AlsDmitri Mendelejew seinPeriodensystem entwickelte, waren nur die vier Halogenide Fluor, Chlor, Brom und Iod bekannt, der Bereich unterhalb des Iods blieb zunächst frei. Er sagte einEka-Iod voraus, das eine Atommasse von etwa 170 haben sollte. Durch die noch unklare Lage der Lanthanoide war diese Vorhersage jedoch weit entfernt von den tatsächlichen Gegebenheiten im Periodensystem, Atommassen von etwa 170 haben die ElementeThulium undYtterbium.[8] Erst mit der Einführung derOrdnungszahl als Ordnungsprinzip durchHenry Moseley 1913 und der Zuordnung der bekannten Elemente bisUran zu einer Ordnungszahl gemäß demMoseleyschen Gesetz stand fest, dass es ein Eka-Iod mit der Ordnungszahl 85 geben muss.[9][10]
In der Folgezeit wurde von einer Reihe von Forschern behauptet, Eka-Iod auf verschiedene Weise gefunden zu haben. So behaupteteFred Allison 1931, das Element durch eine selbst erfundene magneto-optische Methode in Seewasser und brasilianischemMonazit gefunden zu haben und nannte es nachAlabamaAlabamium. Seine Ergebnisse konnten aber nicht bestätigt werden, seine Untersuchungsmethoden bezeichneteIrving Langmuir alsPathologische Wissenschaft.[11] Auch der indische Chemiker Rajendralal De behauptete 1937, Eka-Iod aus Monazit, der ausTravancore stammte, extrahiert zu haben und nannte das ElementDakin, wahrscheinlich nachDhaka. 1947 aktualisierte er seine Beschreibungen und nannte das Element jetztDekhin. Da die beschriebenen Eigenschaften nicht zum Astat passten, wurde die behauptete Entdeckung nicht weiter beachtet.[12]
1939 beobachtetenHoria Hulubei undYvette Cauchois den radioaktiven Zerfall desRadonisotops222Rn und maßen diecharakteristische Röntgenstrahlung der entstehenden Elemente. Dabei entdeckten sie einigeSpektrallinien, die sie Element 85 zuordneten. Nachdem sie auf Grund des2. Weltkrieges die Arbeit unterbrechen mussten, verkündete Hulubei 1944 die vollständigen Ergebnisse und nannte das neue ElementDor nach dem rumänischen Wort für Sehnsucht (nach Frieden). Es ist unklar, ob sie tatsächlich Astat gefunden haben. Beim Zerfall von222Rn entsteht über218Po218At, jedoch ist die messbare Strahlung sehr schwach. AuchWalter Minder behauptete 1940 und 1942, Eka-Iod gefunden zu haben. Er stützte seine Entdeckungen auf die Beobachtung radioaktiver Strahlung. 1940 berichtete Minder beim Zerfall von222Rn von einer stärker werdendenBetastrahlung, die er auf den Zerfall vonRadium A (218Po) zu218At zurückführte und nannte das neue Element nach derSchweizHelvetium.[13] Zwei Jahre später behauptete Minder, beim Beobachten derThorium-Zerfallsreihe einen Zerfall gemessen zu haben, der zu Element 85 führen sollte und nannte das Element nunAnglo-Helveticum.[14] Beide Ergebnisse Minders konnten vonBerta Karlik undTraude Bernert, die die Versuche Minders wiederholten, nicht bestätigt werden.[12][15]
Die erste eindeutige Entdeckung von Element 85 gelang 1940 den WissenschaftlernDale R. Corson,Kenneth Ross MacKenzie undEmilio Gino Segrè an derUniversity of California. Sie beschossenBismut mitAlphateilchen, die in einemZyklotron erzeugt wurden und erhielten dabei ein radioaktives, Alphastrahlung absonderndes Produkt. Anschließend untersuchten sie dieses Produkt chemisch und schlossen nacheinander die bekannten Elemente wieThallium,Polonium oderBlei aus, bis nur noch die Möglichkeit des neu entdeckten Elementes 85 übrigblieb.[16] 1947 schlugen sie nachaltgriechisch ἀστατέω, astatos, „instabil“ den NamenAstat für das Element vor.[17][9]
Natürlich vorkommendes Astat wurde 1943 von Berta Karlik und Traude Bernert gefunden, die in denZerfallsreihen vonRadium,Thorium undActinium die drei Isotope215At,216At und218At nachweisen konnten.[18][9]
Endgültig bestätigt wurde die Entdeckung des Astats und sein Name 1949 von derIUPAC.[19]
Astat wird durch Beschuss vonBismut mitAlphateilchen im Energiebereich von 26 bis 29 MeV hergestellt. Man erhält dabei die relativ langlebigenIsotope209At bis211At, die dann imStickstoffstrom bei 450 bis 600 °Csublimiert und an einer gekühltenPlatinscheibe abgetrennt werden.
Bei diesem radioaktiven Element wurde mit Hilfe vonMassenspektrometrie nachgewiesen, dass es sich chemisch wie die anderen Halogene, besonders wieIod verhält (es sammelt sich wie dieses in derSchilddrüse an). Astat ist stärkermetallisch als Iod.Forscher amBrookhaven National Laboratory haben Experimente zur Identifikation und Messung von elementaren chemischen Reaktionen durchgeführt, die Astat beinhalten.
Organische Astatverbindungen dienen in derNuklearmedizin zur Bestrahlung bösartiger Tumoren. Astat-Isotope eignen sich aufgrund der kurzen Halbwertszeiten innerlich eingenommen als radioaktive Präparate zum Markieren der Schilddrüse. Das Element wird in der Schilddrüse angereichert und in der Leber gespeichert.[22]
Die chemischen Eigenschaften von Astat konnten aufgrund der geringen Mengen bisher nur mitTracerexperimenten festgestellt werden. Sie ähneln stark denjenigen des Iods, wobei es aber ein schwächeresOxidationsmittel ist. Bisher konnten diverse Astatide,Interhalogenverbindungen undorganische Verbindungen nachgewiesen werden. Auch dieAnionen der entsprechenden Sauerstoffsäuren sind bekannt. Wegen des im Vergleich zu anderen Halogenen elektropositiveren Charakters wird es vonSilber nur unvollständig ausgefällt. Dafür existiert das komplexstabilisierteKation At(Py)2 (Py=Pyridin), wodurch Astat auchkathodisch abgeschieden werden kann. Nachgewiesen wurde auch das Hydrid, Astatwasserstoff HAt.
Einstufungen nach derCLP-Verordnung liegen nicht vor, weil diese nur die chemische Gefährlichkeit umfassen und eine völlig untergeordnete Rolle gegenüber den auf derRadioaktivität beruhenden Gefahren spielen. Auch Letzteres gilt nur, wenn es sich um eine dafür relevante Stoffmenge handelt.
↑Die Werte der atomaren und physikalischen Eigenschaften (Infobox) sind (soweit nicht anders angegeben) auswww.webelements.com (Astat) entnommen.
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↑Die von der Radioaktivität ausgehenden Gefahren gehören nicht zu den einzustufenden Eigenschaften nach der GHS-Kennzeichnung. In Bezug auf weitere Gefahren wurde dieses Element entweder noch nicht eingestuft oder eine verlässliche und zitierfähige Quelle hierzu wurde noch nicht gefunden.
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