Brauch







EinBrauch (vonalthochdeutsch bruh ‚Nutzen‘, und gehörig zu mittelhochdeutschbrūchen ‚brauchen, gebrauchen, verwenden‘) oderUsus (vonlateinischuti ‚gebrauchen‘) ist eine innerhalb einerGemeinschaft entstandene, regelmäßig wiederkehrende, soziale Handlung von Menschen in festen, starkritualisierten Formen. Bräuche sind Ausdruck derTradition. Sie dienen ihrer Erhaltung und Weitergabe sowie dem inneren Zusammenhalt der Gruppe (Gruppenkohäsion).[1]
Im Gegensatz zuRitual,Ritus undKult ist der Brauch weit weniger symbolhaft auf ein „höheres Ziel“ gerichtet, obgleich sich viele Bräuche im Laufe desKulturwandels aus kultischen Handlungen entwickelt haben.
Brauch und Brauchtum
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Abgrenzungen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Die Gewohnheiten eines Einzelnen werden nichtBrauch genannt. Ausethnologischer Sicht bestimmt ein Brauch den Ablauf vonZeremonien, eineSitte hingegen ist die hinter dem Brauch stehende moralische Ordnung. Alle Bräuche – oder eine zusammenhängende Gruppe von Bräuchen – einer Gemeinschaft als kulturelles Gesamtphänomen heißenBrauchtum oderBrauchkomplex.
Brauchtum als Begriff
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Die BezeichnungBrauchtum für den Brauchkomplex ist in der volkskundlichen Brauchforschung veraltet und wird dort kaum noch verwendet. Erwähnt wird der Begriff jedoch immer für die Gesamtheit der Bräuche eines Volkes oder einer Volksgruppe.
Ein Brauch äußert sich als Begleitphänomen bestimmter, als Einschnitte wahrgenommener Lebenserfahrungen. Die menschliche Kultur hat ein reiches Brauchtum entwickelt. Dieses äußert sich in biologischen Erfahrungen und Entwicklungen, wie beiGeburt,Sexualität,Tod, oder imgesellschaftlichen Bereich durchJubiläen,Feste,Feiern und letztlich imTranszendenten in Formen wieKultus und religiösen Festen.
Ursache und Wirkung
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]DieInitiations- undÜbergangsriten bei Geburt, Aufnahme in die Gemeinschaft, Hochzeit und Tod sind oftmals mit Bräuchen verbunden, wie auch verschiedene Feste und Zeiten desKirchenjahres, wieAdvent,Weihnachten,Dreikönigstag,Fastenzeit undOstern,Erntedankfest,Leonhardifahrt,Hubertus-,Nikolaus- undBarbaratag.
Bräuche dienen der Sinn-,Identitäts- undIntegrationsstiftung. Sie vereinen und wirken gemeinschaftsbildend. Bei Staatsbesuchen erklingen dieNationalhymnen und in Gestalt der gehisstenFlagge wird die jeweilige Nation geehrt.Feuerwehren, Sport- und Musikvereine,Fastnachtsgemeinschaften, Zünfte und Universitäten, Kindergruppen, Jugendcliquen oder -banden bilden und bewahren regionales wie nationales Brauchtum.
Brauch als regelmäßiges Handlungsmuster
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Ein Brauch ist eine Handlung, die nicht beliebig oder spontan abläuft, sondern einer bestimmten Regelmäßigkeit und Wiederkehr bedarf. Sie setzt eine brauchausübende Gruppe voraus, für die dieses Handeln von Bedeutung ist. Der Handlungsablauf ist durch Anfang und Ende gekennzeichnet. Seine formale wie zeichenhafte Sprache muss der Trägergruppe bekannt sein. Ein Brauch ist zum einen zu unterscheiden vomRitus, der die soziale mit der religiösen Welt zu verbinden sucht, zum anderen von derGewohnheit, die eine zweckmäßige, nicht notwendigerweise soziale Routine darstellt. DasRitual ist Teil des Brauchkomplexes. Bräuche wirken zudem handlungsorientierend. Sie liefern einen Rahmen, einen Satz von Zeichen und Symbolen, Anweisungen und Rollen und passen diese an. Oftmals stellen Bräuche eine genaue Formulierung für eine bestimmte Gelegenheit bereit, die durch die Beteiligten erwartet wird.
Im Lauf der Entwicklung können Bräuche ihre Bedeutung verlieren und zum leeren Selbstzweck werden. Hierin sind sie dem Ritual verwandt, bei dem es auch durch die Entkopplung von Form und Inhalt zur Aushöhlung, also Sinnentleerung kommen kann. Bräuche und Rituale werden von den sozialen Akteuren nur dann als sinnerfüllt erlebt, wenn Form und Inhalt zusammengehen.
Dieindustrielle Revolution des 19. und 20. Jahrhunderts zeitigte den Übergang von einer überwiegend landwirtschaftlich geprägten zu einer städtisch-industriellen, modernen Gesellschaft. Dies brachte einen Verlust der Bedeutung vieler kollektiver Gewohnheiten und regionaler Bräuche mit sich, die in der vorindustriellen Welt beheimatet waren. Dies wird häufig alsTraditionsverlust bezeichnet und kritisiert. Ein Aufrechterhalten traditioneller Bräuche aus zweiter Hand und zumeist ohne tatsächlichen Bezug zur historischen Bedeutung wird alsFolklorismus umschrieben. Umgekehrt stellenVolkskundler fest, dass permanent neue Bräuche entstehen. Diese Bräuche haben oft nicht die gleiche Bindekraft und Lebensdauer wie Bräuche früherer Zeiten. Hintergrund ist, dass die Traditionsketten, die Bräuche überliefern, kürzer werden. Einer Aufstellung und Erfassung von Bräuchen aus unterschiedlichen Bereichen widmet sich dasBrauchwiki.
Klassifizierung von Bräuchen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Typologisch
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Regionale Bräuche
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Man unterscheidet beispielsweisealpenländisches Brauchtum oderaltskandinavisches Brauchtum. Das Schweizer Brauchtum ist im Artikel über dieKultur der Schweiz und in derListe der lebendigen Traditionen in der Schweiz näher bezeichnet. Regionale Besonderheiten finden einen Ausdruck imVolkstanz oder derBekleidung. Zusammengefasst werden Bräuche in derFolklore dargestellt.
Religiöses Brauchtum
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Neben dem im deutschsprachigen Raum verbreitetenchristlichen Brauchtum, findet sich dasMinhag als jüdisches Brauchtum. Im Rahmenneopaganer Rekonstruktionen vermuteter vorchristlicher Bräuche entwickelte sich in der Moderne einkeltischer Neopaganismus.
Bräuche im Jahreslauf
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Eine weitere Möglichkeit Bräuche zu klassifizieren ist die Abfolge im Jahr. Solche Einteilung findet sich teilweise regional begrenzt, wobei der Jahreslauf mit dem Wechsel von Jahreszeiten oder Arbeitsabläufen die Monatseinteilung bedingt.
- Nach Jahreszeiten:Neujahrsbrauchtum,Brauchtum im Mai,Brauchtum im Herbst
- Nach dem Kirchenjahr: Brauchtumzum Advent und zuWeihnachten, im Zusammenhang mit derFastenzeit (Fastnacht), Brauchtum zuOstern undzu Pfingsten, zurKirchweih, zuAllerheiligen undAllerseelen (inklusiveHalloween) und zu verschiedenen Festen derHeiligen (etwa dasMartinisingen bzw.Martinssingen,Sternsingen am Dreikönigstag,Philippinacht)
- Nach Tätigkeiten im Bauernjahr:Erntedankfest, Antlaßeier amGründonnerstag
- Nach Monatsfolge
- Januar:Hochneujahr
- Chinesisches Neujahr zwischen dem 21. Januar und dem 21. Februar, je nach Jahr
- April
- Aprilscherz am 1. April
- Freinacht, die Nacht vom 30. April zum 1. Mai
- Maibräuche, Frühlingsbräuche
- Aufstellen einesMaibaums am 30. April und seine Bewachung bis in den 1. Mai hinein
- Veranstaltung einesMaifests
- Ziehen einesMaistrichs
- Jungenspiele in und umWürselen in derStädteregion Aachen
- Wahl des schönsten Mädchens einer Gegend zurMaikönigin (auch Maibraut oder Maigräfin)
- Verkauf der Maibräute, einMaibrauchtum im Rheinland und inFranken
- Maiherzen, auch ein Maibrauchtum im Rheinland
- Maiennacht ein Maibrauchtum inOstbelgien
- Maisingen, ein Brauchtum aus der Schweiz
- Herbstbräuche
- Jahresabschluss, Jahreswende: Silvesterfeier
Bräuche im Lebenslauf
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In dieser Form findet sich Brauchtum zur Geburt (Storch aufstellen), beim Erreichen des Jugendalters (Konfirmation,Firmung,Jugendweihe), zur Liebesanbahnung, bei derVerlobung oderHochzeit und derSepulkralkultur.
Bräuche der Berufe und Stände
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Innerhalb einiger Berufsstände hat sich ein umfangreiches Brauchtum entwickelt; neben denHandwerkern betrifft es insbesondere die Bräuche derBergleute. Ritualisierte Abläufe finden sich bei den Verbänden derSchützen und darauf bezogen imSoldatischen. Weitere Bräuche finden sich bei denStudenten, imjagdlichen Brauchtum und in (teilweise regionalen) Bräuchen zurAbiturfeier.
Literatur
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Andreas C. Bimmer:Brauchforschung. In: Rolf W. Brednich (Hrsg.):Grundriß der Volkskunde. Einführung in die Forschungsfelder der Europäischen Ethnologie. 3. Auflage. Reimer, Berlin 2001,ISBN 3-496-02705-3, S. 445–468.
- James Frazer:Der goldene Zweig. Das Geheimnis von Glauben und Sitten der Völker. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1994,ISBN 3-499-55483-6.
- Gerlinde Haid:Brauch. In:Oesterreichisches Musiklexikon. Online-Ausgabe, Wien 2002 ff.,ISBN 3-7001-3077-5; Druckausgabe: Band 1, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2002,ISBN 3-7001-3043-0.
- Herbert Schwedt (Hrsg.):Brauchforschung regional (Mainzer Studien zur Sprach- und Volksforschung; Band 14). Steiner-Verlag, Wiesbaden 1989,ISBN 3-515-05368-9.
- Olav Selke:Handelsbräuche als autonomes kaufmännisches Recht aus praktischer Sicht. Dissertation. Ibidem, Stuttgart 2001,ISBN 3-89821-146-0.
- Helga M. Wolf:Das neue Brauchbuch. Alte und junge Rituale für Lebensfreude und Lebenshilfe. Österreichischer Kunst- und Kulturverlag, Wien 2000,ISBN 3-85437-216-7.
Weblinks
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Literatur von und über Brauch im Katalog derDeutschen Nationalbibliothek
Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑Werner Mezger: 1000 AntwortenWie ist ein „Brauch“ definiert? In: swr.de. Südwestrundfunk – Anstalt des öffentlichen Rechts, 11. April 2019, abgerufen am 26. April 2020.