Argumentationstheorie
DieArgumentationstheorie ist eine Teildisziplin derPhilosophie, die sich mit der Form und dem Gebrauch vonArgumenten befasst. Sie vermittelt zwischen den Teildisziplinen derLogik und derRhetorik. Ihr Themenfeld reicht auch in die Disziplinen derPsychologie,Rechtswissenschaft,Linguistik,Pädagogik und derLiteraturkritik hinein.
Nach einer wechselvollen, circa 2.500-jährigen Geschichte des argumentierenden Redens[1] hat der Begriff des Argumentierens seit Mitte des 20. Jahrhunderts eine neue Relevanz für Philosophie undWissenschaften bekommen. Versucht wird vielfach, das Konzept derWahrheit vor allem in normativen Themenbereichen durch nicht-normative Entwürfe wie dem der argumentativen Gültigkeit (Wohlrapp) oder der konditionalen Zustimmungsfähigkeit Dritter (Perelman), abzulösen bzw. zu reinterpretieren.
Ein Argument wird oft verstanden als ein Stück menschlicher Rede, das geeignet ist, dieGültigkeit oder Ungültigkeit einer (bislang zweifelhaften)These zu erweisen. Nach traditionellem Verständnis, etwa nachAristoteles, wurden stets unterschiedliche Typen von Argumenten unterschieden, darunter solche, welche z. B. auf tradierten Voraussetzungen und Autoritätszuschreibungen oder rhetorischen Mitteln beruhen. Dabei wurde aber angenommen, dass der Idealfall eines Arguments von solchen Voraussetzungen und Mitteln frei sei:
Das ideale Argument verwende eine oder mehrere Prämissen, die so formuliert sind, dass deren Referenzen bzw.Wahrmacher philosophisch präzise erfassbar sind, und die als Prämissen unabhängigplausibel sind, und aus welchen eine zu beweisende These für jeden unabweisbar, weillogisch, folgt, wobei ein Begriff logischer Konsequenz gemäßklassischer Logiken unterstellt wurde. Zahlreiche insbesondere im 19. und 20. Jahrhundert entwickelte Vorschläge zur Argumentationstheorie gehen dahin, aufzuweisen, dass ein solches Idealmodell für zu viele Fälle unangemessen sei. Es erfasse zu wenige plausiblerweise fürvalide gehaltene Argumente und repräsentiere deren Struktur unangemessen. Um zudem Fälle des Argumentierens gegen solche desErklärens,Beweisens oder Erwirkens von Zustimmung über Drohungen beziehungsweise Verlockungen (Eristik) kriteriologisch abzugrenzen, müsse ein sehr viel weitergehender Theorierahmen entwickelt werden, der vor allemnichtklassische Logiken benötige.
Im Anschluss anantike Einteilungen (Logik,Dialektik, Rhetorik) wird zwischen Argumentation als Produkt, Prozedur und Prozess unterschieden. Für die Produktperspektive ist der Übergang vonPrämissen zuKonklusionen wesentlich. Neben der klassischen Logik wird hier mit neuen Logiksystemen, insb. solchen derdialogischen Logik[2] und diversen semiformalen Ansätzen[3] wie derInformellen Logik oder derPragma-Dialektik gearbeitet. Ausgehend von der vonChaim Perelman ausgehenden sog. „Neuen Rhetorik“[4] werden akzeptanzrelevante Figuren in Theorie und Empirie studiert, währendCharles Leonard Hamblin 1970 ein neues akademisches Teil-Feld, das sich mitFehlschlüssen befasst, eröffnete.
Für praktische Zwecke entwickelteStephen Toulmin ein vielbeachtetes Schema:[5] Dass eine Argumentation immer adressiert ist (Selbstadressierung als Grenzfall), argumentierendes Reden mithin sprachlicheKommunikation darstellt, ist Grundeinsicht für prozedurale Theorien. Resultate der linguistischen Pragmatik über die Abhängigkeit sprachlicher Verständigung von gemeinsamen Regeln wurden zu diversen normativen Ansätzen verarbeitet, insbesondere zurDiskurstheorie.[6][7]
Der Begriff des Argumentierens wird in zahlreichen Disziplinen thematisiert, teils als Objekt der Untersuchung, teils als Rahmen zur Klärung von Methodenproblemen.[8]
Siehe auch
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Frans van Eemeren, u. a.:Fundamentals of Argumentation Theory. A handbook of historical backgrounds and contemporary developments. Erlbaum Books, Mahwah, N.J. 1996,ISBN 0-8058-1862-6
- Klaus Jacobi (Hrsg.):Argumentationstheorie. Scholastische Forschungen zu den logischen und semantischen Regeln korrekten Folgerns. 6 Teile, jeder mit einer Einführung des Hrsg. (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters Bd. 18) Verlag Brill, Leiden, New York und Köln 1993.ISBN 90-04-09822-4
- Josef Kopperschmidt:Argumentationstheorie zur Einführung. 2. Auflage. Junius, Hamburg 2005,ISBN 978-3-88506-320-9.
- Josef Kopperschmidt (Hrsg.):Rhetorik. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt
- 1. –Rhetorik als Texttheorie, 1990,ISBN 3-534-07518-8
- 2. –Wirkungsgeschichte der Rhetorik, 1990,ISBN 3-534-07534-X
- Christoph Lumer:Praktische Argumentationstheorie. Theoretische Grundlagen, praktische Begründung und Regeln wichtiger Argumentationsarten. Springer Fachmedien, Wiesbaden 1990
- Arno Ros:Begründung und Begriff. Wandlungen des Verständnisses begrifflicher Argumentationen. Meiner, Hamburg, 1989/1990, 3 Bde.;ISBN 3-7873-0962-4.
- Holm Tetens:Philosophisches Argumentieren: Eine Einführung. Beck, München 2004,ISBN 978-34065-1114-1.
- Stephen Toulmin:Der Gebrauch von Argumenten. Beltz Athenäum, Weinheim 1996,ISBN 3-89547-096-1
- Harald Wohlrapp:Der Begriff des Arguments. Über die Beziehungen zwischen Wissen, Forschen, Glaube, Subjektivität und Vernunft. Würzburg: Königshausen u. Neumann, 2008,ISBN 978-3-8260-3820-4
Weblinks
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Leo Groarke: Informal Logic. In: Edward N. Zalta (Hrsg.):Stanford Encyclopedia of Philosophy.
- Torsten Wilholt:Logik und Argumentation (ausführliches Skript zur Einführung in formale Logik und Argumentationstheorie für Studierende der Philosophie; PDF; 2,7 MB)
Belege
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑Vgl. den Kurzüberblick in der Einleitung zuHarald Wohlrapp (Hrsg.):Wege der Argumentationsforschung. Frommann-Holzboog, Stuttgart 1995,ISBN 3-7728-1660-6.
- ↑Vgl. etwaPaul Lorenzen,Kuno Lorenz:Dialogische Logik. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1978,ISBN 3-534-06707-X; Laurent Keiff: Dialogical Logic. In: Edward N. Zalta (Hrsg.):Stanford Encyclopedia of Philosophy..
- ↑Vgl. etwa John Woods,Douglas Walton:Fallacies. Selected papers 1972–1982, Foris Publications, Dordrecht 1989,ISBN 90-6765-305-5.
- ↑grundlegend:Chaim Perelman,Lucie Olbrechts-Tyteca:Die neue Rhetorik. Eine Abhandlung über das Argumentieren. Frommann-Holzboog, Stuttgart 2004,ISBN 3-7728-2229-0.
- ↑Vgl. Stephen Toulmin:The Use of Argument, 1958.
- ↑Vgl. etwaKarl-Otto Apel:Diskurs und Verantwortung. Das Problem des Übergangs zur postkonventionellen Moral. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1997,ISBN 3-518-28493-2
- ↑Jürgen Habermas:Theorie des kommunikativen Handelns. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1999, Bd. 1. –Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung,ISBN 3-518-28775-3, Bd. 2. –Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft,ISBN 3-518-28775-3
- ↑Vgl.Eemeren:Fundamentals, 1996.