DerAdhān oderAdhan (arabisch أَذَان,DMGaḏān) bzw.Azān ist derislamischeGebetsruf. Er wird traditionell inarabischer Sprache fünfmal täglich zum Aufruf des gemeinschaftlichen Gebets (Salāt) durch denMuezzin gerufen sowie zumFreitagsgebet. Die linguistischeWurzel istʾadhinaأَذِنَ und bedeutet so viel wie „zuhören“ oder „informiert sein“. Aus derselben Wurzel stammt das Wortʾudhunأُذُن für „Ohr“.
In großenMoscheen wird er vomMinarett aus gerufen, in kleinen Moscheen von der Tür aus oder von der Seite des Gebäudes. Heute geschieht dies meist über Lautsprecher. Der Adhān ruft die Gläubigen zum Ort des Gebetes, wogegen unmittelbar vor Beginn des Gebetes im Innern der Moschee nochmals die sogenannteIqama (Gebetsaufruf) ertönt, die bis auf eine zusätzliche Zeile dem Adhān gleicht.
Adhān in der Matej-Qoqanuly-Moschee (Schalkar,Kasachstan)
Der erste Adhān in der Geschichte des Islam soll, nachdem der ProphetMohammed, angeregt durch ʿAbd Allāh ibn Zaid, den Gebetsruf beschlossen hatte, vonBilal al-Habaschi, einem freigelassenenabessinischen Sklaven und engem Vertrauten des Propheten, um 623, kurz nach der Auswanderung (Hidschra) aus der StadtMekka, gerufen worden sein.
Bevor man sich zum Adhān als Form des Gebetsrufs entschieden hatte, wurden auch Alternativen vorgeschlagen, beispielsweise ein Feuer, ein Hornsignal (entsprechend dem jüdischenSchofar) oder die Verwendung desNaqus.
Während derCorona-Krise wurden in zahlreichen muslimischen Regionen die Gebetsrufe leicht abgewandelt. Dabei wurden entweder die Passage „Auf zum Gebet!“ (ḥayy ʿala ṣ-ṣalāt) durch z. B. „Betet in Euren Häusern!“ (aṣ-ṣalātu fī buyūtikum bzw. ṣallū fī buyūtikum u. a.) ersetzt oder entsprechende Passagen am Ende des Rufes angefügt. Die Maßnahme stützt sich auf in Hadithkompendien, z. B. Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, Ṣaḥīḥ Muslim oder Sunan Abī Dāwūd, überlieferte Hadithe des ProphetenMuḥammad. Darin ist davon die Rede, dass Mohammed seinem Muezzin bei Regen die Änderung des Gebetsrufes befohlen habe, um den Gläubigen das Gebet nicht zu erschweren.[2]
Der lautsprecherverstärkte Ausruf des Adhān wird durch die Glaubens- und Religionsausübungsfreiheit des Art. 4 Grundgesetz geschützt.[3] Er verletzt grundsätzlich auch nicht dienegative Religionsfreiheit der Nicht- oder Andersgläubigen.[4] Indes ist seineimmissionsschutzrechtliche Einordnung in der Rechtswissenschaft umstritten.[5] Einerseits wird vertreten, dass sich die Lautstärke innerhalb der allgemeinen immissionsschutzrechtlichen Grenzwerte bewegen müsse. Die Gegenmeinung überträgt die für dasliturgische Glockengeläut entwickelten Grundsätze auch auf den Adhān. Danach sei stets eine Einzelfallbetrachtung und -abwägung nötig, da die grundgesetzliche Gewährleistung der freien Religionsausübung auf die immissionsschutzrechtlichen Vorschriften einwirke. Letzterer Auffassung hat sich auch die bisher zu dieser Frage nur vereinzelt ergangene Rechtsprechung angeschlossen.[6]
Ich bezeuge, dass es keine Gottheit gibt außer Allah
–
2×
أشهد أن محمدا رسول الله
Ašhadu anna Muḥammadan rasūlu llāh
Ich bezeuge, dass Mohammed Allahs Gesandter ist
–
2×
حي على الصلاة
Ḥayya ʿalā ṣ-ṣalāt
Eilt zum Gebet
–
2×
حي على الفلاح
Ḥayya ʿalā l-falāḥ
Eilt zur Seligkeit (Heil/Erfolg)
–
2×
الصلاة خير من النوم
aṣ-Ṣalātu ḫayrun mina n-naum
Das Gebet ist besser als Schlaf
ausschließlich Sunniten (nur zum Morgengebet)
Verboten bei Schiiten
2×
الله أكبر
Allāhu akbar
Allah ist groß (größer als alles und mit nichts vergleichbar)
–
1×
لا إله إلا الله
Lā ilāha illā llāh
Es gibt keine Gottheit außer Allah
Schiiten 2×
Die FormelḤayya ʿalā ḫayri l-ʿamal wird beim Gebetsruf ausschließlich von Schiiten verwendet und dient ihnen alsErkennungszeichen. Wenn sie vom Minarett einer Moschee ertönt, wissen die Zuhörer, dass hier dieSchia maßgeblich ist. Weiter bezeugen Schiiten für gewöhnlich nach dem Prophetentum noch das Imamat Alis durch zweimaligen Ausruf vonAšhadu anna ʿAlīyan Walīyu llāh, was allerdings nicht als Pflichtbestandteil des Adhān angesehen wird.
InAbu Dhabi-Stadt ist der Gebetsruf koordiniert. Aus allenMoscheen der Stadt tönt der Gebetsruf des Muezzin derScheich-Zayid-Moschee. Der ägyptische Minister für religiöse Stiftungen,Hamdi Zaqzuq, regte 2004 an, auch inKairo die Gebetsrufe durch einen einzigen Muezzin zentral ausführen zu lassen, scheiterte jedoch mit seinem Vorstoß.[7]
InIndonesien wird oft nach alter Tradition anstelle des Muezzin (indonesischazan oderadzan) mit der großen Fasstrommelbedug und derSchlitztrommelkentongan zu den Gebetszeiten gerufen.[8]
Im französischenMarseille hat die muslimische Gemeinde der neuen Großmoschee ebenfalls bewusst auf den Muezzinruf verzichtet und sendet stattdessen – „als Zeichen derAssimilation“ – zum Gebet ein Lichtsignal aus.[9]
Der PublizistZiya Gökalp formulierte erstmals in dem GedichtVaṭan („Das Vaterland“, 1918) den Wunsch nach einerLiturgie in türkischer Sprache. Die erste Strophe lautet in deutscher Übersetzung:[10]
Ein Land, in dem der Müezzin auf Türkisch den Gebetsruf singt, Wo seines Betens Sinn erfasst des Bauern einfacher Verstand, Wo überall aus Schülermund auf Türkisch der Koran erklingt, Wo jedem einz’gen, groß und klein, das göttliche Gebot bekannt: O wisse es, du Türkenspross, dies Land, es ist dein Vaterland!
Im Zuge der sprachlichenTürkisierung (Öztürkçe) wurde der Adhān ab 1932 aufTürkisch ausgerufen. Der landesweit verpflichtete türkische Gebetsruf wurde am 18. Juli 1932 durch Anordnung desDiyanet İşleri Başkanlığı eingeführt.[11] Am 16. Juni 1950 nahm das Parlament ein Änderungsgesetz an,[12][13] mit dem das seit 1941 bestehende strafrechtliche Verbot (Art. 526 Abs. 2tStGB aF), den Adhān und dieIqāma in arabischer Sprache zu rufen, aufgehoben und der arabische Gebetsruf zu Beginn desRamadan 1369 AH (17. Juni 1950) wieder zugelassen wurde.[14]
Eine Besonderheit in der Türkei ist das Vortragen des Adhān in verschiedenenMakam. In der Türkei wird zu jeder der fünf Gebetszeiten ein anderer Melodietyp verwendet, was jedoch auch an anderen Orten anzutreffen ist. Die Makam-Tradition in der Türkei ist:
↑Ibn Hubaira:al-Ifṣāḥ ʿan maʿānī aṣ-ṣiḥāḥ. Dar al-Kutub al-ʿilmīya, Beirut 1996. Bd. I., S. 64 (Bāb al-aḏān).
↑Fabian Schmidmeier:„Betet in Euren Häusern!“ Der islamische Gebetsruf in Zeiten von Corona. Abrahamic Studies (Online).
↑OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 23. September 2020 – 8 A 1161/18, juris Rn. 123 ff.
↑OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 23. September 2020 – 8 A 1161/18, juris Rn. 139;Stark, VR 2022, S. 258 ff.
↑s. zum Streitstand mit weiteren NachweisenKarabas, DÖV 2022, S. 538, 544 f.
↑OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 23. September 2020 – 8 A 1161/18, juris Rn. 120 ff.; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 1. Februar 2018 – 8 K 2964/15, juris Rn. 51 ff.
↑Erich Pritsch:Mitteilungen des Bundes der Asienkämpfer. VI, 1924, 113, WI XV 30 u. Sonderband 1941, 127, zitiert nach Gotthard Jäschke:Der Islam in der neuen Türkei. Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung. In:Die Welt des Islams. Neue Serie, Band 1, Nr. 1–2, 1951, S. 3–174 (69).
↑Klaus Kreiser:Geschichte der Türkei. Von Atatürk bis zur Gegenwart. Verlag C.H. Beck, München 2012,ISBN 978-3-406-64065-0, S. 67.
↑Gesetz Nr. 5665 vom 16. Juni 1950. In:Amtsblatt, Nr. 7535 vom 17. Juni 1950, S. 18633resmigazete.gov.tr (PDF; 3,6 MB).
↑Umut Azak:Secularism in Turkey as a Nationalist Search for Vernacular Islam. In:Revue des mondes musulmans et de la Méditerranée.Nr.124, 28. November 2008,ISSN0997-1327,S.161–179,doi:10.4000/remmm.6025 (openedition.org [abgerufen am 9. Oktober 2018]).
↑Gotthard Jäschke:Der Islam in der neuen Türkei. Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung. In:Die Welt des Islams. Neue Serie, Band 1, Nr. 1–2, 1951, S. 3–174 (76 ff.).