Zuweilen spricht man, aufgrund der Machtfülle des Bundeskanzlers, auch von einer „Kanzlerdemokratie“. In derprotokollarischen Rangfolge steht er nach demBundespräsidenten sowie demBundestagspräsidenten an dritter Stelle.[3] Im Verteidigungsfall hat der Bundeskanzler die Befehls- und Kommandogewalt über dieStreitkräfte.
Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag desBundespräsidenten vomBundestag gewählt, anschließend vom Bundespräsidenten ernannt und durch denBundestagspräsidenten vereidigt. Er schlägt dem Bundespräsidenten die Bundesminister vor. Der Bundeskanzler ernennt einen der Bundesminister zum verfassungsmäßigenStellvertreter.
Vor Ablauf derLegislaturperiode kann der Bundeskanzler nur durch einkonstruktives Misstrauensvotum abgelöst werden, indem der Bundestag mitabsoluter Mehrheit einen Nachfolger wählt. Für den Fall, dass ein Bundeskanzler stirbt oder zurücktritt, endet die Kanzlerschaft und damit auch die Bundesregierung. Der Bundespräsident bittet gemäß Verfassung einen Bundesminister, bis zur Ernennung eines Nachfolgers weiterhin dieGeschäfte zu führen.
Der AusdruckKanzler kommt aus demMittelalter: Amfeudalen Hof war der Kanzler der Leiter der herrschaftlichen Schreibstube, derKanzlei. Unter den Bediensteten des Herrschers hatte der Kanzler die höchsteAutorität und war damit mit denägyptischen Staatsschreibern vergleichbar. Die sprachhistorische Herkunft leitet sich aus dem mittellateinischen Substantiv „cancelli“ ab: der Kanzler ist eine Person, die in einem durch Schranken oder Gitter(cancelli) abgetrennten Raum arbeitet und insbesondere Beglaubigungen ausstellt.
In der deutschenVerfassungsgeschichte gehörte bereits imHeiligen Römischen Reich das Amt des Erzkanzlers zu denErzämtern. Es wurde bis 1806, als das Alte Reich endete, als Erzkanzler für Deutschland vomKurfürsten vonMainz ausgeübt. DerDeutsche Bund (1815–1866) hatte als Organ nur denBundestag, keine gesonderte Exekutive und keinen Kanzler etwa als ausführenden Beamten.
Der 1862 zumpreußischen Ministerpräsidenten ernannteOtto von Bismarck wurde am 14. Juli 1867 norddeutscher Bundeskanzler. Das Amt wurde 1871 umbenannt in Reichskanzler (eine Neuernennung fand nicht statt). Bismarck blieb bis 1890 Reichskanzler.
Der Reichskanzler des Kaiserreiches wurde vomDeutschen Kaiser ernannt und entlassen. Ernannt wurden meist hohe Beamte. Ein Reichskanzler musste in der Praxis mit dem Parlament zusammenarbeiten, demReichstag. Die Wahlergebnisse hatten aber allenfalls indirekten Einfluss auf die Entlassung eines Kanzlers. Erst seitOktober 1918 besagte die Verfassung ausdrücklich, dass der Kanzler das Vertrauen des Reichstags benötige. Der Reichskanzler war Vorgesetzter der Staatssekretäre, kein Kollege, auch wenn sich in der Praxis eine Art kollegiale Regierung herausbildete.
Die Verfassung stattete das Amt des Reichskanzlers ansonsten nur mit dem Vorsitz imBundesrat aus. Sitz und Stimme im Bundesrat, und damit Einfluss auf die gesetzgeberische Kraft des Bundesrates, erhielt der Kanzler nur, weil er fast immer auch zumpreußischen Ministerpräsidenten und Bundesratsmitglied ernannt wurde.
Auch der Reichskanzler derWeimarer Republik (ab 1919) wurde vom Staatsoberhaupt ernannt und entlassen, demReichspräsidenten. Der Reichskanzler musste zurücktreten, wenn derReichstag ihm das Vertrauen entzog. Der Reichskanzler war damit sowohl vom Reichspräsidenten als auch vom Reichstag abhängig. In Artikel 56 derWeimarer Verfassung heißt es: „Der Reichskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür gegenüber dem Reichstag die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Reichsminister den ihm anvertrauten Geschäftszweig selbstständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Reichstag.“ Dieser Artikel stimmt fast exakt mit den ersten beiden Sätzen des Artikels 65 desGrundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (1949) überein. Allerdings schränkten die Rechte des Reichspräsidenten diese Richtlinienkompetenz ein. Außerdem bestanden die Regierungskoalitionen meist aus mehr als zwei oder drei Parteien. Der Reichstag konnte eine Regierung stürzen, ohne gleichzeitig einen neuen Regierungschef wählen zu müssen (destruktives Misstrauensvotum).
Im Nachhinein sah man im Nebeneinander von einem starken Reichspräsidenten und einem schwachen Reichskanzler einen Grund dafür, dass die Republik unterging. ReichspräsidentHindenburg ernannte am 30. Januar 1933 den NationalsozialistenAdolf Hitler zum Reichskanzler. Er nutzte seine Befugnisse in der Folge, um Hitlers Alleinherrschaft zu verwirklichen. Nach dem Tod Hindenburgs 1934 vereinte Hitler die Ämter von Reichskanzler und Reichspräsident unter der Bezeichnung „Führer und Reichskanzler“.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
DerParlamentarische Rat entschied daher 1949, die Stellung des künftigenBundespräsidenten zu schwächen. Gestärkt wurden hingegen das Parlament und auch der Bundeskanzler. Insbesondere die Vorschriften über die Wahl des Bundeskanzlers, das konstruktive Misstrauensvotum und dieVertrauensfrage waren der tatsächlichen Machtposition des Bundeskanzlers förderlich. Hinzu kam die Ausprägung derKanzlerdemokratie unter dem ersten Bundeskanzler,Konrad Adenauer. Dessen sehr starke Interpretation derRichtlinienkompetenz des Bundeskanzlers wurde von seinen Nachfolgern verteidigt und führt dazu, dass der Bundeskanzler bis heute als mächtigster Politiker impolitischen System der Bundesrepublik gilt.
In derDeutschen Demokratischen Republik kam es zu einer ähnlichen Tendenz: Der Staatspräsident hatte nur eine repräsentative Rolle und das Parlament bzw. die Regierung wurden gestärkt (im Vergleich zur Weimarer Reichsverfassung, aus der man teils wortgleich Inhalt übernommen hatte). Der Regierungschef, Ministerpräsident genannt, hatte ebenfalls eine herausragende Rolle im Kabinett, bildete die Regierung und gab die Richtlinien der Politik vor. Benannt wurde der Ministerpräsident laut Verfassung (Art. 92) von der stärkstenFraktion im Parlament. Wegen der tatsächlichen Macht der ParteiSED waren solche und andere Bestimmungen der Verfassung allerdings ohne Gewicht.
Der Bundeskanzler besitzt nachArtikel 65 Satz 1 desGrundgesetzes (GG) dieRichtlinienkompetenz: Er „bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung.“ Er hat damit das Recht, die grundlegenden Richtungsentscheidungen der Bundesregierung zu treffen. Derselbe Artikel schreibt aber auch dasRessortprinzip (Satz 2) und dasKollegialprinzip (Satz 3) vor.[4] Ersteres bedeutet, dass die Bundesminister ihre Ministerien in eigener Verantwortung leiten. Der Bundeskanzler kann hier nicht ohne Weiteres in einzelnen Sachfragen eingreifen und seine Ansicht durchsetzen. Er muss jedoch nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung über alle wichtigen Vorhaben im Ministerium unterrichtet werden. Das Kollegialprinzip besagt, dass Meinungsverschiedenheiten derBundesregierung vom Kollegium entschieden werden; der Bundeskanzler muss sich also im Zweifel der Entscheidung desBundeskabinetts beugen.[5] Gleichwohl hat der Bundeskanzler hier aber ein besonderes Gewicht, kann er doch von seinem Recht aufBestellung und Abberufung der Bundesminister Gebrauch machen, was in der Praxis bisher aber nur sehr selten vorkam.
Auch wenn Ressort- und Kollegialprinzip in der Praxis ständig angewandt werden, so rückt die auch als „Kanzlerprinzip“ bezeichnete Richtlinienkompetenz den Bundeskanzler als den bedeutendsten politischen Akteur in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Seine Aussagen werden stark beachtet; äußert er sich zu einer Sachfrage anders als der zuständige Fachminister, so hat häufig trotz der Gültigkeit des Ressortprinzips der Fachminister das Nachsehen, will er nicht wegen „schlechter Teamarbeit“ vom Bundeskanzler intern oder gar öffentlich gerügt werden. Der Bundeskanzler war oft gleichzeitig Vorsitzender seiner Partei (Adenauer 1950–1963,Erhard 1966,Kiesinger 1967–1969,Kohl 1982–1998,Merkel 2005–2018 undMerz seit 2025 in derCDU;Brandt 1969–1974 undSchröder 1999–2004 in derSPD) und genießt damit nicht nur als Bundeskanzler, sondern auch als Parteivorsitzender hohes Medieninteresse und starken Einfluss innerhalb der Partei undFraktion, die seine Regierung stützt. Allerdings haben alle Bundeskanzler auch in den Zeiten, in denen sie nicht den Parteivorsitz bekleideten, faktisch eine wichtige Rolle in der regierungstragenden Fraktion innegehabt, um deren Zusammenwirken mit dem Kabinett zu fördern.[6]
Der Bundeskanzler muss in der Regel auf einenKoalitionspartner Rücksicht nehmen, auch wenn deren Fraktion deutlich kleiner ist. Seine Äußerungen mögen in seiner Partei auf einmütige Zustimmung treffen, die Akzeptanz des Koalitionspartners, der damit trotz geringerer Größe nahezu gleichberechtigt ist, kann aber noch nicht automatisch als erreicht angesehen und muss eventuell durch Zugeständnisse gesichert werden. Der Bundeskanzler kann aber auch in seiner eigenen Partei nichtdiktatorisch regieren, da auch seine Parteiämter regelmäßig in demokratischer Wahl bestätigt werden und die Abgeordneten trotzFraktionsdisziplin nicht unbedingt der Linie des Bundeskanzlers folgen müssen.
Schließlich hängt es auch von der Person des Bundeskanzlers und den politischen Gegebenheiten ab, wie er den Begriff der Richtlinienkompetenz ausgestaltet. Konrad Adenauer als erster Bundeskanzler nutzte die Richtlinienkompetenz unter den Ausnahmebedingungen eines politischen Neubeginns stark aus. Mit seiner Amtsführung legte Adenauer den Grundstein für die sehr weit reichende Interpretation dieses Begriffes. Schon unter Ludwig Erhard sank die Machtfülle des Bundeskanzlers, bis schließlich in Kurt Georg KiesingersGroßer Koalition der Bundeskanzler weniger der „starke Mann“ als vielmehr der „wandelnde Vermittlungsausschuss“ war. Während Adenauer und Helmut Schmidt sehr strategisch mit ihrem Stab (im Wesentlichen dem Kanzleramt) arbeiteten, bevorzugten Brandt und Kohl einen Stil der informelleren Koordination. In beiden Modellen kommt es bei der Bemessung der Einflussmöglichkeiten des Bundeskanzlers auf die Stärke des Koalitionspartners und auf die Stellung des Bundeskanzlers in seiner Partei an.
Aufgrund dieser politischen Einschränkungen der durch die Verfassung definierten Position des Bundeskanzlers halten viele Politikwissenschaftler die Richtlinienkompetenz für das am meisten überschätzte Konzept des Grundgesetzes. Der letzte Fall, in dem die Ausübung der Richtlinienkompetenz als solche offiziell dokumentiert ist, war eine am 17. Oktober 2022 vonOlaf Scholz erlassene Verfügung[7] über die vorübergehendeFortsetzung des Leistungsbetriebs der drei letzten am Netz befindlichen deutschen Kernkraftwerke im Rahmen der Bewältigung der insbesondere durch denEnergiekonflikt mit Russland verschärftenEnergiekrise im Jahr 2022; vorausgegangen war dem ein monatelanger Streit zwischen den Koalitionären derAmpel-Regierung.[8]
Da der Bundeskanzler sich bei innenpolitischen Fragen stärker auf die Ministerien verlassen muss, kann er sich häufig in der Außenpolitik profilieren. Alle Bundeskanzler haben das diplomatische Parkett – durchaus auch im mehr oder weniger stillen Machtkampf mit demAußenminister, der von 1966 bis 2025 immer einer anderen Partei angehört hat als der Bundeskanzler – genutzt, um neben den Interessen der Bundesrepublik auch sich selbst in positivem Licht darzustellen. Besonders Bundeskanzler Adenauer, der von 1951 bis 1955 selbst das Außenministerium führte, konnte hier starken Einfluss nehmen.
Die Bundesregierung und der Bundeskanzler haben das alleinige Recht, Entscheidungen der Exekutive zu treffen. Aus diesem Grund bedarf jede förmliche Anordnung desBundespräsidenten – bis auf die Ernennung und Entlassung des Bundeskanzlers, die Auflösung des Bundestages nach dem Scheitern der Wahl eines Bundeskanzlers und das Ersuchen zur Weiterausübung des Amtes bis zur Ernennung eines Nachfolgers – derGegenzeichnung des Bundeskanzlers oder des zuständigen Bundesministers.
Bestellung der Bundesminister
BundeskanzlerLudwig Erhard bei einer Kabinettssitzung (1965)
NachArtikel 64 des Grundgesetzes schlägt der Bundeskanzler dem Bundespräsidenten die Bundesminister vor, der sie ernennt. Der Bundespräsident muss sie nach der in der Staatsrechtslehre überwiegenden Meinung ernennen, ohne die Kandidaten selbst politisch prüfen zu können. Ihm wird allerdings in der Regel ein formales Prüfungsrecht zugestanden: Er kann etwa prüfen, ob die designierten Bundesminister Deutsche sind. Der Bundestag hat dabei ebenfalls kein Mitspracherecht. Auch bei der Entlassung von Bundesministern können weder der Bundespräsident noch der Bundestag in rechtlich bindender Weise mitreden – auch hier liegt die Entscheidung ganz beim Bundeskanzler, die Entlassung wird wieder durch den Bundespräsidenten durchgeführt.[9] Selbst die Aufforderung des Bundestages an den Bundeskanzler, einen Bundesminister zu entlassen, ist rechtlich unwirksam;[10] allerdings wird der Minister, wenn tatsächlich die Mehrheit des Bundestages und damit auch Mitglieder der die Bundesregierung tragenden Koalition gegen ihn sind, häufig von sich aus zurücktreten. Der Bundestag kann die Minister nur zusammen mit dem Bundeskanzler durch einKonstruktives Misstrauensvotum ablösen.
Der Bundeskanzler muss jedoch bei der Ernennung meist auf „Koalitionsverträge“ und innerparteilichen Proporz Rücksicht nehmen; bei Entlassungen gilt das insbesondere bei Ministern des Koalitionspartners noch stärker: Hier schreiben die Koalitionsvereinbarungen stets vor, dass eine Entlassung nur mit Zustimmung des Koalitionspartners erfolgen kann. Hielte sich der Bundeskanzler nicht an diesen rechtlich zwar nicht bindenden, politisch aber höchst bedeutsamen Vertrag, wäre die Koalition sehr schnell zu Ende, wie das Beispiel der Entlassung des Finanzministers Lindner durch Olaf Scholz im Jahr 2024 zeigt. Insgesamt unterliegt die Personalfreiheit des Bundeskanzlers durch die politischen Rahmenbedingungen erheblichen Beschränkungen.
Der Bundeskanzler ernennt gemäßArtikel 69 Absatz 1 des Grundgesetzes – ohne Mitwirkung des Bundespräsidenten – einen Bundesminister zu seinem Stellvertreter. Inoffiziell spricht man auch vom „Vizekanzler“. In der Praxis ist das meist ein Minister, der vom zweitgrößten Koalitionspartner gestellt wird und den die Führung der entsprechenden Partei dafür vorschlägt; üblicherweise wird das über den Koalitionsvertrag informell geregelt. Häufig fielen das Amt desAußenministers und die „Vizekanzlerschaft“ zusammen; dies war jedoch nie eine verbindliche Kombination, sondern nur eine Tradition (seit 1966, mit Unterbrechungen 1982, 1992/93, 2005–2007, 2011–2017 und seit 2018). Es ist auch möglich, dass der Vizekanzler der gleichen Partei wie der Bundeskanzler angehört (wie zum Beispiel Ludwig Erhard 1957–1963). Gegenwärtiger Stellvertreter des Bundeskanzlers istLars Klingbeil (SPD).
Dabei handelt es sich stets nur um die Vertretung der Funktion, nicht um die des Amtes. Der Stellvertreter vertritt also nur den Kanzler, beispielsweise wenn dieser auf einer Reise ist und der Stellvertreter eine Kabinettssitzung leitet. Es ist in der Rechtswissenschaft strittig, ob der Bundespräsident, würde der Bundeskanzler zum Beispiel durch eine schwere Krankheit dauerhaft amtsunfähig oder stürbe er gar, den Vizekanzler gleichsam automatisch zum geschäftsführenden Bundeskanzler ernennen müsste oder aber auch einen anderen Bundesminister mit der Aufgabe betrauen könnte. In jedem Fall müsste unverzüglich ein neuer Bundeskanzler vom Bundestag gewählt werden. Bislang ist ein solcher Fall – von Kanzlerrücktritten abgesehen – allerdings noch nie eingetreten.
Steht auch der Stellvertreter nicht zur Verfügung, so geht seine Rolle nach derVertretungsreihenfolge der Geschäftsordnung der Bundesregierung auf einen besonders bezeichneten Bundesminister über. ImKabinett Scholz war dies bis zu dessen EntlassungChristian Lindner. Ist kein solcher Minister bezeichnet, geht die Rolle auf das dienstälteste Mitglied der Bundesregierung über. Sind mehrere Minister gleich lange im Amt, entscheidet das höhere Lebensalter.
Unmittelbar unterstehende Behörden
Leiter desBundeskanzleramtes ist nicht der Bundeskanzler selbst, sondern ein von ihm ernannterBundesminister oderStaatssekretär. Das Bundeskanzleramt hat für jedes Ministerium spiegelbildlich ein Referat und stellt dem Bundeskanzler damit für jedes Fachgebiet eine kompetente Mitarbeiterschaft zur Verfügung.
Dem Bundeskanzler untersteht auch direkt dasPresse- und Informationsamt der Bundesregierung. Dieses hat die Aufgabe, die Öffentlichkeit über die Politik der Bundesregierung zu unterrichten und umgekehrt den Bundespräsidenten und die Bundesregierung (nötigenfalls rund um die Uhr) über die aktuelle Nachrichtenlage zu informieren. Das Amt muss streng zwischen Äußerungen der Bundesregierung und Äußerungen der die Bundesregierung tragenden Parteien trennen.
Außerdem fällt derBundesnachrichtendienst (BND) direkt in den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers. Der Etat des Bundesnachrichtendienstes ist im Etat des Bundeskanzleramtes enthalten, wird aber aus Geheimhaltungsgründen nur als Gesamtsumme veranschlagt (sog.Reptilienfonds). Der direkte Zugriff auf den Geheimdienst bringt dem Bundeskanzler in innenpolitischen Fragen keinerlei Wissensvorsprung, da der BND nur im Ausland operieren darf. Allenfalls in außen- und sicherheitspolitischen Fragen entsteht ein gewisser Vorteil für den Bundeskanzler.
Wahl
BundeskanzlerKurt Georg Kiesinger spricht auf einer Weihnachtsfeier im Bundeskanzleramt (1967)
Das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes stellen keine ausdrücklichen Voraussetzungen für die Wählbarkeit (passives Wahlrecht) zum Amt des Bundeskanzlers auf. In der verfassungsrechtlichen Literatur wird aber ganz überwiegend davon ausgegangen, dass hierfür die Regelungen zurWählbarkeit zum Bundestag entsprechend gelten.[11] Damit würde gelten, dass zum Bundeskanzler nur gewählt werden kann, werDeutscher im Sinne von Artikel 116 Grundgesetz ist, das 18. Lebensjahr vollendet hat, und dem nicht durch gerichtliches Urteil das Wahlrecht entzogen wurde;[12] auchBetreuung oder Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus würden disqualifizieren.[13]
Erforderlich ist aber nur die Wählbarkeit zum Bundestag, nicht die tatsächliche Mitgliedschaft im Bundestag, auch wenn bislang mit einer Ausnahme (Kurt Georg Kiesinger) alle Bundeskanzler gleichzeitig Mitglieder des Bundestages waren. Das für das Amt des Bundespräsidenten vorgeschriebene Mindestalter von 40 Jahren[14] gilt nicht für den Bundeskanzler. Allerdings waren bisher trotzdem alle Bundeskanzler bei Amtsantritt sogar älter als 50 Jahre.
Wahlverfahren
Schaubild zur Wahl des Bundeskanzlers. Es sind bis zu drei Phasen möglich, die entweder mit der Ernennung eines Bundeskanzlers oder letztlich mit Neuwahlen zum Bundestag enden.
Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Deutschen Bundestag gewählt.[15] 1949 wurde inArtikel 63 des Grundgesetzes erstmals in der deutschen Verfassungsgeschichte das Wahlverfahren für den Kanzler sehr detailliert festgelegt. Anders als in früheren deutschen Verfassungen wird der Regierungschef nicht vom Staatsoberhaupt bestimmt, sondern vom Parlament. Die Ernennung durch den Bundespräsidenten kann erst nach Wahl durch den Bundestag erfolgen.
Nach dem Grundgesetz erfolgt die Wahl ohne Aussprache, also ohne vorherige Debatte im Bundestag. Ähnlich ist es bei der Wahl des Bundespräsidenten durch dieBundesversammlung. Außerdem ist die Wahl des Bundeskanzlersgeheim; das ergibt sich allerdings nicht aus dem Grundgesetz, sondern aus derGeschäftsordnung des Deutschen Bundestages (§ 4 und§ 49). Das Grundgesetz sieht höchstens drei Wahlphasen vor, um je nach Mehrheitsverhältnissen im Bundestag die Kanzlerschaft zu bestimmen.
1. Wahlphase: Ist das Amt des Bundeskanzlers vakant, etwa durch den Zusammentritt eines neuen Bundestages, aber auch durch Tod, Rücktritt oder Amtsunfähigkeit des alten Bundeskanzlers, schlägt der Bundespräsident innerhalb einer angemessenen Frist dem Bundestag einen Kandidaten für das Amt des Bundeskanzlers vor. In dieser Entscheidung ist der Bundespräsident rechtlich frei. Politisch ist jedoch schon lange vor dem Vorschlag klar, über wen der Bundestag abstimmen wird, da der Bundespräsident vor seinem Vorschlag eingehende Gespräche mit den Partei- und Fraktionsspitzen führt. Bisher ist auch stets der von der mehrheitsführenden Koalition ins Spiel gebrachte Nachfolgekandidat vom Bundespräsidenten vorgeschlagen worden. Der Kandidat benötigt zu seiner Wahl die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, also dieabsolute Mehrheit.
2. Wahlphase: Wählt der Bundestag den vom Bundespräsidenten vorgeschlagenen Kandidaten nicht (erstmals geschehen 2025), so beginnt eine zweite Wahlphase. Diese Phase dauert höchstens zwei Wochen. In dieser Zeit kann ein Wahlvorschlag aus der Mitte des Bundestags kommen. LautGeschäftsordnung muss der Kandidatenvorschlag mindestens ein Viertel der Abgeordneten hinter sich haben. Über die vorgeschlagenen Kandidaten wird dann abgestimmt: Denkbar ist sowohl eine Einzelwahl (nur ein Kandidat) als auch eine Mehrpersonenwahl. In jedem Fall benötigt ein Kandidat zur Wahl wiederum die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages. Die Anzahl der Wahlgänge ist innerhalb von zwei Wochen unbegrenzt.[16]
3. Wahlphase: Wird auch während der zweiten Wahlphase kein Kandidat mit absoluter Mehrheit gewählt, so muss der Bundestag nach Ablauf der zwei Wochen unverzüglich erneut zusammentreten und einen weiteren Wahlgang durchführen. Das ist die dritte Wahlphase. Dabei gilt als gewählt, wer die meisten Stimmen auf sich vereinigt. Bei Stimmengleichheit finden erneute Wahlgänge statt, bis ein eindeutiges Ergebnis erzielt worden ist.
Erhält der Gewählte dieabsolute Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestages, so muss der Bundespräsident ihn binnen sieben Tagen ernennen. Erhält der Gewählte nur dierelative Mehrheit der Stimmen, so ist das einer der wenigen Fälle, in denen dem Bundespräsidenten echte politische Machtbefugnisse zuwachsen: Er kann sich nun frei entscheiden, ob er den Gewählten ernennt und damit möglicherweise einerMinderheitsregierung den Weg ebnet oder aber denBundestag auflöst und sovorgezogene Neuwahlen stattfinden lässt (Art. 63 Abs. 4 GG).[15] Bei dieser Entscheidung dürfte der Bundespräsident erwägen, ob eine Minderheitsregierung Aussichten darauf hat, künftig im Parlament ausreichend Unterstützung zu finden. Außerdem kann berücksichtigt werden, ob eine Neuwahl die Mehrheitsverhältnisse entscheidend verändern würde oder ob sie überhaupt zur politischen Stabilität beitragen dürfte.
Dieses Wahlverfahren gilt grundsätzlich auch imVerteidigungsfall. Die Wahl eines Bundeskanzlers durch denGemeinsamen Ausschuss ist jedoch gesondert geregelt, indem nur die oben beschriebene erste Wahlphase analog angewendet wird. Das Grundgesetz macht keine Aussage über das weitere Verfahren, wenn der Gemeinsame Ausschuss den vom Bundespräsidenten Vorgeschlagenen nicht wählt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Vorschriften des oben genannten Artikels 63 Grundgesetz für eine solche Wahlanalog gelten.
Der Bundeskanzler muss wederMitglied des Bundestages noch einerpolitischen Partei sein, allerdings muss er daspassive Wahlrecht zumBundestag besitzen. Gemäß dem Grundsatz der Unvereinbarkeit darf er weder ein anderes besoldetes Amt bekleiden noch einen Beruf oder ein Gewerbe ausüben, kein Unternehmen leiten und nicht ohne Zustimmung des Bundestages demAufsichtsrat eines auf Gewinn orientierten Unternehmens angehören (Art. 66 GG).
Ernennung und Amtseid
Nach der Wahl wird der Bundeskanzler, sofern er die Wahl annimmt, vom Bundespräsidenten ernannt. Normalerweise müssen alle Handlungen des Bundespräsidenten von einem Mitglied der Bundesregierunggegengezeichnet werden. Die Ernennung und Entlassung des Bundeskanzlers ist eine der wenigen Ausnahmen (Art. 58 GG).
Erst mit der Ernennung (also nicht schon mit der Wahl, aber noch vor der Vereidigung, die nur noch als feierliche Bekräftigung gilt) gehen die Amtsgeschäfte auf den gewählten Kanzler über.[17][18]
Darauf folgt dieVereidigung durch den Bundestagspräsidenten (Art. 64 GG). Der neue Bundeskanzler schwört dabei vor dem Bundestag folgenden Eid: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“ (Art. 56 GG). Der Eid kann auch ohne religiöse Beteuerung abgeleistet werden;Gerhard Schröder undOlaf Scholz sind bisher die einzigen Bundeskanzler, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machten.
Rolle im Wahlkampf zur Wahl des Bundestages
BundeskanzlerWilly Brandt beim Treffen mit DDR-MinisterpräsidentWilli Stoph in Erfurt (1970)
Spätestens seit 1961 und der Kandidatur Willy Brandts gegen Konrad Adenauer stellen die beiden großen Volksparteien, CDU/CSU und SPD, „Kanzlerkandidaten“ auf. Obwohl dieses „Amt“ in keinem Gesetz und keiner Parteisatzung definiert ist, spielt es im Wahlkampf eine außerordentlich große Rolle. Der Kanzlerkandidat der jeweils siegreichen Partei bzw. Koalition wird in aller Regel schließlich Bundeskanzler.
Der Kanzlerkandidat repräsentiert gerade im über die Massenmedien geführten Wahlkampf sehr stark seine Partei. Seit der Bundestagswahl 2002 finden zwischen den amtierenden Bundeskanzlern und ihren Herausforderern aus dem US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf übernommene Rededuelle statt. Auf diese Weise wurde die Fokussierung auf die Kanzlerkandidaten und weg von programmatischen Fragen weiter forciert. Entsprechend versuchte die FDP bei der Bundestagswahl 2002, mit einem eigenen Kanzlerkandidaten, ihrem Vorsitzenden Guido Westerwelle, zusätzliche Stimmen zu gewinnen. Westerwelle bezeichnete diesen Versuch im Nachhinein als Fehler. 2021 stelltenBündnis 90/Die Grünen mitAnnalena Baerbock erstmals eine „Kanzlerkandidatin“ auf – nach Angela Merkel erst die zweite Frau, welche von einer im Bundestag vertretenen Partei zur Kanzlerkandidatin ernannt wurde.
Die britische Tradition, dass die größte Oppositionspartei im Wahlkampf ein „Schattenkabinett“ aufstellt, hat sich in Deutschland nicht durchgesetzt. Kanzlerkandidat Willy Brandt hatte 1961 einen entsprechenden Versuch gemacht. In Deutschland muss eine Partei jedoch nach der Wahl meist eine Koalition eingehen und kann daher nicht allein über ein Kabinett entscheiden. In der heutigen Zeit stellt meist die (größte) Oppositionspartei ein „Kompetenzteam“ mit prominenten Politikern zusammen, deren Bereiche zum Teil recht allgemein benannt werden („Außen- und Sicherheitspolitik“).
Zusammenarbeit mit Bundestag und Bundesrat
Der Bundestag kann jederzeit die Herbeirufung oder die Anwesenheit des Bundeskanzlers oder eines Bundesministers verlangen. Im Gegenzug haben der Bundeskanzler und die Mitglieder der Bundesregierung das Recht, bei jeder Sitzung des Bundestages oder eines seinerAusschüsse anwesend zu sein. Sie haben sogar jederzeitigesRederecht. Die gleichen Rechte und Pflichten bestehen im Verhältnis zum Bundesrat. Spricht der Bundeskanzler im Bundestag als solcher und nicht etwa als Abgeordneter seiner Bundestagsfraktion, so wird seine Redezeit nicht auf die vereinbarte Gesamtredezeit angerechnet.
Seit 1956 sieht das Grundgesetz vor, dass während des Verteidigungsfalls dieBefehls- und Kommandogewalt über dieStreitkräfte vomBundesminister für Verteidigung an den Bundeskanzler übergeht. Diese auch als „lexChurchill“[19] bezeichnete Vorschrift ist inArtikel 115b des Grundgesetzes (bis 1968 in Artikel 65 a Absatz 2) enthalten und soll dafür sorgen, dass in Zeiten außerordentlicher Krisen der Bundeskanzler alsstarker Mann, bzw. alsstarke Frau, alle Fäden in der Hand hält.
Aufgrund der Verlängerung der Wahlperiode des Bundestages im Verteidigungsfall verlängert sich auch die Amtszeit des Bundeskanzlers entsprechend (Artikel 115h Absatz 1 in Verbindung mitArtikel 69 Absatz 2 des Grundgesetzes). Jedoch kann auch im Verteidigungsfall der Bundeskanzler durch ein konstruktives Misstrauensvotum nach Artikel 67 (durch den Bundestag) oder nach Artikel 115h (durch denGemeinsamen Ausschuss mitZweidrittelmehrheit) abgelöst werden.
„Bundeskanzler Üb“
Im Rahmen diverser Manöver in den Jahren 1966 bis 1989 (FALLEX undWINTEX) zog die Bundesregierung in denRegierungsbunker inBad Neuenahr-Ahrweiler ein.[20][21] Es war jedoch üblich, dass der Bundeskanzler dort nicht persönlich anwesend war, sondern sich vertreten ließ. Der Bundeskanzler bestellte hierzu einen Vertrauten, der für die Dauer der Übung als „Bundeskanzler Üb“ bezeichnet wurde. Während der Amtszeit vonHelmut Kohl war diesWaldemar Schreckenberger.[22]
Rechtliche Sondervorschriften
Der Bundeskanzler hat als Mitglied derBundesregierung das Recht, als Zeuge in Straf- und Zivilprozessen an seinem Amtssitz oder seinem Aufenthaltsort vernommen zu werden (§ 50 derStrafprozessordnung bzw.§ 382 derZivilprozessordnung). Der Bundeskanzler als solcher hat keinen Anspruch aufImmunität; ist der Bundeskanzler jedoch gleichzeitig Abgeordneter, so genießt er wie jedes Mitglied des Bundestages dieses Privileg.
Wer die Bundesregierung oder ein Mitglied der Bundesregierung, also etwa den Bundeskanzler, nötigt, Befugnisse nicht oder in einem bestimmten Sinne auszuüben, wird nach den§ 105 oder§ 106 desStrafgesetzbuches gesondert bestraft.
Dienstsitze
Bundeskanzleramt in Berlin (2010)Kanzleramtsgebäude in Bonn (2007)Palais Schaumburg in Bonn, zweiter Dienstsitz des Bundeskanzleramtes
AlsHoheitszeichen führt der Bundeskanzler an seiner Dienstlimousine eine quadratisch geformteStandarte, die auf den BundesfarbenSchwarz-Rot-Gold im Zentrum denBundesschild zeigt. Als weiteres Hoheitszeichen wird am Bundeskanzleramt, wie bei allen Bundesbehörden, dieBundesdienstflagge gehisst.
Amtsbezüge
Der Bundeskanzler erhält Amtsbezüge nach demBundesministergesetz. Diese setzen sich aus dem Grundgehalt und Zulagen sowie Zuschlägen zusammen. Dabei entspricht das Grundgehalt nach § 11 des Bundesministergesetzes[23] dem 5/3-fachen des Grundgehalts derBesoldungsgruppe 11 der Besoldungsordnung B. Jedoch wird der Betrag gekürzt nach Maßgabe desGesetzes über die Nichtanpassung von Amtsgehalt und Ortszuschlag der Mitglieder der Bundesregierung und der Parlamentarischen Staatssekretäre.[24] Nach Angaben des Bundesinnenministeriums erhielt die Bundeskanzlerin im April 2021 ein Amtsgehalt von 19.121,82 Euro monatlich zuzüglich eines Ortszuschlages von 1200,71 Euro im Monat und einer Dienstaufwandsentschädigung von 12.271 Euro im Jahr.[25] Seine Einkünfte muss der Bundeskanzler versteuern, allerdings muss er – wieBeamte – keine Beiträge zur Arbeitslosen- und zur gesetzlichen Rentenversicherung zahlen. Die private Nutzung von bundeseigenen Transportmitteln und die Miete seinerDienstwohnung werden dem Bundeskanzler von der Bundesrepublik Deutschland in Rechnung gestellt.[26] Ein ehemaliger Bundeskanzler hat nach §§ 14 ff. des Bundesministergesetzes Anspruch auf Übergangsgeld längstens für zwei Jahre sowie – nach Erreichen der Altersgrenze – auf eine Versorgung, deren Höhe von der Amtsdauer abhängt und eine Mindestamtszeit von vier Jahren erfordert.
In der Staatspraxis werden ehemaligen Bundeskanzlern Leistungen zur Wahrnehmung nachwirkender Aufgaben gewährt, z. B. ein Büro und Personal, soweit der jeweilige Bundeshaushalt das vorsieht, was aber nach§ 3 Absatz 2 derBundeshaushaltsordnung keinen Anspruch begründet. Nach dem Beschluss des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages vom 22. Mai 2022[27] soll die Gewährung bei ehemaligen Bundeskanzlern jetzt voraussetzen, dass eine „fortwirkende Verpflichtung aus dem Amt“ wahrgenommen wird. Der ehemalige Bundeskanzler Schröder hat gegen die damit begründete Verweigerung weiterer Mittel für sein Büro in einem Gebäude des Bundestags[28] Klage beimVerwaltungsgericht Berlin erhoben,[29] die mit Urteil vom 4. Mai 2023 als unbegründet abgewiesen wurde. Nach der Urteilsbegründung erwächst ehemaligen Bundeskanzlern weder aus dem Haushaltsgesetz noch aus Gewohnheitsrecht ein Anspruch auf eine Ausstattung mit Mitarbeitern. Sie diene allein öffentlichen Interessen und begründe kein subjektives Recht der ehemaligen Bundeskanzler. Soweit diesen Räume in den Gebäuden des Bundestags durch die Fraktionen zur Verfügung gestellt werden, könne kein Anspruch geltend gemacht werden gegen die beklagte Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundeskanzleramt, weil die Fraktionen selbst rechtsfähig seien und verklagt werden könnten. Die Beklagte könne nicht verfügen über Bundesmittel, die den Fraktionen zugewiesen seien.[30] Die gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegteBerufung wies dasOberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 6. Juni 2024[31] als unbegründet zurück und ließ dieRevision zu.[32] DasBundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 10. April 2025[33] die Revision mit der Begründung zurückgewiesen, dass es sich um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit handele, für die der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet ist, womit über den geltend gemachten Anspruch nicht entschieden werden konnte.[34]
Ende der Amtszeit
Allgemeines
BundeskanzlerHelmut Schmidt erhält den ersten Band der Kabinettsprotokolle, 1982, anlässlich seiner letzten Regierungssitzung
Die Amtszeit des Bundeskanzlers endet mit seinem Tod, seiner Amtsunfähigkeit, der Ablösung durchkonstruktives Misstrauensvotum, seinem Rücktritt oder derkonstituierenden Sitzung des neu gewählten Bundestages spätestens 30 Tage nach der Wahl (Art. 39 Abs. 2GG). In den beiden letzten Fällen übt der Bundeskanzler in der Regel auf Ersuchen des Bundespräsidenten nachArt. 69 Absatz 3 desGrundgesetzes das Amt des Bundeskanzlers bis zur Ernennung seines Nachfolgersgeschäftsführend weiter aus.
Während das weitere Prozedere für die Fälle der Beendigung einer Kanzlerschaft teilweise verfassungsrechtlich genau normiert ist, fehlt es für einzelne Beendigungssituationen an eindeutigen Regelungen sowohl im Grundgesetz selbst wie in nachgeordneten Rechtsnormen („Geschäftsordnung der Bundesregierung“). Zu diesen nicht normierten Beendigungsfällen gehört der Tod eines Bundeskanzlers und auch die Beendigung des Amtes durch Rücktritt oder durch das Zusammentreten eines neu gewählten Bundestages in der Konstellation, dass der Bundespräsident nicht von seinem Recht nach Artikel 69 Absatz 3, den bisherigen Amtsinhaber zur Weiterführung der Geschäfte bis zur Ernennung eines neuen Kanzlers zu verpflichten, Gebrauch macht – wie beim RücktrittWilly Brandts 1974 geschehen.
Nach überwiegender Meinung in der Rechtsliteratur[35] müsse dem Bundespräsidenten in solchen Fällen inAnalogie zu Artikel 69 Absatz 3 eine außerordentliche Ernennungsbefugnis zuerkannt werden, da die Verfassung von ihrer Struktur her ein ununterbrochenes Funktionieren aller Verfassungsorgane einfordert und sonst unaufschiebbare Maßnahmen nicht getroffen werden könnten. Ohne einen amtierenden Bundeskanzler aber existiert keine Bundesregierung (Art. 62GG) und mit der Amtsbeendigung eines Bundeskanzlers verlieren auch alle Regierungsmitglieder ihre Ämter (Art. 69 Absatz 2 GG). Streitig unter Juristen ist weiterhin, ob der Bundespräsident in solchen Situationen in der Auswahl des neuen Bundeskanzlers auf die Person des bisherigen (auch als solcher nicht mehr im Amt befindlichen) Vizekanzlers beschränkt ist – die herrschende Meinung (u. a. Herzog in Maunz/Dürig Art. 69 Rn. 59) geht von einer Auswahlbeschränkung aus (Walter Scheel war 1974 auch zuvor Vizekanzler, als er von BundespräsidentGustav Heinemann mit dervorübergehenden Amtsführung betraut wurde).[36] Eindeutig ist weiterhin nicht, ob in diesen Fällen der Terminus „geschäftsführender“ Bundeskanzler rechtlich überhaupt der richtige ist: Nach wörtlicher Auslegung des Artikel 69 Absatz 3 des Grundgesetzes können nur die bisherigen Amtsinhaber zum „geschäftsführenden Bundeskanzler“ oder zu „geschäftsführenden Bundesministern“ verpflichtet werden.[37] Aus ähnlichem Grunde wird Konrad Adenauer nicht als Bundesaußenminister für den Zeitraum nach dem RücktrittHeinrich von Brentanos 1961 geführt, obwohl er das Amt „faktisch geschäftsführend“ wieder übernahm, aber im Gegensatz zuHelmut Schmidt 1982 nicht offiziell Außenminister wurde. Erst eineanalogeAuslegung des Artikel 69 Absatz 3 könnte in dieser Fallkonstellation die Bezeichnung „geschäftsführender Bundeskanzler“ rechtfertigen; ansonsten ist er rechtlich ohne Zusatzbezeichnung ausschließlich ein „Bundeskanzler“.
Der Rücktritt des Bundeskanzlers während der Legislaturperiode selbst ist im Grundgesetz auch nicht vorgesehen oder geregelt. Dennoch wird er verfassungsrechtlich für zulässig erachtet. Die bisherigen Rücktritte der Bundeskanzler Adenauer, Erhard und Brandt waren daher auch nicht Gegenstand größerer verfassungsrechtlicher Debatten. Der Rücktritt bietet auch einen Weg zu Neuwahlen. Findet bei der nach dem Rücktritt anstehendenWahl des Bundeskanzlers gemäß Artikel 63 des Grundgesetzes kein Kandidat dieabsolute Mehrheit, so kann der Bundespräsident Neuwahlen anordnen, er muss das jedoch nicht tun.
BundeskanzlerHelmut Kohl am 19. Dezember 1989 auf dem Altmarkt inDresden
Eine der wichtigsten Entscheidungen desParlamentarischen Rates zur Stärkung der Position des Bundeskanzlers war die Einführung des konstruktiven Misstrauensvotums. Der Bundeskanzler kann nachArtikel 67 des Grundgesetzes nur durch eine Mehrheit im Parlament gestürzt werden, wenn sich diese Mehrheit gleichzeitig auf einen Nachfolger für ihn geeinigt hat. Dadurch wird verhindert, dass die Regierung durch eine sie ablehnende, aber in sich nicht einige Mehrheit gestürzt wird. In der Weimarer Republik war das durch das gemeinsame Wirken von extrem rechten und extrem linken Kräften häufig gegeben, was zu kurzen Amtsperioden der Reichskanzler und damit zu allgemeiner politischer Instabilität führte.
Der Antrag muss nach der Geschäftsordnung des Bundestages von mindestens einem Viertel seiner Mitglieder eingebracht werden. Dabei muss der Antrag, den Bundespräsidenten zu ersuchen, den Bundeskanzler zu entlassen, gleichzeitig ein Ersuchen an den Bundespräsidenten enthalten, eine namentlich benannte Person zum Nachfolger zu ernennen. Damit wird sichergestellt, dass die neu formierte Mehrheit sich zumindest auf einen gemeinsamen Bundeskanzlervorschlag geeinigt hat und damit erwarten lässt, dass sie über ein gemeinsames Regierungsprogramm verfügt. Der Antrag bedarf zu seiner Annahme wiederum derKanzlermehrheit, also der absoluten Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestages.
Will derGemeinsame Ausschuss während desVerteidigungsfalles den Bundeskanzler per konstruktivem Misstrauensvotum stürzen, so bedarf dieser Antrag der Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses. Mit der Erhöhung dieser Mehrheit sollte die Möglichkeit eines faktischen Staatsstreiches durch den Gemeinsamen Ausschuss erschwert werden.
Der Wechsel eines Koalitionspartners oder auch nur einzelner Koalitionsabgeordneter zurOpposition ist nach den Vorschriften des Grundgesetzes legitim. Er steht jedoch in der öffentlichen Wahrnehmung stets im Ruch des Verrates, da nach Argumentation der vom Wechsel jeweils negativ betroffenen politischen Gruppe die Wähler bei ihrer Wahlentscheidung darauf hätten vertrauen können, dass sie mit der Wahl einer Partei auch einen bestimmtenKanzlerkandidaten wählten. Der nachträgliche Wechsel sei eine demokratietheoretisch nicht hinnehmbare Täuschung des Wählers. DasBundesverfassungsgericht hat sich dieser Argumentation in einem Urteil[38] zurVertrauensfrage aus dem Jahr 1983 entgegengestellt und demokratische Legitimation mit verfassungsrechtlicher Legitimität gleichgesetzt.
Das konstruktive Misstrauensvotum ist in der Geschichte der Bundesrepublik bisher zweimal zur Anwendung gekommen: 1972 versuchte dieCDU/CSU-Fraktion erfolglos, BundeskanzlerWilly Brandt zu stürzen undRainer Barzel zum Kanzler zu wählen; 1982 stürzten CDU/CSU undFDP gemeinsam BundeskanzlerHelmut Schmidt und wähltenHelmut Kohl zum Bundeskanzler.
Hat der Bundeskanzler den Eindruck, dass die Mehrheit desBundestages seine Politik nicht mehr unterstützt, so kann er nachArtikel 68 desGrundgesetzes die Vertrauensfrage stellen und damit den Bundestag selbst zum Handeln zwingen. Er kann die Vertrauensfrage auch mit einer Sachentscheidung, also einemGesetzentwurf oder einem anderen Sachantrag, verbinden. Stimmt der Bundestag dem Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht mit absoluter Mehrheit zu, so gibt es drei Möglichkeiten:
Der Bundeskanzler kann sich entschließen, keine verfassungsrechtlichen Konsequenzen zu ziehen.
Der Bundeskanzler kann demBundespräsidenten vorschlagen, den Bundestag aufzulösen; der Bundespräsident entscheidet über diesen Vorschlag politisch eigenständig. Mit dem Zusammentritt des neugewählten Bundestages endet automatisch auch das Amtsverhältnis des bisherigen Bundeskanzlers (§ 9 Abs. 1 Nr. 2BMinG), wobei eine erneute Wahl durch den neuen Bundestag jedoch möglich ist.
Die Bundesregierung kann beim Bundespräsidenten beantragen, denGesetzgebungsnotstand auszurufen, sofern derBundesrat dem zustimmt und der Bundestag zuvor eine als dringlich bezeichnete Gesetzesvorlage abgelehnt hat. Der Bundespräsident entscheidet über diesen Antrag wiederum politisch eigenständig. Durch den Gesetzgebungsnotstand kann der Bundestag für sechs Monate weitgehend entmachtet werden (Prärogativ).
In der Geschichte der Bundesrepublik ist die Vertrauensfrage bisher sechsmal gestellt worden. Zweimal (Schmidt 1982 undSchröder 2001) handelte es sich um eine echte Vertrauensfrage, während mit den Vertrauensfragen vonBrandt 1972,Kohl 1982, Schröder 2005 undScholz 2024 die Auflösung des Bundestags angestrebt und auch erreicht wurde. 1983 und 2005 klagten Abgeordnete beimBundesverfassungsgericht gegen dieses Vorgehen. Beide Male verwarf das Gericht im Ergebnis die Klagen.[38][39]
In der – nicht gesetzlich geregelten, aber weithin befolgten –protokollarischen Rangordnung in Deutschland steht der Bundeskanzler auf Rang drei, hinter dem Bundespräsidenten und dem Präsidenten des Bundestags. Das Protokoll Inland der Bundesregierung empfiehlt als Anrede für den Bundeskanzler „Herr Bundeskanzler“ oder „Frau Bundeskanzlerin“, nicht aber für ehemalige Amtsinhaber. Im internationalen diplomatischen Schriftverkehr wird das auch für ausländische Regierungschefs und republikanische Staatsoberhäupter gängige PrädikatExzellenz verwendet. In Anschriften soll für ehemalige Amtsinhaber die frühere Amtsbezeichnung mit dem Zusatza. D. verwendet werden, jedoch nur wenn eine vorrangig zu verwendende aktuelle Amts- oder Funktionsbezeichnung fehlt.[1]
Beurteilung des Amtes
Die Konstruktion eines starken, nur vom Bundestag abhängigen Bundeskanzlers hat sich nach überwiegender Ansicht der Politikwissenschaft bewährt. Während das Zusammenspiel vonBundestag undBundesrat in der Gesetzgebung regelmäßig kritisiert und das Amt des Bundespräsidenten in seiner heutigen Ausgestaltung gelegentlich infrage gestellt wird, sind sowohl das Amt als auch die Befugnisse des Bundeskanzlers nahezu unumstritten. Auch wenn Konrad Adenauers Machtposition, die sich im während seiner Amtszeit geprägten Begriff derKanzlerdemokratie manifestierte, bei seinen Nachfolgern nicht in diesem Umfang erhalten blieb, ist der Bundeskanzler der wichtigste und mächtigste deutsche Politiker.
Die verhältnismäßig starke verfassungsrechtliche Position, die sich unter anderem durch die Art der Amtseinsetzung und derKabinettsbildung sowie durch die erschwerte Absetzbarkeit nur durch einkonstruktives Misstrauensvotum ergibt, und die regelmäßige Bekleidung eines hohen Parteiamtes in Verbindung mit relativ stabilenparteipolitischen Verhältnissen hat für eine große Kontinuität im Amt des Bundeskanzlers gesorgt:Friedrich Merz ist erst die zehnte Person, die das Amt innehat. Die lange durchschnittliche Amtszeit der Bundeskanzler von etwa achteinhalb Jahren wird jedoch auch kritisiert. In diesem Zusammenhang wurde bereits eine in ihrer praktischen Umsetzung nicht unproblematische Begrenzung der Amtszeit des Bundeskanzlers auf acht Jahre wie beimUS-Präsidenten vorgeschlagen, auch Gerhard Schröder unterstützte diese Idee vor seiner Amtszeit. Er rückte jedoch später von ihr ab, zumal er sich nach einer Kanzlerschaft über zwei Amtsperioden (1998–2005) bei derBundestagswahl 2005 zur Wiederwahl stellte.
Die Hoffnungen auf einen starken Bundeskanzler haben sich insgesamt erfüllt, die Befürchtungen vor einem zu starken Machthaber haben sich jedoch nicht bewahrheitet, zumal die Macht des Bundeskanzlers im Vergleich zumReichspräsidenten der Weimarer Republik oder zum US-Präsidenten beschränkt ist. Insofern kann das Wort von Alt-BundespräsidentHerzog, dasGrundgesetz sei ein Glücksfall für Deutschland, auch auf die Konstruktion des Amtes des Bundeskanzlers bezogen werden.
Als Verfassungsrechtler kritisierte Roman Herzog allerdings auch einige „Petrefakte“ des Grundgesetzes. Es sei ein „Kunststück“, dass Artikel 61 die Anklage des Bundespräsidenten vor dem Bundesverfassungsgericht vorsehe, dass also nicht der Bundeskanzler, der zu Manipulationen alle Gelegenheit habe, sondern der Bundespräsident mit der Möglichkeit der Organklage bedroht sei. Das Vorschlagsrecht nach Artikel 63 Absatz 1 sei eine Rückbildung des Auswahlrechtes, das zurKaiserzeit undWeimarer Zeit noch selbstverständlich gewesen sei. Das könne man jetzt streichen.[40]
Im Zusammenhang mit der Wahl Angela Merkels zur Bundeskanzlerin wurden auch einige Betrachtungen im Hinblick auf den sprachlichen Umgang mit dem ersten weiblichen Amtsinhaber angestellt. So wurde festgestellt, dass – obwohl imGrundgesetz nur vom „Bundeskanzler“ imgenerischen Maskulinum die Rede ist – die offizielle Anrede für eine Frau im höchsten Regierungsamt „Frau Bundeskanzlerin“ lautet. Ferner wurde auch klar, dass Angela Merkel zwar die erste Bundeskanzlerin (im Femininum), gleichzeitig aber auch der achte Bundeskanzler (im generischen Maskulinum) war.[41][42]
Ebenfalls im Zusammenhang mit der erstmaligen Wahl einer Frau in das Amt des Bundeskanzlers wurde das Wort „Bundeskanzlerin“ am 16. Dezember 2005 von derGesellschaft für deutsche Sprache zumWort des Jahres gekürt, weil der Ausdruck nach Ansicht der Jury sprachlich interessante Fragen aufwerfe und vor einigen Jahrzehnten auch eine Bundeskanzlerin noch mit „Frau Bundeskanzler“ angesprochen worden wäre.[43]
2004 wurde die Anrede „Frau Bundeskanzlerin“ in denDuden aufgenommen.
DieInternetdomainbundeskanzlerin.de wurde bereits 1998 durch den damaligen Studenten Lars Heitmüller reserviert. Er hatte angekündigt, sie kostenfrei an die erste Bundeskanzlerin zu übertragen, was schließlich im November 2005 erfolgte.[44]
Zur Amtszeit werden hier auch die Zeiträume gezählt, in denen die Bundeskanzler zwischen Zusammentritt des neuen Bundestages oder ihrem Rücktritt und der Wahl eines neuen Bundeskanzlers bzw. der erneuten Wahl zum Bundeskanzler im Sinne von Artikel 69 desGrundgesetzes formal nur die Geschäfte weiterführten: Konrad Adenauer (6. bis 9. Oktober 1953, 15. bis 22. Oktober 1957, 17. Oktober bis 7. November 1961 und 15. bis 16. Oktober 1963), Ludwig Erhard (19. bis 20. Oktober 1965 und 30. November bis 1. Dezember 1966), Kurt Georg Kiesinger (20. bis 21. Oktober 1969), Willy Brandt (13. bis 14. Dezember 1972), Helmut Schmidt (14. bis 15. Dezember 1976 und 4. bis 5. November 1980), Helmut Kohl (29. März 1983: einige Stunden, 18. Februar bis 11. März 1987, 20. Dezember 1990 bis 17. Januar 1991, 10. bis 15. November 1994 und 26. bis 27. Oktober 1998), Gerhard Schröder (17. bis 22. Oktober 2002 und 18. Oktober bis 22. November 2005), Angela Merkel (27. bis 28. Oktober 2009, 22. Oktober bis 17. Dezember 2013, 24. Oktober 2017 bis 14. März 2018 und 26. Oktober bis 8. Dezember 2021), Olaf Scholz (25. März bis 6. Mai 2025).
Da Willy Brandt den BundespräsidentenGustav Heinemann darum gebeten hatte, nicht nachArtikel 69 Absatz 3 des Grundgesetzes mit derWeiterführung der Geschäfte beauftragt zu werden, führte auf Ersuchen des Bundespräsidenten derStellvertreter des Bundeskanzlers, Walter Scheel, bis zur Wahl von Helmut Schmidt die Geschäfte des Bundeskanzlers(siehe auch:Ende der Amtszeit).
Konrad Adenauer (1949–1963)
Konrad Adenauers Amtszeit war wesentlich von außenpolitischen Ereignissen geprägt. Die Westbindung mitNATO-Beitritt und Gründung derEGKS, dem Grundstein derEuropäischen Union, setzte er gegen den Widerstand derSPD durch. Er brachte diedeutsch-französische Aussöhnung voran und unterschrieb 1963 dendeutsch-französischen Freundschaftsvertrag. Ebenso setzte er sich in starkem Maße für diedeutsch-jüdische Versöhnung ein. Auch innenpolitisch wird ihm – neben seinem Nachfolger Ludwig Erhard – dasWirtschaftswunder, die starke wirtschaftliche Erholung der westdeutschen Gesellschaft, angerechnet. Durch sozialpolitische Beschlüsse wie dieLastenausgleichsgesetzgebung oder diedynamische Rente erreichte er die Integration von Flüchtlingen, die Entschädigung von Opfern desZweiten Weltkrieges und die Bildung einer stabilen Gesellschaft mit breitem Mittelstand. Negativ werden seine strikte Ablehnung gegen Ludwig Erhard als Nachfolger, sein Verhalten in derSpiegel-Affäre, seine Uneindeutigkeit bei der Frage nach der Kandidatur zum Bundespräsidenten 1959 und sein unbedingtes Festhalten an der Macht 1962/63 angemerkt. Insgesamt hat Konrad Adenauer mit seiner Interpretation der Befugnisse des Bundeskanzlers wichtige Weichen für das Amtsverständnis seiner Nachfolger gelegt. Seine 14-jährige Amtszeit dauerte länger als die demokratische Phase der Weimarer Republik bis zur Machtübergabe an Hitler. Er war bei Amtsantritt bereits 73 Jahre alt und regierte bis zu seinem 88. Lebensjahr. Damit war er der mit Abstand älteste Bundeskanzler (bisher war kein anderer Bundeskanzler mit 70 Jahren noch im Amt) und wurde auch „der Alte“ genannt.[45]
Ludwig Erhard (1963–1966)
Ludwig Erhard kam als Mann desWirtschaftswunders an die Macht, was durch das äußere Erscheinungsbild unterstrichen wurde. Das brachte ihm auch den Beinamen „der Dicke“ ein. Seine Kanzlerschaft stand jedoch schon wegen der Angriffe Adenauers auf seinen Nachfolger und einer einsetzenden leichten wirtschaftlichen Schwächephase unter keinem guten Stern. Als wichtigste außenpolitische Tat seiner Kanzlerschaft gilt die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zuIsrael unter Inkaufnahme heftiger Proteste aus arabischen Staaten. Er versuchte, die Beziehungen zu denVereinigten Staaten von Amerika zu stärken, weshalb er als „Atlantiker“ im Gegensatz zum „Gaullisten“ Adenauer bezeichnet wurde. Erhard stürzte schließlich über wirtschaftliche Probleme und die Uneinigkeit in seiner Partei. Nach dem Rückzug der FDP-Minister aus der Regierung im Oktober 1966 begannen Verhandlungen über eineGroße Koalition, schließlich trat Erhard zurück.[46]
Kurt Georg Kiesinger (1966–1969)
Der Kanzler der erstenGroßen Koalition,Kurt Georg Kiesinger, stellte ein anderes Bild eines Bundeskanzlers dar. „Häuptling Silberzunge“ vermittelte zwischen den beiden großen ParteienCDU undSPD, anstatt zu bestimmen. Wichtiges Thema seiner Amtszeit war die Durchsetzung derNotstandsgesetze. Wegen seiner früherenNSDAP-Mitgliedschaft war er Angriffen der 68er-Generation ausgesetzt; mit dieser überlappte sich dieaußerparlamentarische Opposition. KiesingersUnion verfehlte bei derBundestagswahl 1969 die absolute Mehrheit lediglich um sieben Mandate.[47] Da in der Folge eine Sozialliberale Koalition aus SPD und FDP gebildet wurde und die Unionsparteien erstmals in die Opposition gingen, schied Kiesinger nach nur zwei Jahren und 325 Tagen aus dem Amt; er ist damit der Bundeskanzler mit der bislang kürzesten Amtszeit.
Willy Brandt (1969–1974)
Willy Brandt war der ersteSozialdemokrat im Bundeskanzleramt. Er setzte sich für dieOstverträge ein und förderte damit die Aussöhnung mit Deutschlands östlichen Nachbarländern; seinKniefall von Warschau wurde international stark beachtet. Auch stellte er die Beziehungen zurDDR auf eine neue Grundlage. Diese Haltung verschaffte ihm in konservativen Kreisen heftige Gegnerschaft, die 1972 sogar zu einem knapp scheiterndenMisstrauensvotum gegen ihn führte. Andererseits erhielt er für seine außenpolitischen Anstrengungen 1971 denFriedensnobelpreis. Innenpolitisch wollte er „mehr Demokratie wagen“; er war deswegen vor allem bei den jüngeren Wählern beliebt. In seine Amtszeit fiel dieÖlkrise 1973, die zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führte, welche wiederum Brandts Ansehen schadete. Nach der Enttarnung seines engen MitarbeitersGünter Guillaume als DDR-Spion trat Brandt zurück. Er begründete das offiziell mit Unterstellungen, die ihm nachsagten, dass er aufgrund von Frauengeschichten durch Guillaumes Spionage wahrscheinlich erpressbar sei und somit ein Risiko für die Bundesrepublik darstelle. Sein Rücktritt erfolge, weil es keinen Zweifel an der Integrität des Bundeskanzlers geben dürfe. Politische Beobachter sind sich heute einig, dass die Agentenaffäre nur der Auslöser für den geplanten Rücktritt war. Als tatsächliche Ursache für den Rücktritt werden allgemein Amtsmüdigkeit und Depressionen Brandts angenommen, die auch parteiintern zu Kritik an seinem unentschlossenen Führungsstil führten.
Nach dem Rücktritt des Bundeskanzlers am 7. Mai 1974 führteWalter Scheel die Regierungsgeschäfte, bis am 16. Mai 1974 Helmut Schmidt zum Bundeskanzler gewählt wurde.[48]
Helmut Schmidt (1974–1982)
Helmut Schmidt kam als Nachfolger Willy Brandts ins Amt. Der Terror derRoten Armee Fraktion, besonders im „Deutschen Herbst“ 1977, prägte die ersten Jahre seiner Amtszeit: Schmidt verfolgte in dieser Frage strikt die Politik, dass der Staat sich nicht erpressen lassen dürfe und zugleich derRechtsstaat gewahrt werden müsse. Innenpolitisch verfolgte er einen – für eine sozialliberale Koalition – eher konservativen Kurs. Seine Unterstützung desNATO-Doppelbeschlusses, mit der viele SPD-Mitglieder nicht einverstanden waren, läutete das Ende seiner Amtszeit ein. 1982 kam es schließlich wegen wirtschaftspolitischer Differenzen zum Bruch mit dem Koalitionspartner FDP. Wegen seiner offenen und direkten Art, auch unpopuläre Dinge auszusprechen, wurde er auch „Schmidt-Schnauze“ genannt.[49]
Helmut Kohl (1982–1998)
Helmut Kohl wurde durch ein konstruktivesMisstrauensvotum gegen Helmut Schmidt mit den Stimmen von CDU, CSU und der Mehrheit der FDP-Fraktion zum neuen Bundeskanzler gewählt. Er versprach zu Beginn seiner Amtszeit eine „geistig-moralischeWende“. In den ersten Wochen seiner Kanzlerschaft führte er mittels einerVertrauensfrage die Auflösung des Bundestages und vorgezogene Neuwahlen herbei. Seine persönliche Vision war ein „Europa ohne Schlagbäume“, das die Schengen-Staaten mit denSchengener Abkommen schließlich auch verwirklichten. Ebenso setzte sich Kohl stark für die Etablierung desEuro ein. Helmut Kohls Name ist eng mit derDeutschen Wiedervereinigung verknüpft: 1989 ergriff er die Gunst der Stunde nach dem Fall derBerliner Mauer und sorgte in internationalen Verhandlungen für die Zustimmung derSowjetunion zurWiedervereinigung und der gesamtdeutschenNATO-Mitgliedschaft. Innenpolitisch entstanden durch die Wiedervereinigung große Probleme, da die Wirtschaft in Ostdeutschland entgegen Kohls Einschätzung von den kommenden „blühenden Landschaften“ zusammengebrochen war. Die Schwierigkeiten des Aufbaus Ost waren bestimmend für seine spätere Amtszeit. Schließlich wurde er 1998 auch wegen einer Rekordarbeitslosigkeitabgewählt. Nach Kohls Amtszeit wurde bekannt, dass er zugunsten der CDU unter Verstoß gegen das ParteigesetzSpenden angenommen und „schwarzen Kassen“ zugeführt hatte. Mit 16 Jahren und 26 Tagen Amtszeit ist Kohl der Bundeskanzler, der bisher am längsten amtierte. Er wird deshalb auch heute noch als „ewiger Kanzler“ bezeichnet.[50]
Gerhard Schröder (1998–2005)
Gerhard Schröder begann kurz nach Antritt seiner Kanzlerschaft mit seinerrot-grünen Koalition eine Reihe vonReformprojekten, denen gegen Ende der ersten Amtszeit eine Phase der „ruhigen Hand“ folgte. Außenpolitisch führte Schröder zunächst die transatlantische Partnerschaft wie seine Vorgänger fort: 1999 und 2001 unterstützteDeutschland im Rahmen derBündnistreue dieNATO imKosovo und inAfghanistan. 2002 jedoch verweigerte Schröder den USA offiziell seine Zustimmung zumIrakkrieg. Das gilt – neben seinem als gut erachteten Krisenmanagement während derJahrhundertflut in Ost- und Norddeutschland – als wichtiger Grund für seineWiederwahl 2002. 2003 benannte er mit derAgenda 2010 sein Reformprogramm für die zweite Amtszeit, zumal er die Arbeitslosigkeit nicht – wie zu Beginn seiner Amtszeit angekündigt – hatte halbieren können. Dieses Programm ging der politischen Linken zu weit, während es wirtschaftsnahen Gruppen nicht weit genug ging. Das alles führte zu Massenaustritten aus der SPD, dem Verlust zahlreicher Landtags- und Kommunalwahlen und der Formierung einer neuen linken Strömung jenseits der SPD, die zur Gründung der WahlalternativeWASG führte. Nach einer weiteren schweren SPD-Niederlage bei derLandtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2005 erreichte Gerhard Schröder mittels einerVertrauensfrage die Auflösung des Bundestages undvorgezogene Neuwahlen im Herbst 2005, auch weil er das Vertrauen der Koalition in ihn beeinträchtigt sah. Zwar verlor er diese Wahlen nach massiven Stimmverlusten knapp, jedoch gelang es ihm, die SPD in der Regierung beteiligt zu behalten, da die unerwartet geringe Differenz zwischen CDU/CSU und SPD im Wahlergebnis sowie der Einzug der Linkspartei ins Parlament zu einer großen Koalition aus Union und SPD führte.
Angela Merkel (2005–2021)
Angela Merkel wurde am 22. November 2005 zur Bundeskanzlerin gewählt. Die erste Frau und Naturwissenschaftlerin, die das höchste Regierungsamt Deutschlands bekleidete, stützte sich auf einegroße Koalition aus CDU/CSU und SPD. Sie war zudem die erste ehemalige Bürgerin der DDR als gesamtdeutsche Kanzlerin und war bei Amtsantritt mit 51 Jahren die jüngste Amtsinhaberin. Ihren Ruf als „Kohls Mädchen“ hatte sie abgelegt, als sie mit ihrem einstigen Förderer wegen dessen Spendenaffäre brach. Zu Beginn ihrer Amtszeit hatte Merkel sehr hohe Zustimmungsraten, die auch mit der für gut befundenen Lösung außenpolitischer Krisen zusammenhingen. Bei der Bewältigung innenpolitischer Probleme wie derFöderalismus- und derGesundheitsreform traten Kritiker auch aus ihrer eigenen Partei auf und warfen Merkel Führungsschwäche vor.
Bei derBundestagswahl 2009 kam es zu einer schwarz-gelben Mehrheit. Am 28. Oktober 2009 wurde Merkel als Bundeskanzlerin wiedergewählt. Während sich die internationaleFinanzkrise verschärfte und derEuro in Gefahr geriet, machte die Bundesregierung durch ihre teils scharf kritisierte Steuerpolitik von sich reden. DieWehrpflicht und derZivildienst wurden ausgesetzt und durch freiwillige Varianten ersetzt. DieLaufzeitverlängerung derAtomkraftwerke wurde zunächst beschlossen und nach derNuklearkatastrophe von Fukushima wieder rückgängig gemacht.
Bei derBundestagswahl 2013 verfehlte die FDP erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik den Einzug in den Bundestag. Infolgedessen bildete Merkel erneut eine Koalition mit der SPD und wurde am 17. Dezember 2013 zum dritten Mal zur Bundeskanzlerin gewählt. Nach derBundestagswahl 2017 fiel eine Mehrheitsbildung zunächst schwer, da Sondierungen zu einer sogenanntenJamaika-Koalition aus Unionsparteien, FDP und Grünen scheiterten und die SPD zunächst nicht zu einer Zusammenarbeit bereit war. Nach der Einigung auf einen Koalitionsvertrag und dessen erfolgreicher Absegnung durch die beteiligten Parteien CSU, CDU und SPD wurde Angela Merkel am 14. März 2018 zum vierten Mal zur Bundeskanzlerin gewählt.
Als wichtigste Errungenschaft der Kanzlerschaft Merkels gilt die Verringerung derArbeitslosigkeit, die sich zum Teil den vorangegangenen Reformen Gerhard Schröders verdankt, als größte Herausforderungen die Bewältigung der Finanzkrise seit 2007, derEurokrise seit 2009 sowie derFlüchtlingskrise in Europa 2015/2016. In ihre Amtszeit fiel außerdem der Beginn derCOVID-19-Pandemie, wobei sie anlässlich dieser am 18. März 2020 ihre einzigeFernsehansprache – ausgenommen derNeujahrsansprachen – hielt, die von etwa 25 bis 30 Millionen Zuschauern verfolgt wurde. ZurBundestagswahl 2021 trat sie nicht mehr als Kanzlerkandidatin der Union an. Mit einer Amtszeit von 16 Jahren und 16 Tagen ist sie knapp hinter Helmut Kohl, der zehn Tage länger amtierte, der Bundeskanzler mit der zweitlängsten Amtszeit.
Olaf Scholz (2021–2025)
Olaf Scholz wurde am 8. Dezember 2021 ins Amt gewählt. Er führte eine Koalition von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Dieses alsAmpelkoalition bezeichnete Bündnis war das erste seiner Art auf Bundesebene. Er ist der neunte und der erste konfessionslose Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland.
Nach demrussischen Überfall auf die Ukraine wandte sich Scholz am Abend des 24. Februar 2022 in einer Fernsehansprache an die Bevölkerung. Am 27. Februar 2022 kündigte er in einer Sondersitzung des deutschen Bundestages einen Wandel der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik an. Der dafür verwendete Begriff „Zeitenwende“ wurde zum häufig gebrauchten politischen Schlagwort und zumWort des Jahres 2022 erklärt. Scholz hatte ihn bereits 2017 in seinem BuchHoffnungsland verwendet. Seine Regierung beschloss im Anschluss daran einSondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro. Unter Berufung auf seineRichtlinienkompetenz entschied Scholz im Oktober 2022, nachdem sich die Grüne und FDP beim ThemaAtomausstieg bzw.Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke nicht einig waren, dass alle (drei) letzten aktivenKernkraftwerke in Deutschland über den 31. Dezember 2022 hinaus, aber bis längstens zum 15. April 2023 im Leistungsbetrieb bleiben. Am 6. November 2024 zerbrach nach der Entlassung von BundesfinanzministerChristian Lindner die Ampelkoalition. Scholz, der infolge dessen nur noch einer Minderheitsregierung aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen vorstand, stellte am 11. Dezember 2024 dieVertrauensfrage mit dem Ziel, diese zu verlieren und so vorgezogene Neuwahlen zu erreichen.[51] Der Bundestag entzog Scholz daraufhin das Vertrauen, der anschließend wie angekündigt beim Bundespräsidenten die Auflösung des Bundestages beantragte. Am 27. Dezember 2024 setzte BundespräsidentFrank-Walter Steinmeier einevorgezogene Bundestagswahl für den 23. Februar 2025 an.[52][53][54][55] Scholz ist nach Willy Brandt, Helmut Kohl und Gerhard Schröder der vierte Bundeskanzler, der auf diesem Weg vorgezogene Neuwahlen herbeigeführt hat. In der folgenden Bundestagswahl unterlag Scholz’ SPD den Unionsparteien und wurde erstmals (nach der AfD) nur drittstärkste Kraft im Bundestag. Scholz war damit der erste Bundeskanzler seit Kurt Georg Kiesinger, der nach nur einer Amtszeit aus dem Amt schied.
Friedrich Merz (seit 2025)
Friedrich Merz wurde am 6. Mai 2025 als erster Bundeskanzler in der bundesrepublikanischen Geschichte erst in der zweiten Wahlphase (im insgesamtzweiten Wahlgang) ins Amt gewählt.[56] Er ist der zehnte Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und führt eine Koalition von CDU/CSU und SPD, die insgesamt fünfte Koalition dieser Art auf Bundesebene.
Bundeskanzler, die zugleich Bundesaußenminister waren
Zwei Bundeskanzler amtierten zeitweise zugleich als Bundesminister des Auswärtigen:
Bundeskanzler Konrad Adenauer war vom 15. März 1951 bis zum 7. Juni 1955 der erste deutsche Bundesminister des Auswärtigen; bis dahin gestatteten die alliierten Besatzungsmächte derBundesregierung nicht, einAußenministerium einzurichten. Adenauer übernahm außerdem inoffiziellfaktisch geschäftsführend nach demRücktritt des bisherigen AußenministersHeinrich von Brentano am 30. Oktober 1961 für zwei Wochen die Leitung desAuswärtigen Amtes, bisGerhard Schröder am 14. November 1961 zum neuen Bundesaußenminister ernannt wurde.
Bundeskanzler Helmut Schmidt wurde nach dem Bruch dersozialliberalen Koalition vonBundespräsidentKarl Carstens zum Bundesminister des Auswärtigen ernannt und hatte dieses Amt vom 17. September bis zum 1. Oktober 1982 inne.
Statistisches
Allgemeines und Amtszeit
Der damalige KanzlerSchmidt mit seinen AmtsvorgängernKiesinger (l.) undBrandt (r.) in Bonn (1979)
Wird der nur geschäftsführende Amtsträger Walter Scheel nicht mitgezählt, so gab es einschließlich Friedrich Merz bislang zehn Bundeskanzler. Am längsten amtierteHelmut Kohl mit 16 Jahren und 26 Tagen, dicht gefolgt vonAngela Merkel, die nur zehn Tage weniger im Amt war; am kürzestenKurt Georg Kiesinger mit zwei Jahren und elf Monaten.
Parteien
Partei
Anzahl
Anzahl Legislaturen / Kabinette
CDU
6
17
SPD
4
8
Die SPD stellte vier Bundeskanzler, die CDU kommt auf sechs, darunter die einzige Kanzlerin. Andere Parteien stellten keine gewählten Kanzler.
Adenauer (CDU) war früher Mitglied desZentrums, Kiesinger (CDU) Mitglied derNSDAP, SPD-Kanzler Brandt hatte der linksradikalenSplitterparteiSAP angehört. Angela Merkel war zusammen mit demDemokratischen Aufbruch in die CDU gekommen.
Die CDU stellte am längsten den Bundeskanzler, nämlich (bis einschließlich 2025) 52 Jahre. Die SPD kommt (bis 2025) auf 24 Jahre. Die längste Zeit, in der eine Partei (die CDU) ununterbrochen den Kanzler stellte, waren die 20 Jahre von 1949 bis 1969.
Konrad Adenauer vereinte in seinem zweiten Kabinett Vertreter von insgesamt fünf Parteien und hält damit den Rekord (zu Amtsantritt vier, am Ende drei; CDU und CSU als zwei Parteien gezählt).
Titel und Ämter
Ludwig Erhard, Helmut Kohl und Angela Merkel haben einePromotion abgeschlossen. Alle Bundeskanzler erhielten teilweise mehrfachEhrendoktorwürden.
Erhard war Soldat (Unteroffizier) imErsten Weltkrieg. Schmidt war Soldat im Zweiten Weltkrieg (Oberleutnant der Wehrmacht, Major d. R. der Bundeswehr). Adenauer hat aus gesundheitlichen Gründen nicht gedient, Kiesinger war aufgrund seiner Ministerialarbeit während desZweiten Weltkriegs vom Waffendienst befreit, Brandt lebte bei der Wiedereinführung der Wehrpflicht 1935 im Exil, Kohl gehörte zu denWeißen Jahrgängen zwischenWehrmacht undBundeswehr, Schröder musste wegen seines gefallenen Vaters nicht dienen, Merkel unterlag als Frau nicht der Wehrpflicht. Scholz hat in einem Altenpflegeheim denZivildienst abgeleistet.
Es ist gängig, dass ein Kanzler zuvor Bundesminister gewesen ist: Erhard vierzehn Jahre (Wirtschaft), Brandt drei Jahre (Auswärtiges), Schmidt fünf Jahre (Verteidigung, Finanzen, Wirtschaft), Scholz sechs Jahre (Arbeit und Soziales, Finanzen) und Merkel acht Jahre (Frauen, Umwelt), die damit (Stand: 2025) insgesamt am längsten Mitglied der Bundesregierung war. Minister einer Landesregierung waren: Erhard 3 Monate (Wirtschaft in Bayern), Scholz 4 Monate (Innensenator in Hamburg) und Schmidt für 4 Jahre (Innensenator in Hamburg). EhemaligeRegierungschefs einesBundeslandes waren Kiesinger (Baden-Württemberg), Kohl (Rheinland-Pfalz), Schröder (Niedersachsen) und Scholz (Hamburg). Willy Brandt war von 1957 bis 1966Regierender Bürgermeister vonWest-Berlin, das in der Zeit der deutschen Teilung faktisch, wenn auch nicht völkerrechtlich, ein Land des Bundesrepublik Deutschland war.Oberbürgermeister einer Großstadt war Adenauer (Köln). Einzig Friedrich Merz hatte bislang keine solche Funktion inne.
Alle bisherigen Kanzler hatten parlamentarische Erfahrung. Kiesinger war bislang der einzige Kanzler, der während seiner Amtszeit nichtMitglied des Deutschen Bundestages war, gehörte aber zuvor (1949–1958) und danach (1969–1980) dem Bundestag an. Vom 26. Oktober 2021 bis zur Wahl von Olaf Scholz war zudem auch Angela Merkel als geschäftsführende Bundeskanzlerin keine Bundestagsabgeordnete mehr. Kein Bundeskanzler warMitglied des Reichstages, Adenauer war 1918 kurzzeitig Mitglied desPreußischen Herrenhauses. Mit Ausnahme von Angela Merkel blieben alle Bundeskanzler über das Ende ihrer Amtszeit hinaus Abgeordnete im Bundestag (Gerhard Schröder nach der Wahl seiner Nachfolgerin jedoch nur für zwei Tage, bevor er sein Mandat niederlegte). Brandt war nach seinem Rücktritt 1974 noch bis zu seinem Tod 1992 Bundestagsabgeordneter, insgesamt 31 Jahre lang (1949–1957, 1961, 1969–1992). Danach folgen Merkel mit ebenfalls 31 Jahren Mitgliedschaft im Bundestag (1990–2021) und Schmidt mit 30 Jahren (1953–1962, 1965–1987). Erhard war 28 Jahre lang Bundestagsabgeordneter (von 1949 bis zu seinem Tod 1977), Kohl 26 Jahre (1976–2002), Adenauer 18 Jahre (1949–1967) und Schröder insgesamt 13 Jahre lang (1980–1986, 1998–2005).
Bei Amtsantritt am jüngsten war Bundeskanzlerin Merkel mit 51 Jahren. Der älteste Bundeskanzler bei Amtsantritt war Adenauer mit 73 Jahren. Adenauer hält weiterhin den Altersrekord als amtierender Kanzler, er trat erst mit 87 Jahren ab. Der jüngste Bundeskanzler bei Ausscheiden aus dem Amt war Willy Brandt mit 60 Jahren.Bis auf Friedrich Merz war jeder Bundeskanzler zu Beginn seiner Amtszeit jünger als sein Vorgänger.
Bislang fünf Bundeskanzler traten ihr Amt jeweils erst mit über 60 Jahren an. Die anderen fünf Bundeskanzler (Brandt, Schmidt, Kohl, Merkel, Schröder) erlebten ihren 60. Geburtstag im Amt.
Das höchste Lebensalter eines ehemaligen Kanzlers erreichte bislang Helmut Schmidt, der 96 Jahre und 322 Tage alt wurde. Schmidt hält auch den Rekord für den längsten Zeitraum als ehemaliger Kanzler. Zwischen seiner Abwahl und seinem Tod vergingen 33 Jahre und 40 Tage. Der am jüngsten verstorbene Bundeskanzler ist Willy Brandt mit 78 Jahren und 295 Tagen. Die kürzeste Zeit als Altkanzler hatte Konrad Adenauer (3 Jahre und 185 Tage).
Als der erste Bundeskanzler Adenauer 1949 sein Amt antrat, lebten noch die folgenden Reichskanzler: Joseph Wirth, Hans Luther, Heinrich Brüning und Franz von Papen. Seit dem Rücktritt Adenauers gab es neben dem Amtsinhaber stets noch mindestens einen lebendenAltbundeskanzler. Bislang gab es vier Perioden, in denen neben dem Amtsinhaber je drei Altkanzler am Leben waren: von 1974 bis 1977 (Erhard, Kiesinger, Brandt), von 1982 bis 1988 (Kiesinger, Brandt, Schmidt), von 2005 bis 2015 (Schmidt, Kohl, Schröder) und seit 2025 (Schröder, Merkel, Scholz). Seit dem Tod Helmut Kohls im Jahr 2017 lebte mit Gerhard Schröder bis 2021 zeitweilig nur noch ein Altkanzler. Dies war zuvor während der Amtszeit von Ludwig Erhard der Fall, nach dem Tod Konrad Adenauers, als Ludwig Erhard von 1967 bis 1969 der einzige lebende Altkanzler war, und nach dem Tod Willy Brandts, als Helmut Schmidt von 1992 bis 1998 der einzige lebende Altkanzler war.
Norbert Seitz:Die Kanzler und die Künste – Die Geschichte einer schwierigen Beziehung. Siedler, München 2005,ISBN 3-88680-803-3. Der Band behandelt das Thema von Adenauer bis Schröder.
↑Abkürzungsverzeichnis des Bundes. Abkürzungen für die Verfassungsorgane, die obersten Bundesbehörden und die obersten Gerichtshöfe des Bundes. Geschäfts- und Koordinierungsstelle GovData, abgerufen am 20. Oktober 2022.
↑Bodo Pieroth:Artikel 65. In: Hans Jarass, Bodo Pieroth (Hrsg.):Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Kommentar. 13. Auflage. C.H. Beck, München 2014,S.797.
↑Breit, Massing:Regierung und Regierungshandeln, Wochenschau Verlag, 2008, S. 33–35, 62.
↑Bodo Pieroth:Artikel 64. In: Hans Jarass, Bodo Pieroth (Hrsg.):Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Kommentar. 13. Auflage. C.H. Beck, München 2014,S.796.
↑Bodo Pieroth:Artikel 64. In: Hans Jarass, Bodo Pieroth (Hrsg.):Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Kommentar. 13. Auflage. C.H. Beck, München 2014,S.796–797.
↑Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar 77. EL Juli 2016, Artikel 63 Grundgesetz Rdnr. 21-24.
↑abBodo Pieroth:Artikel 63. In: Hans Jarass, Bodo Pieroth (Hrsg.):Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Kommentar. 13. Auflage. C.H. Beck, München 2014,S.795.
↑Bodo Pieroth:Artikel 63. In: Hans Jarass, Bodo Pieroth (Hrsg.):Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Kommentar. 13. Auflage. C.H. Beck, München 2014,S.794.
↑Z. B. von Mangoldt/Klein Art. 69 Anm. V 7b; Herzog in Maunz/Dürig, Art. 69 Rn 59.
↑EineMindermeinung der Juristen hält die Ernennung Walter Scheels für grundsätzlich unzulässig, z. B.Heinhard Steiger in:Hans-Peter Schneider,Wolfgang Zeh,Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, de Gruyter, Berlin/New York 1989, S. 779.
↑Roman Herzog:Relikte des konstitutionellen Verfassungswesens im Grundgesetz. In:Karl Dietrich Bracher u. a. (Hrsg.):Staat und Parteien. Festschrift für Rudolf Morsey zum 65. Geburtstag. Berlin 1992, S. 85–96.