Berlin-Frage




AlsBerlin-Frage wird der umstrittene Sonderstatus der nachbedingungsloser Kapitulation zum Ende desZweiten Weltkriegs durch dieSowjetunion besetzten und durch Beschlüsse derAlliierten später geteiltenViersektorenstadtBerlin imgeteilten Deutschland der Zeit von 1945 bis 1990 bezeichnet. Sie war Teil derdeutschen Frage und ist in dieser geschichtlichen Epoche zu betrachten.
Dimensionen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Die Berlin-Frage kann in fünf Dimensionen unterteilt werden:
- Eineinnenpolitische Dimension aus Sicht der beiden deutschen Staaten (Bundesrepublik Deutschland undDeutsche Demokratische Republik), die um eine möglichst weitreichende Integration Berlins oder zumindest „ihres“ Stadtteils bemüht waren;
- eineaußenpolitische Dimension aus Sicht derHauptsiegermächte imZweiten Weltkrieg (Vereinigte Staaten,Sowjetunion,Vereinigtes Königreich undFrankreich), die ihren Einfluss in der ehemaligenReichshauptstadt sichern wollten; damit zusammenhängend
- einegeostrategische Dimension, die sich aus der „Insellage“ Berlins in derSowjetischen Besatzungszone (SBZ) ergab und während desKalten Kriegs eine besondere Bedeutung erlangte;
- einestaats- undvölkerrechtliche Dimension wegen der internationalen rechtlichen Sonderstellung Berlins und wegen seines rechtlichen Verhältnisses zu den beiden deutschen Staaten;
- einehumanitäre Dimension, da die Teilung Berlins und seiner Bevölkerung großes menschliches Leid mit sich brachte.
Historische Entwicklung
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Kennzeichnende Ereignisse und Abschnitte im Umgang mit der Berlin-Frage waren:
- DieKonferenz von Jalta vom 2. bis 11. Februar 1945, auf der die SiegermächteDeutschland in vierBesatzungszonen und Berlin invier Sektoren teilten;
- diePotsdamer Konferenz vom 17. Juli bis 2. August 1945, die imPotsdamer Abkommen die Zuständigkeit desKontrollrats für die Angleichung der Politik der Alliierten hervorhob;
- dieRote Armee der Sowjetunion (die in derSchlacht um Berlin das gesamte Gebiet Berlins und dessen Umland eroberte, mit folgenderbedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht) zog sich aufgrund der getroffenen Beschlüsse der Alliierten im Sommer 1945 aus den drei Westsektoren Berlins, wo die Westmächte fortan Inhaber der Obersten Gewalt waren, zurück;
- das Austreten des sowjetischen Vertreters aus derAlliierten Kommandantur am 16. Juni 1948;
- Währungsreform 1948 in den drei westalliierten Besatzungszonen und den Westsektoren von Berlin (Einführung derDeutschen Mark, angekündigt am 18. Juni) undWährungsreform 1948 in der Sowjetischen Besatzungszone und Gesamt-Berlin (angekündigt am 22. Juni), damit verbunden die wirtschaftliche SpaltungGesamtdeutschlands;
- als Antwort unter anderem darauf dieBerlin-Blockade 1948/49, mit der die Sowjetunion die Versorgung der Westsektoren zu verhindern versuchte, was zur Bildung derBerliner Luftbrücke führte;
- am 30. November 1948 wurde die Spaltung der Berliner Verwaltung dadurch endgültig, dass sich im Sowjetischen Sektor von Berlin eine durch keinen Wählerauftrag legitimierte „Außerordentliche Stadtverordnetenversammlung“ konstituierte, die im Wesentlichen aus Funktionären derSED bestand, den SED-PolitikerFriedrich Ebert jun. zum „Oberbürgermeister von Groß-Berlin“ wählte und sich danach auflöste; die Sowjetunion erkannte den Ebert-Magistrat sofort als einzig rechtmäßige Berliner Regierung an;
- dieAlliierte Kommandantur regelte in derErklärung der Alliierten Kommandantur über Berlin vom 5. Mai 1955 die Stellung Berlins zu den westlichenBesatzungsmächten;
- dieBerlin-Krise Ende von 1958/59, in der die Sowjetunion die Weitergeltung der Vereinbarungen zwischen den vier Mächten bestritt und mit einem Ultimatum den Rückzug der Westmächte ausWest-Berlin und die Umwandlung der Westsektoren(Land Berlin) in eine entmilitarisierteFreie Stadt forderte;
- der Bau derBerliner Mauer im August 1961, der zur physischen Teilung der Stadt führte;
- mehrerePassierscheinabkommen für West-Berliner zu Verwandtenbesuchen (ab Dezember 1963);
- die folgendeEntspannung mit demViermächteabkommen 1971, das den zukünftigen Status Berlins klären sollte;
- die schleichendeGewöhnung aller Beteiligten an denStatus quo als „Hauptstadt derDDR“ im Laufe der 1970er und 1980er Jahre bis hin zur
- friedlichen Revolution in der DDR 1989 und mit Grenzöffnung am9. November 1989 derFall der Berliner Mauer sowie
- die endgültige Lösung der Berlin-Frage im Zuge derdeutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990.
Restbestände des Vier-Mächte-Status Berlins unter Mitwirkung der Sowjetunion blieben bis 1990:
- Bewegungsfreiheit von Westalliierten und sowjetischen Militärpatrouillen in der gesamten Stadt
- Gemeinsam betriebeneFlugsicherheitszentrale im Gebäude desAlliierten Kontrollrats
- Sitz desMinisteriums für Nationale Verteidigung der DDR außerhalb Berlins (inStrausberg)
- Gemeinsame Bewachung desKriegsverbrechergefängnisses Spandau (bis 1987)
Der Viermächtestatus in Ost-Berlin
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Wurde der Status durch die Sowjetunion und die DDR anfangs noch voll anerkannt, so erfolgte ab den 1950er Jahren ein schrittweiser Abbau der Merkmale desViermächtestatus. Im Einzelnen waren dies:
- 1953: Abschaffung des „Behelfsmäßigen Personalausweises“
- 1961: Abschaffung derOst-BerlinerSPD-Organisation
- 1961: Ende der gesamtstädtischen Freizügigkeit durch denBau der Berliner Mauer am 13. August
- 1962: Einführung derallgemeinen Wehrpflicht in der DDR und Präsenz derNVA[1]
- 1976: Ende der getrennten Verkündung von DDR-Gesetzen im Ost-Berliner Verordnungsblatt
- 1976: Gemäß dem neuen Wahlgesetz[2] wurden nunmehr beiVolkskammerwahlen auch die Ost-Berliner Abgeordneten direkt gewählt.
- 1977: Wegfall der Kontrollen an der Stadtgrenze zwischen Ost-Berlin und der DDR
Interessenlagen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Bundesrepublik Deutschland
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Die Bundesrepublik Deutschland wie auch derBerliner Senat (West) hielten stets am Ziel derdeutschen Wiedervereinigung fest und betrachteten dieBesatzung undTeilung Deutschlands und Berlins als vorübergehendes Kapitel der Geschichte. Solange die Wiedervereinigung jedoch politisch unrealistisch erschien, wurden die Bindungen zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin so eng wie möglich gehalten, um ein Abdriften West-Berlins in den Einflussbereich der Sowjetunion zu verhindern. Dies führte unter anderem zu einer großzügigen Subventionierung West-Berlins durch die Bundesrepublik, beispielsweise durch dieBerlinzulage. Zudem setzte sich die Bundesregierung fürReiseerleichterungen ein, um West-Berlinern Verwandtenbesuche nach Ost-Berlin und in die DDR sowie die Benutzung derTransitwege nach Westdeutschland zu erleichtern.
„Groß-Berlin“ (also Berlin als Ganzes) wurde vomGrundgesetz schon 1949 alsLand der Bundesrepublik Deutschland genannt, denn „aufgrund der engeren Fassung dieses Schreibens (der drei westlichen Militärgouverneure betreffend die Genehmigung des Grundgesetzes vom 12. Mai 1949), in dem von einer Suspendierung desArtikel 23 nicht mehr die Rede war, setzte in der Bundesrepublik Deutschland die Auffassung sich durch, Artikel 23 sei nicht suspendiert und (West-)Berlin daher ein Land der Bundesrepublik (BVerfGE 7, 1 [7, 10])“.[3]
Da ersteres offensichtlich Theorie bleiben musste, beschränkte dieBundesregierung sich notgedrungen auf „Berlin (West)“ und versuchte, wenigstens den Westteil der Stadt politisch und wirtschaftlich so eng wie möglich einzubinden. Eine vollständige rechtliche Integration scheiterte jedoch amVorbehalt der vier Mächte, was dazu führte, dass sich West-Berlin bis 1990 in einigen wichtigen Punkten von einem gewöhnlichen Bundesland unterschied: Beispielsweise wurden BerlinerBundestagsabgeordnete nicht direkt vom Volk gewählt, sondern vomAbgeordnetenhaus entsandt; sie hatten in der damaligenBundeshauptstadtBonn kein Stimmrecht, sondern eine beratende Funktion. Darüber hinaus unterlagen West-Berliner Bürger im Rahmen des Viermächteabkommens nicht der bundesdeutschenWehrpflicht. DieAußerparlamentarische Opposition (APO) thematisierte – auch durch heftige Protestaktionen – die Frage, ob West-Berliner Behörden Amtshilfe zur Durchsetzung dieser Wehrpflicht in West-Berlin durchführen dürfen.[4]
Die BezeichnungWest-Berlin war allgemein üblich, aber im amtlichen Sprachgebrauch, insbesondere in der Schreibweise „Westberlin“, verpönt. Stattdessen wurde stetsBerlin (West) oder kurzBerlin geschrieben, während der Ostteil der StadtOst-Berlin genannt werden durfte. Dadurch sollte einer sprachlichen Entwicklung entgegengewirkt werden, die den Eindruck erzeugen könnte, bei den beiden Stadthälften handele es sich um eigenständige Städte, was dem Gedanken der Wiedervereinigung abträglich gewesen wäre. Die Debatte um die politisch korrekte Bezeichnung für Berlin ähnelte dabei prinzipiell der um dieAbkürzung „BRD“.
Deutsche Demokratische Republik
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Die DDR hingegen nahm Ende der 1950er Jahre von ihrem Ziel einer Wiedervereinigung unter sozialistischem Vorzeichen Abstand und war bemüht, die Teilung Deutschlands und Berlins zu festigen. Diese Bestrebungen fanden ihren Höhepunkt im Bau der Berliner Mauer 1961. Die von der DDR als lästiger Fremdkörper im eigenenStaatsgebiet empfundene „Insel“ West-Berlin, die zunehmend als Schlupfloch fürDDR-Flüchtlinge diente, sollte abgeschottet werden. Während dieDDR-Regierung Ost-Berlin widerrechtlich, aber von den Besatzungsmächten geduldet zur „Hauptstadt der DDR“ erklärte, bestand sie stets darauf, dass die „Selbständige politische Einheit Westberlin“ kein Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland sei.
ImSprachgebrauch in der DDR wurde also der Ostteil „Berlin, Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik“ oder kurz „Berlin“ genannt, während der Westteil „Selbständige politische Einheit Westberlin“ oder einfach „Westberlin“ hieß, immer ohne Bindestrich geschrieben. Es sollte so der politisch erwünschte Eindruck von einem „eigentlichen“ Berlin im Osten und einem fremdartigen Gebilde westlich davon erzeugt werden.
Im westdeutschen Sprachgebrauch wurde bis Ende der 1960er Jahre vielfach von der Regierung inPankow oder kurz von „Pankow“ gesprochen, wenn von der DDR-Führung die Rede war. Hierdurch sollte vermieden werden, von der Regierung in (Ost-)Berlin zu sprechen und damit in der Berlin-Frage deren amtliche Position mit ihrer Bezeichnung „Berlin, Hauptstadt der DDR“ zu unterstützen.
Westmächte
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]DieWestmächteUSA,Großbritannien und Frankreich betrachteten sich als Schutzmächte der Freiheit West-Berlins. Ihr Ziel war es, ihren Einflussbereich in Berlin zu sichern und eine Vereinnahmung West-Berlins durch die Sowjetunion zu verhindern. Zu diesem Zweck waren sie bereit, die Integration Ost-Berlins in die DDR und damit die Teilung der Stadt hinzunehmen, die mit einer Stabilisierung ihrer eigenen Machtposition im Westteil einherging. Insbesondere ihre Untätigkeit gegenüber dem Mauerbau 1961 wurde den Westmächten von vielen Berlinern verübelt und als Verrat an der Idee der Einheit und Freiheit Berlins wahrgenommen.
Formell hielten sie jedoch an ihrer Auffassung des die gesamte Stadt umfassendenViermächte-Status fest. So blieb während der gesamten Zeit der Teilung der Platz des sowjetischen Abgesandten in derAlliierten Kommandantur symbolisch frei. Sie bestanden auf der Freizügigkeit westalliierter Militärangehöriger in ganz Berlin. Gegen Verletzungen des Viermächte-Status von östlicher Seite (z. B. Militärparaden der NVA auf Ost-Berliner Boden) reagierten sie mit diplomatischen Protestnoten. Die Botschaften der Westmächte und der meistenNATO-Staaten in Ost-Berlin hießen „Botschaftbei der DDR“ (statt „… in der DDR“), um zu betonen, dass sie sich nicht auf dem Territorium der DDR befänden.[5]
Die Verteidigung West-Berlins hatte nicht nurhumanitäre Gründe. Für die Westmächte, insbesondere für die USA, fungierte West-Berlin während desOst-West-Konflikts als wichtiger Außenposten innerhalb desOstblocks, der sich auch hervorragend fürSpionagezwecke eignete (z. B. auf demTeufelsberg).
Sowjetunion
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Diese Funktion als Außenposten desWestens missfiel der Sowjetunion. Bis zurEntspannung der Lage in den 1960er Jahren versuchte die Sowjetunion, die West-Alliierten aus Berlin zu verdrängen und die gesamte Stadt in ihren Einflussbereich zu integrieren. Die Sowjetunion verstieß damit, vor allem durch die Eingliederung Ost-Berlins in die DDR, erheblich gegen den Viermächtestatus der Stadt. Höhepunkte dieser Politik waren dieBerlin-Blockade 1948/49 und dasBerlin-Ultimatum 1958, das zur Berlin-Krise führte.
Später akzeptierte die Sowjetunion die Präsenz der Westmächte, bestand jedoch genau wie die DDR stets darauf, dass West-Berlin ein eigenständiges politisches Gebilde sei und kein Teil der Bundesrepublik. Die Sowjetunion und die DDR protestierten regelmäßig und erfolglos gegen die Präsenz von Bundesbehörden in West-Berlin und dessenWestintegration, wobei sie dasVierseitige Abkommen von 1971 dahingehend auslegten, dass die Westsektoren Berlins kein Bestandteil (konstitutiver Teil) der Bundesrepublik Deutschland seien und auch nicht von ihr regiert werden können.
Dennoch nahm die Sowjetunion weiterhin einen Teil ihrerBesatzungsrechte in West-Berlin wahr, namentlich in Form von Patrouillenfahrten sowjetischer Militärangehöriger und durch Teilnahme an der Bewachung desKriegsverbrechergefängnisses Spandau.
Siehe auch
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Geschichte Berlins: Teilung der Stadt (1948–1990)
- Chronik der deutschen Teilung
- Innerdeutsche Beziehungen
- Drei-Staaten-Theorie
- Berlin-Klausel
Literatur
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Wolfgang Heidelmeyer, Günther Hindrichs (Hrsg.):Die Berlin-Frage. Politische Dokumentation 1944–1965. Fischer Bücherei KG, Frankfurt am Main 1965.
- Ernst R. Zivier:Der Rechtsstatus des Landes Berlin. Eine Untersuchung nach dem Viermächte-Abkommen vom 3. September 1971. 3. Auflage, Berlin Verlag, Berlin 1977,ISBN 3-87061-173-1.
Weblinks
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Dieter Mahncke:Geschichte der CDU – Berlinfrage (Memento vom 28. Mai 2022 imInternet Archive),Konrad-Adenauer-Stiftung, 2022
Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑Beleg zur NVA-Präsenz nach 1961 (Memento vom 1. Oktober 2007 imInternet Archive) im Bundesarchiv
- ↑§ 7 Abs. 1 Satz 2 desGesetzes über die Wahlen zu den Volksvertretungen der Deutschen Demokratischen Republik (Wahlgesetz) vom 24. Juni 1976 imGesetzblatt der DDR, Teil I Nr. 22 vom 29. Juni 1976, S. 301 ff. (Digitalisat).
- ↑Ingo von Münch,Grundgesetz-Kommentar, Rn. 8 zu Art. 23 GG (a.F.).
- ↑Vgl. dazuRepublikanischer Club undIDK
- ↑Einpacken und woanders aufbauen – Wie die DDR im Westen nach neuen Partnern sucht. In:Der Spiegel.Nr. 9, 1985,S. 34–43 (online).