Philosophiegeschichtlich wichtig ist er – neben eigenen Beiträgen – auch wegen seiner Übersetzungstätigkeit. ImHaus der Weisheit inBagdad ließ er zahlreiche Schriften u. a. vonAristoteles,Platon,Alexander von Aphrodisias undJohannes Philoponos ins Arabische übersetzen. Besonders Aristoteles’ naturphilosophische Schriften wurden von ihm rezipiert. Seine AbhandlungÜber den Intellekt wurde über Jahrhunderte von arabischen und lateinischen Intellektuellen breit rezipiert. Auch theologische Debatten wurden von seinen Konzepten beeinflusst.
Abū Yaʿqūb ibn Ishāq al-Kindī (vom Stamme derKinda) war arabischer Abstammung und wurde von seinen vielen nichtarabischen Genossen und Kollegen deshalb „der arabische Philosoph“ genannt. Er selbst führt seinenStammbaum auf die alten Kinda-Fürsten zurück, was nicht nachweisbar ist, aber darauf hindeutet, dass er aus einer wohlhabenden Familie stammte. Er wurde um 800 inKufa geboren, wo sein VaterStatthalter war. Der erwähnte Reichtum seiner Ahnen führte einerseits zu einem sehr gebildeten und bewanderten Stamm, wovonal-Kindī in seiner Ausbildung profitierte, als auch später zu der Möglichkeit, sehr viele Übersetzer beschäftigen zu können. Den größten Teil seines Lebens verbrachte er inBagdad, das damals das kulturelle Zentrum der islamischen Welt war und es ihm ermöglichte, sich mit den verschiedenstenKulturen undLehren auseinanderzusetzen. So gilt er auch als einer der ersten großen „Übersetzer“, da er einen Großteil des Werkes vonAristoteles,Platon und desNeuplatonismus übersetzen ließ.Al-Kindī selbst baute darauf seine eigenen Werke auf. Er hatte Zugang zum Hof desKalifen, auch wenn nicht überliefert ist, in welcher Stellung. Zeitweise dürfte er auch in Ungnade gefallen sein, seine Bibliothek war eine Zeit lang konfisziert und das Fehlen seiner genauen Geburts- und Todesjahre deutet darauf hin, dass er in untergeordneter Stellung gestorben sein dürfte.
Fälschlicherweise wurde al-Kindī auch der vonPetrus von Toledo übersetzte, dem 9. Jh. entstammende fiktive Dialog „Apologie des al-Kindī“ zugeschrieben, in dem der Christ ʿAbd al-Masīḥ ibn Isḥāq al-Kindī in polemisch-apologetischem Stil das Christentum verteidigt. Aufgrund dieser Zuschreibung stand dieser Dialog in hohem Ansehen.[5]
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Das philosophische Schaffen al-Kindīs war vor allem durch seine vielen Übersetzungen geprägt, die er in der Regel selbst korrigierte. Dem folgen auch Entwicklungen in seinen eigenständigen Werken. Zunehmend kenntlich wird eine Nähe zuPlaton und Texte in der Tradition desNeuplatonismus, aber auch anAristoteles, dessen Werke eine starke Stellung in al-KindīsBibliothek einnehmen.
Im zweiten Teil ändert sich die Perspektive, undKindī erklärt, dass die Welt endlich ist und die Unendlichkeit der Welt nur einePotenz ist. Er zeigt, dass dieDimensionen des Raumes endlich sind (in Anlehnung an Aristoteles’ „Über den Himmel“), so wie aber auch die Zeit endlich sei (hier geht er einen Schritt weiter) und also einen zeitlichen Anfang haben müsse (in Anlehnung anJohannes Philoponos).
Im dritten Teil erklärt er die Existenz Gottes mit dem Argument, dass die Vielheit der sinnlich wahrnehmbaren Dinge auf der Existenz des ursprünglichen Einen beruhe (in Anlehnung an denNeuplatonikerProklos).
Im vierten Teil beschreibtKindīGott und bedient sich einer negativenTheologie im Sinne des spätenNeuplatonismus (in Anlehnung an Proklos); der Text wird aber abermals mit einer Wendung beschlossen: Der ferne und unbekannte Gott habe unsere Welt nicht vonEwigkeit her, sondern in der Zeit aus demNichts bewirkt (in Anlehnung an das religiöseDogma derSchöpfung aus dem Nichts).
Seine eigentliche Philosophie war zunächst auf derMathematik aufbauend; es finden sichZahlenspiele in seinen Schriften. Nach ihm konnte niemand „Philosoph“ werden, ohne Mathematik beziehungsweiseLogik studiert zu haben. Trotzdem ist die Welt bei ihm ein Werk Gottes, dessen Wirken von oben nach unten vermittelt wird: alles Höhere wirkt auf das Niedere ein, nicht aber das Verursachte auf seine (über ihm auf der Stufe des Seins stehende) Ursache. So entsteht eine durchgehendeUrsächlichkeit in der Welt, deren Erkenntnis es ermöglicht, Zukünftiges vorherzusagen. Die Welt besteht aus dem (göttlichen)Geist, der (materiellen) Körperwelt und derSeele, die sich dazwischen befindet. Die menschliche Seele ist ein Ausfluss dieserWeltseele, daher in ihren Wirkungen an denKörper gebunden, ihrem geistigen Wesen nach aber unabhängig. Die Seele ist in die Sinnenwelt herabgekommen, mit einer Ahnung ihres ursprünglichen Zustands, und findet sich daher hier nicht heimisch. Erlösung kann sie erst wiederim Aufstieg in die geistige Welt finden, wo alle ihre Bedürfnisse befriedigt werden. Dafür muss sie sich indes von allen materiellen und körperlichen Begierden befreien – hier finden also wieder deutliche islamische Elemente Einzug.
Als wesentlichsteseigenes Werk (also unabhängig von den Vorlagen durch denIslam oder diegriechische Philosophie) dürfte „Über den Intellekt“ gelten, das die meisten eigenen Konzepte aufweist, auch wenn es sich wiederum anAristoteles’ „Über die Seele“ und einigespätantike Kommentatoren (Alexander von Aphrodisias,Themistios undJohannes Philoponos) anlehnt. Es geht dabei um Aristoteles’ Unterscheidung zwischen aktivem und passivemIntellekt. Konnten die Kommentatoren den Grund dafür nicht herausfinden, so definierteKindī: Der aktive Intellekt sei die Ursache und das universale Prinzip aller Intellekte und er sei die Spontaneität des Denkens und ohne Ruhe. Das Denken sei in drei Stufen aufgebaut:
Der potentielle Intellekt (dasVermögen des Menschen zu denken)
Der erworbene Intellekt (das Vermögen des Menschen, etwas tun zu können – beispielsweise Schreiben − es aber gerade nicht auszuüben; auch aktualisierter Intellekt genannt)
Der sichtbare Intellekt (das Vermögen des Menschen, das erworbene Wissen anzuwenden; auch demonstrativer Intellekt genannt)
Diese drei Stufen sind Formen des passiven (rezeptiven) Intellekts. So kann man die vier Intellekte (also den aktiven und den passiven mit seinen drei Zwischenstufen) chronologisch reihen. Dies wird von vielen anderen Philosophen, auch in Europa, übernommen.
Ein weiteres wichtiges WerkKindīs sind dieDefinitionen derBegriffe. Wie erwähnt korrigierte er die von ihm in Auftrag gegebenen Übersetzungen immer selbst. Unter anderem entstand dabei auch eine Schrift über die Definition des Begriffs „Philosophie“, die seine Philosophie auch wesentlich charakterisieren. Es ist eine Definition von sechs Gesichtspunkten:
Etymologisch ist Philosophie die „Liebe zur Weisheit“
Philosophie ist das Bemühen, sich den göttlichen Taten anzugleichen und zwar nach Maßgabe des menschlichen Vermögens (Wovon handelt die Philosophie?)
Philosophie ist die Sorge um den Tod, nämlich zum einen die Sorge um den Austritt der Seele aus dem Körper und zum anderen die Sorge um das Abtöten der Begierde (Ziele der Philosophie)
Philosophie ist die Kunst der Künste und die Weisheit der Weisheiten (Ursprung der Philosophie)
Die Dinge sind entweder körperlich oder unkörperlich. Der Mensch besteht aber aus Körper, Seele und Akzidenzia (Attributen) und die Seele nachher besteht ausSubstanz. Um seine Substanz zu kennen, muss der Mensch sich selbst erkennen. Erkennt der Mensch alle seine drei Bestandteile, erkennt der die ganze Welt (Philosophie alsSelbsterkenntnis des Menschen)
Philosophie ist die Kenntnis der ewigenUniversalien, ihres Wesens und ihrer Ursachen, soweit dies dem Menschen möglich ist (Philosophie aus dem Lesen)
Kindī galt als ersterislamischer Aristoteliker, auch wenn er im Unterschied zuAristoteles von einer endlichen Welt ausging. Ein großer Fehler aber passierte bei den Übersetzungen unter seiner Regie. DieEnneadenPlotins (eherplatonisch) werden irrtümlicherweise Aristoteles als „Theologie des Aristoteles“ zugeschrieben und in der islamischen Philosophie als „neuplatonischer Aristotelismus“ verwechselt. Dieser Fehler wird erst sehr viel später bemerkt werden und zieht sich ganz wesentlich durch die Geschichte der islamischen Philosophie.
Die erste Seiteal-Kindīs Manuskript über die Kryptanalyse
Darüber hinaus befasste sichal-Kindī auch mit derKryptologie. Er gilt als einer der Pioniere auf dem Gebiet derKryptoanalyse, also der Kunst, aus einemGeheimtext ohne Kenntnis des zurVerschlüsselung benutztenSchlüssels den ursprünglichenKlartext zu gewinnen. Er verfasste die erste bekannte Abhandlung über Kryptoanalyse, die erst 1987 im Istanbuler Süleiman-Osman-Archiv wiederentdeckt wurde.[6] Sie trägt den Titel „Abhandlung über die Entzifferung kryptographischer Botschaften“, in derKindī zeigte, wie diemonoalphabetische Substitution, die zu der Zeit in Europa noch als „unknackbar“ galt, mithilfe der statistischen Methode derHäufigkeitsanalysegebrochen werden konnte. Die entscheidend wichtige Passage ausKindīs Handschrift lautet:
„Eine Möglichkeit, eine verschlüsselte Botschaft zu entziffern, vorausgesetzt, wir kennen ihre Sprache, besteht darin, einen anderen Klartext in derselben Sprache zu finden, der lang genug ist, um ein oder zwei Blätter zu füllen, und dann zu zählen, wie oft jeder Buchstabe vorkommt. Wir nennen den häufigsten Buchstaben den »ersten«, den zweithäufigsten den »zweiten«, den folgenden den »dritten« und so weiter, bis wir alle Buchstaben in der Klartextprobe durchgezählt haben. Dann betrachten wir den Geheimtext, den wir entschlüsseln wollen, und ordnen auch seine Symbole. Wir finden das häufigste Symbol und geben ihm die Gestalt des »ersten« Buchstabens der Klartextprobe, das zweithäufigste Symbol wird zum »zweiten« Buchstaben, das dritthäufigste zum »dritten« Buchstaben und so weiter, bis wir alle Symbole des Kryptogramms, das wir entschlüsseln wollen, auf diese Weise zugeordnet haben.“[7]
Al-Kindī hatte eine die Wirksamkeit vonArzneimitteln betreffende Gradenlehre[8][9] verfasst, die erstmalsComposita (zusammengesetzte Arzneimittel) systematisch spezifizierte.[10][11]
A.L Ivry:Al-Kindi’s Metaphysics. State University of New York, New York 1974,ISBN 0-87395-092-5. Enthält neben der Übersetzung deral-falsafa al-ula („Die Erste Philosophie“) in der zweibändigen Ausgabe von A. H. Abû Rîdah (Kairo 1950–1953) ins Englische einen breiten Kommentarteil mit Nachweisen von Bezügen zur Metaphysik des Aristoteles sowie eine kurze historische Einführung zu dieser Thematik.
Jean Jolivet, Roshdi Rashed:Al-Kindi, Abu Yusuf Yaqub Ibn Ishaq Al-Sabbah. In:Charles Coulston Gillispie (Hrsg.):Dictionary of Scientific Biography.Band15, Supplement I:Roger Adams – Ludwik Zejszner and Topical Essays. Charles Scribner’s Sons, New York 1978,S.261–267 (englisch).
Ulrich Rudolph:Islamische Philosophie. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Verlag C. H. Beck, München 2004,ISBN 3-406-50852-9, S. 15–21.
T. J. De Boer:Geschichte der Philosophie im Islam. Fr. Frommanns Verlag, Stuttgart 1901, S. 90–97.
↑auchAbu Yusuf Yaqub ibn Ishaq al-Sabbah al Kindi,Abū Jusūf Ja‘qūb ibn Isḥaq al Kindi usw.
↑Friedrun R. Hau:al-Kindī (Yaʿqūb ibn Isḥāq). In:Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage,Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.):Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/New York 2005,ISBN 3-11-015714-4, S. 750.
↑Alfred Siggel:Al-Kindī's Schrift über die zusammengesetzten Heilmittel. In:Sudhoffs Archiv. Band 37, 1953, S. 389–393.
↑Stefan Schreiner:Christliche Theologie als Antwort auf die islamische Herausforderung. Eine historische Perspektive. In: Mohammad Gharaibeh, Esnaf Begic, Hansjörg Schmid, Christian Ströbele (Hrsg.):Zwischen Glaube und Wissenschaft. Theologie in Christentum und Islam. Pustet, Regensburg 2015, S. 23–40, hier: S. 33.
↑Simon Singh:Geheime Botschaften. Carl Hanser Verlag, München 2000, S. 33.ISBN 3-446-19873-3
↑Simon Singh:Geheime Botschaften. Carl Hanser Verlag, München 2000, S. 35.ISBN 3-446-19873-3
↑Alfred Siggel:Al-Kindī’s Schrift über die zusammengesetzten Heilmittel. In:Sudhoffs Archiv. Band 37, 1953, S. 389–393.
↑Rudolf Schmitz:Der Arzneimittelbegriff der Renaissance. In: Rudolf Schmitz,Gundolf Keil:Humanismus und Medizin. Acta humaniora, Weinheim 1984 (=Deutsche Forschungsgemeinschaft: Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung. Band 11),ISBN 3-527-17011-1, S. 1–21, hier: S. 8 f.