Brigitte Zypries (*16. November1953 inKassel) ist einedeutschePolitikerin (SPD). Sie war von 2002 bis 2009Bundesministerin der Justiz in den KabinettenSchröder II sowieMerkel I sowie von 2017 bis 2018Bundesministerin für Wirtschaft und Energie imKabinett Merkel III.
Zypries gehörte in den Jahren 2005 bis 2017 demDeutschen Bundestag an. Von 2013 bis 2017 war sieParlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium mit Zuständigkeit für die BereicheIT,Luft- und Raumfahrt unter ihrem AmtsvorgängerSigmar Gabriel (SPD) und ab Januar 2014 Koordinatorin der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt.[1]
Zypries’ Vater besaß in Kassel eine Drogerie, später mehrere Fotoläden mit insgesamt 50 Mitarbeitern.[2] Brigitte Zypries besuchte dieElisabeth-Knipping-Schule in Kassel und absolvierte dasAbitur, studierte ab dem Jahr 1972Rechtswissenschaft an derJustus-Liebig-Universität Gießen und beendete ihr Studium im Jahr 1978 mit derErsten Juristischen Staatsprüfung. Während ihrer Studienzeit war sie Mitglied derJuso-Hochschulgruppe und wirkte für diese als Referentin imAStA; außerdem lernte Zypries an der Universität Gießen ihren späteren KabinettskollegenFrank-Walter Steinmeier kennen. Im Jahr 1980 folgte das zweite juristischeStaatsexamen. Während ihrer Studienzeit gehörte sie gemeinsam mit Frank-Walter Steinmeier zur Redaktion der linken QuartalszeitschriftDemokratie und Recht (DuR) desDKP-nahenPahl-Rugenstein Verlags.[3]
In den Jahren 1980 bis 1984 war siewissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Gießen und arbeitete danach bis 1988 als Referentin in derHessischen Staatskanzlei unter MinisterpräsidentHolger Börner. Im Jahr 1988 wurde sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Ersten Senat an dasBundesverfassungsgericht in Karlsruhe abgeordnet. 1991 wechselte Zypries in dieNiedersächsische Staatskanzlei als Referatsleiterin für Verfassungsrecht; sie wurde dort 1997 zur Abteilungsleiterin befördert.
Brigitte Zypries ist ledig und kinderlos.[4]
Im Jahr 1991 trat Brigitte Zypries in die SPD ein. Am 23. Juni 2012 wurde sie zur Vorsitzenden des SPD-UnterbezirksDarmstadt gewählt.[5] Am 28. Juni 2014 wurde sie wiedergewählt.[6]
Von 1997 bis 1998 war sieStaatssekretärin im Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales des Landes Niedersachsen.[7]
Nach dem Wechsel der Bundesregierung im Jahr 1998 wurde sie Staatssekretärin imBundesministerium des Innern. In dieser Zeit war sie schwerpunktmäßig u. a. mit den Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst, mit der Vorbereitung beamtenrechtlicher Gesetze, der Hilfe in den Herkunftsländern für Russland-Deutsche und dem Leistungssport in Deutschland befasst. Ab September 1999 war Zypries Vorsitzende im Staatssekretärsausschuss zur Steuerung des Programms der Bundesregierung „Moderner Staat – moderne Verwaltung“. Im Sommer 2002 bestritt sie, im Zuge der Kontroverse um die Verleihung desPoldi-Awards an das von mehrerenVerfassungsschutzämtern alslinksextremistisch eingestufte Internet-NetzwerkIndymedia, bei welcher sie Jury-Mitglied gewesen war, für Indymedia gestimmt zu haben.[8]
Nach derBundestagswahl 2002 wurde sie am 22. Oktober 2002 Bundesministerin der Justiz in der vonGerhard Schröder geführtenBundesregierung. In diesem Amt gehörte sie auch der vom 22. November 2005 bis zum 27. Oktober 2009 vonAngela Merkel geleiteten Bundesregierung einerGroßen Koalition an. Vom 17. Dezember 2013 bis zum 26. Januar 2017 war sieParlamentarische Staatssekretärin beimBundesminister für Wirtschaft und Energie. Sie war für die Bereiche IT, Luft- und Raumfahrt zuständig. Vom 27. Januar 2017 bis zum 14. März 2018 war sie nach dem Wechsel vonSigmar Gabriel ins Außenministerium dieBundesministerin für Wirtschaft und Energie imKabinett Merkel III.[9][10]
Von 2005 bis 2017 war Brigitte ZypriesMitglied des Deutschen Bundestages. Sie war als direkt gewählte Abgeordnete desWahlkreises 186 (Darmstadt) in den Bundestag eingezogen. Bei derBundestagswahl 2005 erreichte sie hier 44,8 Prozent derErststimmen. Bei der Bundestagswahl 2009 konnte sie ihr Direktmandat knapp mit 35,0 Prozent verteidigen. Bei der Bundestagswahl vom 22. September 2013 erreichte sie mit 37,3 Prozent der Erststimmen ein wieder etwas besseres Ergebnis gegenüber den Herausforderern und damit erneut das Direktmandat. Von 2009 bis 2013 amtierte sie als Justiziarin der SPD-Fraktion. Im 17. Deutschen Bundestag war Zypries eines von zwölf Mitgliedern desWahlausschusses, der damals die Hälfte der Richter desBundesverfassungsgerichts direkt bestimmte.[11] Anfang Juni 2016 teilte sie in einem Brief an die Parteifreunde mit, dass sie nicht mehr zur Bundestagswahl 2017 antreten werde.
Das Bundesverfassungsgericht bestätigte im Jahr 2007 Zypries’ Position, dass heimliche Vaterschaftstests einen schwerwiegenden Verstoß gegen dasinformationelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen darstellen. Zypries legte daher dasGesetz zur Klärung der Vaterschaft unabhängig vom Anfechtungsverfahren vor, das am 1. April 2008 in Kraft trat. Es ermöglicht eine legale Klärung der Vaterschaft, ohne dass sich (mögliche) Väter durch die Anfechtung der Vaterschaft von ihrem (möglichen) Kind lossagen müssen.
In einem Beitrag für dieZeitschrift für Rechtspolitik stellte sie einen Gesetzentwurf ihres Ministeriums vor, nach dem die Ausländerbehörden gegen die Vaterschaftsanerkennung eines Deutschen vorgehen können sollten, wenn dieser das Kind einer unverheirateten Ausländerin anerkennt. Zypries begründete den Gesetzentwurf damit, dass solche Anerkennungen häufig nur dazu dienen sollten, einer ausreisepflichtigen ausländischen Mutter einenAufenthaltstitel zu verschaffen.[12]
Ende 2007 legte Zypries den Entwurf für dasGesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts vor, das am 1. Januar 2008 in Kraft trat und das den Vorrang des Kindeswohls und die nacheheliche Eigenverantwortung neu regelte. Die Änderungen durch das Gesetz kommentierte sie unter anderem mit der Feststellung: „Einmal Zahnarztgattin immer Zahnarztgattin, das gilt nicht mehr.“[13] Nach einer Umfrage derBertelsmann Stiftung wird die Reform überwiegend positiv beurteilt.[14]
Der Entwurf, fürsexuellen Missbrauch von Kindern eineAnzeigepflicht nach§ 138 desStGB zu verankern, scheiterte 2003 am Widerstand der Kinderschutzzentren und vonBündnis 90/Die Grünen;[15] die Strafdrohungen wurden zum 1. April 2004 verschärft.[16]
Der in ihrer Amtszeit eingeführteStraftatbestand der „Nachstellung“ (§ 238 StGB) trat am 31. März 2007 in Kraft.
2008 setzte Zypries eine gesetzliche Begrenzung der Anwaltskosten bei einer Abmahnung wegen geringfügiger Urheberrechtsverletzungen im Internet durch. Zuvor hatten Fälle für Schlagzeilen gesorgt, in denen Teenager, die auf ihren Websites urheberrechtlich geschützte Fotos platziert hatten, Abmahnungen und Anwaltsrechnungen in vierstelliger Höhe erhalten hatten. Seit 2008 sind dieseAbmahnkosten auf höchstens hundert Euro begrenzt.
In derEuropäischen Union setzte sich Brigitte Zypries für den umstrittenen Vorschlag des EU-Rates zur mittlerweile gescheitertenRichtlinie für computerimplementierte Erfindungen ein. Kritiker warfen der Ministerin vor, dass sie sich damit offen gegen einen einstimmigen Beschluss des Bundestags wandte, der die Bundesregierung zur Unterstützung der Linie desEU-Parlaments aufforderte.[17]
Zypries engagierte sich insbesondere gegen Diskriminierungen von Schwulen und Lesben und setzte sich für die weitere rechtliche Gleichstellung vonEingetragene Lebenspartnerschaften undEhen ein; damit hatte sie mit den am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Änderungen desLebenspartnerschaftsgesetzes zum großen Teil Erfolg. Sie unterstützt eine alsartikeldrei bekannte Initiative desLSVD, die sich einer Ergänzung desArtikel 3 des Grundgesetzes verschrieben hat.[18] In ihre Amtszeit fällt die Verabschiedung desAllgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).
Die Ministerin erreichte die Freischaltung des Zugangs auf das gesamte aktuelle Bundesrecht im Internet und sorgte mit dem Justizkommunikationsgesetz für einen weiteren Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs (E-Justice), der allerdings noch nicht bei allen Gerichten flächendeckend genutzt wird.
2008 hat Zypries ein „Bündnis für das deutsche Recht“ mit den großen Justizorganisationen geschlossen. Es soll sich für eine internationale Verbreitung des Rechtsstaats und deutscher Rechtsideen engagieren.[19]
Während ihrer Amtszeit wurde erstmals in Deutschland das Rechtsinstitut derPatientenverfügung im Bürgerlichen Gesetzbuch gesetzlich geregelt. Eine Patientenverfügung ist eine schriftliche Vorausverfügung einer Person für den Fall, dass sie ihren Willen nicht mehr (wirksam) erklären kann. Mit dem so genanntenPatientenverfügungsgesetz wurde für alle Beteiligten mehr Rechtssicherheit im Hinblick auf die Ablehnung lebensverlängernder oder -erhaltender Maßnahmen im Vorfeld des Sterbens (Behandlungsverzicht) geschaffen. Am 18. Juni 2009 beschloss der Bundestag nach intensiver gesellschaftlicher und parlamentarischer Diskussion den von Zypries inspirierten und von ihrem FraktionskollegenJoachim Stünker eingebrachten Gesetzentwurf, der am 1. September 2009 in Kraft trat.
Im Jahr 2004 wurde ihr derNegativpreisBig Brother Award verliehen, weil sie nach Meinung der Jury den Richterspruch zum Anlass hätte nehmen sollen, auf denGroßen Lauschangriff ganz zu verzichten.[20]
ImKabinett Merkel I geriet Zypries mehrfach in Konflikt mit InnenministerWolfgang Schäuble. So lehnte Zypries einen Einsatz der Bundeswehr im Innern zur Terrorbekämpfung oder die Aufweichung des Folterverbots ab.[21] Die Befugnis für das Bundeskriminalamt, „Online-Durchsuchungen“ durchzuführen, blockierte Zypries so lange, bis das Bundesverfassungsgericht 2008 darüber geurteilt hatte.
Zypries strebte eine Balance von Bürgerrechten und Sicherheit an, gleichwohl setzte sie sich für die Nutzung neuer Techniken zur Kriminalitätsbekämpfung ein, zum Beispiel für die Verwendung von Telekommunikationsdaten, mit deren Hilfe die Urheber derTerroranschläge am 11. März 2004 in Madrid rasch ermittelt werden konnten. Die vorsorgliche Speicherung dieser Verbindungsdaten war allerdings weiter umstritten. Im Oktober 2007 wurde Brigitte Zypries zum zweiten Mal der Big Brother Award verliehen. Sie wurde in der Kategorie „Kommunikation“ ausgezeichnet „für ihren Gesetzentwurf, mit dem in Deutschland dieVorratsdatenspeicherung von Telekommunikations-Verbindungsdaten eingeführt werden soll.“[22]
In einem Interview imDeutschlandfunk im November 2007 äußerte Brigitte Zypries in der Debatte um zunehmende Überwachung: „Aber das Recht auf informationelle Selbstbestimmung heißt ja nur, dass Bürger darüber informiert werden müssen, wer was von ihnen speichert.“[23]
Im Jahr 2009 unterstützte Zypries mit demZugangserschwerungsgesetz, das nie zur Anwendung kam, die Initiative von FamilienministerinUrsula von der Leyen, Internetseiten zur Bekämpfung der Kinderpornografie zu sperren. Im Juli 2009 erklärte Zypries in einem Interview, die Sperren würden keineswegs der Zensur dienen; vielmehr gehe es „darum, strafbare Inhalte aus dem Netz zu entfernen“.[24] Weiterhin erklärte sie, „dass ohne Gesetz die von Frau von der Leyen mit den Providern geschlossenen Verträge zur Anwendung gekommen wären – mit viel weniger rechtsstaatlichen Sicherungen für die Internet-User“. Sie begründete ihre Befürwortung von Netzsperren wie folgt:
„Es gibt eine Gruppe von Internet-Usern, die glaubt: Im Netz darf man alles, das Internet ist ein Ort unbegrenzter Freiheit, jede Regel verletzt unsere Identität. Das ist falsch: Meine Freiheit, mein Recht endet auch im Netz dort, wo sie die Freiheit und das Recht von anderen verletzt. Grundrechten wie der Meinungsfreiheit sind im Internet genauso Grenzen gesetzt wie in der realen Welt. Es gibt kein Recht des Stärkeren oder technisch Versierteren. Was offline verboten ist, ist auch online verboten. Das ist keine Zensur, sondern eine simple Erkenntnis, die auch juristischen Laien verständlich sein sollte.“[24]
Zur Position derPiratenpartei erklärte Zypries im Juli 2009, diese verleihe nur einem Lebensgefühl Ausdruck und diskutiere auf einer irrationalen Ebene.[25]
Zypries war bis Juni 2015 Kuratoriumsvorsitzende beimDeutschen Behindertensportverband (DBS),[26][27] beimDeutschen Polen Institut war sie bis März 2018 Mitglied im Kuratorium.[28] Zudem ist Zypries seit Ende 2016 Ethik-Beauftragte beimDeutschen Turner-Bund[29][30] sowie Compliance-Beauftragte beimDeutschen Leichtathletik-Verband.[31] Sie ist Kuratoriumsmitglied bei der HSE Stiftung,[32] sowie Präsidentin der Deutsch-Israelischen Juristenvereinigung.[33] Des Weiteren war sie bis Ende 2021 Stiftungsratsmitglied bei derSchader-Stiftung.[34][35]
Seit 2019 ist Brigitte Zypries Herausgeberin und Kolumnistin desDup Unternehmer-Magazins.[36] Ebenfalls war sie von 2019 bis 2023Ombudsfrau desBundesverbands Deutscher Inkasso-Unternehmen (BDIU).[37] Im August 2020 wurde Brigitte Zypries zur ersten Vorsitzenden des deutschen Beirats des European Leadership Network (ELNET) gewählt.[38] Sie ist Mitglied im Kuratorium derDeutschen Nationalstiftung.[39]
Seit Februar 2021 ist Zypries Mitglied einer Expertenkommission „Trust in Quality“, der der ehemalige BundesfinanzministerTheo Waigel vorsitzt und mit der der Wirtschaftsprüfer Ernst & Young denWirecard-Bilanzskandal aufarbeiten und verlorengegangenes Vertrauen wiedergewinnen möchte.[40]
Seit dem 1. September 2022 ist Zypries zudem als selbstständige Beraterin fürApple tätig.[41]
Personendaten | |
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NAME | Zypries, Brigitte |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Politikerin (SPD), MdB |
GEBURTSDATUM | 16. November 1953 |
GEBURTSORT | Kassel |