Acid House
Acid House ist eineStilart derHouse-Musik. Der Stil wurde um 1985 inChicago relativ parallel zur Entstehung vonDetroit Techno entwickelt und kam ab 1987 auch nachEuropa.
Merkmale
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Das Merkmal von Acid House ist ein stark moduliertes Zwitschern und Blubbern desSynthesizersRoland TB-303. Das Gerät ist eigentlich ein Bass-Synthesizer, der aber durch bestimmte Einstellungen ganz andere Klänge erzeugen kann, die zum charakteristischen „Acid-Sound“ wurden. Ansonsten ist Acid House minimalistisch und zumeist instrumentale House-Musik mit einem pumpendenFour-to-the-floor-Beat in einer Geschwindigkeit von 118–135BPM. Oftmals werden auch kurzepentatonische Tonsequenzen monoton wiederholt, oder sehr hohe Frequenzen durchgehend abgespielt, was zuTrance-artigen Effekten beim Zuhörer führen kann. Im Gegensatz zumChicago House sind beim Acid House kaum nochDisco-Einflüsse zu spüren.
Ein besonders intensiver Einsatz findet sich im StückHigher State Of Consciousness (Tweekin Acid Funk) vonJosh Wink.
Geschichte
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Die erste Veröffentlichung, die dieRoland TB-303 zur Generierung von Acid-ähnlichen Klängen einsetzt, ist „Ten Ragas to a Disco Beat“ des indischen MusikersCharanjit Singh aus dem Jahr 1982. Es unterlegt traditionelleRagas mit modernem Klang und nimmt klanglich einige Charakteristika des späteren Acid House vorweg – darunter auch die typische Kombination mit dem DrumcomputerRoland TR-808 –, auch wenn es in einem gänzlich anderen musikalischen und kulturellen Kontext steht. Die Platte war kein kommerzieller Erfolg und blieb lange weitgehend unbekannt.[1]
Als die eigentlichen Erfinder des Acid House im Kontext der US-amerikanischenClubkultur geltenDJ Pierre und Earl „Spanky“ Smith aus Chicago. Die beiden hatten unter dem Bandnamen einen ca. 15-minütigen Drumtrack programmiert, zu dem DJ Pierre spielerisch (er selbst besaß kaum Erfahrung mit dem Gerät) eineBassline mit der TB-303 modulierte. Sie gaben den Track (den sie erstIn Your Mind nannten) DJRon Hardy, der damals im Chicagoer ClubMusic Box auflegte und ihn in sein Set einbaute. Das aufgeschlossene Publikum nahm das Stück euphorisch auf.
Der Erzählung nach sprach das Publikum bald nur noch von Ron Hardys „Acid Tracks“, das Lied wurde als „Acid Trax“ bekannt. Der Name kam angeblich in Anlehnung an denAcid Rock zustande, der schon mit ähnlichen Sounds experimentierte. Das Publikum verband „Acid“ aber eher mit derDroge Acid (Slangbezeichnung fürLSD). Die Musik, die viele an ihre LSD-Trips erinnerte, tat ihr Übriges dazu.
Auf „Acid Tracks“ folgten 1986 bald die ersten regulären Veröffentlichungen des neuen Stils wie z. B.Sleezy DsI’ve Lost Control (produziert vonAdonis undMarshall Jefferson). Acid House löste Chicago House bald in der Popularität ab und wurde so schnell zum Eckpfeiler der amerikanischen Undergroundszene. „Acid Tracks“ selbst erschien erst 1987 auf Schallplatte beiTrax Records, neu produziert von Marshall Jefferson, unter dem ProjektnamenPhuture (DJ Pierre, Earl Smith hatten sich 1986 mit HerbertHerb J Jackson zusammengetan). Phuture versuchten sich aktiv gegen das Drogenimage des Acid auszusprechen. So enthielt die B-Seite vonAcid Tracks das StückYour Only Friend, das von einemKokainopfer handelt.
Europa
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]1987 begann sich House auch in Europa zu etablieren. Zur selben Zeit brachten britische DJs den House Sound von ihrem Ibiza-Urlaub erstmals nachGroßbritannien mit.Paul Oakenfold initiierte imProject Club die erstenAfterhour-Partys, auf denen allerdings noch ausschließlich Chicago undNew York House lief. Die Musik verbreitete sich wie ein Lauffeuer über die Insel, es wurden immer mehr Partys veranstaltet, und überall eröffneten House-Clubs wie dieHaçienda inManchester. Erste House-Hits in Großbritannien warenRelease Your Body vonBang the Party undOochy Koochy vonBaby Ford.Jack Your Body vonSteve „Silk“ Hurley undPump Up the Volume vonM|A|R|R|S erreichten als erste House-Tracks Platz 1 der britischenCharts.

Im November 1987 eröffnete in einem ehemaligenLondoner FitnessclubThe Shoom. Hier begann sich eine ganz eigene englische Acid-Clubkultur herauszubilden. DasShoom sollte zum Wallfahrtsort der Acid-Jünger werden. Das Maskottchen der Partys, derSmiley „J“, sollte zum Symbol der gesamten Acid-Bewegung werden.
Zu Beginn des Jahres 1988 begannen immer mehr alternative und später auchMassenmedien über die Acid-House-Partys zu berichten. Im Verlauf des Jahres sollte dieser Medienhype zur größten britischenJugendkultur seitPunk führen und als „Second Summer of Love“ (nach der Hippiewelle in den Vereinigten Staaten 1967) in die Geschichte eingehen. Auch auf dem europäischen Festland tanzte man mittlerweile zu den Acid-Rhythmen. Bald sollten kommerzielle Tracks wie „Theme From S-Express“ vonS’Express, „The Only Way Is Up“ vonYazz und „Beat Dis“ vonBomb the Bass den Musikmarkt überschwemmen und die europäischen Hitparaden stürmen. Auch Deutschland erlebte eine Acid-House-Welle, die sogar im JugendmagazinBravo stattfand. Acid House entwickelte sich zu einem Trend in deutschen Clubs und Diskotheken. Im anfangs illegalen ClubUfo (1988–1990) fanden die ersten Acid-House-Partys in Berlin statt. In München etablierten sich dieNegerhalle (1983–1989) und dieETA-Halle als erste Acid-House-Clubs in zwischengenutzten, maroden Industriehallen.[2][3]
Die Acid-Welle in Großbritannien sollte allerdings mit ihrem kommerziellen Ausverkauf schnell wieder ein Ende finden. Mit der aufkommenden Housemusik kam auch erstmals dasAmphetamin-DerivatEcstasy nach England und verschaffte den Tänzern ein einzigartiges Erlebnis. Als diePresse nicht ganz unbegründet wiederholt von den Drogenexzessen bei den Warehouse-Partys berichtete, wurde der Hype zur Hysterie. Die Polizei führte wiederholt Razzien durch und löste Partys auf.[4] Die Smiley-Artikel (Poster, Sticker, T-Shirts, Tassen etc.), die massenhaft überall verkauft wurden, verschwanden ausImagegründen wieder aus dem Sortiment der Warenhäuser.
Im Oktober 1988 weigerte sich zudem dieBBC, den aktuellen Spitzenreiter der britischen Charts,D Mob mitWe Call It Acieed, zu spielen. Ein Verbot repetitiver Musik in der Öffentlichkeit durch Graham Bright wurde diskutiert, da viele der illegalen Partysselbstorganisiert etwa in alten Fabrikhallen oder mitten auf dem Land stattfanden. DerBoykott der staatlichen BBC führte im Nachhinein besonders in London und den großenBallungszentren zu einer weltweit einzigartigen Zahl vonPiratensendern, die die Lücke ausfüllten, welche die BBC hinterließ. Spätestens Mitte 1989 lösteRave Acid endgültig als neue Jugendkultur in Großbritannien ab.
Doch die kurze Acid-House-Welle hatte langwierige Auswirkungen: Der Grundstein für einen funktionierenden britischen Underground wurde gelegt. Viele Dance-Labels wurden gegründet und noch heute senden Piratensender und sorgen so dafür, dass sich neue musikalische Strömungen in Großbritannien viel schneller durchsetzen als inKontinentaleuropa. Die große Akzeptanz vonDrum and Bass und2 Step auf der Insel ist ihr großes Verdienst. Der Acid-Sound blieb in den europäischenClubs weiterhin populär. Viele Musiker experimentierten weiterhin mit dem Acid-Sound und bauten ihn in Techno- undTrancestücke ein. In regelmäßigen Abständen kommt es im Underground zu Acid-Revivals, die immer wieder auch mit neuen Stileinflüssen experimentieren.
Acid-House-Klassiker
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Phuture – Acid Tracks (bzw. Acid Trax) (1985; veröffentlicht 1987)
- Sleezy D – I’ve Lost Control (1986)
- Adonis – No Way Back (1986)
- Pierre’s Pfantasy Club – Dream Girl (1987)
- Armando – Land of Confusion (1987)
- Tyree Cooper – Acid Over (1987)
- Gherkin Jerks (Larry Heard) – Acid Indigestion (1988)
- Phuture – We Are Phuture (1988)
- Fast Eddie – Acid Thunder (1988)
- A Guy Called Gerald – Voodoo Ray (1988)
- Jolly Roger – Acid Man (1988)
- Humanoid – Stakker Humanoid (1988)
- D Mob – We Call It Acieed (1988)
- Josh Wink – Higher State of Consciousness (Version 3 – Tweekin Acid Funk) (1995)
Bedeutende Acid-House-Labels
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Trax Records (Chicago)
- D.J. International Records (Chicago)
- International House Records (Chicago)
- Westbrook Records (Chicago)
- Westside Records (London)
Siehe auch
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Weblinks
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Karl Fluch: Acid House. Wie die aus Chicago importierte Musik die Clubkultur veränderte. In: Der Standard (2018)
- Phil Cheeseman: The History of House (DJ Magazin). deutsche Übersetzung
- Acid Tracks bei Discogs (englisch)
- Acid House – späte Achtziger zwischen Smileys, illegalen Raves und der TB-303 bei Retropie
Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑Vgl.Charanjit Singh on how he invented acid house … by mistake inThe Guardian vom 10. Mai 2011.
- ↑Christian Ertl:Macht's den Krach leiser! Popkultur in München von 1945 bis heute.Allitera, München 2010,ISBN 978-3-86906-100-9.
- ↑Mirko Hecktor, Moritz von Uslar, Patti Smith, Andreas Neumeister:Mjunik Disco – von 1949 bis heute. Blumenbar Verlag, München 2008,ISBN 978-3-936738-47-6.
- ↑Jay Strongman:Rave: the culture that isn’t. (Memento vom 4. Juni 2003 imInternet Archive)