Chișinău [kiʃiˈnəu̯],[2] deutsch auchChisinau,Kischinau (Ausspracheⓘ/?, veraltetKischenau,Kischinew,Kischinev,jiddisch קעשענעווKeschenew,russischКишинёвKischinjow),[3] ist die Hauptstadt derRepublik Moldau und mit mehr als 530.000 Einwohnern auch deren bevölkerungsreichste Stadt. Sie ist ein wichtiger Wirtschaftsstandort sowie Universitätsstadt und Kulturzentrum. Chișinău hat eine Fläche von 120 km². Zusammen mit ihrem Umkreis bildet sie das Munizipium Chișinău, das 563,3 km² groß ist und 2014 über 660.000 Menschen beheimatet.[4]
Chișinău lässt sich nach Ansicht von Historikern etymologisch aus der Kombination des altrumänischen Worteschișla (Wasserquelle, heutecișmea) undnouă (neu) ableiten und weist so auf eine Grundwasserquelle hin, die in den Ursprüngen der Stadt als wichtige Versorgungsgrundlage diente. Diese Quelle befindet sich an der Kreuzung der StraßenA. Pușkin undAlbișoara.
Unter anderen rumänischen Historikern, wie früherȘtefan Ciobanu, wird dieselbe Ableitung wie fürChișineu-Criș vertreten, also vomungarischen NamenKis-Jenő (auf Ungarisch:kis „klein“ +Jenő „Eugen“ und zugleich Name eines der siebenaltmagyarischen Stämme, beiKonstantin VII. inDe Administrando Imperio:Genach). Als dasKumanische Reich im 13. Jahrhundert besiegt worden war, geriet die Region unter ungarischeHegemonie. DieSzekler errichteten in dieser Region Befestigungen, um dasKönigreich Ungarn gegen weitereMongoleneinfälle zu schützen. Dazu zählen Miclăușeni (ung. Miklóshely),Orhei (ung. Várhely) und Ciubărciu (Ciobruciu; ung. Csupor) unweit der heutigen Hauptstadt Moldaus. So erscheint ein ungarischer Ursprung plausibel.
Die offizielle Bezeichnung der Stadt lautetMunicipiul Chișinău (Munizip Chișinău), wobei auch die umliegenden, zum Munizip gehörenden Gemeinden gemeint sind. Durch die häufigen Veränderungen der Gebietszugehörigkeit hatte die Stadt mehrmals verschiedene Schreibweisen ihres Namens. So nannten sie die Russen КишинёвKischinjow, Aussprache [kiʃɨˈnʲɔf], als sie Hauptstadt vonBessarabien war. Später, als Bessarabien Teil vonRumänien wurde, bekam die Stadt den offiziellen NamenChișinău [kiʃiˈnəu̯].[2]
Während der kurzzeitigendeutschen Besetzung imZweiten Weltkrieg wurde die Stadt vermutlich mit der damals gängigen russisch-deutschen Transkription alsKischinew bezeichnet. Mit dersowjetischen Annexion nach dem Zweiten Weltkrieg führte man in derMoldauischen Sowjetrepublik diekyrillische Schrift ein.Chișinău wurde entsprechendКишинэу geschrieben, parallel dazu ein zweites Mal dierussifizierte VarianteКишинёвKischinjow. Bereits kurz vor derAuflösung der Sowjetunion beschloss die Regierung der Moldauischen SSR am 31. August 1989 die Rückkehr zur lateinischen Schreibweise des Rumänischen – aus Кишинэу wurde wiederChișinău.
Stadtbezirke„Stadttor von Chișinău“ (Porțile Chișinăului) im BezirkBotanica. Sozialistischer Betonkomplex vom Ende der 1970er Jahre amBulevardul Dacia, der Einfahrt vom Flughafen ins Stadtzentrum.
Die Stadt Chișinău liegt amBîc auf etwa85 m bei 47° 00' 50" nördlicher Breite und 28° 51' 00" östlicher Länge. Das etwa 120 km² große Stadtgebiet ist in fünf, mit Ausnahme des Centru flächenmäßig etwa gleich große Stadtbezirke (rumänischSector) unterteilt:
Politisch liegt die Stadt mitten im Zentrum der Republik Moldau. Geographisch imOsteuropäischen Flachland gelegen, ist die Stadt umgeben von einer flachhügeligen Landschaft mit sehr fruchtbaremErdboden ausSchwarzerde, der schon seit Urzeiten die Grundlage fürlandwirtschaftliche Nutzung bot für den Anbau sowohl vonWein als auch vonObst. Durchzogen von dem FlussBîc zeigt die Stadt, besonders im Frühling und im Sommer, ein sehr naturbezogenes Stadtbild mit vielen Bäumen und großen Parkanlagen.
Erste Wetterdaten reichen bis in das Jahr 1884 zurück. Damals beschäftigten sich dieForschungen allerdings eher mit dem idealen Klima für einen optimalen Weinbau. Dabei rechnet man im Verlauf eines Jahres mit etwa 2.215 Stunden Sonnenschein – davon 329 Stunden alleine im Rekordmonat Juli – im Dezember dagegen nur mit 54 Stunden. Regional herrscht ein kontinentales Klima mit einer Jahresdurchschnittstemperatur von 9,6 °C und einer Niederschlagsmenge von 547 mm. Der Sommer beginnt etwa Mitte Mai, er fällt kurz aus, dafür kräftig. Hohe Temperaturen um 25 °C erreicht das Thermometer vor allem in den Monaten Juni, Juli und August. Mit verstärktem Niederschlag ist im Juni und Juli zu rechnen. Wie der Sommer ist auch der Winter sehr kurz. Der Januar erreicht mit durchschnittlich −3,2 °C die tiefsten Temperaturen, der Oktober mit 27 mm die geringste Niederschlagsmenge. Ausgeprägt lang und warm ist der Herbst dank der Lage nahe demSchwarzen Meer, welches das Klima der Region stark beeinflusst. Meist herrscht jedoch eine mittlere Temperatur um 10 °C mit wenig Niederschlag während des gesamten Jahres.
ParkanlageȘtefan cel Mare și SfîntAlecsandri-Büste (L. Dubinowschi, 1957), Aleea ClassicilorParkanlageParcul CatedraleiParkanlageȘtefan cel Mare
Chișinău ist eine ausgesprochen grüne Stadt. Viele Hauptstraßen sind von Bäumen gesäumt. Hinzu kommen großzügige Parkanlagen, die auf dem ganzen Stadtgebiet verteilt liegen und das Stadtbild prägen. Zu den wichtigsten Parks gehören:
Parcul Catedralei (im Zentrum): 1836 wurde der neunHektar große Park zeitgleich zur Einweihung derCatedrala Nașterea Domnului eröffnet. Er liegt amBulevardul Ștefan cel Mare și Sfînt.
Parcul Silvic (im Norden)
Parcul La Izvor (im Nordwesten): DerPark zur Quelle wurde 1972 eröffnet, er bietet auf 150 Hektar Fläche zwei große Seen, eine Brücke für Fußgänger und eine Wasserfontäne.
Parcul Dendrologic (westlich vom Zentrum)
Parcul Valea Morilor: Südwestlich des Zentrums befindet sich die vom ArchitektenRobert Kurz gestaltete ParkanlageTal der Mühlen. Der Park wurde 1951 eröffnet und bietet mit einer Fläche von 114 Hektar auch einen großen See.
Parcul Valea Trandafirilor: DerPark der Rosen liegt südöstlich im BezirkBotanica und hat eine Fläche von etwa 145 Hektar. Als Attraktion bietet er einRiesenrad und weitere Freizeitangebote.
Die erste schriftliche Erwähnung von Chișinău geht ins Jahr 1436 zurück, als die Ortschaft Teil desFürstentums Moldau war. Dieses Fürstentum stand zuerst unter polnischer, später unterosmanischer Oberhoheit. Eine nennenswerte Entwicklung blieb aus, und die Ortschaft blieb bis ins 19. Jahrhundert alsBojaren- undKlostersiedlung praktisch unverändert. 1818 wurde die kleine Stadt alsKischinjow Verwaltungssitz des vomOsmanischen Reich an dasRussische Kaiserreich imFrieden von Bukarest 1812 abgetretenenGouvernements Bessarabien. Kischinjow genoss als Stadt am Rande des Russischen Reichs und als Strafversetzungslager für Unzufriedene und Aufmüpfige keinen guten Ruf. Der junge russische NationaldichterAlexander Puschkin war vom 21. September 1820 bis 1823 als Übersetzer nach Kischinjow verbannt und schrieb über die Stadt:
„O Kischinjow, o dunkle Stadt!“; „Verfluchte Stadt Kischinjow, die Zunge wird nicht müde, Dich zu beschimpfen.“
Ab 1834 entstand durch einen großzügigen Stadtentwicklungsplan ein imperiales Stadtbild mit breiten und langen Straßen. Dieser teilte die Stadt grob in zwei Bereiche: dieAltstadt mit ihren verwinkelt gebauten Straßen und unregelmäßigen Gebäudestrukturen sowie dieInnenstadt mit dem im Voraus geplanten Konzept des Straßenverlaufs. Zur selben Zeit wurden auch das Stadtzentrum und der im BezirkCentru liegende Bahnhofsplatz geplant. Zwischen dem 26. Mai 1830 und dem 13. Oktober 1836 errichtete der ArchitektAvraam Melnikov dieCatedrala Nașterea Domnului mit ihrem prächtigen Glockenturm. 1840 folgte der Bau des im folgenden Jahr fertiggestelltenTriumphbogens durch den ArchitektenLuca Zaușkevici. In unmittelbarer Umgebung wurde mit dem Bau einer Vielzahl weiterer Gebäude und Plätze begonnen.
Stadtplan aus dem Jahr 1887Grafik: Bevölkerungsentwicklung
1858 entstand die von dem ArchitektenNicolae Golikov erbauteCatedrala Sfîntul Mare Mucenic Teodor Tiron, die sich mit ihrem blauen Erscheinungsbild vom Rest abhebt. Im weiteren Verlauf des Jahrhunderts wuchs die Stadt kontinuierlich. 1891 leitete derSchweizer ArchitektAlexander Bernardazzi den Bau mehrerer Projekte, darunter den derBiserica Sfîntul Pantelemon (Grecească – griechische Kirche), sowie von 1900 bis 1903 des FrauengymnasiumsDadiani und der dortigen Kapelle (1895–1897). Zwischen 1898 und 1901 entstand amBulevardul Ștefan cel Mare și Sfînt durchMitrofan Elladi und Alexander Bernardazzi das Rathaus der Stadt, dasFosta Dumă Orășenească.
Jüdischer Einwohner um 1900Petition an ZarNikolaus II. von 1903
Kischinjow war um 1900 ein Zentrumjüdischen Lebens imRussischen Kaiserreich. So bildeten Juden mit einem Anteil von 45,9 % laut einer Zählung aus dem Jahr 1897 die größte Bevölkerungsgruppe in Kischinjow, vor den Russen (27,0 %) und den Rumänen (17,6 %).Vom 6. Apriljul. /19. Aprilgreg. bis zum 8.jul. /21. April 1903greg., dem Ostersonntag, kam es in Chișinău zu einem großenJudenpogrom. Dabei starben 49jüdische Einwohner; schätzungsweise 400 wurden verletzt. Hunderte Haushalte und hunderte Geschäfte wurden geplündert und zerstört. Der damalige Bürgermeister Karl Schmidt (1846–1928), derbessarabiendeutscher Herkunft war, trug wesentlich zur Aufklärung und Strafverfolgung der Täter bei.[5] DasPogrom von Kischinjow wurde offenbar vonPawel Kruschewan, dem Verleger der damals einzigen offiziellen Zeitung,Bessarabez(Бессарабецъ),demagogisch geschürt und wies Anzeichen einer organisierten Aktion auf. Die Reaktionen in der Weltpresse waren heftig, selbst im Russischen Kaiserreich. So erhielt im Juli 1905 KaiserNikolaus II. eine vom amerikanischen Volk an PräsidentTheodore Roosevelt aufgetragenePetition, die sich allerdings auf seine Politik nicht auswirkte. Seit ihrer Ablehnung durch den Kaiser ist sie (bis heute) im Besitz der US-Regierung. DerHilfsverein der deutschen Juden unter dem Vorsitz vonPaul Nathan rief die Vertreter von relevanten jüdischen Organisationen aus verschiedenen Ländern zu einer Erörterung der Situation zusammen.[6]
Am 17. Juni 1903 überlebte Pawel Kruschewan eine Messerattacke durch den Kiewer Studenten Pinchas Daschewski auf demNewski-Prospekt inSankt Petersburg, der ihn nur leicht verwundet hatte.[7][8] Zeitungen wurden zu dieser Zeit durch die russische Geheimpolizei „Ochrana“ in ihrem antisemitischen Tun bewusst unterstützt und gefördert. Dazu gehörte auch das Verbreiten von Publikationen, z. B. der „Protokolle der Weisen von Zion“.
Am 22. August 1905 kam es in der Stadt erneut zu einer blutigen Eskalation, als die Polizei das Feuer auf geschätzt 3.000 demonstrierende Landarbeiter eröffnete. Vergleichbar ist diese Tragödie mit demPetersburger Blutsonntag, der sich am 9. Januarjul. /22. Januar 1905greg. inSankt Petersburg ereignete; dort wurden etwa 1.000 demonstrierende Arbeiter getötet.
Wenige Monate später, am 19.jul. /1. November 1905greg. und 20.jul. /2. November 1905greg., geriet ein Demonstrationszug, der sich gegen die Erklärung desOktobermanifestes von Kaiser Nikolaus II. richtete, außer Kontrolle, und Anhänger derOktobristen undSchwarzhunderter führten in der Stadt bewaffnete Attacken gegenJuden,liberaleStudenten undsozialdemokratischeArbeiter durch. Dabei starben 19 Juden, 56 wurden verletzt. Auch im Zusammenhang mit der Beisetzung zweier ermordeter jüdischer Mädchen kam es zu weiteren blutigen Ausschreitungen.[9] DieserAntisemitismus führte schließlich zu einem stetigen Abwandern der jüdischen Bevölkerung in dieVereinigten Staaten und nachPalästina.
Im Zuge der russischenOktoberrevolution übernahm im November 1917 eine nationale Vollversammlung namensSfatul Țării (Landrat) mit Sitz in Chișinău die Regierung. Am 2. Dezemberjul. /15. Dezember 1917greg. erklärte sich das Land zu einem autonomen Gebiet innerhalb von Russland und dieMoldauische Demokratische Republik wurde ausgerufen. NachdemBolschewiki am 5. Januar 1918 Chișinău besetzt hatten, bat der LandratRumänien um militärischen Beistand. Die am 16. Januar einmarschierten rumänischen Truppen stellten innerhalb von wenigen Tagen die frühere Ordnung im Land wieder her. Am 24. Januarjul. /6. Februar 1918greg. erklärte derSfatul Țării die Unabhängigkeit und am 27. Märzjul. /9. April 1918greg., unter Beibehaltung einer Teilautonomie, den Anschluss an Rumänien. Der Anschluss wurde 1920 imPariser Vertrag durch die westlichen Alliierten bestätigt. Chișinău verlor mit der Auflösung des Sfatul Țării seinen Status als Hauptstadt und damit an Bedeutung.
ImZweiten Weltkrieg wurde Chișinău fast vollständig zerstört. Am 28. Juni 1940 wurde die Stadt durch dieRote Armee besetzt. Dabei wurde das zuRumänien gehörende GebietBessarabien von der Sowjetunionannektiert. Am 10. November 1940 ereignete sich ein verheerendesErdbeben. Das Beben mitEpizentrum im östlichen Rumänien hatte eine Stärke von 7,3 auf derRichterskala und führte in der Stadt zu massiven Zerstörungen.
Nach knapp einem Jahr Friedensverhandlungen (deutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt) folgte am 22. Juni 1941 derDeutsch-Sowjetische Krieg, dem sich auchrumänische Truppen anschlossen. Zu Beginn des Großangriffs war auf dem Gebiet der Stadt dasII. mechanisierte Korps (Panzer- und motorisierte Infanterie) stationiert. Das Gebiet um die Stadt wurde von der9. Roten Armee vonJakow Tscherewitschenko und der vonAndrei Smirnow befehligten18. Roten Armee kontrolliert. Im Juli 1941 war die Stadt schwer umkämpft, bei zähem Widerstand der sowjetischen Truppen. Es gab Bombardierungen durch die deutsche Luftwaffe. Die vorrückende deutsche11. Armee unter GeneraloberstEugen von Schobert, Teil derHeeresgruppe Süd unter GeneralfeldmarschallGerd von Rundstedt, wurde durch Truppen der rumänischen3. und4. Armee unterstützt. Der sowjetische Widerstand hielt bis zum 17. Juli 1941, als Chișinău schließlich erobert wurde. Deutsche und rumänische Truppen besetzten die Stadt von Norden über die OrtschaftSculeni und von Süden viaHîncești.
Festgenommene Juden, Juli 1941
Während der deutsch-rumänischen Besetzung kam es in der Stadt zu systematisch organisiertem Massenmord überwiegend anjüdischen Einwohnern, die zusammengetrieben, auf Lastwagen verladen und aus der Stadt transportiert wurden. Dort mussten sie teilweise selbst die Gruben ausheben, in denen sie erschossen wurden. Das Kommando über die Ausführung hattePaul Zapp, Anführer desSonderkommandos 11a. Als Teil derEinsatzgruppe D unterstand dieses Kommando demSS-GruppenführerOtto Ohlendorf. Die Zahl der nach der Besetzung von Chișinău ermordeten Juden wird auf etwa 10.000 geschätzt.[11]
Jüdische Frauen im Ghetto von Chișinău, August 1941
Das am 24. Juli 1941 in der Altstadt von Chișinău eingerichteteGhetto diente als Zwischenstation, dessen Bewohner man als Arbeitskräfte im Steinbruch vonGhidighichi arbeiten ließ. Das Ghetto beschränkte sich auf wenige Straßen und bestand aus wenigen Gebäuden, von denen die meisten bereits stark zerstört waren. Um das Ghetto verlief eine Mauer mit mehreren kontrollierten Ein- und Ausgängen. Laut Angaben der rumänischen Armee befanden sich im Ghetto von Chișinău 11.525 Personen.
Zehntausende Juden und andere unerwünschte Ethnien wurden direkt in sogenanntenTodesmärschen in das östlich gelegeneTransnistria (nicht zu verwechseln mit dem flächenmäßig kleinerenTransnistrien) deportiert. Es gab Überquerungsorte beiRezina naheRîbnița, beiCosăuți in der Nähe vonSoroca und inOtaci bei der ukrainischen OrtschaftMohyliw-Podilskyj. Etwa ein Drittel von ihnen starb an Erschöpfung, andere wurden erschossen; nur wenige konnten sich in der Ukraine verstecken. Einige ausgesonderte Gruppen ließ man erst in Lagern sammeln, wie etwa 23.000 im Lager in Vertujeni (heuteVertiujeni), um sie zur Zwangsarbeit zu pressen. Andere Lager befanden sich inSecăreni,Edineț undMărculești.
Verschiedene Berichte zeugen von grässlichen Geschehnissen in dieser Region. Dazu gehört derTodeszug von Iași. Am 1. August 1941 brachte man auf Befehl derGestapo 450 Juden aus dem Ghetto von Chișinău, vor allem Frauen und Gelehrte, nach Visterniceni, etwa zwei Kilometer von der Stadt entfernt; 411 wurden erschossen, wie Überlebende nach ihrer Rückkehr berichteten. Am 6. August wurden etwa 200 Juden von Polizeibeamten aus Chișinău erschossen, ihre Leichen wurden in den einige Kilometer östlich von Chișinău fließendenDnister geworfen. Am 7. und 8. August brachte man 525 Juden, darunter 25 Frauen, zur Arbeit am Bahnhof Ghidighichi; von ihnen kamen nach einer Woche noch ca. 200 zurück.
Auf Befehl des rumänischen MarschallsIon Antonescu begann man schließlich, das Ghetto in Chișinău zwischen dem 4. Oktober 1941 und Mai 1942 ebenfalls zu räumen und die Gefangenen auf Todesmärschen nach Transnistria zu deportieren. Von den ehemals 65.000 Juden in Chișinău im Jahr 1939 fielen 53.000 dem NS-Regime zum Opfer. DerHolocaustforscherMatatias Carp befasste sich eingehend mit dem Holocaust in Rumänien.
Operation Jassy-Kischinew, August 1944
Stark ins Kriegsgeschehen einbezogen wurde die ehemalige bessarabische Provinzhauptstadt auch gegen Kriegsende, beim Rückzug der deutschen und rumänischen Truppen. Am 28. März 1944 überschritten Teile der sowjetischen2. Ukrainischen Front denPruth nördlich vonJassy (Iași) und bezogen eine Linie amKarpatenkamm. Die deutsch-rumänische Front wurde immer weiter zurückgedrängt, bis Anfang April die3. Ukrainische Front im Osten beiTiraspol entlang demDnister zum Stehen kam.
Am 20. August 1944 folgte schließlich der sowjetische Großangriff „Operation Jassy-Kischinew“ unter der Führung vonFjodor Tolbuchin undRodion Malinowski. Durch den Angriff in Form einer Zangenoperation geriet ein Teil derHeeresgruppe Süd von GeneraloberstJohannes Frießner, darunter die neugruppierte deutsche6. Armee unter Führung des Generals der Artillerie,Maximilian Fretter-Pico, am 24. August bei ihrem Rückzug südwestlich von Chișinău undHuși in einen Kessel und wurde vernichtet. Ebenfalls am Kampfgeschehen beteiligt war der spätere sowjetische Stadtkommandant von Berlin, GeneraloberstNikolai Bersarin, der mit seiner5. Stoßarmee die deutschen Linien am Dnister durchbrach. Teile der deutschen8. Armee konnten sich über die Karpaten nach Ungarn zurückziehen, während die 6. Armee zum Großteil vernichtet wurde. Die bis dahin mit den Deutschen verbündete rumänische Armee wechselte bereits am 23. August 1944 die Seite und stellte den Kampf ein. Am 24. August 1944 wurde Chișinău von der Roten Armee besetzt.
Obwohl die Stadt von direkten Kampfhandlungen verschont blieb, verlor sie bis Kriegsende schätzungsweise 70 % ihrer Wohnfläche; dazu trugen vor allem das Erdbeben von 1940 und Luftangriffe beim Vorbeiziehen derKriegsfronten bei. Rumänische und neuerdings auch moldauische Quellen machen jedoch für den Großteil der Schäden sowjetischeNKWD-Vernichtungsbataillone verantwortlich, die bis zum 17. Juli 1941 operierten, als die Stadt von den Achsenmächten erobert wurde.[12]
DieKriegsgräberstätte Moldau in Chișinău ist 2006 vomVolksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge eingeweiht worden.[14] Grundlage für diesen Soldatenfriedhof ist ein Abkommen zwischen der Regierung der BRD und der Regierung der Republik Moldau.[15]Die Anlage liegt am nördlichen Stadtrand an der „Strada Doina“ auf dem Gebiet der Gemeinde Grãtieºti. Bis zum Jahr 2017 wurden hier 6.525 Tote eingebettet.[16]
Nach den schweren Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg setzte ab Ende der 1940er Jahre ein rasantes Bevölkerungswachstum in Chișinău ein.Von 1947 bis 1949 entwickelte der ArchitektAlexei Schtschussew unter Mithilfe eines mehrköpfigen Architektenteams einen Plan zum schrittweisen Wiederaufbau der Stadt. Während Stalin weiterhin auf riesige Paläste imSozialistischen Klassizismus (Zuckerbäckerstil) setzte, litt die Bevölkerung zunehmend unterWohnraummangel.
Mit dem Beginn der ÄraChruschtschow im September 1953 wurde in der ganzen Sowjetunion zu Sparmaßnahmen aufgerufen. Chruschtschow versammelte im Dezember 1954 die leitenden Architekten und Baufunktionäre der Sowjetunion zur „Allunionskonferenz der Bauschaffenden“ und ließ öffentlich dieEntstalinisierung der Baukultur und die Abschaffung des „Konservatismus in der Architektur“ bekanntgeben – unter dem Motto „Besser, billiger und schneller bauen“ folgten drastische Änderungen im Wohnkonzept. Mit dem neuen Baustil jener Zeit entstand das bis heute charakteristische Stadtbild von Chișinău mit vielen großenWohnblocks, angeordnet im Stil von „Chruschtschowki“ (хрущёвки,Plattenbau-Siedlungen). Um das eigentliche Stadtzentrum herum entstanden dabei neue Wohnbezirke, sogenannteSchlafstädte mit Einzelhandelsgeschäften und Schulen, aber wenig sozialer Infrastruktur.
Am 4. März 1977 ereignete sich in der Stadt ein schweresErdbeben, das Panik auslöste und mehrere Todesopfer forderte. Seit 1986 steht das HochhausRomashka Tower.
1989 kam es in Chișinău zu Spannungen mit der Zentralregierung in Moskau, was zur Wiedereinführung der rumänischen Sprache und 1991 zur Unabhängigkeit des Landes führte.
1817 gab es in Chișinău den ersten Bürgermeister. 1990 wurde das Amt, das 1941 abgeschafft worden war, wieder eingeführt undNicolae Costin zum ersten Bürgermeister nach der Sowjet-Ära gewählt.
Bei der Wahl 2007 wurde der prowestliche, damals erst 28-jährigeDorin Chirtoacă per Stichwahl mit 61 % der Stimmen gewählt. Er setzte sich als Herausforderer klar gegen den kommunistischen KandidatenVeaceslav Iordan (38 %) durch. Chirtoacă wurde zweimal knapp wiedergewählt, 2017 wegen Korruptionsaffären suspendiert und 2018 endgültig entlassen.
Chișinău hat insgesamt 13 Partnerschaften mit anderen Städten geschlossen. Seit Dezember 1989 unterhält Chișinău eineStädtepartnerschaft mitMannheim, die einzige deutschsprachige. Weitere Partnerschaften gibt es mit[18]
Chișinău ist ein Zentrum der Lebensmittelindustrie. So finden sich neben der Tabak- und Textilindustrie einegroße Weinkellerei sowie Produktionsstätten für Obst- und Gemüsekonserven. Nach dem Ende des kommunistischen Systems in Moldau entwickelte sich die Stadt zunehmend zu einem attraktiven Standort für Banken. Die Stadt hat mittlerweile zwei Wertpapierbörsen: dieMoldova Stock Exchange und dieChișinău Stock Exchange. Aufgrund der schwierigen gesetzlichen Lage und der anhaltenden Korruption im Lande blieb jedoch der Zuzug großer ausländischer Investoren wie in anderen ehemals kommunistisch regierten Ländern bislang aus.
Die Bewohner von Chișinău genießen eine im Vergleich zu ihren ländlichen Mitbürgern höhere Lebensqualität. Im europäischen Vergleich ist der Lebensstandard aber weit unterdurchschnittlich. Nach dem großen wirtschaftlichen Tief um das Jahr 2000 ist jedoch wieder Besserung eingetreten.
An öffentlichen Transportmitteln stehen neben einem dichtenTrolleybus-System (seit 12. Oktober 1949),Omnibusse, Minibusse (vgl.Marschrutka) undTaxis zur Verfügung. Letztere können rund um die Uhr telefonisch gerufen werden.
Bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Chișinău eineStraßenbahn mit 1000 mm Spurbreite. Die Bahn wurde zunächst mit Betriebswagen des TypsMAN 1914 geführt. In den 1950er Jahren waren erste Gothawagen des TypsT57 aus der deutschenGothaer Waggonfabrik im Einsatz. Der Betrieb des Tramnetzes wurde jedoch 1961 eingestellt, die Fahrzeuge wurden von derStraßenbahn Lemberg in derUkraine übernommen.
Das meistbenutzte Verkehrsmittel zur Personenbeförderung in Moldau ist derBus.[19] Beliebte Ziele sindBukarest,Constanța (Rumänien) undOdessa (Ukraine). Für die Fahrt nach Odessa gibt es auch Busse, deren Route nicht durchTransnistrien, sondern über die GrenzortePalanca oder Tudora führt.Die Stadt Chișinău verfügt über drei Busbahnhöfe, die sowohl nationale als auch internationale Routen bedienen.[20]
Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk überträgt die MediengruppeTeleradio Moldova (TRM), die sowohl Fernsehsender als auch einige Radiostationen betreibt. Den privaten Bereich dominieren die Mediengruppe Jurnal TV und Publika. Alle drei haben ihren Sitz in Chișinău.
Der nationale TV-SenderMoldova 1 hat seinen Hauptsitz in Chișinău. Er ist Eigentum der staatlichen TRM.
Der lokale FernsehsenderPro TV Chișinău sendet seit dem 3. September 1999 täglich ein Nachrichtenformat sowie zwei Programme aufRumänisch bzw.Russisch. Die restliche Sendezeit wird vonBukarest (Rumänien) aus bestritten.
Daneben gibt es einige lokale Radiosender in Chișinău. Hinzu kommen Sender aus Rumänien, die in lokalen Sendefenstern in Chișinău übertragen werden; die wichtigsten sind Vocea Basarabiei, Radio Noroc (lokal), Kiss FM, Pro FM, Radio 21/Hit Radio und Național FM/Fresh FM (rumänisch) sowie HIT FM, Radio Chanson und Русское Радио (Russkoje Radio) (russisch).
Jeweils am 14. Oktober feiern die Einwohner Chișinăus den Geburtstag der Stadt mit einem großen Umzug und diversen kleinen Ständen und Attraktionen im autofreien Stadtzentrum.
Catedrala Sfîntul Mare Mucenic Teodor Tiron (Kathedrale des großenMärtyrer Teodor Tiron), 1858 von dem ArchitektenP. Piskariov erbaute Kathedrale, besticht durch ihr hellblaues Erscheinungsbild
Triumphbogen, eigentlich „Heiliger Bogen“ genannt, wurde vonLuca Zaușkevici im Jahr 1841 errichtet; befindet sich direkt amBulevardul Ștefan cel Mare și Sfînt imParcul Catedralei gegenüber dem Regierungsgebäude, in der Nähe der Kathedrale der Geburt des Herrn
Statue von Ștefan cel Mare și Sfînt, aus Bronze gefertigtes Denkmal vonȘtefan cel Mare, entstand 1927 in Zusammenarbeit des KünstlersAlexandru Plămădeală mit dem ArchitektenEugen Bernardazzi, steht imGradina Publica Ștefan cel Mare și Sfînt
Bulevardul Ștefan cel Mare și Sfînt, großzügig angelegte Straße, die von Nordwesten nach Südosten geradewegs durch das Stadtzentrum verläuft; das gesamte restliche Straßenmuster ist an diesem Boulevard ausgerichtet
In Chișinău gibt es zwei Fußballklubs, die in derDivizia Națională spielen:FC Zimbru Chișinău undFC Dacia Buiucani. Zudem spielte derFC Dacia Chișinău, von dem der FC Dacia Buicani vormals die Reservemannschafte darstellte, bis zu seiner Auflösung im Jahre 2017 ebenfalls in der ersten Liga Moldaus. Weitere ehemalige Fußballvereine, die aus Chișinău kamen und in der Divizia Națională spielten, waren FC Unisport-Auto Chișinău und CSCA Steaua Chișinău.
Zu den größeren Fußballstadien in Chișinău gehören dasStadionul Dinamo (Dinamo-Stadion) mit 2.692 Plätzen sowie das am 20. Mai 2006 eröffnete und nach dem gleichnamigen Fußballclub benannteStadionul Zimbru (Zimbru-Stadion), das Platz für rd. 10.500 Zuschauer bietet (parallel dazu wurde dasStadionul Republicii [Stadion der Republik; 8.000 Sitzplätze] abgerissen).
In Chișinău wurde mit Spatenstich im März 2024 der Bau einer privaten österreichischenAuslandsschule begonnen. Die Höhere Technische Lehranstalt (HTL) für Elektronik und Technische Informatik soll nach BildungsministerErhard Busek (1941–2022) benannt werden und im September 2025 den Betrieb aufnehmen.[23]
Jeffrey Kopstein:Kischinjow. In:Dan Diner (Hrsg.):Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur. Band 3:He–Lu. Metzler, Stuttgart/Weimar 2012,ISBN 978-3-476-02503-6, S. 357–362.
L. Basarow:Die deutsch-rumänischen Greueltaten in Kischinjow. In:Wassili Grossman,Ilja Ehrenburg (Hrsg.):Das Schwarzbuch – Der Genozid an den sowjetischen Juden. Rowohlt-Verlag, Hamburg 1994,ISBN 3-498-01655-5, S. 216–223. (Herausgeber der dt. Ausgabe:Arno Lustiger)
Jean Ancel (Hrsg.):Documents concerning the fate of Romanian Jewry during the Holocaust. (=Beate Klarsfeld Foundation. Band 5). New York 1986:Bessarabia,Bukovina,Transnistria
↑Simon Dubnow:Weltgeschichte des jüdischen Volkes. Band 10:Das Zeitalter der zweiten Reaktion (1880–1914). Jüdischer Verlag, Berlin 1929, S. 375.
↑Monty Noam Penkower:The Kishinev Pogrom of 1903: A Turning Point in Jewish History. In:Modern Judaism. Oxford University Press. Jg. 24, 2004, H. 3, S. 187–225, hier: S. 193.