Nach den ersten Erfolgen unternahm Ransmayr ausgedehnte Reisen nachAsien sowieNord- undSüdamerika. Bevorzugte Reiseziele Ransmayrs sind entlegene Gegenden, Wüsten, arktische Landschaften, „Urlandschaften“, Hochgebirgswelten – mitReinhold Messner bereist er u. a. Tibet, Nepal, Nordindien, Indochina und den Jemen.[1] Das Reisen und die damit verbundenen Erfahrungen sollten auch sein Schreiben prägen, das so gewonnene Material hat er immer wieder in seinen Werken verarbeitet.
Seine Faszination für abgelegene Gegenden beschreibt Ransmayr folgendermaßen:
„Wer in diesen Landschaften nicht sofort Überlebensstationen errichtet (…), sondern sich eine Weile durch sie hindurchbewegt, bloß, um sie zu betrachten und keine Spuren hinterlässt, wird beschenkt wie in kaum einer anderen Region der Welt – er reist gleichzeitig durch die Weite und durch sein Inneres.[2]“
Christoph Ransmayr beschäftigt sich mit Themen wie: Liebe, Tod, Zeit und Vergänglichkeit, grenzüberschreitende Erfahrungen, der Mensch im Kontakt mit einer überwältigenden Natur. Christophs Ransmayrs Werk, das in über dreißig Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet wurde, besticht durch „größtmögliche Prägnanz“, einem „makellosen Stilgefühl und jener thematischen Schärfe“, die nur diesem Autor zu eigen sei, so Andreas Platthaus.[3]
John E. Woods, sein amerikanischer Übersetzer, vergleicht Christoph Ransmayrs Sprache mit der von Thomas Mann, „beide sind Meister der deutschen Grammatik. Sie können diese immensen Sätze bauen, die alle Raffinessen der Grammatik ausschöpfen.“[4]
Ransmayr verbindet in seiner Prosa häufig historische Ereignisse oder real existierende Persönlichkeiten mit fiktiven Handlungen.
Er beschreibt seine Erzählkunst wie folgt:
„Historische Zeit wird ersetzt durch Erzählzeit, Anachronismen, wie z. B. Mikrophone und Telefone in der Welt Ovids in ‚Die letzte Welt‘, verweisen auf einen Raum, wo Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit ineinander übergehen.[5]“
Bernhard Fetz bemerkt dazu:
„Einen narrativen Raum mit einer eigenen poetischen Zeit zu entwerfen, gehört zu den Grundsätzen von Ransmayrs Poetik. Die Existenz einzelner Menschen wird dabei in einen kosmischen, auch erdgeschichtlichen Zusammenhang und zugleich in bestimmte politische und historische Konstellationen eingebettet.[6]“
Christoph Ransmayrs literarisches Schaffen umfasst Romane und Erzählungen, Gedichte sowie Theaterstücke. Unter seinen Bühnenwerken sind:
„Die Unsichtbare. Tirade an drei Stränden.“ (2001). Das Stück wurde bei den Salzburger Festspielen 2001 unter der Regie von Claus Peyman uraufgeführt.
„Odysseus, Verbrecher. Schauspiel einer Heimkehr“. Dieses Bühnenwerk gelangte bei der RUHR.2010 mit Michael Gruner als Regisseur zur AufführungOdysseus, Verbrecher.
Einem größeren Publikum bekannt ist Christoph Ransmayr vor allem durch seine Romane. Bereits das frühe Werk„Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ (1984) erregte Aufmerksamkeit. Klaus Modick schreibt in einer Rezension im SPIEGEL dazu: „Wie es Ransmayr gelingt, sein dokumentarisches Material mit den romanhaften Ausschmückungen und seine Reflexionen über die Absurdität des Geschehens zu verschmelzen – dies ist eine Kunst, die wahrlich er-lesen werden will.“[7]
Mit dem Buch„Die letzte Welt“ (1988), das in über 30 Sprachen übersetzt wird, gelingt Christoph Ransmayr der internationale Durchbruch.[8]
Der Altphilologe Gerhard Fink deutet den Kunstgriff Ransmayrs, darin Figuren aus Ovids Hauptwerk mit Figuren seines Romans zu verbinden, so: „es bedeutet (…), dass Ransmayrs Roman nichts weniger ist als eine Fortsetzung der Metamorphosen.“[9] Und Fink schreibt weiter: „… der ‚postmoderne‘ Romancier hat den römischen Dichter in gewissem Sinne neu entdeckt: ja noch mehr: Er hat ihn für viele (…) neu erschaffen.“[10]
Der darauffolgende dystopische Roman„Morbus Kitahara“ (1995) spielt in einer postapokalyptischen Welt. Christoph Ransmayrs gewaltiger Roman über die Zeit nach dem großen Krieg ist u. a. eine „Erzählung über die körperlichen und psychischen Deformationen, die die Ausübung und das Erleiden von Gewalt bei Tätern und Opfern anrichtet.“[11]
„Der fliegende Berg“ (2006) ist ein in gebundener Rede, als Versepos verfasster Text. Er beschreibt die Geschichte zweier Brüder, die von der Südwestküste Irlands nach Osttibet aufbrechen, um einen noch unbestiegenen namenlosen Berg zu suchen und in seiner Bezwingung „einer Erlösung teilhaftig“ zu werden. Auf ihrer Reise begegnen sie einer von chinesischen Besatzern bedrohten archaischen Welt der Nomaden, erleben eine unerbittliche Natur wie auch die Konfrontation mit dem Tod. Denn nur einer der beiden wird in dieser Geschichte, die auch die Geschichte einer Bruderliebe ist, aus den Bergen zurückkehren.
Von der Kritik wurde dieser ob seiner „stupenden Sprachgewalt“[12] ganz besondere Text hoch gelobt, die „unzeitgemäße Form“ des Versepos wird als stimmig verstanden. So meint z. B. auch Ludger Lütkehaus[13], Ransmayrs Formexperiment „ohne Spannungsabstriche“ gelesen und selten die „tödliche Schönheit des schwarzen Himmel“ und der Berge so suggestiv wie im Flattersatz dieses Romans erblickt zu haben.
Der„Atlas eines ängstlichen Mannes“ (2012) ist ebenso kein Roman im eigentlichen Sinn, der Text erzählt in 70 Episoden von „‘merkwürdigen und komischen, manchmal beglückenden, oft erschreckenden und bestürzenden, stets aber auch vom Wundersamen durchdrungenen Begegnungen‘ mit Menschen, Tieren und Landschaften.“[14]
Von der Presse wurde der „Atlas“ euphorisch aufgenommen. „Ein Lebensbuch“, sei das, so stellt Karl-Markus Gauß[15] fest, Ransmayr habe 40 Jahre Reiseerfahrung hier verdichtet. Andreas Breitenstein[16] attestiert dem Autor ein „Gespür sowohl für das Utopische wie für das Prekäre unserer Existenz“.
Der Roman„Cox oder Der Lauf der Zeit“ (2016) spielt im 18. Jahrhundert am Hof des despotischen chinesischen Kaisers Quianlong. Der berühmteste Automaten- und Uhrenbauer seiner Zeit, der Londoner Uhrmacher Alastair Cox, wird in die Verbotene Stadt eingeladen, um für den Kaiser ausgefallene, fantastische Uhren zu bauen. Diese sollen nicht nur die Zeit messen, sondern auch das Zeitempfinden der Menschen, z. B. eines Kindes oder eines Sterbenden, wiedergeben.
„Ein beeindruckendes Märchen über Schönheit und Vergänglichkeit“, heißt es in einer Kritik[17], auch von einem „Meisterwerk“[18] ist an anderer Stelle die Rede, gerade auch im Hinblick auf das Thema der Relativität der Zeit.
„Der Fallmeister. Eine kurze Geschichte vom Töten“ (2021) ist ein in der Zukunft angesiedelter, dystopischer Roman. Der Protagonist, ein Hydrotechniker, ist Sohn des „Fallmeisters“, eines weithin geachteten Schleusenwärters. Nachdem fünf Menschen in den Kaskaden des Wasserfalls umkommen, verschwindet der Schleusenwärter auf mysteriöse Weise. Unfall oder gar Mord – die Suche nach der Wahrheit führt den Sohn weit zurück in die eigene Vergangenheit, und so wird der Roman zu einer Geschichte von Schuld und Vergebung. Der Autor zeichnet ein verstörendes Bild einer düsteren, vom Klimawandel zerstörten, in Kleinstaaten zerfallenden zukünftigen Welt, die vom Krieg um die Ressource Wasser geprägt ist.
Von der Kritik wurde dieses Werk eher verhalten aufgenommen, so heißt es u. a. „…das finster gestaltete ‚Weltgemälde‘ bleibt irgendwie farblos“.[19]
„Unter einem Zuckerhimmel. Balladen und Gedichte. Illustriert von Anselm Kiefer“ (2022), erscheint als zwölfter Band der Reihe „Spielformen des Erzählens“. Christoph Ransmayr erzählt in Balladen und Gedichten von den Ursprüngen seiner dichterischen Arbeit, von abenteuerlichen Reisen, von der Erkundung der Welt und anderen bekannten Motiven. Anselm Kiefer hat diese Verse mit Serien von Aquarellen illustriert, die er ausschließlich für diesen Band geschaffen hat. „Hier treffen zwei aufeinander, deren Talente sich perfekt ergänzen,“ so Tilman Spreckelsen.[20] Als „ein Gesamtkunstwerk“ bezeichnet die Neue Zürcher Zeitung[21] diesen besonderen Band.
In„Egal wohin, Baby“ (2024) erzählt Christoph Ransmayr in Form von „Mikroromanen“ siebzig kurze Geschichten. Den Texten vorangestellt sind jeweils Schwarz-Weiß-Fotos, „optische Notizen“, die vom Autor selbst erstellt wurden und oft in der Zufälligkeit des Augenblicks entstanden sind. Häufig sind es Schnappschüsse, Alltagsbeobachtungen, auf die die Texte direkt Bezug nehmen. Es ist „eine besondere Form des Zusammenspiels von sprachlicher Erzählung und optischer Erzählung.“[22]
Unter „Mikroromanen“ versteht hierbei Ransmayr: „Das sind die Kerne von größeren oder eben kleineren bis sehr kleinen Erzählungen, um die herum sich notfalls in konzentrischen Kreisen auch große Erzählmuster bilden können.“[23]
Anliegen des Autors sei es, die „Poesie des Alltags zu finden und freizulegen“, so der Literaturkritiker Denis Scheck. Ransmayrs Mikroromane erinnerten ihn in ihrer Wortgewalt und Eindringlichkeit an die großen Prosastücke von Heinrich von Kleist.[24]
Odysseus, Verbrecher. Schauspiel einer Heimkehr. In: RUHR.2010,Uwe B. Carstensen, Stefanie von Lieven (Hrsg.):Theater Theater. Odyssee Europa. Aktuelle Stücke 20/10. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2010,ISBN 978-3-596-18540-5. S. 337–428. / Einzelausgabe: S. Fischer, Frankfurt am Main 2010,ISBN 978-3-10-062945-6.
Arznei gegen die Sterblichkeit. Drei Geschichten zum Dank. S. Fischer, Frankfurt am Main 2019,ISBN 978-3-10-397478-2.
Der Fallmeister. Eine kurze Geschichte vom Töten. S. Fischer, Frankfurt am Main 2021,ISBN 978-3-10-002288-2.
Unter einem Zuckerhimmel. Balladen und Gedichte. Illustriert von Anselm Kiefer. S. Fischer, Frankfurt am Main 2022,ISBN 978-3-10-397502-4.
Als ich noch unsterblich war: Erzählungen. S. Fischer, Frankfurt am Main 2024,ISBN 978-3-10-397608-3.[35]
Egal wohin, Baby: Mikroromane. S. Fischer, Frankfurt am Main 2024,ISBN 978-3-10-397661-8.
AlsHörbuch, gelesen vom Autor, sind bisher erschienen:Atlas eines ängstlichen Mannes,Der fliegende Berg,Die letzte Welt,Die Schrecken des Eises und der Finsternis undCox oder Der Lauf der Zeit.
Bernadetta Matuszak-Loose:„Was mich bewegt, hat immer mit Menschen zu tun“. Über die Funktion und Macht der Natur im Werk von Christoph Ransmayr. In: Beate Sommerfeld (Hrsg.):Trajektorien der österreichischen Gegenwartsliteratur. Harrassowitz, Wiesbaden 2023,ISBN 978-3-447-12012-8, S. 231–248.
Timo Rouget:Ransmayr, Christoph. In:Lexikon der Science Fiction-Literatur seit 1900. Mit einem Blick auf Osteuropa. Hrsg. Christoph F. Lorenz. Peter Lang, Frankfurt/Main 2016,ISBN 978-3-631-67236-5, S. 465–470.
Insa Wilke (Hrsg.):Bericht am Feuer. Gespräche, E-Mails und Telefonate zum Werk von Christoph Ransmayr. S. Fischer, Frankfurt am Main 2014,ISBN 978-3-10-062953-1.
↑Insa Wilke (Hg.) (2014), Bericht am Feuer. Gespräche, E-Mails und Telefonate zum Werk von Christoph Ransmayr. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M, S. 66
↑Insa Wilke (Hg.) (2014), Bericht am Feuer. Gespräche, E-Mails und Telefonate zum Werk von Christoph Ransmayr. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M, S. 107
↑Gerhard Fink, Einführung. Die letzte Welt. Ovid im Roman. In: Publius Ovidius Naso, Metamorphosen. Herausgegeben und übersetzt von Gerhard Fink. Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf/Zürich 2004, S. 803
↑Gerhard Fink, Einführung. Die letzte Welt. Ovid im Roman. In: Publius Ovidius Naso, Metamorphosen. Herausgegeben und übersetzt von Gerhard Fink. Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf/Zürich 2004, S. 803