Dieakute lymphatische Leukämie (syn.akute lymphoblastische Leukämie, kurzALL) ist eine akuteLeukämie, die vonbösartig entarteten Vorläuferzellen derLymphozyten ausgeht. Dabei kommt es zu einer in der Regel rasch fortschreitenden Knochenmarkinsuffizienz (Verminderung derKnochenmarkfunktion), d. h. einer schwächer werdenden gesunden Blutbildung mit Mangel anErythrozyten (roten Blutzellen) undThrombozyten (Blutplättchen). Damit einher geht eine zunehmende allgemeine Schwäche und Blutungsneigung. Die Zahl derLeukozyten (weißen Blutzellen) im Blut kann initial erhöht, normal oder sogar reduziert sein. Aufgrund des relativen Mangels an gesunden funktionsfähigen Leukozyten liegt auch einImmundefekt mit oft schwer und u. U. lebensbedrohlich verlaufenden Infektionen vor. Die Behandlung erfolgt mittelsChemotherapie und z. T. auchStrahlentherapie. Führte die ALL noch vor 30–40 Jahren bei der ganz überwiegenden Zahl der Patienten innerhalb von wenigen Wochen zum Tode, so ist sie heute bei über 50 % der Erwachsenen und bei ca. 80 % aller Kinder mit intensiver Chemotherapie heilbar. Die individuellen Heilungsaussichten hängen stark von bestimmten Risikofaktoren ab.
Die ALL ist eine seltene Erkrankung mit einerInzidenz von etwa 1,5 Neuerkrankungen/100.000 im Jahr bezogen auf alle Altersgruppen. Es besteht ein Übergewicht von männlichen Erkrankten (1,4 zu 1). FürDeutschland schätzt man etwa 500 Neuerkrankungen bei Erwachsenen und ca. 500 Neuerkrankungen bei Kindern pro Jahr. Genaue Zahlen existieren für Erwachsene wegen des Fehlens eines zentralenKrebsregisters nicht, die Zahlen für Kinder unter 15 Jahren beruhen auf den Daten des Deutschen Kinderkrebsregisters, in dem schätzungsweise 90 % aller Fälle erfasst sind.[2] In derSchweiz und inÖsterreich werden jeweils etwa 40–50 Neuerkrankungen bei Erwachsenen und Kindern pro Jahr angenommen.[3] Für dieVereinigten Staaten werden die Neuerkrankungen im Jahr 2007 auf ungefähr 5200 Fälle geschätzt.[1] Das lebenslange Risiko(lifetime risk), an akuter lymphatischer Leukämie zu erkranken, liegt damit bei ungefähr 1 zu 838, d. h. etwa eine Person unter 838 wird im Laufe ihres Lebens an ALL erkranken. Die Verteilung über die Altersgruppen zeigt einen Gipfel im Kindesalter (6,5/100.000 bei Kindern unter 4 Jahren) und einen zweiten, geringeren im höheren Alter (1,5/100.000 bei über 80-Jährigen). Bei Erwachsenen macht die ALL weniger als 15 % aller akuten Leukämien aus (d. h. mehr als 85 % aller Erkrankung sindakute myeloische Leukämien). Bei Kindern ist dies umgekehrt. Die ALL ist die häufigstemaligne Erkrankung im Kindesalter.
Ursache der Erkrankung sindgenetische Veränderungen in einerlymphatischen hämatopoetischen (blutbildenden)Stammzelle, die zurmalignen (bösartigen) Transformation dieser Zelle führen. Diese genetischen Veränderungen sind (von seltenen Spezialfällen abgesehen) im Laufe des Lebens erworben und weder geerbt noch vererbbar, da dieKeimbahnzellen (Eizellen, Spermien) nicht betroffen sind. Die genaue Kausalkette, die zum Auftreten der Erkrankung führt, ist bisher nicht bekannt. Es gibtRisikofaktoren für das Entstehen von Leukämien (ionisierende Strahlung, chemischeMutagene etc.), aber bei den allermeisten Patienten kann man trotz sorgfältiger Suche keine spezifische Ursache finden. Auch gibt es bisher keinen Beweis für eine möglicheinfektiöse Ursache, z. B. durchViren. Die einzige Ausnahme bildet dieadulte T-Zell-Leukämie inJapan, die durch dasRetrovirusHTLV-1 verursacht wird, das aber in Europa so gut wie gar nicht vorkommt. Die maligne transformierte Zelle und ihre durchZellteilung entstandenen Tochterzellen vermehren sich unkontrolliert und ungebremst und verdrängen die normaleBlutbildung (Hämatopoese) imKnochenmark. Die ALL ist also eineklonale Erkrankung, d. h. alle ALL-Zellen sind nahezu identische genetische Kopien voneinander. Die malignen Zellen sammeln sich vorwiegend in den lymphatischen Organen (v. a.Lymphknoten,Milz,Thymus), jedoch auch anderen Organen wie z. B. demZentralnervensystem (ZNS), an. Es kommt zu einer zunehmenden Störung der Blutbildung (Knochenmarkinsuffizienz) mit Blutarmut (Anämie) und Thrombozytopenie (Fehlen vonThrombozyten) und einer damit verbundenen Blutungsneigung sowie zu einerImmunschwäche. Unbehandelt verläuft die Erkrankung schnell tödlich.
Zum Diagnosezeitpunkt zeigen Kinder mit einer ALL folgende relative Häufigkeiten klinischer Zeichen, Symptome und typischer Laborbefunde. Letztere spiegeln dabei das Ausmaß der Störung der Blutbildung durch die ALL wider, da die normale Blutbildung im Knochenmark durch die ALL verdrängt wird (sogenannte „Verdrängungsmyelopathie“).
Klinische Zeichen und Symptome bei Kindern mit akuter lymphatischer Leukämie[4]
Laboruntersuchungsbefunde bei Kindern mit akuter lymphatischer Leukämie[4]
Laboruntersuchungsbefunde
Wertebereich
Anteil der Patienten
Leukozyten; WBC(white blood cells), „Leukos“
Normal: 4.000–12.000/µL *
<10.000/µL
53 %
10.000 bis 49.000/µL
30 %
>50.000/µL
17 %
Hämoglobin; HGB, Hb
Normal: 11,0–16,0 g/dL *
<7,0 g/dL
43 %
7,0 bis 11,0 g/dL
45 %
>11,0 g/dL
12 %
Thrombozyten; PLT(platelets), „Thrombos“
Normal: 150.000–450.000/µL *
<20.000/µL
28 %
20.000 bis 99.000/µL
47 %
>100.000/µL
25 %
* Die Normwerte für das Kindesalter stellen einen ungefähren Wertebereich dar. Bei exakter Anwendung von Normbereichen müssen diese nach Altersstufen (Neugeborene, Säuglinge, Kleinkinder, Schulkinder, Jugendliche) differenziert werden. Dies gilt vor allem für die Konzentration des Hämoglobins und die Anzahl der Leukozyten. Zur Veranschaulichung der Zusammenhänge wird hier auf diese Differenzierung verzichtet.
Laboruntersuchungsbefunde bei Erwachsenen mit akuter lymphatischer Leukämie[5]
Knochenmarkausstrich bei ALL: mehr als 90 % der hier sichtbaren Zellen sind lymphatische Blasten (Leukämiezellen). Die Zelldichte ist stark gesteigert.Knochenmarkausstrich bei ALL (Detail) mit Lymphoblasten (Leukämiezellen). Die Blasten weisen meist mehrereNucleoli auf (Malignitätskriterium).
Für die Diagnose ist eine Untersuchung desKnochenmarks essentiell, da es vorkommen kann, dass dann noch keine feststellbare Ausschwemmung von Leukämiezellen aus dem Knochenmark in das Blut vorliegt. Man spricht dann von eineraleukämischen Verlaufsform (vgl. die beiden Tabellen zu Laboruntersuchungsbefunden). Wenn Leukämiezellen im Blut nachweisbar sind, aber die Zahl derLeukozyten insgesamt nicht erhöht ist, spricht man von einemsubleukämischen Verlauf. Wenn die Gesamtzahl der Leukozyten durch Leukämiezellen erhöht ist, nennt man dies einenleukämischen Verlauf. Eine normale oder sogar erniedrigte Leukozytenzahl im Blut schließt also eine Leukämie nicht aus, entscheidend ist die Knochenmarkdiagnostik.
Die Diagnose einer ALL kann gestellt werden durch:
Nachweis eines Anteils lymphatischerBlasten von mindestens 20 bis 25 % im Knochenmark
Durch mikroskopische Untersuchung des Knochenmarks oder des Blutausstrichs bei leukämischem Verlauf kann die Diagnose einer akuten Leukämie gestellt werden. Für die weitere Subklassifikation der ALL spielt die Beurteilung der Zellmorphologie im Gegensatz zur AML nur eine untergeordnete Rolle. In der sogenanntenFAB-Klassifikation („French-American-British“) wird zwischen drei verschiedenen Morphologien unterschieden (L1, L2, L3). Von Bedeutung ist das nur für den seltenen L3-Subtyp, der mit der „reifzelligen B-ALL“ assoziiert ist. Die reifzellige B-ALL ist eine Sonderform der ALL und kann als die leukämische Manifestation desBurkitt-Lymphoms betrachtet werden (d. h. ein Burkitt-Lymphom mit >20 % oder >25 % Knochenmarkbefall) und wird wie dieses behandelt. Die Unterscheidung zwischen L1 und L2-Morphologie ist dagegen schwierig und selbst sehr erfahrene Hämatologen oder Hämatopathologen kommen hier zu unterschiedlichen Einschätzungen. Klinisch hat die Unterscheidung von L1 und L2 keine Bedeutung.
Häufigkeit der zytomorphologischen Befunde nach FAB-Klassifikation bei Kindern mit ALL[4]
Zytomorphologische FAB-Klasse
Charakteristika
Anteil der Patienten
FAB L1
Kleine Zellen vorwiegend mit einheitlicher Größe, gleichförmiges Chromatin, Zellkern nicht sichtbar oder klein, regelmäßig vorfindbare Nucleoli, sehr wenig Zytoplasma, leichte bis mäßige Basophilie, unterschiedliches Ausmaß von Vakuolen im Zytoplasma
84 %
FAB L2
Große Zellen mit unterschiedlicher Größe, ungleichförmiges Chromatin, Zellkern mit unregelmäßigen Spalten und Kerben, einer oder mehrere oftmals große Nucleoli, variable Größe des Zytoplasmas, mäßige bis oft starke Basophilie, unterschiedliches Maß an Vakuolen im Zytoplasma
15 %
FAB L3
Große Zellen mit einheitlicher Größe, gleichförmig fein gesprenkeltes Chromatin, ovaler bis runder Zellkern, hervorstechende Nucleoli (auch mehrere), viel Zytoplasma, sehr starke Basophilie, oft hervorstechende Vakuolen im Zytoplasma
Relative Häufigkeit der verschiedenen Immunphänotypen bei der ALL im Erwachsenenalter (Zahlen beruhen zum Teil auf Schätzungen), blau und grün dargestellt die T-Linien-ALL, rot, orange und gelb die B-Linien-ALL
Entscheidend ist dieImmunphänotypisierung der aus dem Blut oder mittelsKnochenmarkpunktion gewonnenen Leukämiezellen, die heute meist mit mittelsDurchflusszytometrie (FACS =Fluorescence activated cell sorting) erfolgt. Damit wird untersucht, ob und in welchem Ausmaß sich bestimmteProteine an der Oberfläche oder imZytoplasma der Zellen befinden. Das Expressionsmuster verschiedener lymphatischer, myeloischer und Vorläuferzell-Antigene ermöglicht die Zuordnung zuB- oderT-Zellreihe und die Festlegung des Differenzierungsstadiums. Man kann die ALL dementsprechend alsB-Linien-ALL (mit B-lymphozytärer Differenzierung, weiter unterteilbar in „B-Vorläufer-ALL“ und „reif(zellig)e B-ALL“) oderT-Linien-ALL (mit T-lymphozytärer Differenzierung, weiter unterteilbar in „T-Vorläufer-ALL“ und „reife T-ALL“) einordnen. Die Tabelle unten zeigt die Einteilung der akuten lymphatischen Leukämie aufgrund des Oberflächen-Antigenmusters nach der sogenannten EGIL-Klassifikation (EGIL =European Group for the Immunological Characterization of Leukemias).[6] Die ALL-Zellen werden dabei nach ihrem „Reifungsgrad“ eingeteilt, d. h. einepro-B-ALL ist eine ganz unreife Form, dann kommt diecommon ALL, gefolgt von derprä-B-ALL. Diereife B-ALL zeigt in ihrem Antigenmuster schon viele Merkmale reifer B-Lymphozyten. Analog ist es bei der T-Reihe:pro-T →prä-T →thymische (corticale) T →reife T. Etwa 75 % der ALLs im Erwachsenenalter lassen sich der B-lymphozytären Reihe zuordnen und etwa 25 % der T-lymphozytären Reihe. Bei ALL im Kindes- und Jugendalter beträgt das Verhältnis etwa 85 % : 15 %.
DieZytogenetik undMolekulargenetik der akuten Leukämien ist Gegenstand intensiverForschungen. In den letzten zwei Jahrzehnten sind sehr viele Arbeiten erschienen, die sich mit verschiedenen Aspekten der Genetik dieser Erkrankungen beschäftigen. Die Genetik bildet gewissermaßen die Grundlage für das vertiefte Verständnis der Erkrankung.
Grundsätzlich ist zu sagen, dass sich die ALL des Kindes- oder Säuglingsalters, was die genetischen Grundlagen angeht, zum Teil erheblich von der ALL des Erwachsenenalters unterscheidet. Deswegen sollen die drei Altersklassen hier getrennt betrachtet werden:
Kennzeichnend für die ALL des Säuglings (englischinfant leukemia) sind Veränderungen desKMT2A- (früherMLL-)Gens auf dem langen Arm vonChromosom 11, Bande 23 („11q23-Aberrationen“).[7] Diese Veränderungen sind mit einer ungünstigen Prognose assoziiert. DasKMT2A-Gen ist dabei in der Regel durchChromosomentranslokationen mit anderen Genen fusioniert. Bis heute sind über 50 Fusionspartner bekannt. Die bei weitem häufigste Aberration ist die Fusion mit demAFF1-Gen aufChromosom 4 (seltener auchMLLT1-Gen aufChromosom 19,MLLT3-Gen aufChromosom 9). Dabei entsteht ein sogenanntes Fusionsprotein („chimäres“ Protein), so dass die eigentlichen Funktionen der beteiligten Gene entweder verloren gehen oder so stark verändert werden, dass sie krankheitsauslösend oder -fördernd wirken.
Bei der ALL des Kindesalters sind eine Vielzahl von genetischen Veränderungen gefunden worden.[8] Vereinfacht unterscheidet man genetisch zurzeit die folgenden Gruppen:
Patienten mit hyperdiploidem Chromosomensatz (d. h. Vermehrung vonChromosomen) – prognostisch günstig
Patienten mit hypodiploidem Chromosomensatz (d. h. Verminderung von Chromosomen) – prognostisch ungünstig
Patienten mit derChromosomentranslokation t(12;21), die zu dem FusionsgenETV6::RUNX1 führt – prognostisch günstig[9]
Patienten mit der Chromosomentranslokation t(9;22), die zu dem FusionsgenBCR::ABL1 führt – prognostisch bisher ungünstig, wobei sich durch die zusätzliche Gabe vonImatinib(Glivec) ein neuer Behandlungsansatz eröffnet hat, der die Prognose gemäß ersten Studienergebnissen erheblich verbessert[10]
Patienten mit der Chromosomentranslokation t(1;19), die zu dem FusionsgenTCF3::PBX1 führt – prognostisch günstig
Patienten mitKMT2A-Aberrationen (s. o.) – prognostisch ungünstig
Patienten mit T-Linien-ALL – prognostisch ungünstig
Die häufigste Veränderung ist dabei die t(12;21), die in etwa 15–20 % der Fälle zu finden ist.
Bei Erwachsenen findet man im Prinzip dieselben genetischen Veränderungen wie bei Kindern, nur mit zum Teil erheblich unterschiedlicher Häufigkeit. Die häufigste Veränderung ist dabei die t(9;22), die in ca. 25 % der Fälle zu finden ist. Die t(12;21) ist dagegen selten (ca. 1 %). Die prognostische Wertigkeit der o. g. Veränderungen ist bei Erwachsenen z. T. noch nicht eindeutig geklärt (t(12;21), t(1;19)). Die T-ALL gilt im Gegensatz zur Situation bei Kindern nicht generell als prognostisch ungünstig.
Die ALL ist kein einheitliches Krankheitsbild, sondern kann bei verschiedenen Patienten einen sehr unterschiedlichen Verlauf nehmen. Manche Patienten zeigen z. B. ein gutes Therapieansprechen, während andere nur verzögert auf die Therapie ansprechen oder schnellrezidivieren. In den letzten Jahrzehnten konnten verschiedene Risikofaktoren identifiziert werden. Als Risikofaktoren bezeichnet man in diesem Kontext Faktoren, die dazu führen, dass der betroffene Patient ein erhöhtes Risiko aufweist, schlecht auf die Behandlung anzusprechen oder ein Rezidiv zu erleiden.
Die ALL wird weltweit nicht einheitlich behandelt. Es gibt in verschiedenen Ländern verschiedene große sogenannte Studiengruppen, die ihre Patienten nach bestimmten Therapieschemata behandeln. Mittlerweile gibt es aber Bestrebungen, die Therapien aneinander anzugleichen oder länderübergreifende Therapiestudien auf den Weg zu bringen (z. B. im Rahmen desEuropean LeukemiaNet).
AIEOP-BFM-ALL, Nachfolger vonALL-BFM,Berlin-Frankfurt-Münster kooperative multizentrische ALL Studie – für primäre Erkrankung – Deutschland, Österreich, Schweiz, Italien, Tschechien, Slowakei, Israel, Australien[11]
COALL Cooperative ALL-Studie – für primäre Erkrankung – Deutschland
ALL-REZ BFMBerlin-Frankfurt-Münster kooperative multizentrische Studie ALL-Rezidiv – für Rückfall – Deutschland, Österreich, Schweiz
ALL-SZT BFMBerlin-Frankfurt-Münster kooperative multizentrische Studie ALL-Stammzelltransplantation – Deutschland, Österreich, Schweiz
I-BFM(International BFM-Group) – Behandlungsprotokoll nach Grundlage von ALL-BFM – Europa
COG(Children’s Oncology Group) – diverse Protokolle – USA
UKALL(United Kingdom ALL Study Group) – Behandlungsprotokoll der UK Children’s Cancer Study Group – Großbritannien
SFOP(Societé française d’oncologie pédiatrique) – Frankreich
NOPHO(Nordic Society of Paediatric Haematology and Oncology) –Skandinavien
2. hohe periphereLeukozytenzahl zum Zeitpunkt der Diagnose als Ausdruck einer hohenTumorlast(tumor burden)
3. verzögertes Ansprechen auf die Therapie (insbesondere nach der Induktionsphase der Therapie)
4. genetisch Nachweis eines MLL-Fusionsgens
5. das Patientenalter: junge Patienten haben in der Regel deutlich bessere Heilungschancen als ältere (Ausnahme: Kleinkinder unter 1 Jahr)[13]
6. Befall des Zentralnervensystems (Gehirn und Rückenmark) durch die ALL[14][15]
7. bestimmte Immunphänotypen (z. B. T-Linien ALL im Kindes- und Jugendalter (1–18 Jahre))[16]
Andere Risikofaktoren sind umstritten und nicht allgemein akzeptiert. Es muss auch betont werden, dass die oben genannten Faktorenstatistische Risikofaktoren sind, d. h. im Einzelfall kann der klinische Verlauf auch anders aussehen als erwartet. Die Identifizierung von Risikofaktoren ist deswegen bedeutsam, weil es sich bei den betroffenen Patienten um Hochrisiko-Patienten handelt, die sehr gefährdet sind, einRezidiv zu erleiden. Deswegen sehen die bisherigen Therapiekonzepte für diese Patienten primär eine intensivere Behandlung vor. In der Regel wird bei Erwachsenen in ersterRemission dieallogeneKnochenmark- oderStammzelltransplantation angestrebt. Bei Kindern mit ALL erfolgt eine Stammzelltransplantation hingegen nur dann, wenn besondere und seltene Risikofaktoren eine solche anzeigen, oder nach einer Remission die ALL erneut auftritt (rezidiviert).
In den Fällen, in denen eine Stammzelltransplantation erforderlich ist, kann es zu einer Graft-versus-Host Reaktion kommen. Um diese zu therapieren oder zu vermeiden, können mesenchymale Stromazellen sinnvoll sein. Im Jahr 2019 haben Fisher et al. eine Cochrane-Übersichtsarbeit mit randomisierten kontrollierten Studien erstellt, um die Sicherheit und Wirksamkeit von mesenchymalen Stromazellen (MSC) bei Patienten mit einer Graft-versus-Host-Reaktion (GvHD) zu messen. Die Patienten litten unter dieser Erkrankung, da sie eine Blutstammzelltransplantation als Behandlung einer hämatologischen Erkrankung bekommen haben. Fisher et al. haben Studien eingeschlossen, die MSCs entweder zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken genutzt haben. Die exakten Ein- und Ausschlusskriterien und Informationen bezüglich der Dosis können in der originalen Cochrane-Übersichtsarbeit eingesehen werden. In den therapeutischen Studien mussten die Patienten bereits unter einer GvHD leiden. Fisher et al. haben eine Analyse durchgeführt: MSCs im Vergleich mit einer Kontrollbehandlung (z. B. Placebo) für immunvermittelte Entzündungen nach Transplantation und bei Autoimmunität: Die Evidenz ist sehr ungewiss bezüglich der Wirkung von MSCs auf die Vollremission von akuten und chronischen GvHD und die Gesamtmortalität, wenn sie aus therapeutischen Gründen verwendet werden. MSCs erzielen nur eine geringe oder keine Veränderung bezüglich der Gesamtmortalität, eines Rezidivs der malignen Erkrankung und der Inzidenz von akuten GvHD, wenn sie prophylaktisch angewendet werden. MSCs verursachen eventuell eine Verringerung der Inzidenz von chronischen GvHD, wenn sie zu prophylaktischen Zwecken verwendet werden.[17]
Alsminimale Resterkrankung (kurz MRD,minimal residual disease) bezeichnet man den Anteil von Leukämiezellen während oder nach einer Therapie. Man spricht z. B. von einer MRD von 0,001 % oder 10−5, wenn noch eine Leukämiezelle unter 100.000 gesundenKnochenmarkzellen gefunden werden kann. Man weiß mittlerweile, dass die MRD den wichtigsten Prognosefaktor bei der Leukämiebehandlung überhaupt darstellt. Im Rahmen moderner Leukämie-Therapiekonzepte wird die MRD deswegen auch regelmäßig bestimmt, um den Grad des Therapieansprechens zu ermitteln. Dieses dient dann zugleich derStratifikation, d. h. die behandelten Patienten werden je nach MRD-Verlauf unterschiedlichen weiteren Behandlungsformen zugeführt. Ziel hiervon ist, genau so viel Chemotherapie zu geben, wie nötig.
Meist wird die MRD mittelsPolymerase-Kettenreaktion (PCR) ermittelt. Dazu sind hochspezialisierte und in dieser speziellen Diagnostik erfahrene Labore erforderlich. Gelingt es durch die Therapie nicht, die MRD unter ein gewisses Niveau zu bringen (mindestens 10−4), ist einRezidiv der Erkrankung praktisch vorbestimmt.[18][19][20][21]
Zur Behandlung der ALL können verschiedene Chemotherapie-Verfahren eingesetzt werden.
Vor Beginn der Behandlung muss eine ausführliche Diagnostik erfolgen, um die ALL genetisch und immunzytologisch zu charakterisieren (s. o.). Dazu gehört auch eine Untersuchung desLiquor cerebrospinalis durchLumbalpunktion und eventuell Bildgebung des Zentralnervensystems (beispielsweise durchMagnetresonanztomographie). Unmittelbar anschließend an die Diagnostik wird die Behandlung begonnen. Diese erfolgt mittels Chemotherapie, d. h. durch Gabe vonZytostatika. Es werden Kombinationen von verschiedenen Zytostatika gegeben, da dadurch die antileukämische Wirkung vielfach verstärkt ist. Die Behandlung dauert insgesamt mindestens 12 bis 24 Monate.
Vereinfacht kann man sagen, dass die Behandlung nach folgendem Schema abläuft:
Induktionstherapie (u. U. als „Doppel-Induktion“) → Konsolidierungstherapie → Re-Induktionstherapie → Erhaltungstherapie
Am Anfang steht die „Induktionstherapie“, die sehr intensiv und nebenwirkungsreich ist. Die wichtigsten Zytostatika sind in dieser Phase
Kortikosteroide, z. B.Dexamethason undPrednison (gehören streng genommen nicht zur Gruppe der Zytostatika, jedoch hemmen Kortikosteroide die Vermehrung lymphatischer Immunzellen und damit in der Regel auch die Vermehrung der ALL-Zellen)
An genau festgelegten Tagen des Behandlungsablaufes werden dem Patienten definierte Zytostatika in vorbestimmten Dosierungen und Kombinationen verabreicht. Die Induktionsphase dauert bei der Studie AIEOP BFM ALL 2017 bei Kindern bei unkompliziertem Verlauf 5 Wochen[11]. Sie hat das Ziel, die ALL so zurückzudrängen, dass sie einen Monat nach Beginn der Induktionsphase in der Knochenmarkpunktion kaum mehr und am Ende der Induktionsphase gar nicht mehr nachweisbar ist. Die Behandlung ist deswegen so intensiv, weil man den Blasten keine Zeit geben möchte, Resistenzen gegen Zytostatika zu entwickeln, und deswegen eine möglichst rasche Reduktion derTumorlast erzielen will.
Gelegentlich wird nach der ersten Induktionstherapie noch eine zweite Induktionstherapie angeschlossen („Doppelinduktion“), die etwas andere Medikamentenkombinationen beinhaltet und auch etwa einen Monat dauert.
Obwohl die ALL im Idealfall nach Abschluss der Induktionsphase nicht mehr nachweisbar sein kann, wird die Behandlung fortgesetzt. Eine Beendung der Behandlung zu diesem Zeitpunkt würde ansonsten mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Rückfall führen: die ALL ist zwar mit den zur Verfügung stehenden diagnostischen Methoden kaum oder nicht mehr nachweisbar, aber noch nicht restlos beseitigt. An die Induktionsphase schließt sich die „Konsolidierungsphase“ an. Auch in dieser Phase werden Zytostatika in festgelegten Dosen und Zeitabständen verabreicht. Die wichtigsten Zytostatika in der Konsolidierungsphase sind:
Insbesondere die Zytostatika Methotrexat und evtl. auch Cytarabin werden dabei impulsweise in mittelhohen bis hohen Dosierungen eingesetzt.Tioguanin und/oder6-Mercaptopurin und/oder L-Asparaginase werden als Dauertherapie dazugegeben, wobei bei der Asparaginase aufgrund des langsamen Abbaus eine Gabe alle zwei Wochen reicht, um diese dauerhaft im Körper zu halten.
An die Konsolidierungsphase schließt sich die „Re-Induktionsphase“ an. In dieser wird analog zur Induktionsphase die Behandlung erneut intensiviert. Die dabei eingesetzten Zytostatika entsprechen denen der Induktionsphase.
Induktionsphase, Konsolidierungsphase und Re-Induktionsphase werden auch als Intensivphase der Behandlung bezeichnet. Die Gesamtdauer der Intensivphase ist abhängig von den Risikofaktoren und dem Behandlungsverlauf der betroffenen Patienten. Die Dauer schwankt zwischen 6 und 12 Monaten. Ein stationärer Krankenhausaufenthalt ist in der Intensivphase zumeist bei der Verabreichung der Zytostatika und bei Auftreten von Komplikationen wie beispielsweise Infektionen in Knochenmarkaplasie („Zelltief“) erforderlich. Zwischen den einzelnen Zytostatika-Zyklen verweilt der Patient mit problemlosem Verlauf zu Hause; lediglich ambulante Kontrollen des Blutbildes sind erforderlich und sinnvoll.
In der sich erneut unmittelbar an die Intensivphase anschließenden „Erhaltungsphase“ erhalten die Patienten eine Chemotherapie mitMethotrexat und6-Mercaptopurin.[22] Im Gegensatz zu den vorhergehenden Behandlungsphasen wird die Chemotherapie in dieser Phase meist alsorale Chemotherapie (in Form von Tabletten) durchgeführt: 6-Mercaptopurin wird dann einmal täglich, Methotrexat einmal wöchentlich eingenommen. Ein Krankenhausaufenthalt ist, außer bei Komplikationen, im Gegensatz zur Intensivphase nicht erforderlich. Die Dauer der Erhaltungsphase ist in Abhängigkeit vom verwendeten Therapieprotokoll unterschiedlich und beläuft sich auf 6–18 Monate. Im Kindes- und Jugendalter wird die Erhaltungstherapie mit 6-Mercaptopurin und Methotrexat typischerweise bis zum Zeitpunkt zwei Jahre nach Diagnose bzw. Behandlungsbeginn durchgeführt[11].
Ein Problem der meisten Zytostatika ist der Umstand, dass sie gar nicht oder nur schlecht dieBlut-Hirn-Schranke überwinden. Dringen Leukämiezellen in dasZentralnervensystem (ZNS) ein, sind sie dort vor Zytostatika geschützt und können von dort aus zu einem Rezidiv der Erkrankung führen. Um solche ZNS-Rezidive zu verhindern wird daher bei allen Patienten eine mehr oder weniger intensive sogenannte ZNS-Prophylaxe durchgeführt. Diese kann in zwei Formen erfolgen. Zum einen als mehrfach wiederholte direkte Gabe von Zytostatika (i. d. R. Methotrexat) in denLiquorraum („Nervenwasser“) mittelsLumbalpunktion (=intrathekale Gabe), zum andern als Bestrahlung des Zentralnervensystems. Die ZNS-Bestrahlung war insbesondere in den ersten Jahrzehnten der ALL-Behandlung Standard. Im Kindes- und Jugendalter ist die ZNS-Bestrahlung aufgrund der beobachteten Spätschäden für die meisten Patienten zusehends durch die intrathekale Gabe von Methotrexat ersetzt worden.[23] Bei einem gesicherten Befall des Zentralnervensystems zu Anfang der Behandlung oder bei Erfüllung bestimmter Risikofaktoren wie beispielsweise einer anfänglichen Leukozytenzahl von mehr als 100.000 pro Mikroliter im peripheren Blut wird eine Bestrahlung des Zentralnervensystems jedoch auch bei Kindern immer noch durchgeführt.[24][25]
Wenn eine starkeThymusschwellung durch Leukämiezellen als sogenannterMediastinaltumor vorliegt, wird diese bei Erwachsenen lokal bestrahlt (bei Kindern und Jugendlichen nur im absoluten Ausnahmefall, da der Thymus bei Kindern im Gegensatz zu Erwachsenen noch wesentliche Funktionen im Immunsystem erfüllt).
In regelmäßigen Abständen wird eine erneute Knochenmarkpunktion durchgeführt, um den Erfolg der Therapie zu überprüfen. Auch regelmäßige Überprüfungen des Nervenwassers(Liquor) auf das Vorhandensein von ALL-Zellen sind unabdingbar. In der Regel wird durch die Induktionstherapie, die sich meist über etwa 2–3 Monate hinzieht (die Aplasie-Zeiten mitgerechnet, siehe folgenden Abschnitt), die „Leukämie-Tumorlast“ um mindestens einen Faktor 1.000 bis 10.000 oder mehr reduziert.
Die Behandlung kann nicht beliebig intensiv und hochdosiert sein, da dieZytostatika erhebliche Nebenwirkungen haben, die dosislimitierend sind. Die wichtigste Nebenwirkung ist dieKnochenmarkdepression, das heißt die Schädigung auch der verbliebenen, beim Leukämiekranken ohnehin schon stark geschwächten gesundenBlutbildung. Als Folge der chemotherapeutischen Behandlung kommt es zu einer länger dauerndenAplasie, d. h. einem fast vollständigen Ausfall der normalen Blutbildung. In dieser Phase, die bis zu einem Monat und länger dauern kann, müssen fehlende Blutbestandteile durchTransfusionen ersetzt werden und der Patient ist aufgrund der fehlendenImmunabwehr extrem infektgefährdet. Nicht wenige Patienten versterben aufgrund schwerer in Aplasie erworbener Infektionen während der Behandlung.
In den Jahren 2012 und 2015 haben Estcourt et al. Cochrane-Übersichtsarbeiten mit randomisierten kontrollierten Studien erstellt, um herauszufinden, welche Nutzung von Thrombozytentransfusionen die wirksamste ist, um Blutungen bei Patienten mit hämatologischen Erkrankungen zu verhindern, wenn sie eine Chemotherapie (oder eine Stammzelltransplantation erhalten).[26][27]
Bevor wirksame Zytostatika zur Verfügung standen, bedeutete die Diagnose „akute lymphatische Leukämie“ praktisch das Todesurteil für die betroffenen Patienten. Je nach Stadium der Erkrankung verstarben die Betroffenen innerhalb von Tagen bis Wochen nach Diagnose. Haupttodesursachen waren schwereInfektionen aufgrund der schwerenImmunschwäche,Spontanblutungen aufgrund derThrombozytopenie oder andere Komplikationen (z. B. bei Befall desZentralnervensystems). Besonders tragisch und schwerwiegend war der Umstand, dass häufig auch kleine Kinder von der Erkrankung betroffen waren (die ALL ist die häufigste bösartige Erkrankung des Kindesalters).Noch Ende der 70er Jahre, als schon einige wirksameZytostatika zur Verfügung standen, lag das mittlere 5-Jahres-Überleben bei erwachsenen ALL-Patienten inDeutschland bei unter 15 %. Bei Kindern waren die Ergebnisse besser.
In der Folgezeit sind intensive Anstrengungen gemacht worden, die Therapieergebnisse für ALL-Patienten zu verbessern. Dies geschah durch umfangreiche nacheinander abfolgendeklinische Studien, in denen die Patienten behandelt wurden. Die Ergebnisse und Erfahrungen aus einer Studie dienten dann dazu, eine neue darauf folgende verbesserte Therapiestudie zu planen. Insgesamt liegt das Gesamtüberleben bei ALL-Patienten zurzeit bei ca. 80 % bei Kindern und ca. 40–45 % bei Erwachsenen. Diese Zahlen variieren, da sie vom jeweiligen Subtyp und der Therapie abhängen. Weitere Verbesserungen sind in der Zukunft zu erwarten. Es muss aber betont werden, dass diese Zahlen Mittelwerte darstellen. Im Einzelfall kann die Prognose deutlich davon abweichen. So kann z. B. ein 20-jähriger Patient ohne Risikofaktoren (s. o.) deutlich bessere Heilungschancen erwarten, als z. B. ein 65-jähriger Patient mit Risikofaktoren.
Neben einer aggressiven Behandlung der Grunderkrankung, kann es sinnvoll sein, auch das Wohlbefinden des Patienten zu verbessern. In diesen Kontext wird häufig die körperliche Betätigung genannt. Um die Machbarkeit und Wirksamkeit zu evaluieren, haben Knips et al. im Jahr 2019 eine Cochrane-Übersichtsarbeit erstellt. Dort wurde körperliche Betätigung zusätzlich zur Standardtherapie untersucht bei Patienten, die an einer bösartigen hämatologischen Krankheit litten. Die exakten Ein- und Ausschlusskriterien und weitere Details können in der originalen Cochrane-Übersichtsarbeit nachgelesen werden. Die Studienteilnehmer hatten Krankheitsstadium I bis IV. Da die körperliche Betätigung nur eine zusätzliche Behandlung war, erhielten die Patienten zusätzlich noch eine Chemotherapie und/oder Stammzell- bzw. Knochenmarkstransplantationen. Knips et al. haben die körperliche Betätigung als Zusatz zu der Standardtherapie mit der Standardtherapie alleine verglichen: Die Evidenz ist sehr ungewiss bezüglich des Effekts von körperlicher Betätigung auf Angst und schwere unerwünschte Ereignisse. Körperliche Betätigung verursacht eventuell nur eine geringe oder keine Veränderung bezüglich der Mortalität, der Lebensqualität und der körperlichen Funktion. Körperliche Betätigung verursacht eventuell eine schwache Verringerung von Depressionen.[28]
Eine große Hoffnung für die Zukunft bietentargeted drugs, das sindMedikamente, die wesentlich spezifischer auf Leukämiezellen wirken als herkömmliche Zytostatika, und damit ein weniger schwerwiegendes Nebenwirkungsprofil haben. Beispiele für solche Substanzen sind die WirkstoffeImatinib (Glivec®),Nilotinib (Tasigna®) undDasatinib (Sprycel®), die beiPhiladelphia-Chromosom-positiver ALL im Rahmen von Studien zusätzlich zur Standard-Chemo-Therapie eingesetzt werden.[10] Auchmonoklonale Antikörper wieRituximab oderAlemtuzumab oder der bispezifische AntikörperBlinatumomab werden Einfluss auf die zukünftigen Therapieschemata der ALL nehmen.
Faktisch ist auch die seit Jahrzehnten zum Standardrepertoire der gegen ALL verwendeten Chemotherapeutika gehörende L-Asparaginase eintargeted drug: Diese spaltet im Blut eineAminosäure, nämlich dasAsparagin, welche normale Körperzellen aus anderen Aminosäuren selber bilden können, die ALL-Zellen in der Regel aber nicht. Somit lässt L-Asparaginase im Blut die Leukämiezellen faktisch verhungern und hat zugleich wenige Nebenwirkungen auf die anderen Zellen. Jedoch rief die ursprünglich verwendete L-Asparaginase häufig Allergien beim Patienten hervor, mit der Folge, dass sie nicht weiter gegeben werden konnte bzw. durch die allergische Abwehr des Körpers des Patienten ohnehin wirkungslos gemacht wurde. Modifikationen (PEG-L-Asparaginase,Erwinase) sollen helfen, den Anteil der Patienten zu erhöhen, denen Asparaginase über einen langen Zeitraum gegeben werden kann.
Der Begriff „Leukämie“ wurde vonRudolf Virchow geprägt,[29][30] der 1845 fast gleichzeitig mit und unabhängig von dem schottischen PathologenJohn Hughes Bennett[31] und dem FranzosenAlfred Donné[32][33] das Krankheitsbild einer Leukämie (wahrscheinlich einerchronischen myeloischen Leukämie) beschrieb. In den folgenden Jahren entwickelte Virchow sein Konzept der „Zellularpathologie“, das für die Pathologie grundlegend wurde. 1868 beschriebErnst Neumann erstmals das Knochenmark als Bildungsstätte der Blutzellen und entwickelte später auch dieStammzellentheorie derHämatopoese.[34] Nach dem Aufkommen synthetischer chemischer Farbstoffe entwickeltePaul Ehrlich 1877 Techniken zur Färbung vonBlutausstrichen, die eine genauere Unterscheidung von Leukozyten ermöglichten.Wilhelm Ebstein prägte 1889 den Begriff „akute Leukämie“ in Abgrenzung von den chronischen Leukämien.[35] Mosler beschrieb 1879 erstmals die Techniken der Knochenmark-Untersuchung zur Diagnose einer Leukämie.[36] 1900 führteOtto Naegeli die Einteilung der Leukämien in „myeloische“ und „lymphatische“ ein.[37]
Die ersten wirklichen Therapieerfolge im Sinne einer (zeitweiligen) Remission der Erkrankung konnten jedoch erst nach Entwicklung der ersten Zytostatika erzielt werden. Im Jahr 1948 gelang esSidney Farber in Boston durch Gabe vonAminopterin, einem Folsäure-Antagonisten, passagere Remissionen bei Kindern mit akuter lymphatischer Leukämie zu induzieren.[38] In den 1950er Jahren wurden dann weitere bei ALL wirksame Zytostatika entwickelt bzw. entdeckt: 6-Mercaptopurin durchGeorge Hitchings undGertrude Elion, die Vinca-Alkaloide durchRobert Laing Noble und die Glucocorticoide. Die ersten Langzeitüberlebenden gab es jedoch erst, nachdem systematisch Kombinationstherapien mit verschiedenen Zytostatika erprobt wurden. Bahnbrechend war das 1962 inMemphis/Tennessee gegründeteSt. Jude Children’s Research Hospital. Unter dessen erstem DirektorDonald Pinkel wurden hier dieTotal Therapy-Studien, die eine Kombinationstherapie aus verschiedenen Zytostatika mit einer ZNS-Prophylaxe (intrathekale Medikamentengabe bzw. ZNS-Bestrahlung) beinhalteten, durchgeführt. In den 1970er Jahren lagen die Anfänge der heute sogenannten BFM-Studiengruppe (Berlin-Frankfurt-Münster), die heute die weltgrößte Therapiestudiengruppe für Kinder darstellt. Ein Pionier auf diesem Gebiet war in EuropaHansjörg Riehm (anfangs in Berlin, später an der Medizinischen Hochschule Hannover). Ende der 1970er Jahre gab es dann auch bei Erwachsenen erste multizentrische größere Therapiestudien zur ALL.
Die im Jahr 2014 veröffentlichte Concord-2-Studie zeigte weltweit große Unterschiede in derFünfjahresüberlebensrate bei Kindern: während sie in einigen Ländern deutlich unter 50 % lag, betrug sie in Kanada, Österreich, Belgien, Deutschland und Norwegen über 90 %.[39]
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