Attributionstheorien sind allgemeine Ansätze derPsychologie, die beschreiben, wie IndividuenInformationen nutzen, umkausale Erklärungen für Verhaltensweisen von Menschen vorzunehmen.[1]
Der Begriff ist zu unterscheiden vonKausaltheorien; das sind Laienerklärungen für die Ursachen von Gefühlen und Stimmungen.[2]
AlsAttributionsstile bezeichnet man dabei „habituelle Voreinstellungen im Hinblick auf die Zuschreibung von Ursachen für bereits eingetretene Ereignisse“[3] – woraus sich auch bestimmte Erwartungen ergeben können.
Fritz Heider legte mit seinem HauptwerkThe psychology of interpersonal relations (1958)[4] die Grundlage aller Attributionstheorien, indem er als Erster zwischeninternen undexternen Attributionen unterschied. Menschen seien „naive Wissenschaftler“ oder „Alltagspsychologen“, die sich das Verhalten anderer aufgrund lückenhafter Informationen zu erklären versuchten. Gelangt man zu dem Schluss, dass die Ursache des Verhaltens in der handelnden Person selbst liegt, also an seinem Charakter, seinen Überzeugungen oder anderen überdauerndenPersönlichkeitseigenschaften, nennt er diesinterne Attribution. Glaubt man jedoch, die Situation habe das Verhalten verursacht, spricht er vonexterner Attribution. Heider war überzeugt davon, dass wir zu oft intern und zu selten extern attribuieren, was Lee Ross später pointiert alsfundamentalen Attributionsfehler bezeichnete.[5]
Nach Studien von Frank Fincham und Mitarbeitern gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Gelingen einer Partnerschaft und dem persönlichen Attributionsstil: In glücklichen Ehen fand er signifikant häufiger eine dispositionale, also aufPersönlichkeitseigenschaften beruhende Ursachenzuschreibung von angenehmen Verhaltensweisen des Partners, während negative Verhaltensweisen des Partners eher situativ, also externen Umständen geschuldet, begründet wurden. In unglücklichen Ehen war es genau umgekehrt.[6]
Laut dem Kovariationsprinzip vonHarold Kelley analysiert der Mensch objektiv und logisch drei Informationen, um zu einer internen oder externen Attribution zu gelangen. Zunächst fragt er nach derKonsistenz des Verhaltens, also ob das Verhalten desAkteurs in ähnlichen Situationen über verschiedene Zeitpunkte hinweg auftritt und nicht etwa nur eine Ausnahme darstellt. Die Konsistenz ist hoch, wenn das Verhalten über verschiedene Zeitpunkte hinweg auftritt, und gering, wenn das Verhalten nur zu wenigen Zeitpunkten auftritt. Liegt Konsistenz, also ein Verhaltensmuster vor, hängt die interne oder externe Attribution von zwei Faktoren ab:
Kelley nimmt an, dass der Mensch diejenigen Ursachen für ein Verhalten verantwortlich macht, die mit dem Verhalten kovariieren (s. Tabelle):
Konsensus | Distinktheit | Konsistenz | |
---|---|---|---|
Interne Attribution (Akteur) | niedrig | niedrig | hoch |
Externe Attribution (Situation) | hoch | hoch | hoch |
Ausnahme | hoch oder niedrig | hoch oder niedrig | niedrig |
Beispiel:
Jemand gibt in einem Restaurant ein hohesTrinkgeld.
Um entscheiden zu können, warum die Person das tut, benötigt das zuschreibende Individuum weitere Informationen, nämlich
Die Auswertung dieser Informationen liefert die gewünschteKausalitätszuschreibung. Gibt die Person in vielen Situationen hohe Trinkgelder (niedrige Distinktheit) und geben andere Gäste keine hohen Trinkgelder (niedriger Konsensus), liegt die Ursache für das Verhalten höchstwahrscheinlich in der Person. Ist es hingegen so, dass die Person nur in diesem Restaurant regelmäßig hohe Trinkgelder gibt und andere Personen dasselbe tun, ist vermutlich das Restaurant die Ursache des Verhaltens.
Viele Studien haben Kelleys Theorie bestätigt.[8] allerdings werden Konsensusinformationen schwächer gewichtet als die beiden anderen.[9] Stehen Teile der benötigten Informationen nicht zur Verfügung, werden sie durch Vermutungen ersetzt.[10] Dass einem Handelnden mehr Distinktheits- und Konsistenzinformationen zur Verfügung stehen als einem Beobachter, trägt zurAkteur-Beobachter-Divergenz bei.[11]
Martin Seligman, bekannt für seine Theorie dererlernten Hilflosigkeit, erweiterte Heiders Modell um zwei Dimensionen, um die Entstehung von Depressionen zu erklären. Neben „intern vs. extern“ unterscheidet er Ursachen, die „stabil vs. variabel“ und „generell vs. spezifisch“ sind.
Beispiel: Wie erkläre ich mir, dass ich bei einer Prüfung durchgefallen bin?
intern | extern | |||
---|---|---|---|---|
stabil | variabel | stabil | variabel | |
generell | Ich bin unfähig, Prüfungen zu bestehen. | Ich bin immer zu schlecht vorbereitet. | Prüfer verlangen immer zu viel. | Ich hatte Pech und habe schwere Prüfungsfragen bekommen. |
spezifisch | Das Prüfungsthema war zu schwierig für mich. | Ich habe für diese Prüfung zu wenig gelernt. | Dieser Prüfer war zu anspruchsvoll. | Auf diese Prüfungsfragen war ich nicht vorbereitet. |
Laut Seligman fördert ein bestimmter Attributionsstil die Entstehung von Depressionen, nämlich negative Erlebnisse als intern, stabil und generell verursacht anzusehen:
Versagen in Leistungstests extern, variabel und spezifisch zu attribuieren, ist hingegen ein Zeichen fürResilienz.
Ähnlich wie Seligman hat auchBernard Weiner, der hauptsächlich überLeistungsmotivation geforscht hat, ein dreidimensionales Klassifikationssystem entwickelt, in das sich Ursachen für Erfolg oder Misserfolg einordnen lassen:
Dabei wird insbesondere die Stabilitätsdimension für Erwartungsänderungen verantwortlich gemacht. Relativ stabile Ursachen führen zu der Erwartung, dass vergangene Leistungsergebnisse auch in der Zukunft wieder erbracht werden, während instabile Ursachen darauf hindeuten, dass sich zukünftige Ergebnisse von vergangenen unterscheiden können.
Die Dimension der Kontrollierbarkeit dagegen wird insbesondere mit der Bewertung anderer Personen in Zusammenhang gebracht. So führt eine Attribution auf besondere Anstrengung in der Regel zu einer hohen Belohnung, während eine Attribution auf Faulheit zu einer Abwertung der Person führen kann.
Die Lokationsdimension wird insbesondere mit den emotionalen Auswirkungen von Attributionen in Zusammenhang gebracht. So kann eine Attribution auf Behinderung durch andere zu Aggressionen, eine Attribution auf eigene Leistung dagegen zu einem Schuld- oder geringerem Selbstwertgefühl führen.
Beispiel (s. Tabelle): Mögliche Ursachen für Erfolg und Misserfolg in einer Prüfung.[12]
internal | internal | external | external | |
---|---|---|---|---|
stabil | instabil | stabil | instabil | |
unkontrollierbar | Begabung | Konzentrationsvermögen | Aufgabenschwierigkeit | Glück oder Zufall |
kontrollierbar | Wissen | Anstrengung | dauerhafte Ressourcen (Hilfe eines Freundes) | temporäre Ressourcen (Hilfe eines Fremden) |
Neben ihrer Hauptanwendung im Bereich der Leistungsmotivation spielt die attributionale Theorie des Verhaltens auch in anderen Bereichen eine Rolle. Bernard Weiner postulierte unter anderem, dass die Bereitschaft zur Hilfeleistung unter anderem davon abhängig sei, inwieweit die hilfsbedürftige Person ihre Notlage selbst zu verantworten hat, wobei sich Verantwortlichkeit seiner Meinung nach, aus drei Faktoren ergibt:
Die Emotionen der Person, die potenziell Hilfe leisten könnte, spielt hier eine entscheidende Rolle, da sie eine vermittelnde Funktion zwischen Kognition und Handlung haben. Die Wahrscheinlichkeit dem Betroffenen zu helfen steigt, wenn Mitleid für diesen empfunden wird, und sinkt, wenn Ärger über die Situation empfunden wird, in die sich der Betroffene manövriert hat. Mitleid mit einer Person wird insbesondere dann empfunden, wenn sie eine missliche Lage nicht selbst zu verantworten hat. Ärger wird hingegen empfunden, wenn die Hilfsbedürftigkeit der Person als selbst generiert empfunden wird. Es existiert nach Weiner dementsprechend kein direkter kausaler Zusammenhang von der subjektiven Verantwortlichkeit auf die Bereitschaft, Hilfe zu leisten, da sich empfundene Emotionen entweder hemmend oder fördernd auf die Hilfsbereitschaft auswirken. Analog hierzu lässt sich mit diesem Sequenzmodell auch das Verhältnis erklären, in dem Kognition, Emotion und aggressives Verhalten zueinander stehen.
Weitere Bereiche, in denen die Theorie eine Rolle spielt, sindEinsamkeit,Depressionen,erlernte Hilflosigkeit und Entscheidungen vonBewährungskommissionen imStrafvollzug.
LautHeinz Heckhausen können verschiedene Geschehnisse verschieden attribuiert werden, also durch verschiedene Gründe erklärt werden,
Wenn man gute Erfahrungenimmer intern und schlechteimmer extern attribuiert, kann es sein, dass man anGrößenwahn leidet.
Menschen mitDepressionen neigen dazu, gute Erfahrungenimmer extern und schlechteimmer intern zu attribuieren.
Wenn man gute Erfahrungen eher intern und negative Erfahrungen eher extern attribuiert, kann dies für ein gutesSelbstvertrauen förderlich sein.
Die vonEdward E. Jones undKeith Davis entwickelte Theorie korrespondierenderInferenzen ist eine Attributionstheorie aus dem Bereich derSozialpsychologie und beschäftigt sich damit, wie Beobachter einer Handlung auf eineDisposition des oder der Handelnden schließen. Ziel des Attributionsprozesses ist die Feststellung, ob ein beobachtetes Verhalten und die Absicht, die zu diesem Verhalten geführt hat, mit einer zugrundeliegenden, stabilen Eigenschaft der Person korrespondiert. Dieser Prozess der Schlussfolgerung beinhaltet zwei Stadien:
Damit der Beobachter annehmen kann, dass die Handlung beabsichtigt war, setzt er voraus, dass die Konsequenzen der Handlung bekannt waren und die Fähigkeit (z. B. körperliche Kraft) vorhanden war.
Zentralen Einfluss hat die Meinung des Beobachters, ob auch andere Personen so handeln würden, das heißt, ob sie im Sinne dersozialen Erwünschtheit handeln. Je sozial unerwünschter die Konsequenzen sind, desto stärker fallen die Schlussfolgerungen aus. Der Beobachter attribuiert eine Absicht hinter dem anstößigen Verhalten, die auf ein persönliches Merkmal zurückzuführen ist. Allerdings verleiten nur Handlungen, die sozial unerwünscht sind, zu Annahmen über den Handelnden.
Dabei unterliegt dieAttribuierung auf eine konkrete Ursache einem Prozess, der in mehrere Schritte aufgeteilt ist:
Ferner gibt es noch andere Einflüsse auf den Attributionsprozess, etwa den derWahlfreiheit und den dersozialen Erwünschtheit.
Besteht bei den Handlungsalternativen keinerlei Wahlfreiheit, so gewinnt der Beobachter hieraus keinerlei Informationen. Wird die Wahlfreiheit dagegen nicht eingeschränkt, so tendieren Beobachter dazu, das gezeigte Verhalten stärker auf Dispositionen zurückzuführen als dies bei nicht bestehender Wahlfreiheit der Fall wäre.
Empirische Belege hierfür lieferte ein Experiment,[13] bei dem Versuchspersonen einen Aufsatz überFidel Castro bewerten sollten. Der einen Gruppe wurde gesagt, dass der Autor gezwungen wurde, den Aufsatz zu schreiben und sich für Fidel Castro auszusprechen.Der anderen Gruppe wurde gesagt, dass sich der Autor aus freien Stücken für seine Pro-Haltung entschied. Der Aufsatz mit der freiwilligen Haltung wurde nun als extremer eingeschätzt als der Aufsatz mit der gezwungenen Haltung. Gleiche Belege gab es bei einem Aufsatz, der sich gegen Fidel Castro aussprach.
Wird eine Handlung ausgeführt, weil sie in der Situation erwünscht ist, so beurteilen Beobachter diese Handlung eher als weniger extremeEinstellung des Handelnden. Wird die Handlung jedoch entgegen sozialenKonventionen durchgeführt, so wird die Disposition des Handelnden von Beobachtern als extremer eingestuft.
Auch hierfür gibt es empirische Befunde. Es sei auf einen Versuch mit vermeintlichen Bewerbern als Astronauten und U-Bootkapitänen verwiesen, bei dem Versuchspersonen ein vermeintliches Vorstellungsgespräch beurteilen sollten und diejenigen Kandidaten als extremer in ihren Einstellungen sahen, die sich einem vorgegebenen Rollenwunsch widersetzten.