroatien, im Süden anItalien,Fürstentum Liechtenstein (35 Kilometer) und dieSchweiz (550 Kilometer), im Südwesten anFrankreich (392 Kilometer), im Westen anBelgien (221 Kilometer) und im Nordwesten an dieNiederlande (567 Kilometer).
Von diesen Staaten waren alle außer Italien, Liechtenstein und der Schweiz von deutschen Truppen besetzt bzw. wie die Slowakei zumVasallenstaat gemacht worden.
Ende des NS-Staats

Bereits vor ihrem Sieg über Deutschland hatten die USA, Großbritannien und die Sowjetunion alle Gebietserweiterungen des Reichs seit 1938 fürnichtig erklärt.[42] DieWestverschiebung Polens, im Wesentlichen auf Kosten derdeutschen Ostgebiete, war seit derKonferenz von Teheran 1943 im Grundsatz beschlossen.[43] Auf derKonferenz von Jalta gestanden diedrei Mächte im Februar 1945 auch Frankreich den Status als Siegermacht zu und entschieden, Deutschland nach Kriegsende in vierBesatzungszonen undBerlin in vierSektoren aufzuteilen. Weitergehende Pläne, Deutschland dauerhaft in mehrere Staaten aufzuteilen, wurden schon im Frühjahr 1945 fallen gelassen.[44]
Die militärische Niederlage und vollständige Besetzung Deutschlands beendete die Herrschaft der NSDAP. Auch die aufs engste mit der Partei verflochtene staatliche Verwaltung hörte weitgehend auf zu funktionieren. Deutsche Amtsträger konnten nach der Besetzung nur mit Duldung oder nach Ernennung durch die jeweiligeBesatzungsmacht tätig werden. Der von Hitler testamentarisch als Reichspräsident eingesetzte Großadmiral Karl Dönitz und seineRegierung hatten noch Zugriff auf die deutschen Truppen, nicht aber auf zivile Behörden. Nachdem sie diebedingungslose Kapitulation der Wehrmacht vom 7./8. Mai 1945 unterzeichnet hatte, gestanden die Alliierten ihr keinerlei hoheitliche Aufgaben mehr zu.[45] Vielmehr wurde die Regierung am 23. Mai 1945 für abgesetzt erklärt und verhaftet. Mit derBerliner Erklärung vom 5. Juni 1945 proklamierten die Alliierten auf Basis des Artikels 4 der Kapitulationsurkunde die Übernahme der „obersten Regierungsgewalt in Deutschland“.[46] Oberstes Organ des Besatzungsregimes und Träger der deutschen Staatsgewalt wurde derAlliierte Kontrollrat.[47]
Bezeichnungen für den NS-Staat
Neben dem BegriffNS-Staat verwenden heutige Wissenschaftler Bezeichnungen wieNS-Diktatur,NS-Regime und weiterhin auch„Drittes Reich“, letzteres meist in Anführungsstrichen, um den ursprünglichpropagandistischen Charakter dieses Begriffs hervorzuheben. Um daspolitische System des nationalsozialistischen Deutschland zu betonen, wird es oft als „Führerstaat“ bezeichnet.Marxistische Historiker in der früherenDDR und inWestdeutschland nutzten in diesem Fall Begriffe wie „deutscherFaschismus“ oder „faschistische Diktatur“.[48] In der Umgangssprache sind Benennungen wie „Nazi-Deutschland“, „Hitlerdeutschland“ oder ähnliche Komposita üblich.
Amtliche Bezeichnungen
Die zeitgenössische amtliche Bezeichnung des deutschen Nationalstaats für die Zeit von 1871 bis 1945 warDeutsches Reich. Sie wird für diesen Zeitabschnitt auch heute noch in denStaatswissenschaften verwendet.

Nach dem„Anschluss“ Österreichs im März 1938 war zeitweilig die BezeichnungGroßdeutsches Reich offiziell in Gebrauch, so auch imReichsgesetzblatt. Ein Erlass des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei, Hans Heinrich Lammers, vom 26. Juni 1943 an dieobersten Reichsbehörden und die Hitler unmittelbar unterstellten Dienststellen machte die bis dahin inoffizielle Sprachregelung verbindlich.[49] Mit dem auchumgangssprachlich verwendeten BegriffGroßdeutschland beanspruchte das NS-Regime, die1848 erwogenegroßdeutsche Lösung erreicht zu haben, die Einbeziehung der Deutschen in derHabsburgermonarchie in einen einheitlichenNationalstaat. Zudem deutete er expansive Absichten an: Dienationalsozialistischen Europapläne sahen vor, weitere Länder, etwa Norwegen, Dänemark, die Niederlande und Belgien, in ein neu zu schaffendes „Großgermanisches Reich“ einzugliedern.[50]
Gleichfalls seit dem Anschluss Österreichs bezeichneten die deutschen Behörden das ursprüngliche Staatsgebiet, das so genannteDeutschland in den Grenzen von 1937 alsAltreich. Die Unterscheidung war erforderlich, da für alle neu eingegliederten oder unterdeutsche Besatzungsverwaltung gestellten Gebiete Gesetze erlassen und Verwaltungsverfahren geschaffen wurden, die sich von denen des Altreichs unterschieden. Dazu zählten nebenÖsterreich[51] u. a. auch dasSudetenland, dasMemelland und dieFreie Stadt Danzig, die alle 1938 und 1939 annektiert wurden.
Propagandistische Bezeichnungen
Bereits vor 1933 war der BegriffReich zum Kampfbegriff der Rechten und derMonarchisten gegen die demokratischeRepublik geworden.Das dritte Reich, wie ein 1923 veröffentlichtes Buch vonArthur Moeller van den Bruck hieß, bezog sich auf die Tradition des ersten, desHeiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, und des zweiten, des kleindeutschenDeutschen Kaiserreichs; er meinte damit ein großdeutsches Reich.
Die Idee eines „Dritten Reiches“ lässt sich bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgen. Der italienische TheologeJoachim von Fiore hatte seinerzeit ein drittes, tausendjähriges Zeitalter desHeiligen Geistes prophezeit, das auf die beiden ZeitalterGottes undJesu Christi folgen würde. Die Nationalsozialisten griffen das Schlagwort auf, weil es ihre Bestrebungen zu bündeln schien. Hitler versuchte des Öfteren, den Mythos der „tausend Jahre“ für seine Herrschaft zu vereinnahmen. Später kamen ihm zum Begriff „Drittes Reich“ Bedenken. Man hätte über ein weiteres, einviertes Reich spekulieren und die Kontinuität des Reiches der Deutschen in Frage stellen können. Im Juli 1939 verbot PropagandaministerJoseph Goebbels die Verwendung des Begriffs „Drittes Reich“.[52]
Historisch-politologische Deutung
Der Charakter des NS-Staats wird von Historikern und Politikwissenschaftlern bis heute unterschiedlich gedeutet. Konsens besteht jedoch darüber, dass es sich um eine außergewöhnlich gewalttätige, verbrecherische Diktatur handelte. Selbstdeutungen des NS-Staates wie „germanische Demokratie“[53] spielen im wissenschaftlichen Diskurs der Gegenwart keine Rolle.
VonMarxisten wurde der NS-Staat als faschistisch und somit alsKlassenherrschaft derBourgeoisie gedeutet. Ihre kanonische Formulierung fand diese Annahme in der so genanntenDimitroff-These von 1933, wonach der Faschismus als „terroristische Diktatur der am meisten reaktionären,chauvinistischen undimperialistischen Elemente desFinanzkapitals“ definiert wurde.[54] Sie lag den geschichtswissenschaftlichen Analysen von Forschern aus derDDR und den anderenOstblockstaaten zugrunde, wo sie mitunter zurAgententheorie verkürzt wurden: Demnach wären Hitler und die anderen Nationalsozialisten bloße Agenten oder Marionetten der eigentlich herrschenden Kapitalistenklasse gewesen.
ImWesten wurde demgegenüber von führenden Wissenschaftlern lange dieTotalitarismusthese vertreten: Demnach war der Nationalsozialismus ebenso wie derStalinismus in der Sowjetunion eine Herrschaftsform, die durch eine allumfassende, keinen Widerspruch zulassendeIdeologie, eine hierarchisch organisierteMassenpartei, einen Terrorapparat, ein staatliches Monopol an Kommunikationsmitteln und Waffen sowie eine zentrale Lenkung der Wirtschaft gekennzeichnet sei. Der NS-Staat wurde dabei als „monolithischer Führerstaat“ beschrieben, in dem widerspruchsfrei von oben nach unten durchregiert wurde.[55] Diese Position war, ähnlich wie die Anwendung des Faschismusbegriffs von Seiten des Ostblocks, deutlich zweckgerichtet in der Auseinandersetzung desKalten Kriegs.[56] Nach dessen Ende wird der Totalitarismusbegriff heute in differenzierter Form von Forschern wie zum Beispiel vonUwe Backes undEckhard Jesse[57] vonFrançois Furet undErnst Nolte[58] oder vonHans-Ulrich Wehler verwendet.[59] Der HistorikerWolfgang Wippermann dagegen lehnt ihn strikt ab, weil die ihm inhärente Gleichsetzung mit anderen Diktaturen „dieSingularität des Holocaust in Frage stellt und auch in Frage stellen soll“.[60]
Bereits in den frühen 1940er Jahren hatten zwei deutsche Exilanten in den USA den NS-Staat allerdings mit jeweils unterschiedlicher Schwerpunktsetzung als deutlich heterogener beschrieben, als der Topos vom monolithischen Führerstaat glauben machte:Ernst Fraenkel legte 1940/41 sein BuchDer Doppelstaat vor, in dem er die Janusköpfigkeit des NS-Staats herausarbeitete: DerNormenstaat der herkömmlichen, bürokratisch arbeitenden Behörden und Ministerien sei gekennzeichnet durchRechtsnormen, die grundsätzlich auf Berechenbarkeit angelegt seien und der Aufrechterhaltung der privatkapitalistischenWirtschaftsordnung dienten. Hier gälten wie in jedem ordentlichen Staat Gesetze,Gerichtsentscheidungen undVerwaltungsakte. Demgegenüber sei derMaßnahmenstaat durch die neu geschaffenen Organisationen der NSDAP geprägt und folge nicht demRecht, sondern ausschließlich situativen Nützlichkeitserwägungen. Beide zusammen bildeten eine „Symbiose zwischen Kapitalismus und Nationalsozialismus“; im Konfliktfall setze sich aber immer derMaßnahmenstaat durch. Die Judenverfolgung sei dafür das zentrale Beispiel.[61] 1944 beschriebFranz Neumann in seinem WerkBehemoth den NS-Staat als einen „Unstaat“: Es sei im Grunde nur eine Allianz wechselseitig voneinander abhängiger Machtblöcke, nämlich der NSDAP mit ihren Einzelorganisationen, der Großwirtschaft und der Reichswehr. Ab 1936 sei noch die SS bzw. die Gestapo dazu gekommen. Diese Allianz sei durchaus nicht stabil, vielmehr würden sich die Machtgewichte verschieben und zwar tendenziell zugunsten der SS.[62]
Dieser Ansatz erwies sich in den 1960er und 1970er Jahren als fruchtbar: Martin Broszat, Reinhard Bollmus,Peter Hüttenberger und andere entwickelten daraus die Deutung des NS-Staates als einerPolykratie: In allen Politikfeldern habe es Institutionen mit sich überschneidenden Zuständigkeiten gegeben, die miteinander um Gestaltungsmöglichkeiten konkurriert hätten: DasAmt Rosenberg, dieNSDAP/AO, dieDienststelle Ribbentrop und dasAuswärtige Amt in der Außenpolitik, die Schulbehörden und dieHitlerjugend in der Beeinflussung der Jugend, dasReichswirtschaftsministerium, dieReichsbank unterHjalmar Schacht und dieVierjahresplanbehörde in der Wirtschaftspolitik, die Wehrmacht und die Waffen-SS als Streitkräfte usw. Die ständigen Gegensätze und Streitereien zwischen diesen Institutionen habe dann zu der destruktiven Radikalisierung der nationalsozialistischen Politik hin zu Krieg und Holocaust geführt, die sich somitfunktionalistisch aus der Eigendynamik der anarchischen Ämterrivalität und ohne Berücksichtigung von Hitlers „Programm“, wie er es inMein Kampf formuliert hatte, erklären ließen. Ihm wird in diesem Ansatz nur die Rolle eines Propagandisten, eines Repräsentanten des Gesamtsystems bzw. eines Schiedsrichters zugewiesen.Hans Mommsen spitzte 1971 diesen Ansatz in dem vielzitierten Bonmot zu, Hitler sei letztlich „ein schwacher Diktator“ gewesen, „entscheidungsunwillig“ und „häufig unsicher“.[63]
Anstelle der vormaligen Forschungsstreitfrage, ob sich das NS-Herrschaftssystem besser als Monokratie oder als Polykratie fassen lasse, erkannteMagnus Brechtken „die dialektisch-komplementäre Wirklichkeit“: eine bewusst polykratische Herrschaft mit der monokratisch integrierenden Führungsfigur Hitler an der Spitze. Die Installation von immer neuen Sonderbehörden und „Beauftragten des Führers“, deren Macht allein auf dem Treueverhältnis zu ihm beruhte, habe „eine sozialdarwinistisch konkurrierende Kompetenzpolykratie“ geschaffen, die sowohl Hitlers Vorstellung vom ständigen Durchsetzungskampf entsprochen habe als auch seine Position als letzte Entscheidungsinstanz mit ausschlaggebendem Zugriff, wo immer er ihn für nötig hielt, gestärkt habe.[64]
Sozialwissenschaftler wieRalf Dahrendorf,David Schoenbaum undRainer Zitelmann deuteten seit den 1960er Jahren den NS-Staat zumindest in seiner Wirkung alsmodernisierend: Wie der italienische Faschismus habe es sich um eineEntwicklungsdiktatur gehandelt. Der NS-Staat habe langjährige Traditionsfaktoren der deutschen Geschichte wieAdel undKirche ausgeschaltet, sei technikaffin gewesen, habe die deutsche Klassengesellschaft überwunden und diesoziale Mobilität für alle Schichten erhöht. Insofern könne man davon sprechen, dass im NS-Staat eine sozialeRevolution stattgefunden habe.[65] Angesichts der antimodernen Zielsetzung des NS-Staates sprichtHans-Ulrich Thamer von der „Doppelrevolution des Nationalsozialismus“: eine „Revolution der Zwecke“ sei klar gegen die bürgerlich-industrielle Welt gerichtet gewesen, habe aber verwirklicht werden sollen durch eine „Revolution der Mittel“, die „einen bürgerlichen und industriellen Charakter hatte und die aufgehaltene Modernisierung der deutschen Gesellschaft wider Willen fortsetzte“.[66]
Diese Deutung stieß auf entschiedenen Widerspruch. Wolfgang Wippermann undMichael Burleigh charakterisieren den NS-Staat in ihrem 1991 erschienenen gemeinsamen Werk als „Rasse-Staat“: Alle seine Maßnahmen inklusive der scheinbar modernen oder revolutionären wie etwa die Verbesserung desMutterschutzes hätten nur dem Ziel gedient, eine „barbarischeUtopie“ zu verwirklichen: Die Ausrottung der Juden und die Erschaffung einer hierarchisch geordneten Gesellschaft, an deren Spitze erbgesundeArier stehen sollten, sei, auch wenn es nie erreicht wurde, dasprogrammatische Ziel des NS-Staats gewesen. Insofern habe Hitler als derjenige, der dieses Ziel verbindlich formulierte, durchaus keine untergeordnete oder schwache Rolle gespielt. Weil der NS-Staat anstrebte, eine Rassen- statt einer Klassengesellschaft zu werden, seien Deutungen als Faschismus, Totalitarismus oder Modernisierungsdiktatur ohne nennenswerten Erkenntniswert.[67] AuchWolfgang Benz glaubt, dass „der Antisemitismus, der die Rassenkonstrukte des 19. Jahrhunderts übernahm“, für den Nationalsozialismus konstitutive Bedeutung hatte.[68]
Hans-Ulrich Wehler beschreibt den NS-Staat als „Führerabsolutismus“, in dem dercharismatische Herrscher Hitler das unbestrittene Recht zur letztinstanzlichen Entscheidung in allen Streitfragen innegehabt habe. Diese „Monokratie“ stehe keineswegs im Widerspruch zu der oben beschriebenen Polykratie der untergeordneten Instanzen, sondern diese sei nachgerade ihre Gelingensbedingung: Im Sinne seinesSozialdarwinismus habe Hitler seineSatrapen solange streiten lassen, bis sich der Stärkste durchgesetzt habe. Dieses Ergebnis habe er nur noch sanktionieren müssen, ohne sich selbst in die Streitereien einmischen und Widerspruch auf sich ziehen zu müssen. Dadurch habe er seinen Nimbus als „außeralltäglicher Sendbote“ behalten können, der ihm dieZustimmung der großen Mehrheit der Deutschen gesichert habe.[69]
Auf den großen Konsens in der Bevölkerung, der das Regime trug, hebt auchGötz Aly in seinem WerkHitlers Volksstaat ab. Für ihn war der NS-Staat eine „Gefälligkeitsdiktatur“, die sich das Wohlwollen der Gesellschaft durch Überwindung derMassenarbeitslosigkeit, vor allem aber durch Umverteilungarisierter jüdischer Vermögen und nach 1939 durch rücksichtslose Ausbeutung der im Weltkrieg besetzten Gebiete sicherte.[70]
Siehe auch
Literatur
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- Ulrich Herbert:Das Dritte Reich. Geschichte einer Diktatur (= C.H.Beck Wissen). 3. Auflage, Beck, München 2018,ISBN 978-3-406-72240-0.
- Ludolf Herbst:Das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, edition suhrkamp, Frankfurt am Main 1996,ISBN 3-518-11285-6.
- Klaus Hildebrand:Das Dritte Reich. 6. Auflage, Oldenbourg, München 2003,ISBN 3-486-49096-6.
- Richard J. Evans:Das Dritte Reich.
- Band 1:Aufstieg, München 2004,ISBN 3-421-05652-8;
- Band 2:Diktatur, München 2007,ISBN 978-3-421-05653-5;
- Band 3:Krieg, München 2009,ISBN 978-3-421-05800-3.
- Ian Kershaw:Hitlers Macht. Das Profil der NS-Herrschaft. dtv, München 1992,ISBN 3-423-04582-5.
- Ian Kershaw:Der NS-Staat – Geschichtsinterpretationen und Kontroversen im Überblick. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1999,ISBN 3-499-60796-4.
- Ernst Klee:Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Edition Kramer, Frankfurt am Main 2008,ISBN 978-3-9811483-4-3; S. Fischer, Frankfurt am Main 2003,ISBN 3-10-039309-0.
- Wolfgang Michalka (Hrsg.):Das Dritte Reich. Dokumente zur Innen- und Außenpolitik. 2 Bände, Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1985.
- Band 1:„Volksgemeinschaft“ und Großmachtpolitik 1933–1939,ISBN 3-423-02925-0.
- Band 2:Weltmachtanspruch und nationaler Zusammenbruch 1939–1945,ISBN 3-423-02926-9.
- Rolf-Dieter Müller:Der Zweite Weltkrieg (= Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte. Band 21). Klett-Cotta, Stuttgart 2004,ISBN 3-608-60021-3.
Film
- Michael Kloft:„12 Jahre, 3 Monate, 9 Tage“ – Die Jahreschronik des Dritten Reichs,Spiegel TV, Dokumentation/Reportage, 210 Min., Deutschland 2006.
Weblinks
- Dossier über den NS-Staat (Bundeszentrale für politische Bildung)
- NS-Archiv, digitalisierte Dokumente zum Nationalsozialismus (private Website)
- Dokumentarchiv: Sammlung der in der NS-Zeit erlassenen Rechtsnormen (private Website)
Einzelnachweise
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- ↑Ian Kershaw:Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen und Kontroversen im Überblick. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1999, S. 106 ff.;Armin Nolzen:Franz Leopold Neumanns „Behemoth“. Ein vergessener Klassiker der NS-Forschung, Version: 1.0. In:Docupedia-Zeitgeschichte, 30. Mai 2011 (Zugriff am 5. Mai 2019).
- ↑Ian Kershaw:Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen und Kontroversen im Überblick. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1999, S. 134–140; zitiert nachRüdiger Hachtmann:Polykratie – Ein Schlüssel zur Analyse der NS-Herrschaftsstruktur?, Version: 1.0. In:Docupedia-Zeitgeschichte, 1. Juni 2018 (Zugriff am 5. Mai 2019).
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- ↑Michael Burleigh und Wolfgang Wippermann:The Racial State. Germany 1933–1945. Cambridge University Press, Cambridge 1991, passim, das Zitat S. 23.
- ↑Wolfgang Benz:Nationalsozialismus. In: derselbe (Hrsg.):Handbuch des Antisemitismus. Band 3:Begriffe, Ideologien, Theorien. De Gruyter Saur, Berlin 2008,ISBN 978-3-598-24074-4, S. 223 (abgerufen überDe Gruyter Online).
- ↑Hans-Ulrich Wehler:Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4:Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914–1949. C.H. Beck, München 2003, S. 617–628.
- ↑Götz Aly:Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. S. Fischer, Frankfurt am Main 2005, passim, das Zitat S. 49.
Vor der Reichsgründung: | Flagge des Norddeutschen Bundes |
Deutsches Reich: | Flagge des Deutschen Kaiserreichs |
Während derdeutschen Teilung (1949–1990): | Bundesdienstflagge |
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