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Staaten, klassifiziert nach Höhe des BIP pro Kopf (In US-Dollar) (2019): > 50.000 35.000–50.000 20.000–35.000 10.000–20.000 5000–10.000 2000–5000 < 2000 keine DatenBIP (KKP)-Vergleich (IWF 2024, Top 10)
Im Unterschied zumBruttonationaleinkommen, dem früherenBruttosozialprodukt, werden bei der Berechnung des BIP nur die Leistungen im Inland erfasst; es wird das sogenannteInlands-Prinzip angewendet; die Landesgrenzen sind ausschlaggebend. Das Bruttonationaleinkommen hingegen richtet sich nach demInländer-Prinzip. Es werden hierbei auch die im Ausland erbrachten Leistungen von Inländern berücksichtigt; umgekehrt bleiben Leistungen unberücksichtigt, die Ausländer im Inland erbracht haben. Hierbei sind also die Wohnsitze der Personen ausschlaggebend.[3] Werden vom BIP dieAbschreibungen abgezogen, ergibt sich dasNettoinlandsprodukt (NIP).
Das Bruttoinlandsprodukt kann sich sowohl auf Staaten als auch auf andere administrative oder geographische Einheiten beziehen. Teilweise werden dann die BegriffeBruttoregionalprodukt,Gross Provincial Product,Bruttoweltprodukt und andere verwendet.
Die ersten Grundsteine des BIP finden sich im 17. Jahrhundert beim britischen ÖkonomenWilliam Petty.[5] Er versuchte, durch Datenerhebungen und empirische Forschungen Zusammenhänge zwischen wirtschaftlichen Entwicklungen und dem Wohlstand und der Zufriedenheit der Bürger zu finden, damit die Regierung ihre Politik mit dieser Hilfe entsprechend verbessern und Steuereinnahmen erhöhen könne. Die Überlegungen Pettys entstanden als Reaktion auf eine Krise, die aus Bürgerkriegen in England, vielen Konflikten in Schottland und Irland und dem Krieg Großbritanniens mit Frankreich bestand. Zu dieser Zeit schien das Ermitteln von Informationen über den aktuellen Zustand der Wirtschaft als Grundlage für politische Maßnahmen hin zur Verbesserung der Situation besonders sinnvoll. Pettys erste volkswirtschaftliche Gesamtrechnung wirkte zuerst trivial und nicht besonders, seine Methode, welche er „politische Arithmetik“ nannte, war jedoch zu dieser Zeit vollkommen neu.
Pettys Ziel war es letztendlich, zu zeigen, dass eine Änderung des Steuersystems zu höherem Staatseinkommen führen könne. Er entdeckte damit diewirtschaftliche Kraft der arbeitenden Bevölkerung und betonte die Möglichkeit, durch politische Maßnahmen hin zu mehr Wohlstand Macht zu erlangen. Um geeignete Maßnahmen ergreifen zu können, sei die Erfassung empirischer Daten erforderlich. Die Kenntnis über die wirtschaftliche und soziale Situation des Landes und der internationale Vergleich würden somit die Grundlage für politisches Handeln bilden.
Pettys Schriften blieben bis zu seinem Tod jedoch unveröffentlicht. In den 200 Jahren nach seinem Tod wurde kein weiterer Versuch unternommen, mit seiner Methode dasVolkseinkommen zu berechnen.
In seinem 1776 erschienenen WerkDer Wohlstand der Nationen formulierteAdam Smith zwar eine allgemeine Theorie wirtschaftlichen Fortschritts, erwähnte William Petty jedoch nicht. Seine Schrift enthielt die Idee eines Jahresprodukts als Ertrag aus den Produktionsfaktoren Boden und Arbeit, basierend auf Arbeitsteilung als Schlüssel zu höherer Produktion. Smith sah den Fortschritt der Wirtschaft jedoch als natürlichen Verlauf und keine Notwendigkeit für staatliche Eingriffe, weshalb er auch keine Versuche der Berechnung des Wohlstandes unternahm.
Thomas Robert Malthus hingegen unternahm in seinen 1836 erschienenenPrinciples of Political Economy methodische Überlegungen zur Berechnung des Volkseinkommens, führte diese aber ebenfalls nicht durch.Alfred Marshall spezifizierte mit seiner Idee des Volkseinkommens inPrinciples of Economics die Berücksichtigung immaterieller Güter und Dienstleistungen, sofern sie einen Marktpreis haben. Er bezeichnete die Ökonomie als Wissenschaft zum Wohlstand, welcher durch die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse mit Gütern zu erreichen sei. Daraus folge die Erhöhung der Gütermenge als sozialpolitische Notwendigkeit, insbesondere zur Armutsbekämpfung nach der Industrialisierung.
Diese Thematik wurde 1920 durch Marshalls NachfolgerArthur Cecil Pigou vertieft. Er nannte den in Geld messbaren Teil der Wohlfahrt als Teilbereich der allgemeinen WohlfahrtEconomic Welfare. Pigou nahm an, dass die Steigerung der wirtschaftlichen Wohlfahrt gleichzeitig positive Auswirkungen auf die Gesamtwohlfahrt eines Landes habe. Eine Erhöhung des Volkseinkommens bedeute somit einen Anstieg der Gesamtwohlfahrt.
Die Idee des Volkseinkommens war somit seit Petty präsent und wurde methodisch verfeinert. Bis in das 20. Jahrhundert glaubte jedoch niemand an die politische Bedeutung einerstatistischen Datenerhebung im Sinne Pettys.
Ein weiterer wichtiger Vordenker des heutigen BIP ist der ÖkonomColin Clark. Er unternahm als erster nach Petty Berechnungen des Volkseinkommens und schuf Grundlagen und Elemente der BIP-Erfassung, die noch heute relevant sind. Außerdem entwickelte er das Konzept des Wachstums, gemessen an derWachstumsrate des Volkseinkommens. Clark sah das Volkseinkommen wie Petty als eine politisch relevante Größe für internationale Vergleiche. Trotz zahlreicher Publikationen sah die britische Regierung jedoch lange keine Notwendigkeit, das Volkseinkommen berechnen zu lassen.
Erst in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts nahm die Diskussion um eine systematisiertere Erfassung von Wirtschaftsdaten zur Wohlstandsmessung, vor allem in den USA und England, parallel zum wachsenden Forschungsgebiet derVolkswirtschaftslehre, an Bedeutung zu. Da mit demZweiten Weltkrieg zunehmend die Notwendigkeit der kontinuierlichen statistischen Erfassung aktueller Daten über den Zustand der Wirtschaft aufkam, kann dieser als Geburtsstunde derVolkswirtschaftlichen Gesamtrechnung bezeichnet werden. Die erfassten Daten dienten hauptsächlich als Kalkulationsbasis der für Kriegsausgaben verfügbaren Mittel.
Im Jahr 1940 empfahlJohn Maynard Keynes inHow to pay for the war[6] nicht nur Konsum und Investitionen, sondern auch Staatsausgaben mit ins Volkseinkommen einzurechnen, was auch noch der heutigen Definition des BIPs entspricht.
Keynes entwickelte Clarks Methode zur Berechnung des Volkseinkommens in Zusammenarbeit mit den Mitgliedern des britischen FinanzministeriumsJames Meade undRichard Stone weiter, welche sich schließlich durchsetzen konnte. Wenig später entwickelten Meade und Stone auf der Grundlage Clarks und genauerer Definition Keynes ein Kontensystem zur Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung.
Gleichzeitig wurde in den USA eine Methode entwickelt, wo der Staat selbst früh die Nützlichkeit der Volkseinkommensberechnungen erkannte. Der amerikanische ÖkonomSimon Smith Kuznets, der sich hauptsächlich mit Determinanten des Wachstums beschäftigte und 1971 einenWirtschaftsnobelpreis für seine Forschungen zu Wirtschaftswachstum und Ungleichheit bekam, wurde zur Zeit derGreat Depression 1931 mit der Berechnung der Volkseinkommen der Jahre 1929–1931 beauftragt. In diesem Zusammenhang handelte es sich um die erstmalige Einforderung der Daten durch eine Regierung.
Nachdem er die Berechnungen durchgeführt hatte, wies Kuznets den amerikanischen Kongress auf die begrenzte Möglichkeit der Wohlstandsmessung durch diesen Indikator hin.
Er betonte, dass die Erfassung des Volkseinkommens von dem gesellschaftlichen Konsens darüber, was unter wirtschaftlicher Aktivität verstanden wird, abhänge und sah neben seinen Potentialen die Gefahr der Überschätzung des Indikators.
Berechnet wird das BIP in Deutschland vomStatistischen Bundesamt. Es legt jährlich zweimal Berechnungen für das BIP des Vorjahres vor, im Frühjahr und im Herbst. Im Herbst werden nicht nur die Zahlen für das Vorjahr, sondern auch die für die früheren Jahre einer Prüfung unterzogen und in der Regel etwas revidiert. Außerdem legt das Statistische Bundesamt vierteljährlich Zahlen zum BIP des laufenden Jahres vor, die jedoch nur auf Schätzungen beruhen.
Dasnominale BIP gibt die Summe der inländischen Wertschöpfung beziehungsweise der Wertschöpfung von Regionen in aktuellenMarktpreisen an. Dadurch ist das BIP abhängig von Veränderungen desPreisindex der betrachteten Volkswirtschaft. Das nominale BIP steigt beiInflation und daraus folgenden steigenden Marktpreisen. Umgekehrt sinkt das nominale BIP beiDeflation und daraus folgenden sinkenden Marktpreisen. So führt eine Inflationsrate von zum Beispiel fünf Prozent bei gleich bleibender Güterproduktion zu einem nominalen BIP-Anstieg von ebenfalls fünf Prozent.
Um das BIP unabhängig von Veränderungen der Preise betrachten zu können, verwendet man dasreale BIP, in dem alle Waren und Dienstleistungen zu den Preisen eines Basisjahres bewertet werden (BIP zu konstanten Preisen). In Deutschland verwendet dasStatistische Bundesamt seit 2005Kettenindizes.[7]
Wenn man die Preissteigerung seit demBasisjahr kennt, lässt sich das reale BIP mittels folgender Formel aus dem nominalen BIP errechnen:
Der BIP-Deflator ist der Quotient aus nominalem und realem BIP eines Jahres. Er wird alsimpliziter Preisindex des BIP bezeichnet und misst diePreisentwicklung der produzierten Endgüter.[9]
Das Bruttoinlandsprodukt lässt sich auf drei verschiedene Arten ermitteln. Alle Berechnungsmethoden führen zum gleichen Ergebnis. Dies wird im Folgenden am Beispiel Deutschlands im Jahre 2007 verdeutlicht (das BIP betrug damals 2.423,8 Mrd. Euro.[11])
Die Methoden zur Erhebung der Daten und zur Berechnung des BIP werden in unregelmäßigen Abständen revidiert. So werden seit der letztenRevision dervolkswirtschaftlichen Gesamtrechnung vom 28. April 2005 beispielsweise die bis dahin nicht erfassten indirekten Entgelte der Banken aus demKredit- undEinlagengeschäft berücksichtigt. Um den historischen Vergleich zu gewährleisten, werden die Daten für die vergangenen Jahre entsprechend angepasst.
Am 20. August 2009 veröffentlichte dieEuropäische Kommission unter dem TitelDas BIP und mehr – Die Messung des Fortschritts in einer Welt im Wandel[12] eine Mitteilung an dasEuropäische Parlament. Darin wird die Entwicklung von neuen Messgrößen empfohlen.
Hier wird die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von der Produktionsseite dargestellt. Die zentrale Größe bildet dabei dieBruttowertschöpfung. Sie ermittelt sich aus der Summe sämtlicher Produktionen abzüglich Vorleistungen. Die Tabelle zeigt die Bruttowertschöpfung nach Sektoren für Deutschland im Jahr 2007.[13]
Bei der Verwendungsrechnung erfolgt die Berechnung anhand der Nachfrageseite. Dabei wird die Verwendung für Waren und Dienstleistungen bestimmt. Die folgende Tabelle zeigt links die Komponenten der Verwendungsrechnung, die Werte auf der rechten Seite entsprechen deren Größe im nationalen BIPDeutschlands 2007.[13]
Hier wird das BIP anhand des entstandenen Einkommens gemessen. Die Aufteilung erfolgt anhand desVolkseinkommens. Diese Tabelle zeigt auf der linken Seite die Komponenten der Verteilungsrechnung und rechts die dazugehörigen Daten aus dem Jahr 2007.[13]
DasStatistische Bundesamt weist darauf hin, dass in Deutschland keine eigenständige Berechnung des BIP über die Verteilungsseite vorgenommen wird, weil keine ausreichenden Angaben über die Unternehmensgewinne vorliegen.
DasBruttoweltprodukt (BWP), auch Welt-Bruttoinlandsprodukt[14] genannt, ist dieAggregation sämtlicher Bruttoinlandsprodukte aller Staaten der Erde. Das BWP ermöglicht einen Ländervergleich oder einen Vergleich zwischen Regionen und Kontinenten.
Im Jahre 2022 lag der weltweite Schwerpunkt der am BIP gemessenen Wirtschaftskraft mit einem Anteil von 35,3 % inAsien, gefolgt vonNordamerika (25,3 %), das damitEuropa (21,1 %) überholt hat.Afrika,Australien,Mittelamerika undNaher Osten stagnierten, weil deren Wirtschaftswachstum mit der Steigerung des BWP um rund 30 % (2014–2022) nicht mithalten konnte. In Asien entfällt der größte Anteil des BIP mit 51,6 % aufChina VolksrepublikVolksrepublik China, gefolgt vonJapanJapan (11,7 %) undIndienIndien (9,7 %). In Nordamerika dominieren dieVereinigte StaatenVereinigten Staaten mit 92,2 %, inSüdamerika entfallen 31,9 % des BIP aufBrasilienBrasilien, gefolgt vonMexikoMexiko (24,1 %). In Europa führt weiterhinDeutschlandDeutschland mit 19,0 % des europäischen BIP, gefolgt vonVereinigtes KonigreichVereinigtes Königreich (14,3 %) undFrankreichFrankreich (13,0 %). In Afrika hatNigeriaNigeria (16,5 %)SudafrikaSüdafrika (14,4 %) überholt.
DasWirtschaftswachstum, gemessen alsWachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes, wird gemeinhin von Politikern als Erfolgskriterium benutzt.[16] Alle Sozialproduktvergleiche sind Vergleiche zweier unter Befolgung bestimmter Regeln inGeld veranschlagter Güterkombinationen, also zweierGeldsummen, durch die man manchen Aufschluss erhalten kann, wenn man ihre Berechnungsmethode kennt. Sie geben keinen Einblick in „Nutzen“ oder „Befriedigung“.[17]
Überblick der VGR 2007Vergleich des Pro-Kopf-BIP in der EU nach Ländern. (1) Diese Statistik ist jedoch wie die meisten Statistiken bezüglich Luxemburg um den Faktor 2 respektive ½ verfälscht. In Luxemburg sind etwa die Hälfte aller Beschäftigten Grenzgänger, also Nicht-Einwohner. Das BIP von Luxemburg wird jedoch nur durch die Zahl der Einwohner geteilt.Regionen mit dem höchsten Pro-Kopf-BIP in der EU-25Regionen mit dem niedrigsten Pro-Kopf-BIP in der EU-25
Das BIP gibt Aufschluss über die Entwicklung der Produktion. Wichtig ist außerdem die Frage nach den Konsummöglichkeiten einer Volkswirtschaft. Dazu sind Informationen über das verfügbare Einkommen erforderlich. Das Problem eines geeigneten Maßes für den Lebensstandard löst dasNettonationaleinkommen am treffendsten.
Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf bzw. BIP pro Einwohner ermöglicht einen Vergleich verschiedener, unterschiedlich großerWirtschaftsräume miteinander und wird als Maß für denmateriellen Wohlstand in einem Land oder einer Region angesehen. Es wird wie folgt berechnet:
Beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zeigt ein Vergleich zwischen 2017 und 2023, dass sich erhebliche Schwankungen ergeben können, die auch mit Kursschwankungen der jeweiligenInlandswährung mit der statistischen WährungUS-Dollar (Kaufkraftparität) zusammenhängt.[18]
Die Aussagekraft des BIP bezüglich der Wirtschaftsleistung der Menschen in einer Volkswirtschaft ist begrenzt, da folgende Faktoren nicht oder nur teilweise mit berechnet werden:
Unter bestimmten Bedingungen werden die Ergebnisse für einzelne Staaten verzerrt. InIrland haben zahlreiche internationale Unternehmen ihren rechtlichen Sitz, um mittels des „Double Irish With a Dutch Sandwich“-Modells ihre in anderen europäischen Ländern erzielten Gewinne niedriger versteuern zu können. Das irische BIP wird durch die Mitberücksichtigung dieser tatsächlich nicht im Land erzielten Wirtschaftsleistung aufgebläht.[20] In Luxemburg sind 43,2 % aller Lohnabhängigen Grenzgänger, so dass der Wert des Pro-Kopf-BIP im Vergleich etwa doppelt so hoch erscheint.[21]
Die vom früheren französischen StaatspräsidentenNicolas Sarkozy einberufeneCommission on the Measurement of Economic Performance and Social Progress (Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission), der 25 renommierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler angehörten, sollte eine alternative Berechnung erstellen. In ihrem Bericht wies die Kommission auf Mängel der Standardmetriken wie dem BIP hin, deren Kenntnis eine weniger „euphorische“ Beurteilung der wirtschaftlichen Lage im Vorfeld derWeltfinanzkrise 2007–2008 zur Folge gehabt hätte. Sie empfahl, nicht ausschließlich auf das Wirtschaftswachstum zu schauen, sondern das gegenwärtige „Wohlergehen“ eines Landes zu ermitteln. Neben dem BIP müssten zum Beispiel auch das gemittelteHaushaltseinkommen, Familienarbeit, Freizeit, Gesundheit und der Zustand der Umwelt mit einbezogen werden.[22][23][24]
Forschung und Entwicklung zur Beziehung zwischen BIP und Realität
Die Beziehung zwischen dem globalen materiellen Fußabdruck (Global MF), dem globalenAnstieg der CO2 Emissionen und dem globalen BIP (Global GDP).[25]
BIP-Maßzahlen können auch als Zahlen, welche künstliche geschaffene Konstrukte darstellen, betrachtet werden.[26] Im Juni 2020 warnten Wissenschaftler, als Teil der SerieWarnung der Wissenschaftler an die Menschheit, dass der weltweite Wachstum anWohlstand, gemessen am BIP, den Ressourcenverbrauch undSchadstoffausstoß drastisch erhöht haben und dabei die wohlhabendsten Weltbürger – hinsichtlich z. B. ressourcenintensivem Verbrauch – sowohl für den Großteil der schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt, als auch für einen Übergang zu sichereren, nachhaltigeren Bedingungen verantwortlich sind. Dafür fassen sie Belege zusammen und stellen einige Lösungsansätze vor. Laut der Studie müssen tiefgreifende Änderungen vonLebensstilen und Verhaltensmustern technologische Fortschritte begleiten. Bestehende Gesellschaften, Ökonomien und Kulturenreizen einenÜberkonsum an und Strukturen, die in Markt-basierten Wirtschaftssystemen für, am BIP-gemessenes,Wirtschaftswachstum optimieren, verhindern gesellschaftlichen Wandel.[27][28][25]
Sarah Arnold derNew Economics Foundation erklärt, dass das BIP auch Aktivitäten, welche schädlich für die Wirtschaft und Gesellschaft sind, umfasst – etwaEntwaldung, Tagebau und Überfischung.[29] Die Zahl der jährlich im Netto verlorenen Bäume liegt bei ca. 10 Milliarden.[30][31]
Die global jährlich entwaldete Fläche in der 2015–2020 Demidekade liegt bei etwa 10 Millionen Hektar und bei 4,7 Millionen Hektar für 2000–2010.[32] Laut einer Studie, kann – je nachVermögensverteilung – ein höheres BIP-Wachstum mit mehr Entwaldung assoziiert sein.[33] 2019 machte der agrarwirtschaftliche Anteil Brasiliens Wirtschaft 24 % des BIP des Landes aus, wobei ein großer Teil davon mit einemgroßen Anteil des jährlichen Nettoverlusts an tropischen Wäldern verbunden ist.[34]
Die Zahlübergewichtiger Erwachsener lag 2015 weltweit bei etwa 600 Millionen (12 %).[35] GroßeVerbesserungen in derGesundheit führen allerdings nur zu einer mäßigen und langfristigen Erhöhung des BIP pro Kopf.[36]
Nachdem dasCenter for Partnership Studies eine ähnliche abstrakte Metrik zu BIP entwickelt hat, erklärt sie, dass das BIP „und andere Metriken, welche diesen widerspiegeln und aufrechterhalten“ nicht die Produktion und Bereitstellung von für die Gesellschaft nützliche – oder vergleichsweise nützlicherere – Gütern und Dienstleistungen fördern. Stattdessen ermutigen und begünstigen diese destruktiven Aktivitäten anstatt sie zu strukturell verhindern.[37][38] Steve Cohen des Earth Institutes erläutert, dass verschiedene Aktivitäten (oder Lebensstile) nicht gleich sind und nicht die gleichen Auswirkungen auf Umwelt undNachhaltigkeit haben.[39]Johan Rockström, des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, kommentiert, dass es schwierig sei, eine Kompatibilität des gegenwärtigen B.I.P.-basierten Wirtschaftsmodells mit dem rapidenAbsenken von Treibhausgasemissionen, zu welchem sich Nationen zwecks der Milderung der realenAuswirkungen des Klimawandels unter demPariser Klimaabkommen erklärt haben, zu sehen.[40] Einesystematische Übersichtsarbeit von gut 450wissenschaftlichen Veröffentlichungen kam 2020 zu dem Schluss, dassDecoupling von BIP und Ressourcenverbrauch undCO2e-Emissionen nur in Teilen möglich ist. Die Verwendung des BIP als Wohlstandsindikator ist damit mittelfristig ungenügend, da gegenläufige Anreize gesetzt werden.[41]
Abbildung nicht-monetärer und externalisierter Wirtschaftsfaktoren
Des Weiteren kritisieren andere, dass sich die BIP-Metrik nicht an soziotechnologische Veränderungen angepasst habe, um ein akkurates Bild der Wirtschaft zu liefern. Beispielsweise bildet es nicht den Wert der Produktion kostenfreier Informationen und Entertainment im Internet ab.[42]Unbezahlte Arbeit etwa zur Entwicklung vonOpen-Source-Software, welche vermarktete Software ersetzen kann und eindeutig wirtschaftlichen Wert habe, werde nicht erfasst.[43] Zudem misst das BIP dem Umweltschutz keinen Wert zu und könne nicht nach dem Kriterium Umweltschutz differenzieren. Das BIP ärmerer Regionen wächst beispielsweise schneller, nachdem es nach einem Anschluss an Chinas Schnellstraßensystem mehrumweltverschmutzende Produktionsstätten anzieht.[44] BIP ist kein Werkzeug oder Konstrukt, das fähig ist zu erkennen wie vielNaturkapital ein Wirtschaftsakteur aufbaut, schützt oder schädigt.[45]
Das BIP allein und für sich erlaubt nur begrenzt Aussagen überWohlstand,Lebensqualität oderGerechtigkeit für und zwischen den Menschen einer Volkswirtschaft. Auch der langfristige Zustand der sozialstaatlichen Sicherungssysteme (Gesetzliche Rentenversicherung,Krankenversicherung,Pflegeversicherung) und weitere Faktoren wie z. B. sozialer Frieden, Luftqualität, Erholungsgebiete und der Zustand der natürlichenRessourcen werden vom BIP nicht erfasst.[46][47] Daher können alternativ oder zusätzlich zur Einbeziehung dieser Ziele in der Wirtschaftspolitik folgende volkswirtschaftliche Indizes verwendet werden:
Seit 2005 veröffentlicht die privateDenkfabrikFund for Peace in Zusammenarbeit mit der ZeitschriftForeign Policy jährlich den sogenanntenFragile States Index (bis 2014Failed States Index), in dem Staaten auf ihr Risiko von Staatszerfall hin untersucht werden. Es werden dabei zwölf verschiedene Faktoren zu dem Index zusammengefasst.
DerGenuine Progress Indicator ist ein Maß für die wirtschaftliche Leistung einer Volkswirtschaft, das dieNachhaltigkeit von Wachstum abbilden soll. Eine wirtschaftliche Aktivität unter Inkaufnahme von gravierenden Umweltschäden, deren Behebung zukünftige Generationen deutlich mehr kosten wird, als die heutige Bevölkerung von der Aktivität profitiert, wird im BIP als positiv verbucht, im GPI negativ
DerSocial Progress Index misst, inwiefern ein Staat die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Bedürfnisse seiner Bürger befriedigen kann. Der Index setzt sich aus einer Reihe von Indikatoren zu Gesundheit, Bildung, Ökologie, Nachhaltigkeit, Sicherheit und persönliche Freiheit zusammen, ignoriert allerdings das Bruttoinlandsprodukt.
DerWorld Happiness Report ist ein jährlich vomSustainable Development Solutions Network derVereinten Nationen veröffentlichter Bericht. Der Bericht enthält Ranglisten zur Lebenszufriedenheit in verschiedenen Ländern der Welt und Datenanalysen aus verschiedenen Perspektiven.
DerGood Country Index misst wie sehr ein Land in den globalen Wohlstand und die Friedenserhaltung investiert. Er ist indirekt ein Indikator für die langfristige Entwicklung eines Landes, da sich Länder mit einem hohen GCI auch bessereHandelsbeziehungen sichern können.
DerHappy Planet Index ist ein Maß für die ökologische Effizienz der Erzeugung von Zufriedenheit unter Einbeziehung von Lebenszufriedenheit,Lebenserwartung undökologischem Fußabdruck
DerIndex der menschlichen Entwicklung (englischHuman Development Index) wird aus demBNE pro Kopf gemessen inKaufkraftparität unter Einbeziehung vonLebenserwartung und Bildungsgrad gebildet.
Die Umrechnung nationaler Bruttoinlandsprodukte auf Grundlage nominaler Wechselkurse ist bei manchen Fragestellungen irreführend. Ein anderes Maß stellt derKaufkraftparitäten-Kurs (englischPurchasing Power Parity, PPP) dar. DerBig-Mac-Index ist ein Wechselkurs, der auf dem Kaufpreis einesBig Mac der weltweit tätigen SchnellrestaurantketteMcDonald’s basiert. Dieses Maß eignet sich besser als Vergleich, da Big Macs nicht international gehandelt werden. Preise für Big Macs enthalten Informationen über Preise für nicht (international) handelbare Güter. Die durchschnittlichen Preise (für nicht handelbare Güter) sind in armen Ländern typischerweise niedriger als Preise in entwickelten Volkswirtschaften. Ein offizieller Wechselkurs basiert vorwiegend auf Preisen (international) handelbarer Güter und überschätzt damit das Preisniveau in armen Ländern.[50]
Die W3-Indikatoren sind ein Ensemble von Indikatoren für Wohlstand und Fortschritt, die potenziell aussagekräftigereWohlstands- und Fortschrittsindikatoren darstellen sollen.
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